Urteil des LG Stuttgart vom 15.05.2002

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LG Stuttgart Urteil vom 15.5.2002, 39 O 10/02 KfH
Luftfrachtführerhaftung: Beachtlichkeit einer Weisung des Versenders bei Transport auf Grund eines Akkreditivs
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: bis 25.000,- EUR
Tatbestand
1
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen weisungswidriger Ausführung eines Transportvertrages.
2
Die Klägerin fertigte im Auftrag der isländischen Fa. F. Differenzialsperren für einen Geländewagentyp, die sie dieser am 8.5.2001 mit 44.869,39
EUR berechnete. Der Betrag sollte per Anzahlung und per Akkreditiv erfolgen, das die Kundenbank, L. I., obwohl keine Anzahlung geleistet
wurde, gegenüber der Hausbank der Klägerin nur im Umfang von 22.138,56 EUR eröffnete, was die Klägerin zunächst nicht bemerkte.
3
Die Klägerin beauftragte die Beklagte mündlich unter Übersendung einer Fotokopie des Akkreditivs, den Transport der Ware nach Island zu
bewirken. Die Beklagte fertigte die Transportpapiere, insbesondere die Warenverkehrsbescheinigung (Bl. 6) und den Luftfrachtbrief (Bl. 28) unter
Beteiligung der Klägerin aus und brachte die Luftfrachtsendung nachfolgend nach den Bestimmungen des Akkreditivs am 23.5.2001 zum
Versand. Mit der Abwicklung in Island beauftragte die Beklagte die dort ansässige Fa. F.
4
Nach Ankunft der Sendung gab die L. I. am 7.6.2001 die Zahlung des Akkreditivbetrages frei und erhielt die Frachtpapiere.
5
Die Klägerin trägt vor, sie habe der Beklagten in mehreren Telefonaten ab 18.6.2001 erklärt, die noch im Besitz der isländischen Spedition
befindliche Ware dürfe erst nach Freigabe aufgrund vollständiger Bezahlung des vollen Warenwerts ausgeliefert werden. Parallel versuchte sie
über die isländische Akkreditivbank, eine Auslieferung nur gegen Zahlung des vollen Rechnungswerts zu erreichen (Bl. 30, 48).
6
Nachdem die Klägerin am 13.8.2001 erfahren hatte, dass nur die Akkreditivsumme eingegangen war, vereinbarte sie mit der Beklagten die
Warenrücksendung gegen Übernahme der Rücktransportkosten (Bl. 7). Dies gab die Beklagte sofort an die isländische Spedition weiter und
erhielt auf weitere Nachfrage vom 3.9.2001 die Mitteilung (Bl. 8), dass die Ware am 22.8.2001 aufgrund Zahlung durch die Bank ausgeliefert
wurde.
7
Die Klägerin meint, die Beklagte habe gegen die mehrfachen und von der Beklagten bestätigten Weisungen, nur nach Freigabe durch sie
auszuliefern, sowie gegen die Vereinbarung zum Rücktransport verstoßen. Das Verschulden der von ihr eingeschalteten isländischen Spedition
müsse sich die Beklagte zurechnen lassen. Ihr sei ein Schaden in Höhe des nicht durch Akkreditiv abgesicherten Warenwerts, den der
isländische Kunde nicht bezahlt habe, also über 22.730,83 EUR entstanden, den die Beklagte zu ersetzen habe.
8
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 22.730,83 zzgl. 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 13.11.2001 zu zahlen, Zug
um Zug gegen Abtretung der Ansprüche gegen die Fa. F.
9
Die Beklagte beantragt,
10 die Klage abzuweisen.
11 Sie meint, für ein von ihr bestrittenes Verschulden der isländischen Spedition ohnehin nicht einstehen zu müssen, weil sie, wie jede deutsche
Spedition, ausschließlich auf der Grundlage der ADSp einen Speditionsvertrag eingegangen sei, nämlich den Transport nur zu besorgen.
Deshalb hafte sie nur für die vertragsgerechte Organisation des Transports; die isländische Spedition sei nicht ihre Erfüllungsgehilfin.
12 Sie hält den Vortrag der Klägerin zu den ab 18.6.2001 erteilten Weisungen für unsubstantiiert und ist im Übrigen der Auffassung, eine Weisung,
die Sendung nur nach vollständiger Zahlung des Rechnungsbetrags auszuliefern, bzw. die Ware zurück zu transportieren, hätte zu diesem
Zeitpunkt nicht mehr ausgeführt werden können, weil die isländische Akkreditivbank mit Zahlung der Akkreditivsumme einen Anspruch auf
Übergabe der genau vorgeschriebenen Dokumente und damit auf Aushändigung der Ware erlangt habe. Die Versendung von Ware gegen ein
unwiderrufliches Akkreditiv, das nur einen Teil des Warenwertes absichere, erfolge hinsichtlich des nicht abgesicherten Teils auf eigenes Risiko.
