Urteil des LG Stuttgart vom 13.06.2008

LG Stuttgart (arbeitnehmer, gesellschaft, geschäftsführer, schaden, sittenwidrigkeit, zeitpunkt, schädigung, höhe, verhältnis zwischen, verhalten)

LG Stuttgart Urteil vom 13.6.2008, 15 O 228/07
Sittenwidrige Schädigung: Anspruch gegen den Geschäftsführer einer GmbH auf Erstattung von
Insolvenzgeld wegen Insolvenzverschleppung
Leitsätze
1. Die Bundesagentur für Arbeit ist im Hinblick auf die auf sie nach § 187 SGB III übergehenden Ansprüche nicht
in den Schutzbereich der Insolvenzantragspflicht mit einbezogen.
2. Eine vorsätzliche Insolvenzverschleppung begründet nicht eo ipso ein Sittenwidrigkeitsverdikt nach § 826 BGB.
3. Die Bundesagentur für Arbeit hat, soweit sie Insolvenzgeld an Arbeitnehmer einer insolventen GmbH leistet,
gegen den insolvenzverschleppenden Geschäftsführer keinen Anspruch nach § 826 BGB auf Schadenersatz in
Höhe des geleisteten Insolvenzgeldes, da es bereits am Schutzzweckzusammenhang zwischen (möglicherweise)
sittenwidrigem Verhalten des Geschäftsführers und einem etwaigen Schaden der Bundesagentur fehlt.
(Abweichung von BGH NZI 2008, 242 = BGHZ 175, 58)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages.
Streitwert: 31.090,16 EUR
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt den Beklagten im Wege des Schadensersatzes auf Erstattung von Insolvenzausfallgeld in
Anspruch, welches sie den Arbeitnehmern der vom Beklagten als Geschäftsführer geführten Gesellschaft
bezahlt hat.
2
Der Beklagte war Alleingesellschafter-Geschäftsführer der K.-GmbH, die mit Gesellschaftsvertrag vom
30.01.1975 mit einem Stammkapital von 50.000,00 DM gegründet und in das Handelsregister des Amtsgerichts
E. unter HRB 2481 eingetragen wurde. Der Geschäftsgegenstand des Unternehmens war die Herstellung von
Metallkonstruktionen aller Art.
3
Die K.-GmbH war spätestens seit dem 15.06.2002 nicht nur kurzfristig nicht mehr in der Lage, ihre fälligen
Verbindlichkeiten zu begleichen, mithin zahlungsunfähig, was dem Beklagten zu diesem Zeitpunkt auch
bewusst war. Die an diesem Tag fälligen Sozialversicherungsbeiträge an die AOK S. und die IKK S. für den
Beitragsmonat Mai 2002 führte der Beklagte nicht mehr ab. An die DAK leistete er ab dem Beitragsmonat Juni
2002 keine Beiträge mehr.
4
Zudem war die K.-GmbH spätestens seit Juni 2002 auch überschuldet, was sich für den Geschäftsführer, also
den Beklagten, ebenfalls erkennbar darstellte.
5
Die IKK S. stellte am 04.11.2002, der Beklagte selbst am 29.11.2002 Insolvenzantrag. Die Insolvenzverfahren
wurden gemeinsam durch das Amtsgericht E. mit Beschluss vom 01.03.2003 unter dem Aktenzeichen 2 IN
503/02 eröffnet.
6
Weil die K.-GmbH keine Gehälter mehr an ihre Arbeitnehmer bezahlen konnte, gewährte die Klägerin für zehn
in Anlage K 17 näher bezeichnete Arbeitnehmer der Gesellschaft in der Zeit vom 01.05.2002 bis zum
31.01.2003 für jeweils maximal drei Monate Insolvenzausfallgeld, wobei die Höhe der jeweils geleisteten
Zahlungen zwischen den Parteien streitig ist.
7
Der Beklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts E. unter dem Aktenzeichen 3 Cs 156 Js 47931/03 wegen
Insolvenzverschleppung und Verletzung der Buchführungspflicht sowie Vorenthaltens von
Sozialversicherungsbeiträgen zu der Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15,00 EUR im
Strafbefehlswege verurteilt, wobei die Einsatzstrafe für die Insolvenzverschleppung mit 60 Tagessätzen
angesetzt wurde. In dem Vermerk der Staatsanwaltschaft zum Strafbefehlsantrag heißt es: „Zudem fiel
zugunsten des Angeklagten erheblich ins Gewicht, dass er über Jahrzehnte hinweg seinen Betrieb ordentlich
geführt hat und erst durch die schlechte wirtschaftliche Gesamtlage in Schwierigkeiten gekommen ist.“
8
Die Klägerin hat vorgerichtlich den Beklagten zur Zahlung von 31.090,16 EUR Schadensersatz mit Schreiben
vom 12.02.2007 aufgefordert. Der Beklagte leistete trotz weiterer Mahnungen auf die Zahlungsaufforderung
nicht.
