Urteil des LG Siegen vom 10.05.2006

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Landgericht Siegen, 4 T 71/06
Datum:
10.05.2006
Gericht:
Landgericht Siegen
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
4 T 71/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Olpe, 41 M 290/06
Schlagworte:
Pfändungsschutz für auf Girokonto gutgeschriebene Beihilfeleistungen
Normen:
ZPO § 765 a, ZPO § 850 k
Leitsätze:
Nach Überweisung beamtenrechtlicher Beihilfeleistungen auf ein
Girokonto des Schuldners sind diese grundsätzlich pfändbar.
Kontenschutz nach § 850 k ZPO kann nicht in Anspruch genommen
werden, da Beihilfeleistungen keine wiederkehrenden Einkünfte
sind.Vollstreckungsschutz kann nach § 765 a ZPO gewährt werden,
damit zur Vermeidung einer sittenwidrigen Härte Guthaben aus
Beihilfeleistungen für Pflegedienstleistungen gesichert werden.
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird im dritten Absatz wie folgt abgeändert:
Von dem bei der oben genannten Drittschuldnerin geführten
Beihilfekonto
Nr. --------- 411 sind monatlich 100,00 € für die Gläubigerin pfändbar.
Dieser Beschluss wird erst mit seiner Rechtskraft wirksam.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die Gläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner aus dem
Vollstreckungsbescheid des AG Hagen vom 3. März 2005 - 05 - 4476927-0-9. Durch
Beschluss des Amtsgerichts Olpe vom 23. Februar 2006 sind wegen einer
Restforderung in Höhe von 2.653,75 € zuzüglich Zinsen und Kosten die Forderungen
des Schuldners gegen die Drittschuldnerin aus seinen dort geführten Konten gepfändet
und der Gläubigerin zur Einziehung überwiesen worden.
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Hiergegen hat sich der Betreuer des Schuldners mit seinem Vollstreckungsschutzantrag
nach § 850 k ZPO am 9. März 2006 gewandt. Dazu hat er vorgetragen: Auf dem Konto
des Schuldners mit der Nummer #### 410 gingen die vom Landesamt für Besoldung
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und Versorgung NRW gezahlten Versorgungsbezüge des Schuldners ein, während auf
das Konto Nr. #### 411 ausschließlich die Beilhilfeleistungen gezahlt würden. Dieses
müsse freigegeben werden, damit die laufenden Pflege- und Behandlungskosten
gezahlt werden könnten.
Durch den angefochtenen Beschluss, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, hat das
Amtsgericht Olpe die Pfändung des Guthabens auf dem bei der Drittschuldnerin
geführten Konto Nr. #### 410 insoweit aufgehoben, als dem Konto monatliche
Pensionszahlungen bis zu einem Betrag von 1.359,99 € gutgeschrieben werden. Eine
Freigabe des Beihilfekontos Nr. #### 411 hat das Amtsgericht abgelehnt.
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Hiergegen wendet sich der Betreuer und macht geltend, beim Schuldner fielen auf
Grund eines besonderen Pflegebedarfs erhöhte Aufwendungen an. Er sei der
Pflegestufe III zugeordnet. Sowohl der Pflegedienst als auch der tägliche Bedarf an
Medikamenten und die ärztliche Versorgung müssten durch Zahlungen vom
"Beihilfekonto" sichergestellt werden. Der Pflegedienst werde aber seine Arbeit
einstellen, wenn er sie nicht mehr bezahlt bekomme.
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Das Rechtsmittel ist zulässig und hat auch in der Sache selbst zum größten Teil Erfolg.
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Für die Frage, ob die Gläubigerin auf das "Beihilfekonto" des Schuldners zugreifen
kann, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass nach de Rechtsprechung des BGH (vgl.
Rechtspfleger 2005, 148) Beihilfen nach ihrem Zweck nur einer Pfändung der Gläubiger
zugänglich sind, die gerade wegen ihrer aus Anlass des privilegierten Zwecks
entstandenen Ansprüche gegen den Beihilfegläubiger vollstrecken.
