Urteil des LG Saarbrücken vom 23.03.2009

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LG Saarbrücken Beschluß vom 23.3.2009, 5 T 100/09
Betreuung: Vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einer medizinischen Behandlung mit
Neuroleptika; Anforderungen an das einzuholende Sachverständigengutachten
Leitsätze
1. Das vor der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung einer Heilbehandlung (vgl. §
1904 BGB) einzuholende Sachverständigengutachten (vgl. § 69d Abs. 2 FGG) muss
Aufschluss geben über das mit der Behandlung verbundene konkrete Risiko eines
gesundheitlichen Schadens und über den Grad der Wahrscheinlichkeit des
Schadenseintritts.
2. Ferner muss das Sachverständigengutachten angeben, welcher Erfolg mit der
Heilbehandlung erzielt werden kann.
3. Das Gericht hat dann bei seiner Entscheidung eine Abwägung zu treffen unter
Berücksichtigung der Behandlungsrisiken einerseits und des Ziels sowie des
wahrscheinlichen Erfolgs der Heilbehandlung andererseits.
4. Die gerichtliche Genehmigung einer medizinischen Behandlung mit Neuroleptika ist zu
unbestimmt.
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Ottweiler vom 06.02.2009 wird aufgehoben. Die Sache
wird zur Fortsetzung des Verfahrens an das Amtsgericht Ottweiler zurückverwiesen.
Gründe
I.
Für die Betroffene wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Ottweiler vom 27. Januar 2005
(Bl. 26 d.A.) eine Betreuung in den folgenden Aufgabenkreisen eingerichtet:
- Vermögenssorge,
- Geltendmachung von Ansprüchen auf Rente und Sozialhilfe,
- Entscheidung über den Fernmeldeverkehr und über die
Entgegennahme, das Öffnen und das Anhalten ihrer Post,
- Behörden- und Wohnungsangelegenheiten.
Mit Beschluss vom 31. Mai 2005 wurde die Betreuung auf die Aufgabenkreise „Sorge für
die Gesundheit“ und „Aufenthaltsbestimmung“ erweitert (Bl. 64 d.A.). Seit dem 3. August
2008 ist Frau Rechtsanwältin … Betreuerin der Betroffenen (Bl. 78 d.A.).
Seit Oktober 2008 berichtet die Betreuerin über eine wesentliche Verschlechterung des
Zustandes der Betroffenen. Während der Zustand der Betroffenen über drei Jahre stabil
gewesen sei, beginne er sich seit einem Monat zusehends zu verschlechtern. Die
Betroffene fühle sich beobachtet. Es komme zu Konflikten mit den Vermietern, denen sie
unterstelle, sie würden ihre Wohnung betreten und sie bestehlen. Sie habe so gut wie zu
niemandem mehr Zugang und lehne eigentlich alle Menschen in ihrem Umfeld ab. Sie habe
sich zwischenzeitlich völlig zurückgezogen. Sie gehe nicht mehr einkaufen und hole auch
nicht mehr die Post aus dem Briefkasten. Sie verweigere die Annahme von Geld, sei
deshalb mittellos und nicht in der Lage, ihre Versorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen.
Sie heize ihre Wohnung nicht mehr, weil sie die völlig unbegründete Angst hege, es könne
Gas austreten. Sie wasche nicht mehr und weigere sich, den Keller zu betreten.
Mit Beschluss vom 2. Dezember 2008 hat das Amtsgericht im Wege der einstweiligen
Anordnung sofort wirksam die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in einer
geschlossenen Einrichtung bis längstens 30.12.2008 genehmigt (Bl. 398 d.A.).
Mit Schreiben vom 17. Dezember 2008 hat die Betreuerin die Verlängerung der
Unterbringungsgenehmigung beantragt. Gleichzeitig hat sie darum ersucht,
die zwangsweise Zuführung von Medikamenten in Form von
Neuroleptika gegen den Willen der Betroffenen
vormundschaftsgerichtlich zu genehmigen (Bl. 424 d.A.).
Die Betreuerin hat ausgeführt, die Betroffene sei behandlungsbedürftig. Eine Besserung
ihres Gesundheitszustandes scheitere jedoch daran, dass sie keine Krankheitseinsicht habe
und die Einnahme der erforderlichen Medikamente verweigere.
Mit Beschluss vom 29. Dezember 2008 hat das Amtsgericht im Wege der einstweiligen
Anordnung sofort wirksam die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in einer
geschlossenen Einrichtung bis längstens 26.01.2009 genehmigt (Bl. 456 d.A.).
