Urteil des LG Siegen vom 09.03.2009

LG Siegen: treu und glauben, grundstück, anpflanzung, widerstand, erwerb, eigentümer, haus, duldungspflicht, kenntnisnahme, vollstreckbarkeit

Landgericht Siegen, 3 S 80/08
Datum:
09.03.2009
Gericht:
Landgericht Siegen
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 S 80/08
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Siegen
vom 21. Mai 2008 – 11 C 708/02 – wie folgt abgeändert und neu gefasst:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter
Instanz.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 2.000,00 € fest-
gesetzt.
G r ü n d e :
1
(gemäß §§ 540, 313 a Abs. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO)
2
Die zulässige Berufung der Beklagten ist auch in der Sache erfolgreich.
3
Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten weder ein Anspruch auf Entfernung der Äste
der an der Grundstücksgrenze stehenden Linden, soweit sie auf sein Grundstück ragen
(hierzu unter I.), noch auf Entfernung der Wurzeln der vorgenannten Linsen, soweit sie
sich auf dem Grundstück des Klägers befinden (hierzu unter II.) zu.
4
I.
5
Der Anspruch des Klägers auf Beseitigung des Überhanges ergibt sich zwar zunächst
aus §§ 1004 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 910 Abs. 1 und 2 BGB. Nach § 1004 Abs.
1 BGB hat ein Eigentümer grundsätzlich das Recht, bei einer Beeinträchtigung seines
Eigentumsrechts, die nicht in einer Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes besteht,
deren Beseitigung von dem Störer zu verlangen. Ein Überhang i.S.d. § 910 Abs. 1 S. 2
BGB ist auch gegeben. Der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige N kommt zu
6
dem Ergebnis, dass die Äste beider Linden bis zu 6,50 m in das Grundstück des Klägers
hineinragen.
Allerdings ist der Kläger mit seinem Abwehranspruch nach §§ 1004 Abs. 1 S. 1, Abs. 2
BGB, 910 Abs. 1 und 2 BGB ausgeschlossen, weil er nach § 1004 Abs. 2 BGB zur
Duldung verpflichtet ist. Dabei lässt sich die Duldungspflicht des Klägers – neben einer
fehlenden Beeinträchtigung nach § 910 Abs. 2 BGB - insbesondere aus Treu und
Glauben entnehmen.
7
Denn die Linden sind auf dem Grundstück der Beklagten gepflanzt worden, als das
Grundstück des Klägers unstreitig noch nicht bebaut war. Nach dem eigenen Vortrag
des Klägers sollen die Linden über 50 Jahre alt sein, d.h. bei der Annahme, dass diese
vor 1956 gepflanzt worden sind, wären sie zum Zeitpunkt des Grundstückserwerbs
durch den Kläger und seine verstorbene Ehefrau bereits mindestens 23 Jahre alt
gewesen. Der Kläger hat damit in Kenntnis der in unmittelbarer Nähe der
Grundstücksgrenze stehenden Bäume - der Abstand wird mit 0,80 m beziffert - das
Grundstück erworben und bebaut. Aus diesem Grund sind nach Ansicht der Kammer nur
besonders schwerwiegende Einwirkungen geeignet, die Annahme einer
Beeinträchtigung zu begründen. Allerdings ist bei der hier vorzunehmenden
Einzelfallentscheidung auf den Umstand abzustellen, dass der Kläger das Grundstück
in Kenntnis der angepflanzten Linden erworben hat. Es ist als allgemein bekannt zu
unterstellen, dass Linden nicht nur erhebliche Höhen, sondern auch Alter von bis zu
1000 Jahren erreichen können. Daneben ist allgemein bekannt, dass die Linde sowohl
ihr Laub, zum anderen aber auch im Frühjahr/Frühsommer Blüten abwirft, die klebrigen
Nektar enthalten. Dazu kommt im Spätsommer der Abwurf der Samen. In Kenntnis all
dieser Umstände hat der Kläger das Grundstück gekauft, mit seinem Haus bebaut und
seit 1979 benutzt. Wer jedoch in Kenntnis von der Existenz derartiger Bäume ein
Grundstück bebaut, muss mit nicht nur unerheblichen Beeinträchtigungen rechnen, die
sich aufgrund des Samen- und Harzbefalles bei Linden deutlich anders darstellen, als
bei anderen Laubbäumen.
