Urteil des LG Stuttgart vom 06.03.2008

LG Stuttgart (antragsteller, vertrag, urheberrecht, aug, verwendung, inhalt, stand, sprache, gestaltung, verkehr)

LG Stuttgart Beschluß vom 6.3.2008, 17 O 68/08
Urheberschutzfähigkeit eines Mustervertrages zur Vermittlung polnischer Seniorenpflegekräfte
Leitsätze
Ein Mustervertrag zur Vermittlung von polnischen Pflegekräften an deutsche Senioren ist weder mit Rücksicht auf
die besondere Regelungsmaterie noch auf einzelne, ungewöhnliche Formulierungen urheberschutzfähig, wenn er
aus der Reihe von vergleichbaren Verträgen nicht weit hervorsticht.
Tenor
1. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 15.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
1
Im Weg der einstweiligen Verfügung suchte der Antragsteller der Antragsgegnerin die Verwendung eines
sechsseitigen Dienstleistungsvertrags (Bl. 3 - 8 d.A.) zu verbieten. Der Antragsgegner hatte diesen Vertrag
zumindest in vier Fällen bei der Vermittlung von polnischen Seniorenpflegekräften verwendet. Der Vertrag
stimmt bis auf kleine sprachliche Abweichungen und die Textformatierung mit dem als Anl. A1 vorgelegten
Vertragstext überein, den der Antragsteller nach seiner Behauptung selbst entworfen hat. Dabei stützt sich der
Antragsteller auf Urheber- und Wettbewerbsrecht. In der mündlichen Verhandlung gab die Antragsgegnerin eine
strafbewehrte Unterlassungserklärung ab. Beide Parteien haben daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache
für erledigt erklärt.
II.
2
Über die Kosten ist gemäß § 91a ZPO nach dem letzten Sach- und Streitstand, der Rechtslage und auch unter
Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Dies führt dazu, die Kosten dem Antragsteller aufzuerlegen, weil er
in dem Verfahren voraussichtlich unterlegen wäre.
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1. Urheberrechtliche Ansprüche bestehen nicht. Dem als Anl. Ast. 2 vorgelegten Vertrag fehlt die besondere
Schöpfungshöhe im Sinn von § 2 Abs. 2 UrhG, die erforderlich ist, um einer bloßen Gebrauchsschrift
Werkqualität zuerkennen zu können.
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a) Von vornherein ausscheiden muss Urheberschutz nach § 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG, wie ihn etwa das LG
Potsdam in der vom Antragsteller vorgelegten Entscheidung vom 12.12.2007 (Az. 2 O 391/07, Anl. Ast 6)
angenommen hat. Der Vertrag ist keine „Darstellung“ im Sinn dieser Vorschrift, die sich ausschließlich auf
Ausdrucksmittel außerhalb der Sprache bzw. Schrift bezieht (also Grafiken, Zeichnungen, Karten etc.; allgM.;
vgl. Loewenheim in: Schricker, Urheberrecht, 2. Aufl., § 2 Rn. 192). Bei solchen „Darstellungen“ sind die
Gestaltungsmöglichkeiten begrenzter mit der Folge, dass auch die sog. kleine Münze Schutz genießt. Anders
ist es bei den Sprachwerken der vorliegenden Art.
