Urteil des LG Saarbrücken vom 27.08.2010

LG Saarbrücken: haftrichter, bundespolizei, ausländer, einreise, verordnung, hauptsache, festnahme, haftgrund, vollzug, amtsblatt

LG Saarbrücken Beschluß vom 27.8.2010, 5 T 85/10
Leitsätze
1. Die beabsichtigte Zurück- oder Abschiebung eines Ausländers nach Griechenland steht
der Anordnung der Zurückschiebungs- oder Abschiebungshaft gemäß § 62 AufenthG nicht
entgegen.
2. Der Haftrichter ist grundsätzlich nicht befugt, über das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen zu befinden; für die Überprüfung der Zulässigkeit der Ab- oder
Zurückschiebung sind die Verwaltungsgerichte zuständig.
3. Die Haftanordnung gegenüber einem Ausländer, der um Asyl nachgesucht hat, zum
Zwecke seiner Zurückschiebung nach Griechenland gemäß der Dublin II-Verordnung wird
jedoch nach § 62 Abs. 2 S. 4 Aufenthaltsgesetz unzulässig, wenn der betroffene Ausländer
einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte
gestellt hat.
4. Dieses von dem Haftrichter zu beachtende Zurückschiebungshindernis, das einem
alsbaldigem Vollzug des Ab- oder Zurückschiebungsbescheides entgegen steht, entsteht
nur dann und erst dann, wenn der Antrag auf Eilrechtsschutz bei dem zuständigen
Verwaltungsgericht gestellt ist.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass die gegen den Betroffenen verhängte Zurückschiebungshaft ab
dem 12.02.2010 rechtswidrig gewesen ist.
2. Die Beschwerde im Übrigen wird zurückgewiesen.
3. Gerichtskosten fallen in dem Beschwerdeverfahren nicht an.
4. Die außergerichtlichen Kosten werden gegeneinander aufgehoben.
5. Dem Betroffenen wird ab dem 18.02.2010 ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt. Ihm
wird zur Wahrnehmung seiner Rechte Rechtsanwalt ..., ..., beigeordnet.
6. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000,00 EUR.
Gründe
A.
Der Betroffene ist afghanischer Staatsangehöriger.
Er wurde am 25.01.2010 im Intercity Express zwischen ... und ... ohne Ausweispapiere
angetroffen und festgenommen. Die Antrag stellende Behörde hat ermittelt, dass der
Betroffene am 17.08.2009 in Griechenland im Rahmen eines Asylgesuches
erkennungsdienstlich behandelt worden ist.
Anlässlich seiner Anhörung durch die Beamten der Bundespolizei hat der Betroffene ein
Asylgesuch gestellt.
Das Amtsgericht hat auf den Antrag der Bundespolizei nach vorheriger persönlicher
Anhörung des Betroffenen durch den angefochtenen Beschluss vom 26.01.2010
Zurückschiebungshaft bis zum 26.04.2010 sowie die sofortige Wirksamkeit seiner
Entscheidung angeordnet.
Das Amtsgericht hat ausgeführt, der Betroffene sei unerlaubt eingereist und deshalb
vollziehbar ausreisepflichtig. Sein Asylgesuch in Deutschland stehe der Anordnung der
Zurückschiebungshaft nicht entgegen, da er bereits in Griechenland ein Asylgesuch gestellt
habe.
Dagegen hat der Betroffene am 18.02.2010 Beschwerde eingelegt und geltend gemacht,
er dürfe nicht nach Griechenland zurückgeschoben werden, da dort sein Asylrecht nicht
geprüft werde.
Der Betroffene hat am 12.02.2010 einen Eilantrag nach § 123 VwGO beim
Verwaltungsgericht Saarlouis mit dem Ziel gestellt, seine Abschiebung zu untersagen.
Das Verwaltungsgericht Saarlouis hat durch Beschluss vom 25.02.2010 (Az: 5 L 132/10)
der Bundesrepublik Deutschland vorläufig die Vollziehung einer Abschiebung des
Betroffenen nach Griechenland untersagt.
Am 03.03.2010 ist der Betroffene aus der Haft entlassen worden.
Der Betroffene beantragt nunmehr,
festzustellen, dass die gegen ihn verhängte
Zurückschiebungshaft rechtswidrig gewesen ist.
B.
I.
1. Die Beschwerde des Betroffenen ist gemäß §§ 58, 59 FamFG zulässig.
2. Die Beschwerde ist auch nicht dadurch unzulässig geworden, dass sich die Hauptsache
mit der Entlassung des Betroffenen aus der Haft erledigt hat.
Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG NJW 2002, 2456, 2457),
wonach das Rechtschutzbedürfnis eines Rechtsmittels wegen einer zwischenzeitlichen
Erledigung nicht entfällt, ist durch § 62 FamFG ausdrücklich anerkannt und in das Gesetz
aufgenommen worden. Nach dieser Vorschrift spricht das Beschwerdegericht nach der
Erledigung der Hauptsache auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des 1.
Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der
Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.
Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn – wie vorliegend – schwerwiegende
Grundrechtseingriffe (gem. Art 1, 2 Abs. 2 GG) gegeben sind (§ 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).
II.
Die Beschwerde ist insoweit begründet, als auf den Fortsetzungsfeststellungsantrag des
Betroffenen auszusprechen war, dass die gegen den Betroffenen verhängte
Zurückschiebungshaft ab dem 12.02.2010 rechtswidrig gewesen ist.
1. Die Anordnung der Zurückschiebungshaft auf den Antrag der Bundespolizei (vgl. § 417
FamFG), die für die Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs zuständig ist und der
nach § 71 Abs. 3 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz die Zurückweisung und Zurückschiebung von
Ausländern, deren Festnahme und die Beantragung der Haft übertragen ist (vgl. BVerfG
NVwZ-RR 2009, 616, 617), war ursprünglich begründet.