8
In den Aspekt einer Duldungspflicht nach Treu und Glauben fließen dabei auch
Elemente einer Verwirkung ein. Denn nach dem eigenen Vorbringen des Klägers hat er
erstmals mit der Klageschrift gerügt, dass sein Grundstück durch den Laub- und
Samenabwurf beeinträchtigt sei. Der Eingang der Klageschrift erfolgte im Oktober 2002,
so dass seit dem Zeitpunkt des Grundstückserwerbs und –bebauung mehr als 20 Jahre
vergangen sind. Bereits allein aufgrund des Zeitablaufs und der zwischenzeitlichen
"Untätigkeit" des Klägers hinsichtlich des auch für diesen Zeitraum anzunehmenden
Laub- und Samenabwurfes kann der Kläger diesbezügliche Ansprüche nicht mehr
geltend machen. Denn die Beklagte durfte darauf vertrauen, dass der Kläger das
Grundstück nicht nur in Kenntnis der Anpflanzungen gekauft und bebaut hat, sondern
aufgrund des Umstandes, dass der Kläger mehr als 20 Jahre lang keinerlei Rügen
hinsichtlich des Laub- und Samenabwurfes an die Beklagte herangetragen hat, etwaige
Beeinträchtigungen entweder als ortsüblich anerkennt und hinnimmt oder nicht als
derart schwerwiegend einordnet, dass sie ein Beseitigungsverlangen stützen könnten.
Denn wenn über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren keinerlei Rügen bzw.
Beanstandungen und Aufforderungen zu Maßnahmen an die Beklagte herangetragen
worden sind, obwohl die Beeinträchtigungen schon ab dem Jahr 1979 vorgelegen
haben, konnte die Beklagte darauf vertrauen, dass auch in Zukunft keinerlei
Beseitigungs- bzw. Unterlassungsansprüche geltend gemacht werden.
9
Der Grundsatz von Treu und Glauben steht dabei dem Beseitigungsverlangen des
Klägers insgesamt entgegen. Dabei kann nicht darauf abgestellt werden, dass der
Kläger bereits mit der Klage – unsubstantiiert – vorträgt, er habe die Beklagte immer
wieder zu Baumschnittarbeiten aufgefordert. Denn solche Aufforderungen, wenngleich
sie mit Schriftsatz vom 6. Januar 2009 zeitlich eingeordnet worden sind, sind mit einer
Rüge über Beeinträchtigungen durch Laub- und Samenbefall nicht gleichzusetzen.
10
Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass sich aus der Entscheidung des
BGH in NJW 1997, 2234 ergebe, dass allenfalls nach § 254 BGB die Frage einer
Beteiligung an den Beseitigungskosten zu prüfen sei. Sicherlich kann dem Kläger nicht
vorgeworfen werden, dass er das Grundstück in Kenntnis der Linden bebaut hat.
Andererseits muss er sich dann aber auch gefallen lassen, dass ihm nicht – wie einem
Grundstückseigentümer, der erst durch später gepflanzte Bäume beeinträchtigt wird,
gegen die er sich ab Zeitpunkt der Anpflanzung hätte wehren können – die gleichen
Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche in vollem Umfang zustehen. Ansonsten
würde es zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn Eigentum in Kenntnis möglicher
zukünftiger bzw. sogar bereits eingetretener Beeinträchtigungen erworben wird, um
dann – hier sogar erst 20 Jahre nach Erwerb – gegen den Grundstücksnachbarn
vorzugehen und auf eine Beseitigung der beeinträchtigenden Bäume zu dringen. Da der
Kläger vorliegend Beseitigung der auf sein Grundstück hinüberwachsenden Äste
verlangt, nicht jedoch Kosten für die Wiederherstellung seines Gartens ist sein Anspruch
nach Ansicht der Kammer gerade nicht nur nach § 254 BGB gemindert – was bei einem
Beseitigungsverlangen im übrigen auch praktisch nicht durchführbar wäre – sondern
aufgrund der getroffenen Ausführungen grundsätzlich ausgeschlossen.
