Urteil des LG Stuttgart vom 23.04.2002

LG Stuttgart: treu und glauben, allgemeine geschäftsbedingungen, verbraucher, vorleistungspflicht, werktag, vergütung, training, verzug, preisliste, dienstvertrag

LG Stuttgart Urteil vom 23.4.2002, 20 O 578/01
Allgemeine Geschäftsbedingungen eines Sportstudios: Vorfälligstellung der Vergütung
Tenor
1. Der Beklagten wird untersagt, die nachfolgenden oder inhaltsgleiche Klauseln in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen im Zusammenhang
mit Verträgen über das Training in einem Sportstudio zu verwenden oder sich auf diese Klauseln zu berufen, ausgenommen Verträge mit einem
Unternehmer im Sinne von § 24 Nr. 1 AGBG, mit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts oder mit einem öffentlich-rechtlichen
Sondervermögen:
(Kommt der Benutzer mit einem Betrag von mindestens zwei Monatsentgelten länger als 14 Tage in Verzug, so kann ihm das Trainingscenter durch
eingeschriebenen Brief eine weitere Zahlungsfrist von mindestens 30 Tagen setzen).
a) Nach deren ergebnislosem Ablauf kann das Trainingscenter das gesamte Nutzungsentgelt für die jeweilige vertragliche Mindestlaufzeit zur
sofortiger Zahlung fällig stellen ...
b) Dieser Betrag wird mit Rechnungsstellung fällig und ist bei Verzug nach schriftlicher Mahnung mit 12 % Jahreszinsen zu verzinsen.
2. Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR (ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Wochen)
oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung des Klägers in Höhe von 3.000 EUR vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 5.000 EUR (10.000 DM).
Tatbestand
1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Unterlassung zweier von ihm beanstandeter Klauseln in deren Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den
Verzugsfall des Kunden in Anspruch.
2
Der Kläger ist in die nach § 22 a des AGBG eingerichtete Liste qualifizierter Einrichtungen eingetragen.
3
Die Beklagte betreibt ein Sportstudio und verwendet in diesem Zusammenhang bei Abschluss von Verträgen mit Nutzern desselben die
streitgegenständlichen Klauseln. Nach Vortrag und Vertragsformular (Anlage K 1, Blatt 66 f der Akte) werden Verträge mit einer Mindestlaufzeit --
von zumindest einem Jahr -- und unter der Vereinbarung monatlicher Zahlungsweise und eines bestimmten Monatsbeitrags, zu zahlen monatlich
im Voraus bis zum ersten Werktag des jeweiligen Monats, geschlossen.
4
Der Kläger ist der Auffassung, die beanstandeten Klauseln benachteiligen den Verbraucher unangemessen, da sie zu einer, den gesetzlichen
Grundgedanken im Miet- und Dienstvertragsrecht widersprechenden Vorleistungspflicht des Verbrauchers führten, hiermit die Beklagte auch ihr
Insolvenzrisiko auf den Verbraucher überwälze und gegen den Grundsatz "ohne Arbeit kein Lohn" verstoße. Zusätzlich sei aufgrund der Klausel
Ziffer 1 b der Anfall von Zinseszinsen und damit ein Verstoß gegen § 289 BGB anzunehmen.
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Der Kläger beantragt,
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der Beklagten zu untersagen, die beanstandeten oder inhaltsgleiche, in 1. der Urteilsformel wiedergegebenen Klauseln in Zusammenhang mit
Verträgen über das Training in einem Sportstudio mit Verbrauchern zu verwenden oder sich auf diese Klauseln gegenüber Verbrauchern zu
berufen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen für den Fall der Nichtzahlung des vom Verbraucher geschuldeten monatlichen
Entgelts mit den Argumenten, dass auch das gesetzliche Miet- und Dienstvertragsrecht Vorauszahlungen zulässt, ebenso
Gesamtzahlungsvereinbarungen mit Ratengewährung, sie ihren Kunden insoweit ein Wahlrecht einräumt und für diese im Übrigen klar
ersichtlich sei, dass sie im Verzugsfall für die Restlaufzeit praktisch in die alternative Stellung eines Vorauszahlers eintreten. Im Übrigen würden
nur für bereits rückständige Zeiträume Monatsentgelte voll verlangt, im Übrigen günstigere Monatstarife für Vorauszahler gemäß Preisliste
zugrunde gelegt.
10 Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrags beider Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
11 Die Klage ist zulässig und begründet.
12 Der Kläger ist als qualifizierte Einrichtung gemäß § 22 a AGBG klagebefugt gemäß § 13 AGBG. Nach den §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs. 1 des
Unterlassungsklagegesetzes (UKlaG) gilt das AGBG für am 1. Januar 2002 anhängige Verfahren fort. Im Übrigen wird nach § 16 Abs. 4 UKlaG
die nach § 22 a des AGBG eingerichtete Liste qualifizierter Einrichtungen gemäß § 4 UKlaG fortgeführt.
