Urteil des LG Stuttgart vom 19.12.2002

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LG Stuttgart Beschluß vom 19.12.2002, 10 T 375/02
Räumung einer Ehewohnung: Erforderlichkeit eines Titels gegen den alleinbesitzenden Ehegatten, der nicht Mieter ist
Leitsätze
Für die Räumung des Ehegatten, der nicht Mietvertragspartei ist und die Wohnung alleine bewohnt, ist - auch - ein Titel gegen diesen
alleinbesitzenden Ehegatten erforderlich.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Gläubiger gegen den Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 23.09.2002 - 6 M 13497/02 - wird
zurückgewiesen.
2. Die Gläubiger haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.
4. Der Erinnerungsführerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt.
Beschwerdewert: bis 3.000,00 EUR.
Gründe
I.
1 Die Gläubigerin vermietete an den Schuldner eine 2-Zimmer-Wohnung in der E-Straße in Stuttgart. Die Erinnerungsführerin, die nicht
Mietvertragspartei wurde, ist seit 13.09.1999 die Ehefrau des Schuldners und bezog die streitgegenständliche Wohnung mit Kenntnis der
Gläubiger zusammen mit dem Schuldner. Seit der Trennung vom Schuldner im Januar 2002 bewohnte die Erinnerungsführerin die
streitgegenständliche Wohnung alleine. Mit Versäumnisurteil des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 25.06.2002 (5 C 589/02) wurde der
Schuldner zur Räumung der streitgegenständlichen Wohnung wegen Zahlungsverzuges verurteilt. Die Gläubigerin erteilte dem zuständigen
Gerichtsvollzieher daraufhin Räumungsauftrag (GR II 1691/02). Der Räumungstermin wurde auf 02.10.2002 8.00 Uhr festgesetzt. Der Schuldner
wurde ausgewiesen und verließ die Bundesrepublik Deutschland am 10.09.2002.
2 Mit ihrer Erinnerung vom 13.09.2002 wendet sich die Erinnerungsführerin gegen den angesetzten Zwangsräumungstermin. Die Gläubiger traten
der Erinnerung entgegen und trugen vor, die Erinnerungsführerin sei jedenfalls mit Anwaltsschreiben vom 28.05.2002 zur Räumung aufgefordert
worden und habe jeweils Kenntnis von der Kündigung des Standes des Räumungsverfahrens gehabt. Mit Beschluss vom 23.09.2002 hat das
Amtsgericht Stuttgart auf die Erinnerung hin die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil gegenüber der Erinnerungsführerin für unzulässig
erklärt und den Gerichtsvollzieher angewiesen, den Räumungstermin vom 02.10.2002 aufzuheben. Als Begründung führte es aus, dass es bereits
an der allgemeinen Zwangsvollstreckungsvoraussetzung eines Titels gegenüber der Erinnerungsführerin fehle.
3 Die Gläubiger fochten diesen Beschluss mit der sofortigen Beschwerde vom 25.09.2002 mit der Begründung an, wegen des Eheverhältnisses
zwischen dem Schuldner und der Erinnerungsführerin sei ein separater Titel für die Räumung nicht erforderlich. Parallel leiteten die Gläubiger ein
separates Räumungsverfahren gegen die Erinnerungsführerin vor dem Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt unter dem Aktenzeichen 12 C 2704/02
ein.
II.
4 1. Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 23.09.2002 ist zulässig. Insbesondere steht den Gläubigern ein
ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis trotz der zwischenzeitlich erhobenen Räumungsklage gegen die Erinnerungsführerin zur Seite. Denn für
den Fall, dass die sofortige Beschwerde auch begründet ist, steht ihnen ein einfacherer Weg als die Durchführung des gerichtlichen
Räumungsverfahrens gegen die Erinnerungsführerin zur Erreichung ihres Ziels - der Räumung der Wohnung - zur Verfügung.
