Urteil des LG Stuttgart vom 22.07.2002

LG Stuttgart: ex tunc, rechtswahl, anfechtung, unrichtigkeit, namensänderung, heirat, namensrecht, persönlichkeitsrecht, eigenschaft, erklärungsirrtum

LG Stuttgart Beschluß vom 22.7.2002, 10 T 143/02
(Berichtigung eines Personenstandseintrags: Anfechtung der Rechtswahl bezüglich des Ehenamens; Wegfall des philippinischen
Mittelnamens infolge Eheschließung
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsteller hin wird der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 22.02.2002 (F 3 GR 439/01) abgeändert.
Im Heiratsbuch Nr. ist folgender Randvermerk beizuschreiben:
"Die Erklärung vom 10. November 1995 über die Namensführung der Ehegatten ist unwirksam. Mit Wirkung vom 10. November 1995 richtet sich die
Namensführung des Ehemannes nach deutschem Recht. Er führt den Ehenamen "N.". Mit Wirkung vom 10. November 1995 richtet sich die
Namensführung der Ehefrau nach philippinischem Recht. Sie führt den Vornamen "I." und den Ehenamen "N.". Sie führt keinen Mittelnamen."
Im Familienbuch N./K. ist folgender Randvermerk beizuschreiben:
"Der Vermerk vom 10. November 1995 über die Namensführung der Ehegatten ist unwirksam. Mit Wirkung vom 10. November 1995 richtet sich die
Namensführung des Ehemannes nach deutschem Recht. Er führt den Ehenamen "N.". Mit Wirkung vom 10. November 1995 richtet sich die
Namensführung der Ehefrau nach philippinischem Recht. Sie führt den Vornamen "I." und den Ehenamen "N.". Sie führt keinen Mittelnamen."
2. Gerichtskosten werden in beiden Instanzen nicht erhoben. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: 3.000,00 EUR.
Gründe
I.
1
Am 11.09.1995 erklärten die Antragsteller vor der Standesbeamtin im Aufgebot Nr. des Heiratsbuches Nr., dass sie ihren Ehenamen nach
deutschem Recht führen wollen und den Namen "N." zu ihrem Ehenamen bestimmen. Sie wurden zuvor von der Standesbeamtin dahingehend
aufgeklärt, dass der philippinische Mittelname der Antragstellerin Ziff. 1 nach deutschem Recht im Zeitpunkt der Eheschließung wegfalle, weil das
deutsche Namensrecht keinen "Mittelnamen" kenne. Beim Mittelnamen nach philippinischem Recht handelt es sich um den Geburtsnamen der
Mutter, den die Tochter bis zu ihrer Eheschließung trägt und der nach philippinischem Recht automatisch mit der Eheschließung wegfällt. Nach
Art. 370 des philippinischen Namensgesetzes hat eine verheiratete Frau u.a. die Möglichkeit, ihren Vornamen und den Nachnamen ihres
Ehemannes zu führen.
2
Für die Antragstellerin Ziff. 1 war dieses Wegfallen des Mittelnamens sehr wichtig und wurde von ihr im Vorfeld der Beratung ausdrücklich
gewünscht. Die Standesbeamtin, die regelmäßig die angebotenen Fortbildungsveranstaltungen besuchte und die erstmals einen Fall mit
philippinischem Recht bearbeitete, holte sich bezüglich des gewünschten Wegfalls des Mittelnamens rechtlichen Rat bei anderen
Standesämtern ein. Die Beratung der Standesbeamtin war jedoch unzutreffend, weil auch der philippinische Mittelname im Zeitpunkt des
Geltungseintritts des deutschen Rechts als Namensbestandteil erhalten bleibt und dann nicht im Zuge der Heirat wegfällt, obwohl das deutsche
Namensrecht den Mittelnamen nicht kennt (vgl. Stellungnahme des Fachausschusses Nr. 3166 in StAZ 1990, 233).
3
Die Antragsteller schlossen am ... vor dem Standesamt die Ehe. Gleichzeitig erklärten sie, dass sie deutsches Recht für die Namensführung in
der Ehe wählen. Weiterhin bestimmten sie den Namen des Antragstellers Ziff. 2 zum Familiennamen. Der Name der Antragstellerin Ziff. 1 war vor
der Eheschließung I. G. K., wobei I. der Vorname, G. der Mittelname und K. der Familienname war. Die Antragstellerin Ziff. 1 war bis zu ihrer
Einbürgerung durch Beschluss vom ... in die Bundesrepublik Deutschland philippinische Staatsangehörige.
