Urteil des LG Stuttgart vom 05.04.2005

LG Stuttgart: fahrzeug, gefahr, einwirkung, begriff, entsorgung, behandlung, umwelt, luft, gewässer, gebrauchswert

LG Stuttgart Beschluß vom 5.4.2005, 18 Qs 24/05
Unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen: Schrottreifes Autowrack auf öffentlicher Straße als Abfall
Tenor
Auf die rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart - Bad Cannstatt
vom 16.03.2005, mit dem der Erlass des mit Schreiben vom 24.01.2005 beantragten Strafbefehls gegen den Angeschuldigten wegen vorsätzlichen
unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen abgelehnt wurde, wird die Entscheidung vom 16.03.2005
aufgehoben
und die Sache zur weiteren Sachbehandlung gemäß § 408 Abs. 3 StPO an das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt zurückverwiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen dem Angeschuldigten zur Last
( § 465 Abs. 1 StPO analog).
Gründe
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1) Mit dem Strafbefehlsantrag legte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Angeschuldigten zur Last, ein Vergehen des vorsätzlichen unerlaubten
Umgangs mit gefährlichen Abfällen gemäß § 326 Abs. 1 Nr. 4 a StGB begangen zu haben, indem er am 17.03.2004 aus dem in der E.straße auf
Höhe des Gebäudes Nr. 15 in St. - O. abgestellten, unfallbeschädigten und schrottreifen Fahrzeug Peugeot 306 XR,
Fahrzeugidentifikationsnummer , die vier Türen ausgebaut und sich anschließend nicht mehr um das Fahrzeug gekümmert hat, in welchem sich
noch Motoröl und Bremsflüssigkeit befanden, wie er zumindest billigend in Kauf nahm, wobei - wie er wusste - solche Flüssigkeiten geeignet
sind, dem Grundwasser und dem Erdreich nach Intensität und Dauer erhebliche Schäden zuzufügen. Das genannte Fahrzeug - so die weitere
Sachverhaltsdarstellung des Strafbefehls - verblieb in diesem Zustand bis zu seiner von dritter Seite veranlassten Entsorgung am 29.03.2004 an
seinem Abstellort in St. - O..
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2) Mit dem angefochtenen Beschluss vom 16.03.2005 lehnte das Amtsgericht den Erlass des beantragten Strafbefehls ab, weil nach dessen
Auffassung als unerlaubter Umgang mit gefährlichen Abfällen nach § 326 StGB nur solche Handlungen zu qualifizieren sind, die „ein
unmittelbares Einwirken auf die den Tatbestand des § 326 StGB ausfüllenden Betriebsstoffe“ beinhalten. Allein die weitere optische
Verschlechterung des Fahrzeugs durch das Ausbauen von Türen, die weitere Beschädigungshandlungen durch Dritte provozieren könne,
vermöge die Strafbarkeit nach § 326 StGB nicht zu begründen.
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3) Zu Recht wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen diese Argumentation:
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a) Ein Fahrzeugwrack wäre nur dann nicht als Zwangsabfall anzusehen, wenn es noch nennenswerten Gebrauchswert hätte:
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Nach geltendem Recht ist der strafrechtliche Abfallbegriff selbständig, aber in enger Anlehnung an die Vorschriften des KrW / AbfG zu
bestimmen. Nach § 3 Abs. 4 KrW / AbfG liegt Abfall im Sinne des objektiven Abfallbegriffs, also Zwangsabfall, vor, wenn bewegliche Sachen
entsprechend ihrer ursprünglichen Zweckbestimmung nicht mehr verwendet werden, sie aufgrund ihres konkreten Zustands geeignet sind,
gegenwärtig oder künftig das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere die Umwelt, zu gefährden und ihre (alsbaldige) schadlose Verwertung oder
gemeinwohlverträgliche Beseitigung ausgeschlossen werden kann (Brede, NStZ 1999, 137 ff., Urteilsanmerkung zu OLG Braunschweig NStZ -
RR 1998,175 f.).
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Der Abfallbegriff umfasst dabei nicht nur Gegenstände, die „reif für die Schutthalde“ sind, sondern auch solche, die wiederverwendet oder
weiterverwendet werden können. Die Einstufung eines Fahrzeugs als Zwangsabfall setzt zum einen voraus, dass es nicht mehr entsprechend
seiner ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet wird, zum anderen, dass die gegenwärtige Aufbewahrung bzw. seine Verwendung oder
Verwertung typischerweise zu einer Gemeinwohlgefährdung, insbesondere zu einer Umweltgefährdung, führt (so auch BayOblG, NVwZ - RR
1995, 513; OLG Celle, NStZ 1996,191 f.).