5 2. Die sofortige Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Aus zutreffenden Gründen hat das Amtsgericht auf die Erinnerung hin die Zwangsräumung
gemäß § 766 Abs. 1 ZPO für unzulässig erklärt, weil gegen die Erinnerungsführerin kein Räumungstitel vorliegt und damit eine
Vollstreckungsvoraussetzung fehlt.
6 Grundsätzlich üben Eheleute bei ungestörter Ehe die Herrschaftsgewalt über die Räume der Ehewohnung gemeinsam aus und sind sonach
Mitbesitzer. Ob in diesem Fall die Räumung mit einem Titel, der nur auf den Ehegatten lautet, der den Mietvertrag abgeschlossen hat, ausreicht, ist
streitig (vgl. Nachweise bei Stöber in Zöller, Zivilprozessordnung, § 885 Rz. 6 m.w.N.). Im vorliegenden Fall liegt jedoch die Besonderheit vor, dass
die Erinnerungsführerin die Ehewohnung alleine bewohnt, nachdem der Ehemann/Schuldner diese bereits im Januar 2002 verlassen hatte. Ist die
eheliche Lebensgemeinschaft aufgehoben und ein Ehegatte alleiniger Gewahrsamsinhaber geworden, dann kann aus einem Räumungstitel
gegen den Mieter/Ehegatten nicht - auch - gegen den in der Ehewohnung zurückgebliebenen Ehegatten vollstreckt werden (LG Düsseldorf DGVZ
95, 126; AG Frankfurt DGVZ 98, 13; Stöber in Zöller, § 885, Rdn. 6 m.w.N.; a.A. LG Frankfurt DGVZ 91, 11; AG Dortmund DGVZ 96, 77).
7 Die Kammer schließt sich der Meinung an, wonach in diesem Sonderfall ein separater Titel gegen den die Ehewohnung allein bewohnenden
Ehegatten zur Räumung erforderlich ist, weil mit dem vor der Vollstreckung erfolgenden Auszug des Ehegatten, der alleiniger Mieter ist, der im
Rahmen des ehelichen Zusammenlebens aus dem Mietrecht des Ehegatten abgeleitete Mitbesitz des anderen Ehegatten entfällt. Dieser
abgeleitete Mitbesitz im Rahmen des ehelichen Zusammenlebens ist jedoch für die Auffassung, die einen Titel gegen den einen Ehegatten, der
Mieter ist, für eine Räumung beider Ehegatten genügen lässt, der entscheidende Anknüpfungspunkt (vgl. Stöber in Zöller, § 885, Rz. 6 m.w.N.).
Der in der Wohnung verbleibende Ehegatte wird vielmehr Alleinbesitzer der Mietsache. Insoweit ist er wie jeder andere Dritte, der eine Wohnung
bewohnt, zu behandeln. Für diesen ist unstreitig ein separater Räumungstitel zur Räumung durch den Gerichtsvollzieher notwendig. Ein solcher
fehlt hier. Den Gläubigern war dabei bekannt, dass sich die Erinnerungsführerin als Ehefrau ihres Mieters berechtigterweise in der Wohnung
aufhielt, weil sie nach ihren eigenen Angaben die Erinnerungsführerin laufend über den Stand des Räumungsprozesses und des
Räumungsverfahrens auf dem Laufenden gehalten haben. Insoweit wäre es ihnen ein Leichtes gewesen, die Räumungsklage auch gegen die
Erinnerungsführerin zu erheben.
8 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof war gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3
ZPO zuzulassen, weil, wie die abweichenden Entscheidungen des Landgerichts Frankfurt und des Amtsgerichts Dortmund zu dem hier
entscheidungserheblichen Sonderfall der im übrigen ebenfalls umstrittenen Frage, inwieweit grundsätzlich ein Räumungstitel - auch - gegen den
Ehegatten vorliegen muss, zeigen, die Rechtssache grundsätzlich Bedeutung hat und eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes zur Sicherung
einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.