4
Die Antragsteller beantragten am 19.09.2001 die gerichtliche Berichtigung des Personenstandeintrages über die Namensführung in Spalte 10
des Familienbuchs gemäß § 47 PStG dahingehend, dass sich die Namensführung der Antragstellerin Ziff. 1 von Anfang an nach philippinischem
Recht richtet. Mit Schreiben vom 19.11.2001 hat die Beteiligte Ziff. 3 den Antrag dem Amtsgericht Stuttgart vorgelegt und ihre Zustimmung zum
Antrag erklärt.
5
Das Amtsgericht Stuttgart hat mit Beschluss vom 22.02.2002 den Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen. Gegen den formlos übersandten
Beschluss haben die Antragsteller mit Schreiben vom 09.04.2002 Beschwerde eingelegt und mit Schreiben vom 30.04.2002 begründet. Dabei
machen sie u.a. die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin Ziff. 1 geltend, wenn sie - infolge einer Falschberatung durch die
zuständige Behörde - gezwungen würde, den Geburtsnamen ihrer Mutter als zweiten Vornamen führen zu müssen. Auch die Beteiligte Ziff. 3
sieht das Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin in ihrer Stellungnahme vom 23.05.2002 verletzt, wenn sie an einer Namensführung
festgehalten werde, die durch fehlerhafte Beratung erfolgt sei.
6
Vor Einleitung des Berichtigungsverfahrens in dieser Sache haben die drei Kinder der Antragsteller, vertreten durch diese, die entsprechende
Berichtigung ihrer Geburtseinträge beantragt. Diese Anträge wurden mit Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart vom 23.03.2001 (F 5 GR 381/00)
und mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 20.08.2001 (10 T 165/01) jeweils zurückgewiesen. Der Antragsteller Ziff. 2 ist einem weiteren
Kind gegenüber unterhaltspflichtig.
7
Die Akte 10 T 165/01 ist beigezogen worden. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt und insbesondere die genannten
Schriftstücke und Beschlüsse verwiesen.
II.
8
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
9
Sowohl in der Heiratsurkunde als auch im Familienbuch ist antragsgemäß durch entsprechende Randvermerke festzuhalten, dass die Erklärung
der Antragsteller vom 10.11.1995 bezüglich der Namensführung unwirksam ist und stattdessen für den Namen der Antragstellerin Ziff. 1
philippinisches Recht gilt, weil die Personenstandsbücher gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1 PStG im Zeitpunkt der Eintragung unrichtig waren. Die
Antragsteller können diese Erklärung aufgrund ihres Irrtums bei Abgabe der Erklärung hinsichtlich der Rechtswahl und der damit verbundenen
Folgen mit ex tunc Wirkung anfechten und für den Namen der Antragstellerin Ziff. 1 die Anwendung des philippinischen Rechts wählen.
1.
10 Der Antrag der Antragsteller auf Berichtigung des Familienbuches ist dahingehend auszulegen, dass gleichzeitig eine Berichtigung des
Heiratseintrags erfolgen soll, weil die Antragsteller vor allem die Rechtswahl der Antragstellerin nach philippinischen Recht und den damit
verbundenen Wegfall des Mittelnamens infolge der Heirat erreichen wollen. Das Familienbuch kann jedoch nur bei gleichzeitiger Berichtigung
des Heiratsbuches geändert werden, weil es nach § 15 b Abs. 1 Satz 1 PStG auf diesem aufbaut (vgl. BayObLG NJW 1993, 337f).
2.
