Urteil des LG Stuttgart vom 10.02.2005

LG Stuttgart: berufliche tätigkeit, erwerbstätigkeit, bekleidung, hausrat, bestreitung, fahrtkosten, krankheitskosten, quittung, einkünfte, miete

LG Stuttgart Beschluß vom 10.2.2005, 10 T 144/04
Zwangsvollstreckung: Ansatz des sozialhilferechtlichen Pauschalbetrages für den Mehraufwand von Erwerbstätigen
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Schuldners werden der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 17.3.2004 und der Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss vom 10.9.2003 dahingehend abgeändert, dass dem Schuldner monatlich ein Betrag von 761,25 EUR pfandfrei zu belassen
ist.
2. Im übrigen wird die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen.
3. Das Prozesskostenhilfegesuch der Gläubigerin vom 13.12.2004 und das Prozesskostenhilfegesuch des Schuldners vom 23.3.2004 werden
zurückgewiesen.
4. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Schuldner.
Von den außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Schuldner 83%, die Gläubigerin 17 %.
Beschwerdewert: bis 2.500 EUR
Gründe
1
Auf Antrag der Gläubigerin hat das Amtsgericht durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 10.9.2003 wegen eines
Unterhaltsanspruchs in Höhe von insgesamt 5.787 EUR zuzüglich laufender Kindes- und Trennungsunterhalt die angeblichen Ansprüche des
Schuldners gegen die Drittschuldnerin gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen. Gleichzeitig hat es ausgesprochen, dass dem
Schuldner nach § 850 d ZPO monatlich netto 730 EUR pfandfrei verbleiben müssen. Mit Schreiben vom 16.1.2004 hat der Schuldner unter
Vorlage einer Sozialhilfebedarfsberechnung - gestützt auf § 850 f Abs. I ZPO - beantragt, in Abänderung des genannten Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses einen Betrag von monatlich 914,70 EUR pfandfrei zu belassen.
2
Mit Beschluss vom 17.3.2004 hat das Amtsgericht den Antrag zurückgewiesen, wobei es einen Sozialhilfebedarf des Schuldners von 730,40
EUR errechnet hat.
3
Gegen diese dem Schuldner am 19.3.2004 zugestellte Entscheidung hat die Schuldnervertreterin mit Telefax vom 23.3.2004 sofortige
Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht mit Beschluss vom 6.4.2004 nicht abgeholfen hat.
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Das Rechtsmittel ist gemäß § 793 ZPO statthaft, rechtzeitig eingelegt und mithin zulässig.
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In der Sache hat es teilweise Erfolg.
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1. Über die von dem Amtsgericht in Ansatz gebrachten Beträge hinaus ist ein Mehraufwand wegen der Erwerbstätigkeit des Schuldners zu
berücksichtigen.
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Die berufliche Tätigkeit des Schuldners verursacht besondere Bedürfnisse, zu deren Deckung ein weiterer Einkommensteil pfandfrei belassen
werden muss.
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§ 82 Abs. 3 SGB XII setzt diesen Mehrbedarf pauschal mit 30 % des Einkommens aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit des
Hilfebedürftigen an.
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Ob im Rahmen der Entscheidung, welcher Betrag einem Schuldner pfandfrei zu belassen ist, der Mehraufwand wegen einer ausgeübten
Erwerbstätigkeit pauschal in Ansatz gebracht werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
10 Nach einer Auffassung müsse der Mehraufwand in jedem Fall dargelegt und notwendigenfalls nachgewiesen werden. Soweit die
sozialhilferechtlichen Bestimmungen eine am Einkommen eines Arbeitnehmers orientierte Pauschale für angemessen hielten, möge dies die
Motivation eines Arbeitnehmers zur Arbeitsleistung ansprechen und im Sozialhilferecht seine Bedeutung haben. Doch könne dieser, der
öffentlichen Fürsorge zuzuordnende Gedanke nicht zum Nachteil von Pfändungsgläubigern in das Zwangsvollstreckungsverfahren übernommen
werden (LG Stuttgart [2. Zivilkammer] Rpfleger 90, 173).
11 Überwiegend wurde die Ablehnung eines Pauschalbetrags allerdings damit begründet, dass die Verlagerung des Mehrbedarfszuschlags für
Erwerbstätige nach § 76 Abs. 2a Nr. 1 BSHG zur Folge habe, dass die Regelung im Rahmen der Zwangsvollstreckung nicht mehr zu beachten
sei, da die alte Fassung des § 850 f ZPO nur auf Abschnitt 2 des Bundessozialhilfegesetzes verwiesen habe (KG, FamRZ 94, 1047; OLG Köln,
Jur Büro 99, 606; OLG Celle, OLGR Celle 1999, 78-79). Diese Rechtsprechung ist vor dem Hintergrund der Änderung dieser Bestimmungen
nicht mehr relevant. Nunmehr verweist § 850 f Abs. 1 a ZPO in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung auf das 3. und 11. Kapitel des SGB XII und
damit auch auf die nunmehr maßgebliche Bestimmung des § 82 Abs. 3 SGB XII.