9
Die Klägerin trägt vor,
10 ihr stünde ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gegen den Beklagten zu. Der Beklagte habe durch
Unterlassen der rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrages und Fortführung der Gesellschaft über den
Zeitpunkt der Insolvenzreife hinaus gegen seine Pflichten als Geschäftsführer verstoßen und dadurch
sittenwidrig die Klägerin geschädigt. Das habe er vorsätzlich getan, da er zumindest billigend in Kauf
genommen habe, dass der Zeitpunkt kommen werde, in dem die Gesellschaft nicht mehr in der Lage sein
würde, die Lohnforderungen ihrer Arbeitnehmer zu erfüllen. Er habe daher voraussehen können, dass
mindestens seit dem 01.05.2002 - was nicht bestritten ist - keine Gehälter mehr gezahlt wurden.
11 Der Beklagte habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass sich die Situation der Gesellschaft bessere, da keinerlei
Sanierungsmöglichkeiten mehr bestanden.
12 Die Sittenwidrigkeit der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung des Beklagten resultiere ohne weiteres aus der
Unterlassung der rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrages bei bestehender Unfähigkeit der Entlohnung der
Arbeitnehmer und aus der Tatsache, dass die Antragstellung keine besondere Mühewaltung verursacht hätte.
13 Die Klägerin trägt weiter vor, sie habe im Zeitraum vom 01.05.2002 bis 31.01.2003 Insolvenzausfallgeld mit
einem Gesamtbetrag in Höhe von 31.090,16 EUR bezahlen müssen. Diese Zahlungen hätte sie nicht erbringen
müssen, wenn der Beklagte rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt hätte.
14 Schließlich sei der (bestrittene) Einwand des Beklagten, dass bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung die
Klägerin kein Insolvenzgeld hätte zahlen müssen, eine Frage des hypothetischen Kausalverlaufs. Insoweit sei
aber der Beklagte darlegungs- und beweispflichtig. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Koblenz,
6 U 175/06, NZI 2007, 113, trägt die Klägerin vor, dass der Einwand des Beklagten nichts daran ändere, dass
feststehe, dass für den konkret streitgegenständlichen Zeitraum, also die konkreten Monatszeiträume,
Zahlungen geleistet wurden. Darauf komme es bei der Frage des Schadens allein an. Eine Berücksichtigung
des Einwands des Beklagten verbiete sich auch in Anbetracht des Schutzzwecks der Insolvenzantragspflicht,
die beabsichtige, insolvenzreife Gesellschaften vom Geschäftsverkehr fern zu halten.
15 Schließlich sei im Rahmen der hypothetischen Betrachtung gänzlich offen, ob nicht das Insolvenzgericht die
sofortige Stilllegung des Betriebes angeordnet hätte. Jedenfalls hätte der Insolvenzverwalter für die konkreten
streitgegenständlichen Monate mit Sicherheit kein Insolvenzgeld verlangt. Zudem gebe es keine Vermutung
dafür, dass ein Insolvenzverwalter in jedem Fall Insolvenzgeldzahlungen ausnutze.
16 Auch die Entscheidung BGH, VI ZR 231/06, NZI 2008, 242, ändere nichts daran, dass die bloße Behauptung
des Beklagten, dass im Falle der rechtzeitigen Insolvenzantragstellung die Klägerin auch hätte Insolvenzgeld
zahlen müssen, ein unsubstantiierter Vortrag sei. Die K.-GmbH sei nämlich schon lange vor Juni 2002
insolvenzreif gewesen und habe bereits Ende 2001 den eigenen Steuerberater nicht mehr bezahlen können,
weswegen spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Kündigung der Arbeitnehmer hätte erfolgen müssen. Dann
könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Gesellschaft mit gleichem Personalbestand weitergeführt
worden wäre. Zum Zeitpunkt der notwendigen Insolvenzantragstellung wären dann keine Arbeitnehmer mehr
beschäftigt gewesen und hätte insoweit kein Insolvenzausfallgeld gezahlt werden müssen.
17 Im Hinblick auf die Sittenwidrigkeit des Verhaltens des Beklagten trägt die Klägerin weiter vor, dass der
Beklagte als Geschäftsführer die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken konnte,
voraus sah und dies billigend in Kauf nahm, wobei nicht erforderlich sei, dass sich der Schädigungsvorsatz
gegen eine bestimmte Person richte. Von einer begründeten Hoffnung, die Krise zu überstehen, habe der
Beklagte nicht ausgehen dürfen, gerade weil - was bestritten ist - die Krise der Gesellschaft schon lange Zeit
bestand. Dies genüge, um den Vorwurf der Sittenwidrigkeit zu rechtfertigen.
