Urteil des LG Stuttgart vom 22.07.2002

LG Stuttgart: beweisverfahren, gütliche einigung, insolvenz, unterbrechung, zivilprozessordnung, form, arrest, verfügungsbefugnis, zahlungsunfähigkeit, ausnahme

LG Stuttgart Beschluß vom 22.7.2002, 10 OH 8/02
Selbstständiges Beweisverfahren: Unterbrechung aufgrund der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
Leitsätze
Die Insolvenz der Antragsgegnerin unterbricht das selbstständige Beweisverfahren gemäß § 240 ZPO.
Tenor
In dem selbstständigen Beweisverfahren ... wird festgestellt, dass das selbstständige Beweisverfahren aufgrund der Insolvenz der Antragsgegnerin
gemäß 240 ZPO unterbrochen ist.
Gründe
I.
1 Mit Schriftsatz vom 22.02.2001 leiteten die Antragsteller ein selbstständiges Beweisverfahren gegen die Antragsgegnerin und gegen den
Architekten G. ein (Landgericht Stuttgart 10 OH 4/01). In diesem Beweisverfahren geht es um Feststellung von Baumängeln an dem vom
Architekten geplanten und von der Antragsgegnerin auf dem Grundstück der Antragsteller in W. gebauten Kellergeschoss. Nach Auffassung der
Antragsteller dringt Wasser ein.
2 Am 18.12.2001 erstellte der Sachverständige C. ein Gutachten im Beweisverfahren 10 OH 4/01. Bezüglich dieses Gutachtens nahmen sowohl der
Architekt G. als auch die Antragsteller Stellung und baten um Ergänzung des Gutachtens zu verschiedenen Punkten.
3 Mit Schriftsatz vom 13.03.2002 teilte die Antragsgegnerin mit, dass mit Beschluss vom 01.03.2002 das Amtsgericht Stuttgart wegen
Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung über ihr Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet hat und zum Insolvenzverwalter B. bestellt wurde.
4 Das selbstständige Beweisverfahren gegen die Antragsgegnerin wurde mit Beschluss vom 04.07.2002 vom selbstständigen Beweisverfahren 10
OH 4/01 abgetrennt und wird nun unter dem Aktenzeichen 10 OH 8/02 geführt.
II.
5 Das selbstständige Beweisverfahren der Antragsteller gegen die Antragsgegnerin wurde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahren am
01.03.2002 bezüglich des Vermögens der Antragsgegnerin gemäß § 240 ZPO unterbrochen.
6 In Rechtsprechung und Literatur ist streitig, ob die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch ein selbstständiges Beweisverfahren unterbricht.
7 Teilweise wird vertreten, dass ein selbstständiges Beweisverfahren nicht durch die Insolvenz des Antragsgegners unterbrochen wird, weil es der
Zweck des Beweisverfahrens gebiete, dieses unabhängig von der Insolvenz eines Verfahrensbeteiligten durchzuführen. Ferner ende das
selbstständige Beweisverfahren nicht mit einer streitigen Entscheidung, so dass der andere Beteiligte weder durch eine ungünstige Sach- noch
durch eine Kostenentscheidung unmittelbar belastet werde (OLG Hamm, NJW-RR 97, 732; Zöller vor § 485, Rz. 6; Thomas/Putzo vor § 485, Rz. 2
jeweils mit weiteren Nachweisen).
8 Dagegen wird die Auffassung vertreten, dass eine Unterbrechung stattfindet, weil nach neuerem Verständnis - insbesondere nach der Änderung
des Beweisverfahrens 1991 - das selbstständige Beweisverfahren jetzt mehr wie ein Urteilsverfahren zu behandeln sei. Ferner sei zu
berücksichtigen, dass der Eilcharakter des selbstständigen Beweisverfahren in der jetzt bestehenden Form nach der Novellierung des Verfahrens
kein Argument gegen die Anwendung der Unterbrechungsvorschrift des § 240 ZPO sei, weil das selbstständige Beweisverfahren nicht eiliger sei,
als etwas das Arrest- oder einstweilige Verfügungsverfahren, bei dem § 240 ZPO nach allgemeiner Ansicht ohne weiteres Anwendung findet.
Schließlich lasse sich der vom Gesetzgeber angestrebte Zweck des selbstständigen Beweisverfahrens, eine gütliche Einigung des Streits zu
fördern, eher mit dem Insolvenzverwalter als mit dem zahlungsunfähigen oder überschuldeten Schuldner erreichen, dem nach Eröffnung des
Insolvenzverfahrens keine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Insolvenzmaß gehörende Vermögen mehr zusteht (OLG Hamburg,
ZinsO 2001, 132; LG Karlsruhe, MDR 2001, 958 jeweils mit weiteren Nachweisen).
9 Aus Sicht der Kammer sprechen die besseren Gründe für die Unterbrechung des Beweisverfahrens aufgrund der Insolvenz eines Beteiligten, weil
§ 240 ZPO aufgrund seiner systematischen Stellung im Gesetz für alle kontradiktorischen Verfahren gilt und die Zivilprozessordnung trotz der
Novellierung zum 01.01.2002 für die §§ 485 ff. ZPO keine Ausnahme von den Vorschriften über die Unterbrechung des Verfahrens vorsieht. Da
der Meinungsstreit bereits vor der Novellierung dem Gesetzgeber bekannt war, er aber keine Sondervorschrift erlassen hat, ist davon auszugehen,
dass nach seiner Sicht die allgemeinen Vorschriften der Zivilprozessordnung auch für das selbstständige Beweisverfahren gelten sollen und
insoweit kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf bestand. Ferner käme es zu Wertungswidersprüchen, wenn das selbstständige
Beweisverfahren durch eine Insolvenz nicht unterbrochen werden würde, aber die gleiche Beweiserhebung, die durch das Beweisverfahren
gegenüber dem eigentlichen Rechtsstreit nur vorverlagert wird, im Rechtsstreit selbst ohne weiteres gemäß § 240 ZPO unterbrochen wird.