Urteil des LG Saarbrücken vom 23.09.2004

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LG Saarbrücken Urteil vom 23.9.2004, 11 S 18/04
Obligatorisches Güteverfahren: Erforderlichkeit der Durchführung eines
Schlichtungsverfahrens im Saarland
Tenor
I.
Die Berufung der Kläger gegen das am 06.01.2004 verkündete Urteil des Amtsgerichts St.
Wendel (Az.: 4 C 85/02) wird zurückgewiesen.
II.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Den Klägern wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
von 115% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der
Zwangsvollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
IV.
Die Revision wird zugelassen.
V.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I. (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO)
Die Kläger begehren von der Beklagten die Unterlassung des dreimaligen täglichen Läutens
der historischen Glocke, die auf dem neben dem klägerischen Grundstück gelegenen
Dorfplatz aufgestellt ist.
Im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens haben die Kläger beim Schiedsmann von F. die
Durchführung eines Schlichtungsverfahrens beantragt. Zu dem von dem Schiedsmann auf
den 17.07.2003 bestimmten Verhandlungstermin ist die Beklagte nicht erschienen. Der
Schiedsmann hat daraufhin eine Erfolglosigkeitsbescheinigung ausgestellt.
Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen und zur Begründung ausgeführt:
Die Klage sei gemäß § 37 a Landesschlichtungsgesetz unzulässig. Gemäß § 37 a Abs. 1
Landesschlichtungsgesetz sei eine Klage erst zulässig, wenn zunächst ein
Schlichtungsverfahren durchgeführt worden sei, sofern es sich um Einwirkungen im Sinne
des § 906 BGB handele. Letzteres sei im Streitfall zu bejahen, da die Kläger Unterlassung
von Lärm begehrten. Ein Schlichtungsverfahren sei aber vor Klageerhebung nicht
durchgeführt worden. Durch die Nachholung eines Schlichtungsverfahrens während eines
Rechtsstreits könne die Zulässigkeit einer Klage auch nicht herbeigeführt werden.
Entgegen der Ansicht der Kläger sei die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens auch
nicht deshalb entbehrlich, weil eine der Verfahrensbeteiligten eine Gemeinde sei. Denn dass
der Gesetzgeber im Rahmen der Verabschiedung des saarländischen
Landesschlichtungsgesetzes die entsprechenden Vorschriften der saarländischen
Schiedsordnung, die gerade kein Schiedsverfahren bei Beteiligung von Gemeinden
vorsähen, nicht abgeändert habe, stelle ein Redaktionsversehen des Gesetzgebers dar.
Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der amtsgerichtlichen Entscheidung wird Bezug
genommen.
Hiergegen wendet sich die Berufung der Kläger, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren
(Unterlassen des dreimaligen täglichen Läutens der historischen Glocke) weiterverfolgen.
In der Berufungsbegründungsschrift vertreten sie die Auffassung, dass aufgrund der
Verweisung des § 37 b Landesschlichtungsgesetz auf die Vorschriften des 2. und 4.
Abschnittes der Saarländischen Schiedsordnung ein Schiedsverfahren in
Rechtsstreitigkeiten, in denen Gemeinden beteiligt sind, nicht stattfinde. Dies sei in § 13 III
der saarländischen Schiedsordnung normiert.
In einem Folgeschriftsatz tragen sie weiter vor, dass die Durchführung eines
Schlichtungsverfahrens auch deshalb entbehrlich gewesen sei, weil dieses ganz
offensichtlich ergebnislos geblieben wäre.
In einem nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsatz tragen sie
vor, dass nach Klageerhebung ein Schlichtungsverfahren erfolglos durchgeführt worden
war und dies nach einer Entscheidung des saarländischen Oberlandesgerichts vom
26.11.2003, Az.: 1 U 146/03 - 36, ausreichend sei.
Die Kläger beantragen,
unter Abänderung des am 06.01.2004 verkündeten Urteils des
Amtsgerichts St. Wendel, Az.: 4 C 85/02, die Beklagte zu verurteilen,
das dreimalige tägliche Läuten der historischen Glocke, die auf dem
neben dem Grundstück der Kläger gelegenen Dorfplatz aufgestellt
ist, zu unterlassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung kostenpflichtig abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
II. (§ 540 Abs. 1 N. 2 ZPO)
Die Berufung ist gemäß den §§ 511, 517, 519, 520 ZPO statthaft sowie form- und
fristgemäß eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig.