18 Der Anspruch der Klägerin sei entgegen der Ansicht des Beklagten nicht verjährt. Die Klägerin habe - was
insoweit unstreitig ist - erst mit Schreiben vom 02.09.2004, das bei der Klägerin am 06.09.2004 eingegangen
ist, den Strafbefehl zur Kenntnisnahme übersandt erhalten. Erst ab diesem Zeitpunkt habe die Klägerin deshalb
Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erhalten. Zuvor habe sich die Klägerin - was insoweit
unstreitig ist - in angemessenen Zeitabständen bemüht, die Ermittlungsakten zur Einsicht zu erhalten bzw.
nach dem Ergebnis der Ermittlungen nachgefragt.
19 Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 31.090,16 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %
über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 13.02.2007 nebst weiterer 665,81 EUR zu bezahlen.
21 Der Beklagte beantragt,
22
die Klage abzuweisen
23 und trägt hierzu vor,
24 der Anspruch sei verjährt. Der Strafbefehl sei seit 11.10.2003 rechtskräftig. Die Klägerin hätte sich
entsprechend informieren können. Soweit sie dies nicht getan habe, müsse ihr grob fahrlässige Unkenntnis
vorgeworfen werden. Schließlich hätten ihr im Insolvenzverfahren sämtliche Unterlagen zur Verfügung
gestanden. Diese Unterlagen hätte sie prüfen können.
25 Jedenfalls sei das Verhalten des Beklagten nicht sittenwidrig. Er habe das Unternehmen jahrzehntelang gut
geführt und sei voller Hoffnung gewesen, die Krise überstehen zu können. Diese Hoffnung sei durch eine
zufriedenstellende Auftragssituation begründet gewesen. Er habe ein starkes Interesse daran gehabt, die
Mitarbeiter weiter zu beschäftigen und weiter zu bezahlen. Bei den fest angestellten Mitarbeitern seien Gehälter
erst ab Oktober 2002 rückständig geworden. Gerade angesichts dieser Umstände liege es fern, ihm den
Vorwurf zu machen, er habe durch die verspätete Antragstellung billigend in Kauf genommen, dass es zur
Zahlung von Insolvenzgeld kommt.
26 Soweit die Klägerin davon ausgehe, dass bereits vor Mitte/Herbst 2002 eine Insolvenzreife bestand, sei dies
unzutreffend. Mögliche Fehlbeträge in den Bilanzen ließen insoweit nicht auf eine insolvenzrechtliche
Überschuldung rückschließen.
27 Überdies sei, so der Beklagte, ein Schaden der Klägerin nicht gegeben. Denn auch in dem Fall, dass der
Beklagte seiner Insolvenzantragspflicht rechtzeitig nachgekommen wäre, wäre die Klägerin in gleicher Höhe
nach §§ 183 ff. SGB III einstandspflichtig geworden.
28 Für die Frage, wie sich die Dinge bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung entwickelt hätten, sei die Klägerin
darlegungs- und beweispflichtig. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Saarländischen OLG
Saarbrücken, 4 U 49/06, NZG 2007, 105, führt der Beklagte aus, dass ein - wie hier in Frage stehendes -
Unterlassen für einen Erfolg nur dann kausal sei, wenn der Erfolg - denkt man sich die gebotene Handlung
hinzu - ausgeblieben wäre. Die Voraussetzung dieser normativen Schlussfolgerung müsse der Gläubiger, hier
also die Klägerin, darlegen und beweisen.
29 Soweit die Klägerin nach ihrem Vortrag bereits für Mai 2002 und damit einen Zeitraum vor Insolvenzreife
Insolvenzgeld bezahlt haben will, könne der Verstoß gegen die Insolvenzantragspflicht im Juni 2002
denknotwendig nicht für einen Schaden der Klägerin ursächlich geworden sein. Was die nach diesem Zeitpunkt
gezahlten Beträge betreffe, sei davon auszugehen, dass das Unternehmen bei rechtzeitiger
Insolvenzantragstellung ebenfalls noch über mehrere Monate fortgeführt worden wäre und der
Insolvenzverwalter dann ebenfalls für drei Monate die Möglichkeit der Insolvenzgeldzahlung in Anspruch
genommen hätte.
30 Ihrer Darlegungs- und Beweislast sei die Klägerin nicht nachgekommen. Die Lebenserfahrung jedenfalls
spreche nicht dafür, dass die Inanspruchnahme von Insolvenzgeld bei rechtzeitiger Antragstellung unterblieben
wäre. Schließlich sei die Inanspruchnahme des Insolvenzgeldes ein legitimes Mittel - auch bei rechtzeitiger
Stellung des Insolvenzantrages -, um sich den notwendigen Spielraum für die Fortführung des Unternehmens
zu verschaffen.
31 Die Klägerin habe somit nicht nachgewiesen, dass sie gerade durch die Verspätung der
Insolvenzantragstellung einen Schaden erlitten habe. Das Argument der Klägerin, die Arbeitnehmer hätten -
jedenfalls teilweise - vor der Insolvenzreife noch bezahlt werden können, trage nicht, denn wenn die
Gesellschaft rechtzeitig Insolvenz angemeldet hätte, wären auch diese Mitarbeiter bei der
Alternativbetrachtung nicht mehr bezahlt worden und hätten stattdessen Insolvenzgeld erhalten. Schließlich sei
es üblich, dass die Insolvenzverwalter diesen Zeitraum ausnutzten. Dabei sei zu sehen, dass gerade Zweck
der Insolvenzordnung sei, nach Möglichkeit das Unternehmen fortzuführen.