11
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass für den Baum und den
dahinter stehenden Anpflanzenden bzw. Eigentümer der bepflanzten Fläche die
landesrechtlichen Regelungen, insbesondere die Vorschrift des § 47
Nachbarschaftsgesetz NRW einen Vertrauenstatbestand bilden. Denn nach § 47
Nachbarschaftsgesetz ist der Anspruch auf Beseitigung von Anpflanzungen, die den
vorgegebenen Grenzabstand nicht einhalten, ausgeschlossen, wenn nicht binnen sechs
Jahren seit Anpflanzung Klage auf Beseitigung erhoben wird. Nach Absatz 2 ist – sofern
die Anpflanzung zum Zeitpunkt der Inkrafttreten des Nachbarschaftsgesetzes zum 1. Juli
1969 bereits seit mindestens fünf Jahren vorhanden war – noch innerhalb eines Jahres
nach Inkrafttreten Klage auf Beseitigung zu erheben. Der Gesetzgeber macht mit dieser
Regelung deutlich, dass bei dem Erwerb eines Grundstücks, auf dessen
Nachbargrundstück beeinträchtigende Anpflanzungen vorhanden sind bzw. die
Grenzabstände nicht eingehalten wurden, ein Anspruch ausgeschlossen ist, wenn die
Anpflanzungen älter als 6 Jahre sind – ohne dass es auf den Umfang etwaiger
Beeinträchtigungen ankommt. Es ist demnach gerade nicht auf den Zeitpunkt einer
ersten Kenntnisnahme von der Bepflanzung bzw. Beeinträchtigung abzustellen,
sondern auch unter Berücksichtigung der Aufrechterhaltung des Rechtsfriedens und der
Rechtssicherheit auf den Zeitpunkt der Anpflanzung. Demnach ist vorliegend noch
zusätzlich zu berücksichtigen, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erwerbs unter
nachbarrechtlichen Gesichtspunkten eine Beseitigung der Linden wegen eines
etwaigen zu geringen Grenzabstandes schon nicht hätte verlangen können. Dann aber
stehen die im Nachbarschaftsgesetz zum Ausdruck kommenden Vertrauens- und
Bestandsschutzgesichtspunkte dem Beseitigungsverlangen des Klägers, soweit er sich
auf Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche nach § 1004 BGB bezieht, noch
zusätzlich entgegen.
12
II.
13
Der Kläger kann von der Beklagten die Beseitigung von Wurzeln, die nach den
Feststellungen des Sachverständigen auf sein Grundstück hinüberwachsen, nicht
verlangen. Denn der Kläger wird durch die hinüberwachsenden Wurzeln nicht in der
Nutzung seines Grundstückes beeinträchtigt.
14
1) Zwar sind die Voraussetzungen des §§ 1004 Abs. 1 und 2, 910 Abs. 1 S. 1 BGB
gegeben. Nach den Feststellungen des Sachverständigen N in seinem Gutachten vom
19.12.2007 ist davon auszugehen, dass sich Wurzeln der auf dem Grundstück der
Beklagten aufstehenden Linden auf dem Grundstück des Klägers befinden.
15
Allerdings stellt allein dieser Umstand keine Beeinträchtigung i.S.d. § 910 Abs. 2 BGB
dar. Denn es ist weder erkennbar, noch vorgetragen, dass die wirtschaftliche Nutzung
des Grundstücks erschwert oder verhindert wird und die Beeinträchtigung auf die
eingedrungenen Wurzeln zurückzuführen ist.
