Urteil des LG Stuttgart vom 13.07.2004

LG Stuttgart: unerlaubte handlung, zwangsvollstreckung, pfändung, prozesskosten, gebühr, mahnung, unterhalt, fälligkeit, pauschal, einziehung

LG Stuttgart Beschluß vom 13.7.2004, 10 T 215/04
Zwangsvollstreckung wegen einer vom Schuldner vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung: Vollstreckungsprivileg für Zinsforderung;
Mietkostenansatz im pfändungsfreien Betrag; Kostenentscheidung bei Erfolg der Gläubigerbeschwerde
Leitsätze
1. Bei der Zwangsvollstreckung wegen einer vom Schuldner vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nimmt auch die Zinsforderung am
Vollstreckungsprivileg des § 850 f Abs. 2 ZPO teil.
2. Für den Ansatz der Mietkosten im Rahmen des nach § 850 f Abs. 2 ZPO pfändungsfrei zu belassenden Betrags kommt es nicht darauf an, ob der
Schuldner diese Kosten in der Vergangenheit auch tatsächlich bezahlt hat.
3. Weil der Schuldner vor Erlass eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses gem. § 834 ZPO nicht zu hören und damit auch an einem
Verfahren über die Beschwerde des Gläubigers gegen die Ablehnung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nicht zu beteiligen ist, kann
- bei erfolgreicher Beschwerde - auch eine auf 91 ZPO gestützte Kostenentscheidung zu seinem Nachteil nicht ergehen. Die dem Gläubiger
erwachsenden Kosten sind als Kosten der Zwangsvollstreckung mit beizutreiben.
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 1.4.2004 (Az.: 1 M 5880/03) dahingehend
abgeändert, dass sich die Pfändung nach § 850 f Abs. II ZPO im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Esslingen vom 23.12.03
auch auf die Zinsen erstreckt.
2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde der Gläubigerin zurückgewiesen.
3. Die Beschwerdegebühr wird auf die Hälfte ermäßigt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Beschwerdewert: bis 1.200 EUR
Gründe
I.
1
Mit Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 23.12.2003 hat das Amtsgericht die angebliche Forderung des Schuldners gegen die
Drittschuldner auf Zahlung von Arbeitseinkommen gepfändet und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen. Gleichzeitig hat es - beschränkt
auf die Hauptforderung - die erweiterte Pfändung wegen vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung angeordnet unter Belassung eines
pfändungsfreien Arbeitseinkommens für den Schuldner von 1.030 EUR monatlich. Gegen diese der Gläubigerin nicht zugestellte Entscheidung
hat die Gläubigerin mit Schriftsatz vom 23.2.2004 Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, den dem Schuldner pfandfrei zu belassenden Betrag um
die pauschalen Mietnebenkosten auf 952 EUR herabzusetzen und die Pfändung nach § 850 f Abs. II ZPO auch auf die Prozesskosten und die
Zwangsvollstreckungskosten, sowie die Zinsen zu erstrecken.
2
Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 1.4.2004 insoweit abgeholfen, als es die Pfändung nach § 850 f Abs. II ZPO auch auf die
Prozesskosten und die Zwangsvollstreckungskosten erstreckt hat. Im Übrigen hat es in dem genannten Beschluss der Beschwerde nicht
abgeholfen.
II.
3
Das Rechtsmittel der Gläubigerin ist als sofortige Beschwerde gemäß § 793 ZPO statthaft, rechtzeitig eingelegt und mithin zulässig.
4
In der Sache hat es jedoch nur teilweise Erfolg.
5
1. Zunächst ist - insoweit übereinstimmend mit dem Vollstreckungsgericht - davon auszugehen, dass bei entsprechender Formulierung des
Anspruchsgrundes grundsätzlich auch ein Vollstreckungsbescheid Grundlage für einen privilegierten Vollstreckungszugriff nach dieser
Bestimmung sein kann (LG Münster, JurBüro 96, 385).
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Abweichend von dem Amtsgericht ist die Kammer allerdings der Auffassung, dass auch die Zinsforderung an dem Vollstreckungsprivileg des §
850 f Abs. II ZPO teilnimmt, da auch sie durch die vom Schuldner vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung verursacht ist (Behr JurBüro 1995,
8; a.A. Stöber, Forderungspfändung, 13. Aufl., Rdnr. 1991; Smid in Münchner Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., § 850 f, Rdnr. 14). Ohne die
vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, wäre dem Gläubiger auch der eingetretene Zinsschaden nicht entstanden. Dass dieser auch
darauf zurückzuführen ist, dass der Schuldner die fällige Schadensersatzforderung des Gläubigers trotz Fälligkeit und Mahnung nicht beglichen
hat, vermag den Schuldner nicht zu entlasten.
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2. Soweit die Gläubigerin begehrt, den von dem Amtsgericht in Ansatz gebrachten Betrag der pauschalierten Mietnebenkosten von dem
festgesetzten Pfändungsfreibetrag in Abzug zu bringen, hat ihr Rechtsmittel keinen Erfolg. Gemäß § 850 f Abs. II 2. Hs. ZPO ist dem Schuldner
soviel zu belassen, wie er für seinen notwendigen Unterhalt bedarf. Hierzu gehören auch die pauschal in Ansatz gebrachten Mietnebenkosten
(LG Bremen, RPfleger 99, 189), unabhängig davon, ob diese von dem Schuldner in der Vergangenheit auch tatsächlich geleistet wurden. Die
Gläubigerin hat in ihrem Antrag folgerichtig auch die Mietkosten des Schuldners in Ansatz gebracht. Wieso dieser Ansatz für Mietnebenkosten
aber nicht gelten soll, ist nicht nachvollziehbar.
8
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Verpflichtung, Gerichtskosten zu tragen, ergibt sich aus KV Nr. 1956 zum GKG. Wegen des
teilweisen Erfolgs des Rechtsmittels hat die Kammer von ihrer Möglichkeit, die Gebühr gemäß aus KV Nr. 1956 zum GKG zu ermäßigen,
Gebrauch gemacht.
9
Weil der Schuldner im Hinblick auf § 834 ZPO auch am Beschwerdeverfahren nicht zu beteiligen war (Behr a.a.O.), kann gegen ihn eine
Kostenentscheidung über die außergerichtlichen Kosten nicht ergehen. Die dem Gläubiger erwachsenden Kosten sind als Kosten der
Zwangsvollstreckung gemäß § 788 ZPO vom Schuldner mit beizutreiben (vgl. Stöber a.a.O., Rdnr. 842).
10 Der Beschwerdewert entspricht dem Jahresbetrag der erstrebten Freibetragsänderung zuzüglich der Zinsforderung.
11 Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§ 574 ZPO) liegen nicht vor. Zwar hat die Frage, ob die Zinsforderung am
Vollstreckungsprivileg des § 850 f II ZPO teilnimmt, grundsätzliche Bedeutung. Jedoch wäre insoweit eine Rechtsbeschwerde der Gläubigerin
mangels Beschwer unzulässig.