32 Der Klägerin sei es auch ohne Weiteres möglich, zum Schaden weiteren Vortrag zu halten, da sie sich die
Informationen hierzu bereits verschafft habe oder verschaffen könne, etwa durch Akteneinsicht.
Beweiserleichterungen seien nicht anzuerkennen.
33 Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
34 Das Gericht hat die Akten aus dem Strafverfahren gegen den Beklagten beigezogen (Amtsgericht E., 3 Cs 156
Js 47931/03). Es hat, nachdem das Urteil des BGH vom 18.12.2007, VI ZR 231/06, NZI 2008, 242,
veröffentlicht worden war, den Parteien mit Verfügung vom 06.03.2008 rechtliche Hinweise erteilt und ihnen
Gelegenheit zur Stellungnahme und zu weiterem Vortrag gegeben.
Entscheidungsgründe
35 Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf
Schadenersatz in Höhe von 31.090,16 EUR.
36
I. Insolvenzverschleppungshaftung
37
(§ 823 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG)
38 Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten wegen nicht rechtzeitiger Insolvenzantragstellung aus § 823
Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG scheidet bereits deshalb aus, weil die Klägerin nicht in den
Schutzbereich des § 64 Abs. 1 GmbHG, also der Insolvenzantragspflicht, mit einbezogen ist.
39 1. Die Klägerin erlangte im Zuge der Insolvenzverfahrenseröffnung über das Vermögen der K.-GmbH eine
Gläubigerstellung zur K.-GmbH. Denn auf sie gingen mit Insolvenzgeldantragstellung die jeweiligen
Lohnansprüche der Arbeitnehmer gemäß § 187 SGB III über.
40 2. Dass der Beklagte - jedenfalls ab Juni 2002 nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit - verabsäumte, rechtzeitig
Insolvenzantrag zu stellen und damit - bedingt vorsätzlich - gegen § 64 Abs. 1 GmbHG verstieß, ist zwischen
den Parteien unstreitig. Der Beklagte ist danach grundsätzlich Ansprüchen nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64
Abs. 1 GmbHG ausgesetzt.
41 3. Die Insolvenzantragspflicht schützt indes ausschließlich diejenigen Gläubiger, die ihre Forderung bereits vor
Insolvenzeröffnung erworben haben (BGH NJW 1989, 3277, 3277; OLG Saarbrücken, NZG 2007, 105, 105;
OLG Frankfurt, NZG 1999, 947, 947). Die Verpflichtung des Geschäftsführers, rechtzeitig bei Überschuldung
oder Zahlungsunfähigkeit für die Einleitung des Insolvenzverfahrens zu sorgen, will sonach zum einen die sog.
Altgläubiger - also diejenigen Gläubiger, deren Forderung gegen die Gesellschaft bereits vor Eintritt der
Insolvenzreife begründet wurde - davor bewahren, dass deren zu erwartende Insolvenzquote durch die
Insolvenzverfahrensverschleppung weiter geschmälert wird. Zum anderen bezieht sich § 64 Abs. 1 GmbHG auf
die sog. Neugläubiger der Gesellschaft - also diejenigen Gläubiger der Gesellschaft, deren Forderung erst nach
Eintritt der Insolvenzreife und damit während der Phase der Insolvenzverschleppung begründet wurde - und
schützt diese davor, überhaupt mit der insolvenzreifen Gesellschaft in Kontakt zu treten, weil es insoweit
Zweck der Insolvenzantragspflicht ist, insolvenzreife Gesellschaften vom Rechtsverkehr fern zu halten (st.
Rspr. seit BGHZ 126, 181, 194). Neugläubiger können demzufolge bei einem Verstoß des Geschäftsführers
gegen § 64 Abs. 1 GmbHG von diesem Schadenersatz in Form des negativen Interesses beanspruchen.
42 Wer aber, wie die Klägerin, in dem Zeitraum, in dem die Insolvenzantragspflicht zu erfüllen ist, noch gar nicht
Gläubigerin der Gesellschaft war, kann sich auf den Schutzzweck des § 64 Abs. 1 GmbHG auch nicht berufen.
Denn dessen Tatbestandsverwirklichung endet mit Stellung des Insolvenzantrages.
43
II. Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung
44
(§ 826 BGB)
45 Ein Anspruch der Klägerin auf Schadenersatz besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt der sittenwidrigen
vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB). Die Anspruchsvoraussetzungen liegen nicht vor.
46 1. Eine Haftung des Beklagten aus § 826 BGB wegen der stattgefundenen Insolvenzverschleppung ist zwar
grundsätzlich denkbar.