Mit Beschluss vom 27. Januar 2009 hat das Amtsgericht im Wege der einstweiligen
Anordnung sofort wirksam die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in einer
geschlossenen Einrichtung bis längstens 26.04.2009 genehmigt (Bl. 456 d.A.).
Mit dem hier verfahrensgegenständlichen Beschluss vom 6. Februar 2009 hat das
Amtsgericht die Einwilligung der Betreuerin in die beabsichtigte Maßnahme, nämlich
zwangsweise Vergabe einer Neuroleptika-Medikation vormundschaftsgerichtlich genehmigt
(Bl. 501 d.A.).
Dabei hat das Amtsgericht ausgeführt, die Betroffene sei einwilligungsunfähig und es
bestehe das Risiko, dass sie aufgrund der Heilmaßnahme sterbe oder einen schweren
länger andauernden gesundheitlichen Schaden erleide. Eine Abwägung dieser Gefahren und
dem möglichen Erfolg der Maßnahme ergebe, dass die Behandlung dem Wohle der
Betroffenen diene, da die Vorteile für sie die gegebenen Risiken überwögen.
Gegen diesen Beschluss hat die Betroffene am 10. Februar 2009 zu Protokoll des
Betreuungsrichters des Amtsgerichts Ottweiler Beschwerde eingelegt. Die Betroffene hat
ausgeführt, sie benötige keine Medikamente. Sie wolle auch einen neuen Betreuer.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem erkennenden
Gericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde der Betroffenen ist als nicht fristgebundene Beschwerde zulässig (§ 19, §
20 FGG).
In der Sache führt sie zur Aufhebung der amtsgerichtlichen Entscheidung und
Rückverweisung an das Amtsgericht. Das erstinstanzliche Verfahren leidet nämlich unter
erheblichen Verfahrensfehlern. Die amtsgerichtliche Entscheidung ist nicht hinreichend
bestimmt und ohne relevante Sachaufklärung getroffen.
Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Amtsgericht eine Behandlung mit Neuroleptika
nach § 1904 BGB genehmigt. Eine Genehmigung nach § 1904 BGB darf gemäß § 69d Abs.
2 FGG erst dann erfolgen, wenn das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen
eingeholt hat. Dieser soll nach Satz 2 der genannten Verfahrensregelung in der Regel nicht
mit dem ausführenden Arzt personengleich sein. Das Amtsgericht hat zwar im Laufe des
Verfahrens seit September 2008 mehrere Gutachten bzw. Kurzgutachten - allesamt von
den behandelnden Ärzten - eingeholt (Bl. 354 ff., 404 ff, 460 ff., 477 ff. d.A.). Aufgrund
dieser Gutachten steht fest, dass die Betroffene an einer psychischen Krankheit, nämlich
einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie, leidet und dass ihr aufgrund dieser
Erkrankung die Fähigkeit fehlt, eine eigenverantwortliche Entscheidung über die
Notwendigkeit einer Heilbehandlung zu treffen. Die Gutachten geben jedoch allesamt
keinerlei Aufschluss darüber, welche Risiken mit der von dem Amtsgericht genehmigten
Behandlung verbunden sind.
Das Amtsgericht geht davon aus, dass die von ihm genehmigte Vergabe einer
Neuroleptika-Medikation das Risiko berge, dass die Betroffene aufgrund dieser Maßnahme
sterbe oder einen schweren „oder“ länger andauernden gesundheitlichen Schaden erleide.
Für wie hoch das Amtsgericht das Risiko einstuft, dass die Betroffene durch die Behandlung
sterben könne, lässt sich dem angegriffenen Beschluss nicht entnehmen. Gleiches gilt für
das Risiko eines gesundheitlichen Schadens, der zudem auch nicht näher konkretisiert wird.
Derartiges kann auch der Verfahrensakte nicht entnommen werden, da die Gutachter
weder zu der Art der möglicherweise gegebenen Risiken noch nach dem Grad der
Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts befragt wurden. Ohne Kenntnis der Art des Risikos und
des Grades der Wahrscheinlichkeit seiner Realisierung fehlt es an einer zentralen Grundlage
für eine Abwägung der widerstreitenden Interessen.