12 Das Gericht hält es daher für geboten, erwerbstätigen Schuldnern - auch ohne konkreten Nachweis - bei der Berechnung des fiktiven
Sozialhilfebedarfs einen Pauschalbetrag für den mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Mehraufwand zuzubilligen (so auch OLG Frankfurt,
Rpfleger 2001, 38; OLG Karlsruhe, FamRZ 2000, 365; AG Stuttgart, Rpfleger 96, 360; LG Stuttgart [10. Zivilkammer], Beschluss vom 9.2.2005, 10
T 520/04; Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl., Rdnr. 1176e).
13 Der Mehrbedarf für Erwerbstätige zählt zum sozialhilferechtlichen Mindestbedarf (BVerfGE 87, 153 = NJW 92, 3153). Zweck der Regelung in §
850 f Abs. 1 a ZPO ist es, dem Schuldner ein Minimum seiner Einkünfte zur Bestreitung eines bescheidenen Lebensunterhalts zu gewährleisten,
andererseits aber auch, zu vermeiden, dass ein Schuldner durch die Zwangsvollstreckung sozialhilfebedürftig wird und damit zu verhindern,
dass private Schulden auf Kosten des Steuerzahlers beglichen werden (OLG Frankfurt a.a.O.; Hartmann in Baumbach/Lauterbach, ZPO, 63. Aufl.,
§ 850 f, Rdnr. 2). Der Schuldner ist deshalb grundsätzlich nicht schlechter zu stellen als der Sozialhilfeempfänger. Da bei letzterem gemäß § 82
Abs. 3 SGB XII ein Betrag von 30 % des Einkommens aus selbständiger und nichtselbständiger Tätigkeit abzusetzen ist, hält es das Gericht für
angemessen, einem Schuldner bei der Berechnung des fiktiven Sozialhilfebedarfs ohne konkreten Nachweis einen 30 % igen Zuschlag zum
Regelsatz zu gewähren. Die mit 44 EUR in Ansatz gebrachten Fahrtkosten können daneben dann allerdings keine Berücksichtigung mehr
finden.
14 2. Außer Ansatz zu bleiben hat die vom Amtsgericht im Beschluss vom 17.3.2004 noch berücksichtigte Pauschale für einmalige Leistungen im
Sinne von § 21 BSHG a.F. in Höhe von 20 % des Regelsatzes, weil in den - neuen - Regelsatzbeträgen auch Leistungen für nicht regelmäßig
wiederkehrende besondere Bedürfnisse wie Bekleidung, Hausrat und Haushaltsgeräte sowie für besondere Anlässe einbezogen sind (Stöber in
Zöller, 25. Aufl., ZPO, § 850 f, Rdnr. 2a).
15 3. Zutreffend geht das Amtsgericht in der angegriffenen Entscheidung davon aus, dass die vom Schuldner angeführten Krankheitskosten nicht zu
berücksichtigen sind.
16 Der Schuldner hat zwar eine Quittung der Massagepraxis Sauter vom 9.1.2004 vorgelegt. Aus dieser ergibt sich jedoch nicht, für welche
Zeitspanne der Schuldner diesen Betrag zu zahlen hatte. Auch hat der Schuldner nicht belegt, dass Zuzahlungen insoweit laufend zu leisten
sind. Hierzu hätte Anlass bestanden, nachdem die Gläubigerin die Notwendigkeit weiterer Behandlungen bestritten hatte.
17 Kosten der Medikamente hat der Schuldner ebensowenig nachgewiesen, die Praxisgebühr in Höhe von 3,33 EUR pro Monat ist aus dem dem
Schuldner zugebilligten Sozialhilferegelsatz zu bestreiten.
18 Insgesamt ergibt sich somit folgende Berechnung:
19
19 Regelsatz Haushaltsvorstand
345,00 EUR
Miete
330,00 EUR
pauschaler Mehrbedarf Erwerbstätigkeit 86,25 EUR
Summe
761,25 EUR
20 Die Anträge auf Prozesskostenhilfe waren jeweils zurückzuweisen, weil eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
jeweils nicht vorgelegt wurde. Die Bezugnahme auf eine in einem anderen Verfahren bei einem anderen Gericht vorgelegte Erklärung ist nicht
zulässig.
21 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 91, 92 ZPO i.V.m. GKG KV 1956 a.F., der nur geringfügige Teilerfolg der Beschwerde rechtfertigt eine
Gebührenermäßigung nicht.
22 Die Wertfestsetzung ergibt sich aus § 57 Abs. II BRAGO, dabei wurde der auf ein Jahr hochgerechnete Betrag der streitigen Differenz
zugrundegelegt.
23 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) liegen nicht vor.