47 So hat der Bundesgerichtshof erst jüngst wiederholt entschieden, dass neben der eigentlichen
Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers einer GmbH gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64
Abs. 1 GmbHG eine Haftung nach allgemeinen Grundsätzen möglich bleibt (BGH, Urteil vom 18.12.2007, VI
ZR 231/06, NZI 2008, 242, 243 - Rz. 14). Unter Bezugnahme und Wiederholung einer Entscheidung des II.
Senates (NJW 1989, 3277) stellt der VI. Senat in dieser Entscheidung fest, dass der Tatbestand der
sittenwidrigen Schädigung erfüllt sein kann, wenn der Geschäftsführer die Schädigung von Gläubigern billigend
in Kauf nimmt. Ein Schädigungsvorsatz sei dabei mit Regelmäßigkeit schon dann zu bejahen, wenn der
Geschäftsführer „den als unabwendbar erkannten Todeskampf“ seiner Gesellschaft so lange als möglich
hinausschiebt. Zu wessen Nachteil sich der Schaden später auswirke, sei insoweit nicht relevant. Gegen eine
bestimmte Person müsse sich dieser Vorsatz nicht richten (BGH NZI 2008, 242, 243 - Rz. 15 f.; ebenso BGH
NJW 1989, 3277, 3279; OLG Frankfurt, NZG 1999, 947 948; OLG Stuttgart, ZInsO 2004, 1150, 1152). Die
Sittenwidrigkeit der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung auch gegenüber der Bundesanstalt für Arbeit
resultiert nach dieser Rechtsprechung bereits allein daraus, dass das durch die Unterlassung der gebotenen
Insolvenzantragstellung herbeigeführte und in Kauf genommene Unvermögen der Gesellschaft, die
Arbeitnehmer zu entlohnen, unmittelbar die Verpflichtung zur Zahlung des Insolvenzgeldes als gesetzliche
Folge auslöst, ohne dass seitens der zunächst geschädigten Arbeitnehmer an eigenem Handeln mehr
erforderlich ist als die Stellung eines Antrags (BGH NZI 2008, 242, 243 - Rz. 15 m.w.N.).
48 2. Das erkennende Gericht vermag diesen Grundsätzen nicht zu folgen, soweit diese dazu führen, ohne
weiteres aus dem Vorliegen einer bedingt vorsätzlichen Insolvenzverschleppung eine sittenwidrige Schädigung
der Bundesagentur für Arbeit im Hinblick auf die von ihr geleisteten Insolvenzgeldzahlungen abzuleiten. Für die
Annahme, das Verhalten des Beklagten unterfalle § 826 BGB, fehlt es im vorliegenden Fall jedenfalls an einem
inneren Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung, also dem Unterlassen der Insolvenzantragstellung, auf
die sich ein mögliches Sittenwidrigkeitsurteil stützen könnte, und dem möglichen Schaden der Klägerin.
49 a. Es ist bereits zweifelhaft, ob die Tatsache der bedingt vorsätzlichen Insolvenzverschleppung durch den
Beklagten allein bereits das Sittenwidrigkeitsurteil rechtfertigt.
50
aa. Der Begriff der Sittenwidrigkeit in § 826 BGB orientiert sich wie bei § 138 BGB am Verhalten des
Schädigers, das sich nach seinem Gesamtcharakter unter Berücksichtigung von Inhalt, Beweggrund
und Zweck der Handlung als mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht
vereinbar zeigen muss. Dass ein Verhalten gegen Vertrag oder Gesetz verstößt, genügt dabei für sich
ebenso wenig wie die Tatsache, dass ein Schaden entstanden ist. Ohne eine besondere
Verwerflichkeit des Verhaltens ist auch aus der Verfolgung eigener Interessen allein nicht auf die
Sittenwidrigkeit zu schließen ( Sprau , in: Palandt, BGB, 67. Aufl. 2008, § 826 Rn. 4 m.w.N.).
51
bb. Die eigentliche Bedeutung des § 826 BGB im Hinblick auf die Sanktionierung der
Insolvenzverschleppung liegt darin, jenseits der Spezialvorschriften des Gesellschaftsrechts
gesellschaftsexterne Entscheidungsträger zu veranlassen, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen
( Wagner in: MüKo BGB, 4. Aufl. 2004, § 826 Rn. 76). Gemeint sind etwa die Fälle des sittenwidrig
eigennützigen Sanierungskredites oder aber die Fälle, in denen die Insolvenzverschleppung dazu dient,
Auszahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen durch Zeitablauf insolvenzanfechtungsfest zu machen
(vgl. bereits RGZ 136, 246, 253). Entscheidend sind insoweit für den Vorwurf der Sittenwidrigkeit die
Umstände und Absichten, die hinter der (weiteren) Finanzierung oder Unternehmensfortführung stehen.
52
cc. Für die Haftung des Geschäftführers bei Unterlassen der gebotenen Insolvenzantragstellung ist
primär auf die Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG abzustellen. Obschon § 826
BGB neben diesem Haftungssystem kumulativ Anwendung findet, ist zu sehen, dass er über das in
den Spezialvorschriften normierte Niveau nicht hinausgeht. Insoweit ist zu konstatieren, dass § 826
BGB für die Haftung des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung kaum Bedeutung hat.