Es kommt hinzu, dass auch unaufgeklärt ist, wodurch die Behandlungsrisiken aufgewogen
werden sollen. Aus dem Verfahrensablauf ergibt sich zwar, dass es in der Vergangenheit
nach der Verabreichung von Zyprexa (= Olanzapin) und Tavor (= Lorazepam) zu einer
Besserung des Gesundheitszustandes der Betroffenen gekommen ist, die so weit ging,
dass sogar eine Aufhebung der Betreuung in absehbarer Zeit ernsthaft in Betracht
gezogen wurde. Ob durch die jetzt vorgesehene Behandlung der Betroffenen wiederum
eine durchgreifende Verbesserung ihres Gesundheitszustandes oder gar ihre Heilung
erwartet werden kann, lässt sich den eingeholten Gutachten jedoch nicht entnehmen. In
der Abwägung gegen die Risiken der genehmigten Behandlung muss jedoch ausreichend
klar sein, welches Ziel erreicht werden kann. Nur bei Kenntnis dieses Umstandes kann eine
sachgerechte Abwägung erfolgen.
Es kommt hinzu, dass die amtsgerichtliche Entscheidung nicht ausreichend bestimmt ist.
Das Amtsgericht hat nur eine Behandlung mit Neuroleptika genehmigt. Der
Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 01. Februar 2006 (Az. XII ZB 236/05 -
juris Rn. 27 - NJW 2006, 1277) für die Genehmigung einer Zwangsbehandlung nach §
1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt, dass die von dem Betreuten zu duldende Behandlung so
präzise wie möglich anzugeben ist, weil sich nur aus diesen Angaben Inhalt, Gegenstand
und Ausmaß der von dem Betreuten zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und
bestimmbar ergeben. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs muss bei der
Genehmigung einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel das zu
verabreichende Arzneimittel oder dessen Wirkstoff und deren (Höchst-) Dosierung sowie
Verabreichungshäufigkeit angegeben werden. Der Bundesgerichtshof empfiehlt, vorsorglich
auch alternative Medikationen für den Fall vorzusehen, dass das in erster Linie vorgesehene
Medikament nicht die erhoffte Wirkung hat oder vom Betreuten nicht vertragen wird (BGH
v. 01.02.2006 - XII ZB 236/05 - juris Rn. 27 - NJW 2006, 1277). Dem Bundesgerichtshof
ist zumindest insoweit zu folgen, dass eine pauschale nicht näher begrenzte Behandlung
mit nicht näher umrissenen Neuroleptika keine ausreichend bestimmte Genehmigung
darstellen kann. Das, was der Bundesgerichtshof für die Genehmigung einer
Zwangsbehandlung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB verlangt, muss auch für eine
Genehmigung nach § 1904 BGB gelten. Soweit den Anforderungen des
Bundesgerichtshofs in der Praxis nicht vollständig entsprochen werden kann, muss doch
versucht werden, ihnen so weit wie möglich nahe zu kommen. Die Entscheidung muss
dann auch erkennen lassen, warum keine weiter gehende Konkretisierung möglich ist.
Aus den zuvor gemachten Ausführungen ergibt sich, dass die Sachaufklärung des
Amtsgerichts in hohem Maße unzureichend ist. Die Situation im vorliegenden
Beschwerdeverfahren entspricht in wesentlichen Teilen einer Prozesslage, in der überhaupt
kein erstinstanzliches Verfahren stattgefunden hat. Bei dieser Sachlage ist es nicht
hinnehmbar, wenn der Betroffenen durch eine Sachentscheidung des Beschwerdegerichts
die erste Instanz nahezu vollständig genommen wird. Die Kammer sieht sich aus diesem
Grund dazu veranlasst, die erstinstanzliche Entscheidung aufzuheben und die Sache zur
erneuten Verhandlung an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Dabei wird das Amtsgericht
auch Gelegenheit zur Überprüfung haben, ob überhaupt eine Genehmigung nach § 1904
BGB erforderlich ist (hierfür im Falle einer Langzeittherapie: Schreiber, FamRZ 1991, 1014,
1019) oder ob eine solche nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB ausreichend ist. Soweit das
Amtsgericht letzteres bejaht, muss der amtsgerichtliche Unterbringungsbeschluss vom 29.
Dezember 2008 (Bl. 456 ff. d.A.) ergänzt werden, da dieser weder erkennen lässt, ob die
Unterbringung nach Nr. 1 oder nach Nr. 2 des § 1906 Abs. 1 BGB genehmigt wurde und
ohnehin eine Heilbehandlung nicht ausreichend konkret nennt.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.