In der Sache hat das Rechtsmittel der Kläger jedoch keinen Erfolg. Denn das angefochtene
Urteil beruht weder gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO auf einer Rechtsverletzung, d.h. einer
Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Rechtsnorm, noch rechtfertigen die
nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 ZPO).
Zu Recht hat das Amtsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen, da das nach § 37 a
abs. 1 Nr. 2.a) Landesschlichtungsgesetz vorgesehene Schlichtungsverfahren vor Erhebung
der Klage nicht durchgeführt war.
Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen
des Amtsgerichts Bezug genommen (§ 540 ZPO).
Das Vorbringen der Kläger in der Berufungsinstanz rechtfertigt keine das erstinstanzliche
Urteil abändernde Entscheidung.
Ohne Erfolg wenden die Kläger ein, dass die Zulässigkeit der Klage nicht von der
Durchführung eines Schiedsverfahrens abhängig sei, da nach § 13 Abs. 3 der
saarländischen Schiedsordnung (SchO) ein Schlichtungsverfahren nicht stattfinde in
Rechtsstreitigkeiten, an denen Gemeinden beteiligt seien. Denn der Widerspruch zwischen
§ 37 a Abs. 1 Nr. 2.a) Landesschlichtungsgesetz (LSchlG) und § 13 Abs. 3 SchO muss
dahingehend aufgelöst werden, dass der vom Landesgesetzgeber später geschaffene § 37
a LSchlG dem früher normierten § 13 Abs. 3 SchO vorgeht. Dies folgt daraus, dass der
Landesgesetzgeber bei der Verabschiedung des Landesschlichtungsgesetzes gemäß Artikel
74 Abs. 1 Nr. 1 GG an die bundesrechtlichen Vorgaben gebunden war und die
Öffnungsklausel des § 15 a Abs. 1 Nr. 2 EGZPO keine dem § 13 Abs. 3 SchO
entsprechende Ausnahmen kennt. Dies bedeutet, dass auch Behörden oder Organe des
Bundes, der Länder und Gemeinden sowie Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des
öffentlichen Rechts dem obligatorischen Güteverfahren nach dem
Landesschlichtungsgesetz unterliegen.
Dem Amtsgericht ist ferner darin beizupflichten, dass das Schlichtungsverfahren im
Zeitpunkt der Klageerhebung durchgeführt sein muss und nicht während des Rechtsstreits
nachgeholt werden kann. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung der Kammer (vgl.:
LG Saarbrücken, Urteil vom 23.10.2003, Az.: 11 S 150/03; LG Saarbrücken, Urteil vom
12.08.2004, Az.: 11 S 43/04), wobei diese Rechtsauffassung von der wohl
überwiegenden Rechtsprechung geteilt wird (vgl.: LG Kiel, Urteil vom 04. September 2003,
Az: 7 S 69/03, zitiert nach juris; LG Ellwangen, NJW-RR 2002, 936; LG Saarbrücken, Urteil
vom 03.07.2003, - 2 S 323/02- ; AG Nürnberg, MDR 2002, 233).
Zwar sprechen auch Gründe für die Nachholbarkeit des Schlichtungsverfahrens, nämlich
die Einordnung als Prozessvoraussetzung, die - wie jede andere Prozessvoraussetzung -
erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen muss, sowie Gründe der
Prozessökonomie (vgl.: LG München II, NJW-RR 2003, 355; Zöller - Greger, ZPO, 23.
Auflage, § 15 a EGZPO, Rdn 25 a.E.).
Es überwiegen jedoch die Gründe, die gegen die Nachholbarkeit des Schlichtungsverfahrens
sprechen. Dies sind insbesondere der Wortlaut der Norm, die Gesetzesbegründung und der
Sinn des Gesetzes.
Zunächst spricht der Wortlaut des § 37 a LSchlG, der mit § 15 a Abs. 1 EGZPO insoweit
identisch ist, für die Unmöglichkeit der Nachholung des Schlichtungsverfahrens. Anders als
in der sonstigen Terminologie wird nämlich nicht die Klage von bestimmten
Zulässigkeitsvoraussetzungen abhängig gemacht, sondern die Erhebung der Klage. Damit
wollte der Gesetzgeber einen Unterschied zu den „normalen“ Prozessvoraussetzungen
deutlich machen (vgl.: LG Kiel, a.a.O.).