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b) Bei nicht-literarischen Sprachwerken im Sinn von § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG ist weder die alltägliche,
handwerklich saubere Gestaltung noch die darüber hinausgehende, besonders gelungene Schöpfung
geschützt. Auch gut durchdachte, strukturiert aufgebaute und stilistisch gelungene Vertragswerke genießen
keinen Urheberschutz. Dessen Schutzuntergrenze beginnt vielmehr erst, wenn der Vertrag aus der Reihe der
vergleichbaren Verträge weit hervorsticht. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat jüngst die insoweit geltenden
Anforderungen zutreffend wie folgt zusammengefasst und dabei die entsprechende Instanzentscheidung der
erkennenden Kammer bestätigt (Beschluss vom 07.02.2008, Az. 4 U 221/07):
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„Der Senat folgt der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach bei Schriftwerken, die keine
literarischen Werke sind, sondern einem praktischen Gebrauchszweck dienen, die Schutzuntergrenze höher
anzusetzen ist. Danach liegen die Durchschnittsgestaltung, das rein Handwerksmäßige, Alltägliche und Banale
außerhalb jeder Schutzfähigkeit. Aber auch das bloße Überragen des rein Handwerklichen und Alltäglichen
genügt nicht, sondern die untere Grenze der Urheberrechtsfähigkeit beginnt erst in einem erheblich weiteren
Abstand. Erforderlich ist ein deutliches Überragen der Gestaltungstätigkeit gegenüber der
Durchschnittsgestaltung, weil hier ein weiter Bereich von Formen liegt, die jedem zugänglich bleiben müssen
(vergleiche nur Loewenheim in Schricker, UrhG, 3. Aufl., 2006, § 2 Rn. 31, 34 mit umfangreichen Nachweisen
zur ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung und einer instruktiven Darstellung zur Entwicklung der
Rechtsprechung auf Rn. 31 - 36).“
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b) Diese Kriterien entsprechen auch dem Stand der führenden Kommentarliteratur, die sich darin einig ist, dass
Urheberschutz bei Gebrauchsschriften nur unter besonderen Voraussetzungen in Betracht kommen kann
(Dreier/Schulze, UrhG, 2. Aufl., § 2 Rn. 26, 27, 93, 95; Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 2. Aufl., § 2 Rn. 56,
57, 59; v. Gamm in: Mestmäcker/Schulze, Urheberrecht, Stand Dez. 2007, § 2 Rn. 58; Loewenheim in
Schricker, Urheberrecht, 3. Aufl. § 2 Rn. 31, 34 sowie Rn. 112; Nordemann/Vinck in Fromm/Nordemann,
Urheberrecht, 9. Aufl., § 2 Rn. 31, 32; Möhring/Nicolini, UrhG, 2. Aufl., § 2 Rn. 76). Gerade zutreffend und
präzise formulierte Vertragsformulierungen müssen für die Allgemeinheit frei bleiben (Loewenheim aaO. Rn.
112).
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c) Die nicht völlig einheitliche höchstrichterliche Rechtsprechung hat jedenfalls im Kern zum Inhalt, dass
Standardformulierungen und durchschnittlichen, alltäglichen Schriftstücken auf wissenschaftlichem bzw.
juristischem Gebiet die Werkqualität fehlt (BGH v. 10.10.1991, Az. I ZR 147/89, GRUR 1993, 34, 36 -
Bedienungsanweisung; BGH v. 17.04.1986, Az. I ZR 213/83, GRUR 1986, 739, 740 - Anwaltsschriftsatz; BGH
v. 21.11.1980, Az. I ZR 106/78 - Staatsexamenshausarbeit). Nur besondere Leistungen bei der
Zusammenstellung von Inhalten (BGH v. 21.11.1991, Az. I ZR 190/89, GRUR 1992, 382 - Leitsätze), Themen
(BGH v. 12.07.1990, Az. I ZR 16/89, GRUR 1981, 130 - Themenkatalog) oder bei der anschaulichen
Umsetzung eines komplexen technischen Sachverhalts (BGH v. 11.04.2002, Az. I ZR 231/99, GRUR 2002,
958 - technisches Regelwerk) rechtfertigen es, eine solch herausragende und urheberrechtlich zu schützende
Gestaltung anzunehmen. Speziell bei Verträgen haben daher die Gerichte - soweit ersichtlich - jeweils nur dann
auf Urheberschutz erkannt, wenn es sich um besonders komplexe, aufwendige und umfangreiche Verträge
gehandelt hat wie Anlageverträge in Immobilienanlageprogrammen und Gesellschaftsverträge (LG Hamburg v.