Es lag ein Haftgrund gemäß § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Aufenthaltsgesetz vor. Der Betroffene
war aufgrund unerlaubter Einreise vollziehbar ausreisepflichtig (§ 58 Abs. 2 Nr. 1
AufenthG).
Des Weiteren war auch der Haftgrund nach § 62 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 Aufenthaltsgesetz
wegen des begründeten Verdachts, dass der Betroffene sich der Zurückschiebung nach
Griechenland entziehen werde, aufgrund seiner unerlaubten Einreise und seines bei seiner
Vernehmung durch die Bundespolizei gestellten Asylgesuchs begründet.
2. Dass der Betroffene gegenüber den Beamten der Bundespolizei bei seiner Festnahme
um Asyl nachgesucht hat, stand der Anordnung der Zurückschiebungshaft nicht entgegen.
Bei einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26 a AsylVfG) – im vorliegenden Fall aus
Griechenland (vgl. § 29 a Abs. 2 AsylVfG) – wird die Aufenthaltsgestattung nicht schon mit
dem Asylersuchen gegenüber der Grenz- oder Ausländerbehörde, sondern nach § 55 Abs.
1 S. 3 Asylverfahrensgesetz erst mit der Stellung eines Asylantrages nach §§ 13, 14
Asylverfahrensgesetz bei dem zuständigen Bundesamt erworben (vgl. BGHZ 153, 18, 20;
BGH NVwZ 2010, 726 – 728, juris Rdnr. 20).
3. Der Anordnung der Zurückschiebungshaft stand nicht entgegen, dass beabsichtigt war,
den Betroffenen nach Griechenland zurückzuschieben.
Zwar liegen ernsthafte Anhaltspunkte dafür vor, dass Griechenland die europarechtlichen
Mindestnormen für die Anerkennung und den Status der Bewerber um internationalen
Schutz nach der Richtlinie 2004/82/EG des Rates vom 29.04.2004 (Amtsblatt L 304/12)
und für das Verfahren nach der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 01.12.2004
(Amtsblatt L 326/13) nicht einhält (vgl. BVerfG NJW 2009, 2659; OVG Münster NVwZ
2009, 1571). Allerdings ist bei der Haftanordnung zu berücksichtigen, dass für die
Überprüfung der Zulässigkeit der Zurückschiebung die Verwaltungsgerichte zuständig sind
und der Haftrichter grundsätzlich nicht befugt ist, über das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen zu befinden (vgl. BGHZ 78, 145, 147; BGHZ 98, 109, 112;
BGH NVwZ 2010, 726 – 728, juris Rdnr. 23).
Jedoch wird die Haftanordnung gegenüber einem Ausländer, der um Asyl nachgesucht hat,
zum Zwecke seiner Zurückschiebung nach Griechenland nach der Dublin II-Verordnung
nach § 62 Abs. 2 S. 4 Aufenthaltsgesetz unzulässig, wenn der betroffene Ausländer einen
Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte gestellt
hat (vgl. BGH NVwZ 2010, 726 – 728, juris Rdnr. 27). Solange in derartigen Fällen durch
das Bundesverfassungsgericht (vgl. § 32 Abs. 1 BVerfGG) oder durch die
Verwaltungsgerichte (vgl. §§ 80, 123 VwGO) Anordnungen zur Aussetzung des Vollzugs
der Abschiebung oder Zurückschiebung ergehen, muss der Haftrichter davon ausgehen,
dass eine Abschiebung nach Griechenland nicht innerhalb der nächsten drei Monate
durchgeführt werden kann.
Dieses von dem Haftrichter zu beachtende Zurückschiebungshindernis, das einem
alsbaldigen Vollzug des Zurückschiebungsbescheides entgegen steht, entsteht erst, wenn
der Antrag auf Eilrechtsschutz bei dem zuständigen Verwaltungsgericht gestellt ist (vgl.
BGH a.a.O., juris Rdnr. 29).
Wenn der betroffene Ausländer kein Rechtsmittel gegen seine Abschiebung einlegt, hat der
Haftrichter davon auszugehen, dass die zuständige Behörde die Zurückschiebung an den
nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedsstaat der EU so schnell wie möglich
vollziehen wird (vgl. BGH a.a.O. juris Rdnr. 30).
Da im vorliegenden Fall der auf § 123 VwGO gestützte Eilantrag des Betroffenen am
12.02.2010 beim zuständigen Verwaltungsgericht in Saarlouis eingegangen ist, war die
Fortsetzung der Zurückschiebungshaft gegen den Betroffenen ab diesem Tag rechtswidrig
und damit unzulässig. Der Betroffenen wird insoweit durch die Haftanordnung in seinen
Rechten verletzt (§ 62 Abs. 1 FamFG).
4. Soweit der Betroffene die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haftanordnung für einen
davorliegenden Zeitpunkt begehrt, war seine Beschwerde zurückzuweisen.
5. Gerichtskosten fallen in dem Beschwerdeverfahren gemäß § 128 c Kostenordnung nicht
an.
Die Entscheidung hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten beruht auf §§ 83 Abs. 2, 81,
430 FamFG. Es bestand keine Veranlassung, eine Kostenerstattung für die
außergerichtlichen Kosten der Gegenseite auszusprechen.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wurde gemäß §§ 131 Abs. 4, 30 Abs. 2 S.
1 Kostenordnung festgesetzt.
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von ratenfreier Verfahrenskostenhilfe unter
Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Betroffenen sind erfüllt (vgl. §§ 76 FamFG,
114 ff ZPO).