Jedenfalls kann der Verstoß gegen § 64 Abs. 1 GmbHG für sich noch nicht die Sittenwidrigkeit
begründen, da ansonsten § 823 Abs. 2 BGB neben § 826 BGB keine Bedeutung zukäme. Dies
impliziert indes gleichzeitig, dass auch das bloße Erkennen einer Gläubigergefährdung, also gerade die
Tatsache, dass der Geschäftsführer möglicherweise sieht, dass sich seine Handlung zum Nachteil
anderer auswirken kann, noch nicht hinreicht, um eine Sittenwidrigkeit zu bejahen (a.A. BGH NZI 2008,
242, 243 - Rz. 15). Denn mit der - jedenfalls bedingt vorsätzlichen - Insolvenzverschleppung geht
notwendigerweise eine solche in Kauf genommene Möglichkeit einher. Es müssten daher zu Bejahung
der Sittenwidrigkeit weitere, zusätzliche Umstände, wie etwa eine gezielte Schädigung einzelner
Gläubiger oder sonstige eigensüchtige Motive hinzu kommen (vgl. Nehrlich , in: Michalski, GmbH-
Kommentar 2002, § 64 Rn. 85).
53
Solche besonderen Umstände hat die Klägerin aber nicht vorgetragen. Im Gegenteil hat der Beklagte -
auch wenn keine begründete Aussicht auf eine Sanierung bestanden hat und sich deswegen am
Vorliegen der bedingt vorsätzlichen Insolvenzverschleppung nichts ändert - in der irrationalen, aber
subjektiv gut gemeinten Intention gehandelt, „sein“ Unternehmen zu retten, was auch das Strafgericht
bei der Verurteilung des Beklagten strafmildernd berücksichtigt hat.
54
Das erkennende Gericht übersieht dabei nicht die generelle Notwendigkeit einer effektiven
Insolvenzverschleppungshaftung des Geschäftsführers, um die Bedeutung der Terminierungspflichten
bei Vorliegen der Insolvenzgründe nach §§ 17, 19 InsO zu unterstreichen. Denn die dem
Geschäftsführer drohende Haftung kann und muss die Gesellschaftsorgane zu steter Selbstprüfung
veranlassen, so dass diese der finanziellen Entwicklung der Gesellschaft eine erhöhte
Aufmerksamkeit schenken. Insoweit mahnt § 64 Abs. 1 GmbHG ebenso wie § 49 Abs. 3 GmbHG
dazu, Vorkehrungen zu treffen, um auf Krisenwarnsignale rechtzeitig und angemessen zu reagieren.
Der Vorschrift kommt insoweit auch eine nicht zu unterschätzende präventive Wirkung zu. Während es
aber für die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG
genügt, schuldhaft den gebotenen Insolvenzantrag zu unterlassen, muss zur Begründung einer
Haftung nach § 826 BGB die Fortführung des Unternehmens über den Zeitpunkt der Insolvenzreife
hinaus zusätzlich sich auch als sittenwidrig darstellen. Die Sittenwidrigkeit kann sonach nicht - wie es
die bisherige Rechtsprechung in der vorliegenden Fallkonstellation getan hat - eo ispo aus der
vorsätzlichen Insolvenzverschleppung gefolgert werden.
55 b. Die Frage, ob das Verhalten des Beklagten als sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB zu bezeichnen ist, kann
indes offen bleiben. Denn es fehlt für die Bejahung dieser Anspruchsnorm vorliegend schon am notwendigen
Schutzzweckzusammenhang zwischen möglicherweise sittenwidrigem Verhalten des Beklagten und einer
möglichen Schädigung der Klägerin.
56
aa. Die durch den Beklagten begangene Insolvenzverschleppung kann nicht als Grundlage für ein
Sittenwidrigkeitsurteil auch gegenüber der Klägerin dienen, wenn auf der anderen Seite - wie oben
ausgeführt - die Klägerin in den Schutzbereich der Insolvenzantragspflicht nicht mit einbezogen ist.
57
(1) Der Schutzbereich des § 826 BGB ist in Bezug auf mittelbar Geschädigte, wie es hier die
Klägerin ist, dahingehend einzugrenzen, dass sich die Handlung gerade auch in Bezug auf den
Geschädigten als sittenwidrig darstellen muss (eingehend Oechsler in: Staudinger, BGB-
Kommentar, Neubearbeitung 2003, § 826 Rn. 103). Mittelbar Geschädigte sind sonach nur dann
ersatzberechtigt, wenn sie ihren Schaden nicht nur als Reflex des dem unmittelbar Verletzten
entstandenen Schadens erlitten haben, sondern wenn im Verhältnis zwischen dem Schädiger und
ihnen die Vermögensverletzung ebenfalls sittenwidrig ist (BGH NJW 1979, 1599, 1600). Nicht nur,
aber auch für die Frage der Sittenwidrigkeit der Insolvenzverschleppung ist deswegen zu fordern,
dass sich das Sittenwidrigkeitsurteil auf eine Pflichtverletzung stützt, die einen hinreichend engen
Zusammenhang mit dem geltend gemachten Schaden aufweist, wobei eine nur mehr oder weniger
zufällige Verbindung nicht hinreicht (BGH NJW 1986, 837, 839; BGH NJW 2005, 3137, 3141).