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Nach den beiden zuletzt zitierten Urteilen ist davon auszugehen, dass eine solche Gefährdung regelmäßig schon dann vorliegt, wenn Fahrzeuge
zum Ausschlachten oder gar bereits teilweise ausgeschlachtet gelagert bzw. abgelagert werden - wobei dies schon im Hinblick auf die Gefahr
der Einwirkung Dritter auf das Fahrzeug der Fall ist.
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Richtig ist allerdings, dass eine Gemeinwohlgefährdung im Sinne des objektiven Abfallbegriffs ausscheidet, wenn das Fahrzeug selbst noch
einen nennenswerten Gebrauchswert hat. Der Begriff des Gebrauchswerts stellt dabei aber nach Auffassung der Kammer auf den ursprünglichen
Verwendungszweck oder auf einen unmittelbar (also ohne „Behandlung“ i.S. des § 326 Abs. 1 StGB) an dessen Stelle tretenden neuen
Verwendungszweck der Gesamtsache ab (so vor allem auch BayObLG NVwZ - RR 1995, 513).
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Selbst wenn man aber darauf abstellen wollte, dass einzelne wesentliche Bestandteile einer beweglichen Sache weiterverwendet werden
können und diese Sache daher als Ersatzteillager theoretisch ein „Wirtschaftsgut“ mit gewissem Wert darstellen kann, ist das bei schrottreifen
Autowracks in aller Regel nicht der Fall, weil diese Fahrzeuge normalerweise unter Berücksichtigung des Aufwands für den Ausbau einzelner
Teile keinen solchen Wert mehr darstellen, dass er die Kosten für deren ordnungsgemäße Entsorgung wesentlich übersteigen würde (so z.B.
Brede, a.a.O., S. 137).
10 Danach handelte es sich bei dem hier in Rede stehenden Fahrzeug Peugeot, aus dem der Originalmotor bereits ausgebaut worden war, wobei
sich aber nach den Ermittlungen in dem Fahrzeug noch umweltgefährdende Flüssigkeiten befanden, um Abfall i.S. des § 326 Abs. 1 StGB .
11 b) Unter dem Begriff des „Behandelns“ wird im Abfallrecht jede quantitative und qualitative Veränderung von Abfällen verstanden, wie das
Aufbereiten, Zerkleinern, Kompostieren, Verbrennen, Entgiften, Verdichten oder Entwässern.
12 Der Begriff setzt also eine Einwirkung auf die Sachsubstanz, also auf die Beschaffenheit des Abfalls voraus. Das Ausschlachten von Fahrzeugen
ist daher als „Behandlung“ in diesem Sinne zu qualifizieren (Henzler / Pfohl, „Der unerlaubte Betrieb von Anlagen zur Lagerung und Behandlung
ausgedienter Fahrzeuge“; wistra 2004, 301 (333); wohl auch BayObLG NVwZ - RR 1995, 513 f.). Zerlegearbeiten, wie z.B. das Abschrauben von
Fahrzeugtüren, werden jedenfalls vom Begriff des „Behandelns“ von Altfahrzeugen umfasst (so ausdrücklich Henzler / Pfohl, a.a.O., S. 331).
Einwirkungen auf die Sachsubstanz mit lediglich geringerem Aufwand (z.B. das bloße Ablösen der Räder eines Fahrzeugs) dagegen nicht.
13 c) Es besteht auch kein Zweifel, dass der hier betroffene Abfall - das auf öffentlicher Straße abgestellte unfallbeschädigte und schrottreife
Autowrack - im Hinblick auf die darin enthaltenen Flüssigkeiten (insbesondere Motoröl und Bremsflüssigkeit) nach Art oder Beschaffenheit
grundsätzlich geeignet war, nachhaltig ein Gewässer, die Luft oder den Boden zu verunreinigen (§ 326 Abs. 1 Nr. 4 a StGB).
14 Die Gefahr des unkontrollierten Flüssigkeitsaustritts besteht bei einem Autowrack regelmäßig auch ohne konkrete Feststellungen zum Zustand,
namentlich der Dichtigkeit, der einzelnen Flüssigkeitsbehältnisse und -leitungen. Das trifft insbesondere dann zu, wenn - wie hier hinsichtlich des
Originalmotors der Fall - wesentliche Teile, die selbst umweltgefährdende Flüssigkeiten enthielten bereits ausgebaut worden sind ohne dass
zugleich die verbliebenen umweltgefährdenden Flüssigkeiten im Fahrzeug vollständig beseitigt worden wären.