Sie sei bei Auftragserteilung auch nicht davon unterrichtet worden, dass der Warenwert höher sei, als im ihr überlassenen Akkreditiv
ausgewiesen, weshalb sie die Abwicklung gemäß den Vorschriften des Akkreditivs vorgenommen, insbesondere die isländische Bank als
Empfängerin in den Luftfrachtbrief aufgenommen habe, worüber sie die Klägerin ohne Widerspruch informiert habe.
13 Schließlich bestreitet sie den behaupteten Schaden und verweist hilfsweise auf die in den ADSp enthaltene Haftungsbeschränkung.
14 Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
15 Nach erfolgter Güteverhandlung am 20.3.2002 wurde mit Zustimmung der Parteien in das schriftliche Verfahren übergeleitet und Schriftsatzfrist
bis 30.4.2002 bestimmt.
16 Die Parteien haben einer Entscheidung durch den Vorsitzenden anstelle der Kammer zugestimmt.
Entscheidungsgründe
17 Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
18 Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zu, weil weder die Beklagte, noch die von ihr eingeschaltete isländische
Spedition gegen vertragliche Verpflichtungen verstoßen haben.
19 Es kann letztlich dahinstehen, ob der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag an sich als Speditions-, oder als Frachtvertrag zu werten ist,
weil ausweislich des Luftfrachtbriefs feste Kosten vereinbart wurden und die Beklagte deshalb die Rechte und Pflichten eines Frachtführers hat (§
459 HGB). Im Übrigen spricht der von der Beklagten ausgestellte Luftfrachtbrief entscheidend für den Abschluss eines Transportvertrages, weil
sie sich darin selbst ausdrücklich als Frachtführerin ("as carrier") bezeichnet hat (vgl. Koller, Transportrecht, 4. Aufl., Rn 18, 19 zu § 453 HGB).
20 Ein Verstoß gegen vertragliche Pflichten ist weder der Beklagten, noch der isländischen Spedition vorzuwerfen. Zwar hat die Klägerin die
Weisungen erteilt, nur nach Freigabe auszuliefern, bzw. die Ware zurück zu transportieren. Der hierzu gehaltene Vortrag der Klägerin ist
jedenfalls in Bezug auf das maßgebliche, erste Telefongespräch ausreichend substantiiert, während die Beklagte diesen trotz Hinweises im
Termin nicht substantiiert bestritten hat. Die Weisung zum Rücktransport ist nicht streitig.
21 Jedoch musste und konnte weder die Beklagte, noch die isländische Spedition die Weisungen mehr ausführen, weil die isländische
Akkreditivbank zu diesem Zeitpunkt bereits einen einredefreien Herausgabeanspruch erlangt hatte. Der aufgrund der allein überlassenen Kopie
des Akkreditivs ausgestellte Luftfrachtbrief wies folgerichtig die primär zahlungspflichtige isländische Bank als Empfängerin der Sendung aus, die
entsprechend ihrer Akkreditivvereinbarung die Akkreditivsumme gegen Vorlage der Transportdokumente zu bezahlen hatte. Hiervon wurden die
Klägerin und nachfolgend die beteiligten Banken nochmals unterrichtet, wodurch jeder Zweifel ausgeschlossen war, dass der Transport auf der
Grundlage des Akkreditivs zu erfolgen hatte. Hierdurch wurde vereinbarungsgemäß ein Lufttransport in die Wege geleitet, bei dessen
Abwicklung die Bestimmungen des Warschauer Abkommens (1955) unabhängig davon gelten würden, ob von einem Frachtvertrag, oder nur von
einem Speditionsvertrag zu festen Kosten auszugehen wäre (Koller aaO, Rn 4 zu Art. 1 WA 1955). Schließlich war dieses Regelungswerk auch
aus Sicht der isländischen Akkreditivbank durch die Festlegung der Dokumente in dem Akkreditiv vorgegeben. Deutschland und Island zählen zu
den Vertragsstaaten dieses Abkommens (Koller, aaO, Rn 11 zu Art 1 WA 1955).