13 Die beanstandeten Klauseln sind gemäß § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AGBG bzw. § 307 Abs. 1, Abs. 2 BGB n.F. unwirksam. Es handelt sich um
vorformulierte Vertragsbedingungen der Beklagten.
14 1. Die Klausel, dass unter qualifizierten Voraussetzungen des Verzugs (vgl. Anlage K 1, V der Allgemeinen Geschäftsbedingungen) das gesamte
Nutzungsentgelt für die jeweilige vertragliche Mindestlaufzeit zur sofortigen Zahlung fällig gestellt werden kann, benachteiligt den Verbraucher
entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
15 Die Verträge der Beklagten mit ihren Kunden über die Nutzung des Sportstudios weisen Elemente des Mietvertrags und des Dienstvertrags auf.
Die Beklagte vereinbart ausweislich des in Anlage K 1 vorgelegten Vertragsformulars mit dem Verbraucher ausdrücklich nur eine monatliche
Gebühr für die Mindestlaufzeit, zahlbar monatlich im Voraus bis zum ersten Werktag des jeweiligen Monats.
16 Ebenso ist in den gesetzlichen Bestimmungen des Mietrechts (§ 556 b BGB n.F.) vorgesehen, dass die Miete zu Beginn, spätestens bis zum
dritten Werktag des einzelnen Zeitabschnitts zu entrichten ist, nach denen sie bemessen ist. In den Vorschriften über den Dienstvertrag ist in §
614 Satz 2 BGB bestimmt, dass die Vergütung nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten ist, wenn sie nach Zeitabschnitten
bemessen ist.
17 Durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten wird für den Verzugsfall unter bestimmten Bedingungen eine Vorleistungspflicht,
bei Jahresvertrag für bis zu neun Monate begründet, bei weitergehend vereinbarter Mindestdauer für entsprechend längere Zeiträume.
18 Die mit den Kunden des Sportstudios vereinbarte Dauer des Vertrages ist nicht die vereinbarte Leistungseinheit. Sie bestimmt sich ausweislich III
des Vertrages nur durch die Bestimmung, zu welchem Zeitpunkt erstmals - ordentlich - gekündigt werden kann. Die Benutzung und das hierfür zu
entrichtende Entgelt sind gemäß IV des Vertrages nach monatlichen Einheiten bestimmt.
19 Die durch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten begründete Vorleistungspflicht verstößt gegen die Grundgedanken der
gesetzlichen Regelungen im Mietvertragsrecht und Dienstvertragsrecht. Sie bürdet dem Verbraucher auch das Insolvenzrisiko der Beklagten auf,
indem sie die Gesamtbeiträge vor Leistungserbringung fällig stellt, ohne dass im Gegenzug Ansprüche eingeräumt würden. Des weiteren ist eine
Nichtvereinbarkeit mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung auch insoweit anzunehmen, als die Rechte der Verbrauchers,
sich aus dem Vertrag legal zu lösen, infolge Vorfälligkeit einer Vielzahl von Monatsbeiträgen verschlechtert werden und auch die gesetzlichen
Bestimmungen für den Verzugsfall keine Vorfälligkeit, sondern vielmehr Möglichkeiten des Sicherheitsverlangens oder der Loslösung von dem
Vertrag, sei es durch Rücktritt, sei es durch Kündigung, vorsehen (vgl. §§ 321, 543, 626 BGB).
20 Der der Entscheidung des Oberlandesgericht Celle (NJR-RR 1995, 370 ff) zugrundeliegende Sachverhalt weicht von vorliegender
Vertragsgestaltung durch die Beklagte entscheidungserheblich ab. Die Beklagte vereinbart ausweislich des vorgelegten Vertragsformulars mit
den Kunden des Sportstudios nicht einen Gesamtbetrag für eine vereinbarte Vertragslaufzeit, der mit Vertragsabschluss fällig ist und gemäß den
Vereinbarungen dann ratenmäßig beglichen werden kann.
21 2. Die in Ziffer 1 b aufgeführte und beanstandete Klausel verstößt aus den bereits zu der Klausel Ziffer 1 a ausgeführten Gründen gleichfalls
gegen § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AGBG bzw. § 307 Abs. 1, Abs. 1 BGB n.F.
22 Unter Zugrundelegung der in vorliegendem Verbandsverfahren maßgeblichen sogenannten kundenfeindlichsten Auslegung (BGH NJW 1994,
318) unabhängig von der Handhabung der Klausel im Einzelfall (BGH NJW 1997, 193, 195) ist des weiteren ein Verstoß gegen das
Zinseszinsverbot anzunehmen.
23 Aus der Regelung folgt nicht, wie die Vergütung gestaffelt ist. Ein bestimmter Tarif oder eine bestimmte Preisliste ist weder Gegenstand des
Vertrages noch vereinbart. Sie lässt sich diesem auch im Übrigen nicht entnehmen und könnte jederzeit von der Beklagten einseitig geändert
werden.
24 Hiernach bleibt die Berechnungsweise von "Vorauszahlertarifen" nicht nur unklar und nicht überprüfbar sondern auch abänderbar.
25 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 709, 108 ZPO.