Urteil des LG Stuttgart vom 14.08.2002

LG Stuttgart: reisekosten, fahrtkosten, mehrwert, geschäftsbetrieb, gebühr, anschluss, postulationsfähigkeit, rechtsberatung, vergleich, unternehmen

LG Stuttgart Beschluß vom 14.8.2002, 10 T 282/02
Gebühr des Rechtsanwalts: Gebührenansatz für in einen Prozessvergleich mit aufgenommene nicht anhängige Ansprüche
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 27.06.2002 - 1 C 291/00 - bezüglich der
Festsetzung der außergerichtlichen Kosten der zweiten Instanz wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
Beschwerdewert: bis 300,-- Euro
Gründe
I.
1
Am 21.03.2002 schlossen die Parteien vor dem Landgericht Stuttgart als Berufungsgericht einen Vergleich. Dabei wurde der Mehrwert des
Vergleichs mit bis zu 2.000,-- DM festgesetzt (Bl. 173/174 d.A.). Dem Rechtsstreit lag eine Forderung der Klägerin über 4.978,60 DM aus ihrem
Geschäftsbetrieb zugrunde. Die Klägerin ist ein mittelständisches Unternehmen und unterhält keine eigene Rechtsabteilung. Der Klägervertreter
ist nach seinem Briefkopf bei allen Landgerichten zugelassen.
2
Mit Schriftsatz vom 09.04.2002 beantragte die Klägerin die Festsetzung der außergerichtlichen Kosten für die Berufungsinstanz (Bl. 188/189
d.A.). Dabei beantragte sie u.a. die Festsetzung einer 19,5/10 Vergleichsgebühr gem. §§ 11, 23 BRAGO aus einem Streitwert von 2.000,-- DM in
Höhe von 331,50 DM. Weiterhin beantragte sie Fahrtkosten für zwei Reisen ihres Prozessbevollmächtigten von M. nach Stuttgart und
Abwesenheitsgeld in Höhe von insgesamt 266,23 DM.
3
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 27.06.2002 (Bl. 211/218 d.A.) die außergerichtlichen Kosten der zweiten Instanz festgesetzt. Dabei
berücksichtigte es lediglich eine 15/10 Vergleichsgebühr aus dem Mehrwert von 2.000,-- DM in Höhe von 252,-- DM. An Reisekosten wurden
46,42 Euro (90,79 DM) festgesetzt.
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Gegen den am 02.07.2002 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.07.2002, eingegangen am
09.07.2002, sofortige Beschwerde hinsichtlich der Vergleichsgebühr auf Klägerseite und der Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder klägerseits
eingelegt. Einer hierzu parallel eingelegten Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts bezüglich der
außergerichtlichen Kosten der ersten Instanz ebenfalls vom 27.06.2002 (Bl. 204/207 d.A.) hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 29.07.2002 (Bl.
241/242 d.A.) abgeholfen. Hierbei hat das Amtsgericht Reisekosten und Tagegelder bezüglich der ersten Instanz in Höhe der fiktiven
Reisekosten der Partei für die Information eines Anwalts am Prozessgericht in Höhe von 75,67 EUR berücksichtigt.
II.
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Die sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 27.06.2002 - 1 C 291/00 - (Bl. 211/218 d.A.)
bezüglich der Festsetzung der außergerichtlichen Kosten der zweiten Instanz ist zulässig, aber nicht begründet.
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1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Festsetzung einer 19,5/10 Gebühr aus dem Vergleichsmehrwert von 2.000,-- DM gem. § 23 Abs. 1 Satz 1
i.V.m. § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO.
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Es ist strittig, ob bei dem Vergleichsabschluss vor dem Berufungsgericht die Vergleichsgebühr für dabei mitverglichene nichtanhängige
Ansprüche 15/10 (so OLG Stuttgart JurBüro 1998, 585; OLG Hamburg MDR 2001, 536; OLG München JurBüro 1999, 302) oder unter Erhöhung
gem. § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO 19,5/10 (so KG JurBüro 1998, 189; OLG Frankfurt AGS 1998, 212; OLG Hamm Rpfleger 1999, 97 beträgt (vgl.
auch weitere Nachweise für beide Auffassungen bei Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, § 23, Rdnr. 54).