58
(2) Die geltend gemachte Schädigung der Bundesagentur für Arbeit ergibt sich nicht unmittelbar
aus der Insolvenzverschleppung. Vielmehr ist es so - was nunmehr auch der BGH betont (NZI
2008, 242, 244 - Rz. 23) -, dass die Einstandspflicht der Bundesagentur für Arbeit allein aus dem
Gesetz resultiert und zur Voraussetzung lediglich das Insolvenzereignis i.S.d. § 183 Abs. 1 Satz 1
SGB III sowie einen Insolvenzgeldantrag hat. Die Tatsache einer Insolvenzverschleppung spielt
daher für die Einstandspflicht der Bundesagentur an sich keine Rolle.
59
Gerade weil sie in dieser Weise gesetzlich zur Insolvenzgeldzahlung verpflichtet ist, würde sich
angesichts der allenfalls mittelbaren Betroffenheit durch die Insolvenzverschleppung eine
Einbeziehung der Klägerin in den Schutzbereich des § 826 BGB nur dann rechtfertigen, wenn die
Bundesagentur auch in den Schutzbereich der Insolvenzantragspflicht fallen würde, auf deren
Verletzung allein das Sittenwidrigkeitsurteil beruhen kann. Gerade dies ist aber - wie oben unter I.
ausgeführt - nicht der Fall. Dann aber ist es auch nicht nachvollziehbar, einerseits den
Schutzzweckcharakter einer Norm (§ 64 Abs. 1 GmbHG) in Bezug auf einen bestimmten
Geschädigten zu verneinen, andererseits aber eben diesem Geschädigten einen Anspruch aus §
826 BGB zuzubilligen, bei dem die Sittenwidrigkeit allein auf dem Verstoß gegen § 64 Abs. 1
GmbHG fußt.
60
bb. Die Annahme einer Haftung des Beklagten gegenüber der Klägerin auf Grundlage des § 826 BGB
störte zudem das Gefüge der Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 i.V.m. § 64 Abs. 1
GmbHG, wie es nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung - insbesondere in einer
Unterteilung zwischen Alt- und Neugläubigern - besteht. Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit
denjenigen Ansprüchen, die die Arbeitnehmer der insolvenzreifen Gesellschaft gegenüber dem
insolvenzverschleppenden Beklagten als Geschäftsführer der K.-GmbH (gehabt) hätten, falls sie einen
Insolvenzgeldantrag nicht gestellt hätten oder soweit es ausgefallene Lohnansprüche außerhalb des
Insolvenzgeldzeitraums betrifft.
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(1) Da die Arbeitnehmer insoweit grundsätzlich als Neugläubiger anzusehen sind, weil und soweit
sie ihre Forderung nach dem Zeitpunkt erwerben, zu dem der Insolvenzantrag hätte gestellt werden
müssen, würde ihnen dem Grunde nach ein Anspruch gegen den Beklagten nach § 823 Abs. 2
i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG zustehen (vgl. LAG Hessen, NZA-RR 2001, 2001, 154, 155 - Haas ,
DStR 2003, 423, 428). Geschützt ist insoweit allerdings lediglich das negative Interesse der
Neugläubiger (st. Rspr. seit BGHZ 126, 181, 194; vgl. auch BGH NJW 1999, 2182, 2183; BGH
NJW 2005, 3137, 3140; BGH NZG 2007, 347, 349; dazu bereits oben I.).
62
Die Arbeitnehmer wären also so zu stellen, als ob sie nicht in eine vertragliche Bindung mit der
insolvenzreifen Gesellschaft gekommen oder nicht in dieser Bindung geblieben wären. Die
Entstehung eines wertlosen Lohnanspruchs allein ist aber noch kein ersatzfähiger Schaden - und
insoweit würde der Arbeitnehmer schließlich auch das positive Interesse verlangen, das durch § 64
Abs. 1 GmbHG gerade nicht geschützt ist (zutr. Haas , DStR 2003, 423, 428). Dass der dem
Arbeitnehmer nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 64 Abs. 1 GmbHG zu ersetzende
Vertrauensschaden in gleicher Höhe besteht wie der ausgefallene Vergütungsanspruch, würde nur
dann gelten, wenn der Arbeitnehmer nachweisen könnte, dass er nicht nur bei Kenntnis der
Insolvenzreife die Arbeitsleistung eingestellt und das Arbeitsverhältnis gekündigt hätte, sondern
dass er darüber hinaus für den gleichen Zeitraum, in dem er mit seinem Anspruch auf
Arbeitsentgelt ausgefallen ist, ein anderes Arbeitsverhältnis begründet und in demselben Umfang
einen Lohnanspruch erworben hätte (zutr. LAG Köln NZA-RR 2007, 146, 147; LAG Hessen NZA-
RR 2001, 154, 155). Weil eine dahingehende Vermutung nicht besteht, wird es im Regelfall dem
Arbeitnehmer schwer fallen, auf Grundlage der Insolvenzverschleppungshaftung des
Geschäftsführers Schadenersatz in Höhe seines entgangenen Lohnes zu verlangen.