11 Hier liegen nach Auffassung der Kammer die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 47 Abs. 1 Satz 1 PStG vor. Die Antragsteller können
sich von ihrer Erklärung vom 10.11.1995 bezüglich der Wahl des anzuwendenden Rechts für die Namensführung und der damit verbundenen
Folgen für den Mittelnamen der Antragstellerin Ziff. 1 wegen eines Irrtums aufgrund der falschen Belehrung durch die Standesbeamtin
ausnahmsweise durch Anfechtung analog § 119 Abs. 2 BGB mit ex tunc Wirkung lösen und die Anwendung von philippinischem Recht für die
Antragstellerin Ziff. 1 wählen. Der notwendige Schutz des mit verfassungsrechtlichem Rang ausgestatteten Persönlichkeitsrechts der
Antragstellerin Ziff. 1 hat hier zu Folge, dass die Wahl des deutschen (Namens-)Rechts wie eine verkehrswesentliche Eigenschaft im Sinne von §
119 Abs. 2 BGB zu behandeln ist.
12 Die Berichtigung ist die nachträgliche Änderung des Wortlauts des abgeschlossenen gültigen Eintrags im Personenstandsbuch durch
Richtigstellung einer von Anfang an bestehenden Unrichtigkeit (Johanson/Sachse, "Anweisungs- und Bestimmungsverfahren in
Personenstandssachen" Rz. 523). Voraussetzung für die Berichtigung ist danach eine anfängliche Unrichtigkeit eines Eintrags; das heißt, bereits
im Zeitpunkt der Vornahme der Eintragung muss diese unrichtig gewesen sein (Johanson/Sachse, Rn. 202).
13 Voraussetzung für eine Rechtswahl durch beide Ehegatten nach Art. 10 Abs. 2 EGBGB ist, dass die Ehegatten die Wahl gemeinsam treffen und
dass sie diese Erklärung gegenüber dem Standesbeamten abgeben (Palandt, Art. 10 EGBGB, Rz. 14).
14 Im vorliegenden Fall haben die Antragsteller bei der Eheschließung Erklärungen bezüglich der Wahl des Familiennamens nach deutschem
Recht abgegeben. Dabei wurden die Antragsteller über ihre Möglichkeiten nach Art. 10 Abs. 2 EGBGB - wenn auch unzutreffend - aufgeklärt. Sie
haben die Wahl bezüglich des deutschen Rechts getroffen. Dabei gingen sie davon aus, dass der Mittelname der Antragstellerin Ziff. 1 infolge
der Wahl des deutschen Rechts wegfällt.
15 Nach herrschender Meinung unterliegen die Erklärungen über die Namenswahl nicht der Anfechtung wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung
(OLG Stuttgart, die Justiz 1987, 28, BayObLG a.a.O. m.w.N.). Denn bei der Wahl des Familiennamens - und wohl auch bei der hier
entscheidenden Wahl des anzuwendenden Rechts - soll es sich um verfahrensrechtliche Erklärungen handeln, die in einem Verfahren der
freiwilligen Gerichtsbarkeit abgegeben werden und nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 46 a ff. PStG berichtigt werden können. Die
gegenüber dem Standesbeamten abgegebenen Erklärungen zur Namenswahl seien damit mit Prozesshandlungen vergleichbar, welche nach
allgemeiner Meinung grundsätzlich nicht nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts angefochten werden könnten. Ausnahmen seien nur bei
krassen Verfahrensverstößen und ganz offensichtlichen Irrtümern möglich (BayObLG a.A. O. m.w.N.).
16 Demgegenüber haben die Antragsteller nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Fall auf der Basis einer verfassungskonformen
Auslegung des Anfechtungsrechts entsprechend § 119 Abs. 2 BGB das Recht, sich durch Anfechtung mit ex tunc-Wirkung wegen eines Irrtums
von der Erklärung hinsichtlich der Rechtswahl zu lösen und eine erneute Rechtswahl, die zum gleichen gemeinsamen Ehe- und Familiennamen
führt, aber den Zwischennamen entfallen lässt, zu treffen. Insoweit kann dahinstehen bleiben, ob es sich bei dem Irrtum der Antragsteller um
einen ganz offensichtlichen Irrtum, der auch nach der herrschenden Auffassung zur Anfechtung berechtigen soll, handelt.
17 Nach § 119 Abs. 2 BGB gilt der Irrtum über solche Eigenschaften einer Person oder Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden,
auch als beachtlicher Erklärungsirrtum. Da insoweit Wille und Erklärung übereinstimmen, ist der Erklärungsirrtum ein ausnahmsweise
beachtlicher Motivirrtum (Heinrichs in Palandt § 119 Rz. 23).