04.06.1986, Az. 74 O 283/85 - Gesellschaftsvertrag; LG Köln v. 21.11.1986, 28 O 291/86, GRUR 1987, 905 -
Vertragswerk). Soweit das LG Berlin in der Entscheidung vom 04.08.2005 (Az. 16 O 83/05, ZUM 2005, 842 -
Host-Providing-Mustervertrag) möglicherweise einen geringeren Maßstab angelegt hat, handelt es sich um eine
vereinzelt gebliebene Sondermeinung.
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d) Nach diesen Kriterien ist der vom Antragsteller für sich beanspruchte Vertrag zwar als individuell,
zweckmäßig und möglicherweise sogar als gelungen zu bezeichnen, aber nicht als überragend,
überdurchschnittlich oder Spitzen- bzw. Ausnahmeprodukt im obigen Sinn. Die Sprache ist ersichtlich
angelehnt an typische juristische Vertragsformulierungen, die der Antragsteller als Nichtjurist ohnehin bereits
existierenden Verträgen entnommen haben muss. Bei einer großen Zahl von Sätzen handelt es sich um
Standardsätze wie „Der Leistungserbringer kann … Dritte beauftragen“, „Der Vertrag kann … mit einer
Kündigungsfrist von 14 Tagen vorzeitig gekündigt werden“ oder „Die monatlichen Kosten .. belaufen sich auf
..“. Auch die Gliederung in sieben Paragraphen und der Aufbau von den „Allgemeinen Bestimmungen“ bis zu
„Datenschutz und Schweigepflicht“ entsprechen den üblichen Vertragsmustern und sind geprägt von
Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten. Das äußere Erscheinungsbild folgt gewohnten Pfaden (und ist im Übrigen
auch nicht vom Gegner übernommen worden).
10 e) Bei seiner abweichenden Beurteilung verkennt der Antragsteller, dass die Regelungsmaterie als solche,
nämlich eines speziellen Vertrags zur Vermittlung von polnischen Pflegerinnen an deutsche Senioren, die
eventuelle Neuheit der Materie und vor allem die Mühe der Erstellung keine ausreichende Grundlage für die
Werkqualität des Produktes sind. Die hinter den Formulierungen eines wissenschaftlichen Werkes stehenden
Ideen, die sog. Lehren, und damit auch die in einem Vertrag geregelte rechtliche Materie, sind stets frei und
begründen nie urheberrechtlichen Schutz (vgl. etwa BGH v. 12.07.1990 - Themenkatalog, aaO.). Solche
„Erfindungen“ begründen trotz möglicher Neuheit keine Ausschließlichkeitsstellung. Der Antragsteller kann
beispielsweise weder die Idee, mit Blick auf die Grenzen der Dienstleistungsfreiheit die in § 1 Abs. 2 des
Vertrags niedergelegten Regeln in den Vertrag aufzunehmen, noch die Idee, ein Zimmer mit ausreichender
Belüftung zum Gegenstand der vertraglichen Verpflichtung zu machen, für sich monopolisieren, sondern
allenfalls die Art der Zusammenfassung und Präsentation dieser Inhalte.
11 f) Es mag sein, dass einzelne Formulierungen wie der vom Antragsteller hervorgehobene „Frischluftzugang“
des Zimmers der Servicekraft (§ 2 Abs. 1) oder die „Dienst- und Freizeitpläne“ (§ 1 Abs. 2 b) ungewöhnlich und
originell sind. Selbst wenn insofern ein Urheberrecht an solchen Einzelformulierungen anzuerkennen wäre - was
die Kammer ebenfalls für mehr als zweifelhaft hielte - so wäre damit keineswegs das gesamte Vertragswerk
geschützt. Selbst wenn den Antragsgegnern daher die Übernahme von zwei oder drei Einzelformulierungen
hätte verboten werden können, so wäre der Antragsteller mit seinem Antrag insgesamt daher ganz überwiegend
gescheitert, was ebenfalls zur vollen Kostenlast geführt hätte (§ 92 Abs. 2 ZPO).