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Aus der Zweckbindung der beamtenrechtlichen Beihilfe ergibt sich, dass ein
"Anlassgläubiger" den Beihilfeanspruch seines Schuldners nur solange pfänden kann,
als nach Rechnungsstellung und Einreichung des Beihilfeantrags der
korrespondierende Beihilfeanspruch gegen den Dienstherrn noch besteht. Ist die
Beihilfe bereits an den Schuldner ausgezahlt, so ist der konkrete Beihilfeanspruch durch
Zahlung erloschen. Für die weiteren Beihilfeansprüche auf Grund von anderen
krankheitsbedingten Aufwendungen greift alsdann das Pfändungshindernis der
Zweckbindung ein. Denn diese begünstigt nunmehr allein die späteren
Anlassforderungen beihilfefähiger Aufwendungen.
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Da die für die Rechnung der Gläubigerin gewährte Beihilfe nach Darstellung des
Betreuers bereits anderweitig verbraucht worden ist, hätte die Gläubigerin somit keinen
Anspruch auf Pfändung der erst in jüngster Zeit wegen anderer Forderungen
entstandenen Beihilfeansprüche.
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Vorliegend ist nun zu entscheiden, ob die Unpfändbarkeit auch dann noch gilt, wenn die
Beihilfeleistungen auf ein Konto des Schuldners überwiesen worden sind.
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Mit Gutschrift auf dem Konto ist der Anspruch des Schuldners gegen das Landesamt für
Besoldung und Versorgung wegen Erfüllung untergegangen und damit grundsätzlich
zugleich auch der oben genannte Pfändungsschutz.
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Da die Beihilfe nach beamtenrechtlichen Vorschriften gezahlt wird, handelt es sich nicht
um Sozialleistungen im Sinne des Sozialgesetzbuches, so dass die Vorschrift des § 55
SGB I hier keine Anwendung finden kann.
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Der hier in Frage stehende Kontenschutz ist in § 850 k ZPO abschließend geregelt
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(BGHZ 104,309). Danach kann der Schuldner, auf dessen Konto wiederkehrende
Einkünfte der in den §§ 850 - 850 b ZPO bezeichneten Art überwiesen werden, beim
Vollstreckungsgericht die Aufhebung der Pfändung seines Kontos bis zu der Höhe des
pfändungsfreien Betrages beantragen, welcher der Zeit von der Pfändung bis zum
nächsten Zahlungstermin entspricht.
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Diese Bestimmung ist vorliegend nicht anwendbar, weil sie nur wiederkehrende Bezüge
schützt, während für eine einmalige Leistung, auch wenn für sie vorher ein
Pfändungssschutz in Betracht gekommen wäre, nur noch die allgemeine
Schutzvorschrift des § 765 a ZPO gilt (BGH a.a.O.).
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Nach Auffassung der Kammer ist dem Schuldner hier bezüglich seines Beihilfekontos
Vollstreckungsschutz nach § 765 a ZPO zu gewähren. Denn es würde für den
Schuldner eine sittenwidrige Härte bedeuten, wenn das gesamte Guthaben auf dem
Beihilfekonto der Gläubigerin zugute kommen würde und dadurch der Betreuer keine
Möglichkeit mehr hätte, die Anlassgläubiger zu befriedigen. Denn damit liefe der
Schuldner Gefahr, dass der Pflegedienst seine Leistungen einstellen würde und
Medikamente nicht mehr beschafft werden könnten.
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Dieser Gefahr für Leib und Leben darf der Schuldner durch die Zwangsvollstreckung
nicht ausgesetzt werden.
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Dem Schutzbedürfnis der Gläubigerin ist dadurch Rechnung getragen, dass sie
monatlich 100,00 € vom Beihilfekonto pfänden kann. Insoweit darf auch nicht
unberücksichtigt bleiben, dass die Forderung der Gläubigerin durch Abtretung einer
Lebensversicherung bereits zum größten Teil beglichen wurde. Die noch ausstehende
Restforderung in Höhe von 2.653,75 € nebst Zinsen und Kosten wird durch die
Pfändungsbeträge von 100,00 € monatlich in absehbarer Zeit befriedigt sein.
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Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache war die Rechtsbeschwerde
zuzulassen (§ 574 Abs. 1 - 3 ZPO).
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