63
Weil wie vorerwähnt § 826 BGB über das spezialgesetzlich normierte Niveau der §§ 823 Abs. 2
BGB i.V.m. 64 Abs. 1 GmbHG grundsätzlich nicht hinaus geht, wird der Arbeitnehmer auch unter
dem Gesichtspunkt einer sittenwidrigen Schädigung regelmäßig seinen entgangenen Lohn nicht
einklagen können ( Wagner in: MüKo BGB, 4. Aufl. 2004, § 826 Rn. 75).
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(2) Dieses Ergebnis macht deutlich, dass dann auch unter diesem Gesichtspunkt ein Anspruch der
Klägerin auf Ersatz des von ihr gezahlten Insolvenzgeldes nach § 826 BGB nicht überzeugt.
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Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers gegen die insolvente Gesellschaft geht mit Stellung
des Insolvenzgeldantrages auf die Bundesagentur nach § 187 SGB III über, weswegen die
Bundesagentur quasi in die Stellung des Arbeitnehmers einrückt. Auch wenn das Gesetz keine
cesio legis im Hinblick auf mögliche Schadenersatzansprüche des Arbeitnehmers gegen den
Geschäftsführer der Gesellschaft kennt, wäre immerhin denkbar, dass die Beklagte infolge der
Zahlung von Insolvenzgeld gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch aus § 255 BGB auf Abtretung
dessen (auf Ersatz des negativen Interesses gerichteter) Schadensersatzansprüche gegen den
Geschäftsführer hat. Nicht hingegen ist es überzeugend, die Bundesagentur unter vorschneller
Bejahung der Anspruchsvoraussetzungen des § 826 BGB besser zu stellen, als der Arbeitnehmer
stünde, wenn er den Geschäftsführer in Anspruch nähme, also der Bundesagentur den Ersatz des
gezahlten Insolvenzgeldes und damit schadensrechtlich gesehen das positive Interesse
zuzubilligen.
66 3. Es kann somit dahingestellt bleiben, ob die Klägerin ihren Schaden hinreichend substantiiert dargelegt und
unter Beweis gestellt hat. Insoweit bleibt lediglich anzumerken, dass der Einwand des Beklagten, dass auch
bei rechtzeitiger Insolvenzantragstellung die Klägerin hätte Insolvenzgeld zahlen müssen, sich als ein
rechtserhebliches Bestreiten des Schadens darstellt (dazu BGH NZI 2008, 242, 244 - Rz. 20). Weil die
Verpflichtung zur Zahlung von Insolvenzgeld als gesetzliche Einstandspflicht nach § 183 SGB III unabhängig
davon besteht, ob die Insolvenzantragstellung rechtzeitig im Sinne von § 64 Abs. 1 GmbHG erfolgt oder nicht,
obliegt es der Bundesagentur darzulegen und ggf. zu beweisen, dass ihre im Einzelnen sich nach § 183 SGB
III bestimmende Zahlungspflicht gerade durch die Insolvenzverschleppung initiiert wurde und nicht etwa ganz
unabhängig vom Zeitpunkt der Insolvenzantragstellung eingetreten wäre.
67 Der Vortrag der Klägerin, es handle sich bei dem Einwand des Beklagten nicht um ein substantiiertes
Bestreiten, vermag kaum zu überzeugen, da nach dem eben Gesagten zunächst einmal die Klägerin
darlegungspflichtig ist. Der übrige Vortrag der Klägerin zur Frage des Schadens, der sich im wesentlichen in
der Feststellung erschöpft, dass die Beklagte zum maßgeblichen konkreten Zeitpunkt, in dem ein
Insolvenzantrag hätte gestellt werden müssen, tatsächlich eben kein Insolvenzgeld gezahlt habe, vermag
insoweit kaum auszureichen. Denn die Klägerin übersieht bei diesem pauschalen Vortrag, dass ihre
Zahlungspflicht gesetzlich allein an das Vorliegen eines Insolvenzereignisses i.S.d. § 183 SGB III geknüpft ist.
Sie müsste damit - ähnlich wie bei der Berechnung eines Altgläubigerschadens - fiktiv das Szenario bei
rechtzeitiger Antragstellung darlegen und konkrete Anhaltspunkte dafür vortragen, warum sie trotz des auch
dann vorliegenden Insolvenzereignisses nicht in Anspruch genommen worden wäre.
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III. Kosten und vorläufige Vollstreckbarkeit
69 Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §
709 S. 2 ZPO.