12 g) Urheberschutz als Sammelwerk (§ 4 UrhG) oder Datenbankschutz (§ 87a UrhG) kommen zur Begründung
eines Verbots ebenfalls nicht in Betracht, weil eine besondere Auswahl-, Sammel- und Ordnungsleistung nicht
schon in der Formulierung eines auf sieben Paragraphen verteilten Vertrags liegt. Solches ist auch nicht
aufgezeigt.
13 2. Der Antrag wäre auch unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten nicht erfolgreich gewesen. Erfüllt eine
Handlung nicht den Tatbestand einer Urheberrechtsverletzung, so ist zwar die Anwendung des § 3 i. V. m. § 4
Nr. 9 UWG nicht ausgeschlossen. Es müssen aber besondere, außerhalb der Sondertatbestände des
Urheberrechtsgesetzes liegende Umstände hinzutreten, um die Unlauterkeit zu begründen (vgl. Köhler in:
Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 26. Aufl., § 4 Rn. 9.7). Daran fehlt es. Der Antragsteller macht nicht
geltend, dass sein Dienstleistungsvertrag so bekannt sei, dass der Verkehr in ihm einen Hinweis auf sein
Unternehmen sehe oder ihn als besonders wertig schätze. Das ist angesichts der verhältnismäßig kurzen Zeit
der Verwendung seit 2005 auch kaum denkbar. Solche Umstände wären aber Voraussetzung dafür, dass die
Antragsgegnerin durch die Verwendung des leicht abgeänderten Vertrags den Verkehr über die Herkunft des
Regelungswerks oder den Inhalt ihrer (Vermittlungs-) Leistung täuschen könnte oder dass eine vorhandene
Wertschätzung ausgebeutet werden könnte. Unabhängig davon, ob die Antragsgegnerin die Vorlage für ihren
Vertrag vom Großvater eines ihrer Geschäftsführer oder - was angesichts des vorgelegten Schriftverkehrs eher
anzunehmen ist - von Fa. S… aus Polen erhalten hat, fehlt es am alternativen Merkmal der unredlichen
Informationsgewinnung, die regelmäßig strafbares Verhalten oder Täuschung bzw. Vertrauensbruch
voraussetzt (Köhler aaO. Rn. 9.61 f.). Denn weil der Antragsteller seinen Vertrag offen im normalen
Geschäftsverkehr gegenüber seinen Geschäftspartnern verwendet hat, kann keine Rede davon sein, dass die
Antragsgegnerin ihn nur unter Verletzung eines Vertrauensverhältnisses habe erlangen können. Unabhängig
von der Schweigepflichtklausel in § 7 Abs. 1, die sich auf im Diffusen bleibende „Daten und Erkenntnisse“ aus
der Durchführung des Vertrags bezieht (und nicht auf das Vertragswerk als solches), stellt ein im
Geschäftsverkehr gegenüber beliebigen Kunden verwendeter Vertragstext kein Geschäftsgeheimnis dar, das
die Antragsgegnerin hätte verletzen können. Auch unter dem weiteren Gesichtspunkt der Behinderung ist
wettbewerbswidriges Verhalten der Antragsgegnerin nicht zu erkennen, weil die Antragstellerin durch den nur
leicht variierten Vertrag der Konkurrenz nicht an der ungestörten Vermarktung ihrer Vermittlungsleistungen
gehindert wurde; solches behauptet der Antragsteller auch nicht.
14 3. Den Streitwert hat die Kammer unter Berücksichtigung aller Besonderheiten des Einzelfalls an den in
vergleichbaren Fällen angenommenen Streitwerten orientiert, so weit neben urheber- auch
wettbewerbsrechtliche Ansprüche geltend gemacht wurden. Immerhin behauptet der Antragsteller eine
Marktführerstellung.