22 Die Klägerin konnte die Beklagte am 18.6.2001 und im Folgenden nicht mehr wirksam anweisen, das Transportgut entgegen der
Akkreditivbedingungen nicht oder unter dort nicht genannten Voraussetzungen auszuliefern. Zwar kann der Absender (hier: die Beklagte) gemäß
Art. 12 WA grundsätzlich über das Gut durch Weisungen verfügen. Dieses Recht erlischt jedoch mit dem Zeitpunkt, in dem das Recht des
Empfängers gemäß Art. 13 entsteht (Art. 12 Abs. 4 WA). Nach dieser Bestimmung ist der Empfänger nach Ankunft des Gutes berechtigt, die
Aushändigung des Luftfrachtbriefes und die Ablieferung des Gutes gegen Zahlung der geschuldeten Beträge und der im Frachtbrief
angegebenen weiteren Bedingungen zu verlangen (Art. 13 Abs. 1 WA; so z.B. auch § 421 HGB). Empfängerin war ausweislich des Frachtbriefes
die isländische Akkreditivbank. Der von ihr geschuldete Betrag war, weil der Transport auf das Akkreditiv zugeschnitten und sie als Empfängerin
bezeichnet war, nicht die Werkvergütung, sondern die Akkreditivsumme - sowie die bei Ankunft zu zahlenden Frachtkosten. Mit der Erfüllung
dieser Verpflichtungen am 7.6.2001 hat die Empfängerin einen unbedingten Herausgabeanspruch hinsichtlich des Gutes erworben, dessen
Geltendmachung sie ihrem Kunden (F.) überlassen konnte.
23 Die Ausführungen der Klägerin, wonach der Veräußerer durch das Akkreditiv lediglich eine zusätzliche Absicherung erhalten soll und die das
Akkreditiv eröffnende Bank im Auftrag des Erwerbers handelt und ihm die Dokumente nach Zahlung weiterzuleiten hat, sind zwar zutreffend. Sie
kennzeichnen den Normalfall einer vollständigen Abdeckung des im Grundverhältnis geschuldeten Betrags, bei dem die Problematik des
vorliegenden Falles nicht zum Tragen kommt. Bei Zahlung der dem Erwerbspreis entsprechenden Akkreditivsumme ist der Veräußerer befriedigt
und hat weder Einreden aus dem Akkreditiv-, noch aus dem Grundgeschäft mehr. Bei gegenüber dem Grundgeschäft zurückbleibender
Akkreditivsumme, wie vorliegend, besteht gegenüber dem Anspruch des Auftraggebers/Erwerbers aus dem zugrunde liegenden Geschäft zwar
die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, nicht aber gegenüber dem Akkreditivgeber, mit dem der Unternehmer/Veräußerer eine selbstständige
Vereinbarung - Zahlung der Akkreditivsumme gegen Vorlage der Dokumente - hat.
24 Die isländische Bank musste den Betrag, den zu zahlen sie sich per Akkreditiv verpflichtet hatte, auch keineswegs, wie die Klägerin meint, zuvor
eingezogen oder per Kontodeckung verfügbar haben. Sie konnte ihrem Kunden in Höhe der Akkreditivsumme auch Kredit eingeräumt haben
und selbst daran interessiert sein, gegen Bezahlung des Akkreditivbetrages in den Besitz der Ware zu kommen, um ihrem Kunden die zur
Kredittilgung erforderlichen Geschäfte zu ermöglichen. Dem Akkreditiv liegt die Abrede zugrunde, gegen Vorlage der genau bestimmten, zur
Herausgabe berechtigenden Papiere, die Akkreditivsumme zu bezahlen. Dass die isländische Bank bei der Vereinbarung des
Akkreditivgeschäfts überhaupt schon wusste, dass das Akkreditiv nur etwa die Hälfte der im Übrigen noch offenen Werkvergütung ausmacht, ist
vorliegend ebenfalls nicht ersichtlich. Das Schreiben vom 11.7.2001 (Bl. 48) erfolgte aufgrund der längst nach Zahlung des Akkreditivbetrages
(7.6.2001) von der Klägerin über ihre Hausbank Ende Juni (Bl. 30) begonnenen Korrespondenz.
25 Die Fa. F. machte deshalb am 22.8.2001 durch Vorlage der ihr von der isländischen Bank überlassenen Dokumente deren Herausgabeanspruch
gegenüber der isländischen Spedition geltend, der nicht einredebehaftet war und so zu erfüllen war, wie er bei Geltendmachung durch die Bank
selbst zu erfüllen gewesen wäre.
26 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2 ZPO.