16
Dass die Wurzeln dem Boden Nahrung und Feuchtigkeit entziehen, hat der Kläger –
unabhängig von der Frage, ob dies ausreichen würde (vgl. Säcker in Münchener
Kommentar zum BGB, 4. Aufl., 2004, § 910 Rn. 6) – bereits nicht vorgetragen. Er hat
sich vielmehr darauf beschränkt, das Blattdach der Lindenkronen hierfür verantwortlich
zu machen.
17
Durch die Wurzeln im Übrigen ist die Nutzung des klägerischen Grundstücks jedoch
weder erschwert, noch über ein zumutbares Maß hinaus beeinträchtigt. Dem Vortrag
des Klägers lassen sich diesbezüglich keine Anhaltspunkte entnehmen. Er stützt sein
Begehren auf Entfernung der Wurzeln vielmehr darauf, dass durch die Wurzeln das
Fundament seines Hauses geschädigt werde.
18
2) Hiervon ist jedoch nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten
Beweisaufnahme nicht auszugehen. Der Sachverständige N hat sich mit dieser
Fragestellung sowohl in seinem Gutachten vom 10. September 2008, als auch vom 14.
Februar 2007 beschäftigt. Er ist mit überzeugender Begründung zu dem Ergebnis
gekommen, dass die von dem Kläger bemerkten und monierten Haarrisse auf den
Fliesenoberflächen nicht auf die auf dem Grundstück befindlichen Wurzeln der Linden
zurückzuführen sind. Dabei führt der Sachverständige aus, dass Linden empfindlich
gegenüber Bodenauflagerungen seien und mit Wurzelstagnation reagierten;
diesbezügliche Feststellungen hat der Sachverständige bereits auf S. 31 – 34 seines
Gutachtens vom 10. September 2006 getroffen. Daneben sei der Kellerbereich des
klägerischen Wohnhauses bis zu 8 m von dem Lindenstandort entfernt und liege ca.
1,60 m tiefer als dieser. Zuletzt sei zu berücksichtigen, dass die Linde ein
Herzwurzelsystem ausbilde; im peripheren Wurzelbereich befänden sich in der Regel
Feinwurzeln, deren Kraftwirkung auf starre Gegenstände gegen Null tendiere. Beim
Auftreffen auf einen Widerstand werden diese Wurzeln abgeleitet. Nach den Angaben
des Sachverständigen haben Untersuchungen zur Standortoptimierung im Straßenraum
ergeben, dass Feinwurzeln, wenn sie auf einen undurchdringbaren Widerstand treffen,
nach oben abgeleitet werden. Aus Sicht des Sachverständigen erschließen sich damit
gerade keine Zusammenhänge zwischen den Wurzeln der Linden und den Rissen auf
den Fliesen im Gebäude des Klägers.
19
Allein das Herüberwachsen der Wurzeln der Linden auf das klägerische Grundstück
20
kann unter Berücksichtigung der Systematik des § 910 BGB eine Beeinträchtigung nicht
begründen.
3) Soweit der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 26. Januar 2009
behauptet hat, die Wurzeln würden die unter seinem Haus liegende Drainage
beschädigen, so ist dieser Vortrag "neu" i.S.d. § 531 Abs. 2 ZPO. Gründe für eine
Zulassung werden weder vorgetragen, noch sind solche im Übrigen ersichtlich. Der
Kläger ist daher mit seinem diesbezüglichen Vortrag ausgeschlossen.
21
III.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen
Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 713 ZPO, 26 Nr. 8 S. 1 EGZPO.
23
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 3 ZPO. Im Streit war lediglich die
Beseitigung der Äste und die Entfernung der Wurzeln; die Kammer bemisst diese
Begehren des Klägers jeweils mit 1.000,00 €.
24