15 Die genannte Gefahr des Austritts von umweltgefährdenden Flüssigkeiten ergibt sich schließlich auch daraus, dass eine maßgebliche
Einwirkung auf ein auf öffentlich zugänglicher Fläche abgestelltes Schrottfahrzeug ohne dessen vollständige Entsorgung die Gefahr der weiteren
Einwirkung auf den Abfallgegenstand durch Dritte erhöht, was allein schon zu einer erheblichen (abstrakten) Umweltgefährdung führt (vgl.
BayObLG NVwZ - RR 1995, 513 f.; Brede, a.a.O.. S. 138).
16 Die Ansicht, wonach ein Fahrzeugwrack unter der Voraussetzung, dass Flüssigkeitsbehältnisse und -leitungen hinreichend dicht sind, im
Hinblick auf die „Beschaffenheit“ dieses Abfalls nicht geeignet ist, den Boden nachhaltig zu verunreinigen (so wohl OLG Braunschweig, NStZ -RR
1998,175 f.; OLG Schleswig, NStZ 1997, 546 f.), ist mit dem Wortlaut des § 326 Abs. 1 Nr. 4 a StGB nicht zu vereinbaren, nachdem der Tatbestand
alternativ auch durch die Varianten „Art“ und „Menge“ des Abfalls erfüllt werden kann.
17 Die fehlende Eignung von Abfällen, ihrer „Beschaffenheit“ nach Umweltrechtsgüter zu beeinträchtigen, schließt also eine abstrakte Gefährdung
i.S. des § 326 Abs. 1 StGB dann nicht aus, wenn die Abfälle entweder ihrer Art oder ihrer Menge nach hierfür geeignet sind.
18 Umweltgefährdender Abfall nach § 326 Abs. 1 Nr. 4 a StGB liegt daher nach der gesetzgeberischen Entscheidung u.a. schon dann vor, wenn er
seiner Art nach (also lediglich generell) umweltgefährdend ist.
19 Durch die abschließende Aufzählung der Kriterien, anhand derer die Gefahreignung zu bestimmen ist, wird der jeweils entscheidende Richter
seitens des Gesetzgebers auf die Berücksichtigung genereller Faktoren beschränkt und es ihm grundsätzlich untersagt, Umstände des
Einzelfalls zu berücksichtigen wie ihm das bei einem konkreten Gefährdungsdelikt zugestanden wird.
20 Dies bedeutet, dass auch in Fällen, in denen aufgrund äußerer Umstände lediglich eine bloß theoretische, abstrakte Möglichkeit der Schädigung
vorliegt, dennoch eine Umweltgefährdung i.S. des § 326 StGB besteht ( so auch Brede, a.a.O., S. 138 ).
21 Eine abstrakte Gefährdung wäre allenfalls dann ausgeschlossen, wenn Altfahrzeuge in einem geschlossenen Raum auf Zementfußboden auf
ordnungsgemäße Weise bearbeitet werden. In allen anderen Fällen aber reicht es für die Annahme einer abstrakten Gefahr i.S. des § 326 Abs. 1
Nr. 4 a StGB, wenn sich im Fahrzeugwrack nach ihrer Art (z.B. Motoröl) potentiell umweltgefährdende Betriebsstoffe befinden.
22 d) Die derzeitige Aktenlage spricht auch für ein vorsätzliches Handeln des Angeschuldigten i.S. des § 326 Abs. 1 StGB.
23 Sollte freilich der Angeschuldigte der Meinung gewesen sein, dass das in Rede stehende Schrottfahrzeug nicht bzw. nicht mehr geeignet war,
nachhaltig ein Gewässer, die Luft oder den Boden zu verunreinigen oder nachhaltig zu verändern, oder er das von ihm angewandte
„Behandlungsverfahren“ für zulässig gehalten haben, käme zumindest fahrlässiges Verhalten i.S. des § 326 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1 StGB in Betracht.
24 e) Der Strafausschließungsgrund des § 326 Abs. 6 StGB dürfte hier kaum eingreifen, nachdem schädliche Einwirkungen auf die Umwelt nicht
wegen der geringen Menge des Abfalls offensichtlich ausgeschlossen erscheint.