Auch nach der Begründung zu § 15a EGZPO (BT-Drucksache 14/980) muss der
Einigungsversuch der Klageerhebung vorausgehen. Dort heißt es nämlich, dass „der
Einigungsversuch selbst nicht nachgeholt werden kann“.
Auch der Sinn des Gesetzes spricht gegen die Nachholbarkeit während des Rechtsstreits.
Mit der Einführung des Schlichtungsverfahrens sollten einerseits Konflikte rascher und
kostengünstiger bereinigt werden, andererseits sollte den Ländern die Möglichkeit
eingeräumt werden, den Arbeitsanfall bei ihren Gerichten wesentlich zu vermindern, mithin
die Justiz zu entlasten. Ein solcher Entlastungseffekt kann aber dann nicht mehr erreicht
werden, wenn das Gericht eingeschaltet ist und sich mit dem Klagebegehren befassen
muss.
Das Berufungsgericht verkennt nicht, dass es bei einer Versagung der Nachholbarkeit des
Schlichtungsverfahrens und Klageabweisung wegen Unzulässigkeit zu einer erneuten
Klageerhebung nach Durchführung des Schlichtungsverfahrens kommen kann. Soweit sich
die Gerichte in diesen Fällen zweimal mit einer Sache befassen müssen, ist dies jedoch aus
den nachfolgenden Erwägungen hinzunehmen. Könnte nämlich das Schlichtungsverfahren
nach Anhängigkeit der Klage nachgeholt werden, so würde die Streitbeilegungschance
geschmälert, da der Kläger einem erfolgreichen Abschluss des Schlichtungsverfahrens nicht
mehr so aufgeschlossen gegenübersteht, wenn er bei einem erfolgreichen Ausgang des
Verfahrens seine Klage mit einer für ihn negativen Kostenfolge zurücknehmen oder für
erledigt erklären müsste.
Erfolg bzw. Misserfolg eines Schlichtungsversuchs würden mithin durch einer Schlichtung
nicht dienliche Erwägungen maßgeblich beeinflusst.
Da aber auch Gründe für eine Nachholbarkeit des Schlichtungsverfahrens während des
Rechtsstreits sprechen und andere Instanzgerichte dies als statthaft qualifiziert haben,
wurde bereits in dem Verfahren 11 S 150/03 die Revision zugelassen. Eine Entscheidung
des Bundesgerichtshofs liegt jedoch noch nicht vor, so dass die Kammer derzeit auch aus
Gründen der Rechtssicherheit an ihrer Rechtsprechung festhält.
Die Berufung der Kläger war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
Die Revision war gemäß § 543 ZPO zuzulassen.
Zuzulassen ist die Revision, wenn die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO). Dies ist zu bejahen, da die
Klärung der beiden Rechtsfragen (obligatorisches Schlichtungsverfahren auch bei
Beteiligung einer Gemeinde; Nachholbarkeit des obligatorischen Schlichtungsverfahrens)
von allgemeiner Bedeutung ist und eine Leitentscheidung des Revisionsgerichts erforderlich
erscheint (vgl.: Schumann/Krämer, Die Berufung in Zivilsachen, 6. Auflage, Rdn 603, 604).
Zuzulassen ist die Revision auch deshalb, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung
hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Nach herkömmlicher Definition hat eine Rechtssache dann
grundsätzliche Bedeutung, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren
Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist (vgl.: Zöller - Gummer,
ZPO, 23. Auflage, § 543 Rdn 11). Wie zuvor aufgezeigt wird die Frage der Nachholbarkeit
des obligatorischen Schlichtungsverfahrens in Rechtsprechung und Literatur streitig erörtert
und ist in einer nicht überschaubaren Anzahl von Fällen „Streitgegenstand“. Auch die
Frage, ob bei Beteiligung einer Gemeinde ein Schlichtungsverfahren durchzuführen ist,
betrifft eine klärungsbedürftige Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung, die bislang noch
nicht höchstrichterlich entschieden wurde.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO, wobei das Berufungsgericht die Angabe der
Kläger unter Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstandes für angemessen
erachtet.