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Aus Sicht der Kammer ist lediglich ein Vergleichsgebühr in Höhe von 15/10 bezüglich des mitverglichenen nichtanhängigen Anspruchs im
Anschluss an OLG Stuttgart JurBüro 1998, 585 zu berücksichtigen, weil sich die nicht anhängigen Ansprüche gerade nicht im gerichtlichen
Verfahren und damit auch nicht im Berufungsverfahren befinden. Eine Erhöhung nach § 11 Abs. 1 Satz 4 BRAGO kommt daher nicht in Betracht.
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2. Die Klägerin hat keinen weitergehenden Anspruch auf Festsetzung ihrer Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder gem. § 28 BRAGO über den
festgesetzten Betrag von 46,42 Euro hinaus, weil im vorliegenden Fall die Reisekosten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin nur in Höhe
einer Informationsreise der Partei zu einem am Prozessort ansässigen Rechtsanwalt erstattet werden können. Dies ist durch den
Abänderungsbeschluss vom 29.07.2002 bezüglich des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 27.06.2002 hinsichtlich der Festsetzung der
außergerichtlichen Kosten erster Instanz bereits erfolgte.
10 Nach § 91 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz ZPO können die Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht bei dem Prozessgericht zugelassen ist
und am Ort des Prozessgerichts auch nur insoweit erstattet werden, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig
war. Hier war es nach Auffassung der Kammer jedoch nicht erforderlich, dass die Partei einen an ihrem Sitz wohnhaften Rechtsanwalt mit der
Rechtsverfolgung beauftragt, weil es sich bei der streitgegenständlichen Forderung um eine Forderung aus ihrem Geschäftsbetrieb handelte.
Diesbezüglich ist die Klägerin auch unter Berücksichtigung der von ihr vorgetragenen Tatsache, dass sie keine Rechtsabteilung hat, in der Lage,
einen Rechtsanwalt am Prozessgericht ausreichend und vollständig zu informieren. Insoweit hat sie lediglich Anspruch auf die Erstattung der
Reisekosten zur einmaligen, ersten Information ihres nicht an ihrem Wohnort befindlichen Rechtsanwaltes (Zöller § 91 Rdnr. 13 "Reisekosten, a
der Partei"), bzw. Anspruch auf Erstattung der Reisekosten ihres Prozessbevollmächtigten in dieser Höhe. Diese einmaligen Reisekosten wurden
zu Gunsten der Klägerin mit dem Abänderungsbeschluss des Amtsgerichts vom 29.07.2002 bereits berücksichtigt. Anhaltspunkte, dass im
vorliegenden Fall ausnahmsweise eine zweite Reise der Partei bezüglich der Berufungsinstanz notwendig gewesen wäre, sind nicht ersichtlich.
11 Insoweit muss die in neuerer Zeit aufgetauchte Frage nicht entschieden werden, ob aufgrund der - neuen - Postulationsfähigkeit aller
zugelassenen Rechtsanwälte bei allen Landgerichten, auf die sich der Klägervertreter in seinem Briefkopf beruft, eine Versagung der
Kostenerstattung gem. § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO erfolgen müsste (vgl. die Darstellung zum Meinungsstreit bei Zöller § 91 Rdnr. 13 "Reisekosten, b
des Anwalts").
12 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Rechtsbeschwerde war im Hinblick auf die divergierende Rechtsprechung der
Oberlandesgerichte bezüglich der Frage der Höhe der Vergleichsgebühr bei Abschluss eines Vergleichs mit Mehrwert in der Berufungsinstanz
gem. § 574 Abs. 1, 3 ZPO zuzulassen.