18 Im vorliegenden Fall irrten die Antragsteller über den Wegfall des Mittelnamens durch die Anwendung von deutschem Recht. Insoweit leiteten sie
aus der Anwendung des deutschen Rechts eine aus ihrer subjektiven Sicht wesentliche Folge ab. Nach Auffassung der Kammer ist hier aber
auch aus objektiver Sicht auf der Basis der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise das für die
Namensführung anzuwendende Recht und die damit erwartungsgemäß verbundenen Rechtsfolgen wie eine wesentliche Eigenschaft im Sinne
von 119 Abs. 2 BGB zu behandeln, weil der Schutz des Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG der Antragstellerin Ziff. 1 eine
entsprechende weite Auslegung des Anfechtungsrechts für Motivirrtümer bei der Wahl des anzuwendenden Namensrechts gebietet.
19 Denn nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 11.04.2001 (StAZ 2001, 207 ff) ist durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht
nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG der Name eines Menschen geschützt, der Ausdruck der Identität sowie Individualität des Namensträgers
ist und sich als solcher nicht beliebig austauschen lässt. Er begleitet vielmehr die Lebensgeschichte seines Trägers, die unter dem Namen als
zusammenhängende erkennbar wird. Der Einzelne kann daher grundsätzlich verlangen, dass die Rechtsordnung seinen Namen respektiert und
schützt. Eine Namensänderung beeinträchtigt die Persönlichkeit und darf nicht ohne gewichtigen Grund gefordert werden. Dabei ist der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren.
20 Nach Auffassung der Kammer ist dieser Grundsatz nicht nur auf den - entschiedenen - Fall anwendbar, in dem ein entgegen den
Personenstandsbüchern tatsächlich geführter Name auch personenstandsrechtlich anzuerkennen ist, sondern hat auch Konsequenzen für die
Auslegung der Reichweite eines Anfechtungsrechts im vorliegenden Fall, in dem die Antragstellerin durch die fehlerhafte Aufklärung bei der
Rechtswahl an einem Mittelnamen, der nach ihrem vor der Heirat bekundeten Willen und nach ihrem Kulturkreis mit der Ehe entfallen sollte,
durch das deutsche Namensrecht "festgehalten" wird. Denn auch in diesem Fall kann die Antragstellerin Ziff. 1 verlangen, dass die - deutsche -
Rechtsordnung ihren Namen so, wie er sich nach ihrem Kulturkreis gestaltet und nach ihrem erklärten Willen auch gestalten soll, respektiert und
schützt. Daher ist hier eine Anfechtung der Rechtswahl analog § 119 Abs. 2 BGB mit ex tunc-Wirkung mit der Folge einer
Berichtigungsmöglichkeit wegen anfänglicher Unrichtigkeit nach § 47 Abs. 1 Satz 1 PStG zuzulassen. Dies ist auch verhältnismäßig, weil die
Möglichkeit der Namensänderung nach dem Namensänderungsgesetz als eventuell milderes Mittel ihrerseits wieder an bestimmte
Voraussetzungen gebunden ist, die unter Umständen nicht bei der Antragstellerin vorliegen. Ferner ist die Namensänderung mit erheblichen
Kosten verbunden, die einer fünfköpfigen Familie mit einem weiteren unterhaltsberechtigten Kind nicht ohne weiteres zumutbar sind. Schließlich
ist fraglich, ob die Falschberatung einen Staatshaftungsanspruch auslöst, weil die Standesbeamtin mit der gebotenen Sorgfalt vorgegangen ist.
21 Da Art. 370 des philippinischen Namensgesetzes die Wahl des bereits gewählten und gewünschten Ehenamens der Antragstellerin Ziff. 1
zulässt, muss der Ehename nicht neu gewählt werden. Vielmehr ist durch Randvermerk in der Heiratsurkunde und im Familienbuch lediglich die
Wahl des philippinischen Rechts für den Namen der Antragstellerin Ziff. 1 festzustellen und - klarstellend - festzuhalten, dass der jeweilige
Ehename nach wie vor "N." lautet und der Mittelname entfallen ist.
22 Die Kostenentscheidung beruht bezüglich der Gerichtskosten auf § 131 Abs. 2 KostO. Die außergerichtlichen Kosten trägt jede Partei selbst, § 13
a FGG i.V.m. § 48 Abs. 1 PStG.