Urteil des LG Saarbrücken vom 30.11.2010

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LG Saarbrücken Beschluß vom 30.11.2010, 5 T 517/10
Leitsätze
1. Solange der Fahrzeughersteller in seinen Garantiebedingungen keine zulässige und
eindeutige anderweitige Regelung trifft, ist Erfüllungsort (vgl. §§ 269 BGB, 29 ZPO) eines
gegen den Hersteller eines Kraftfahrzeugs gerichteten, nicht auf eine Geldleistung
abzielenden Garantieanspruchs der Wohnsitz des Kraftfahrzeugkäufers, nicht der Ort der
Niederlassung des Herstellers.
2. In dem selbständigen Beweisverfahren (§§ 485 ff ZPO) ist der Sachvortrag des
Antragstellers grundsätzlich nicht auf seine Schlüssigkeit oder Erheblichkeit zu prüfen.
Tenor
I. Der Beschluss des Amtsgerichts St.Wendel vom 01.10.2010 (Az.: 15 H 19/10) wird
aufgehoben.
II. Es soll Beweis erhoben werden über folgende Behauptungen des Antragstellers:
1) Sind am Fahrzeug des Antragstellers, ... 1,6, Fahrzeug-ID-Nr.:...,
amtliches Kennzeichen ..., Rostschäden und wenn ja, an welchen
Stellen ?
2) Worauf sind die unter Ziffer 1) genannten Schäden
zurückzuführen ? Sind diese insbesondere auf fehlerhaftes Material
oder mangelhafte Pflege zurückzuführen.
3) Welche Maßnahmen sind zur Beseitigung der unter Ziffer 1)
genannten Schäden erforderlich ?
4) Welche Kosten werden für die in Ziffer 3) genannten Maßnahmen
anfallen ?
durch Einholung eines Sachverständigengutachtens.
Zum Sachverständigen wird bestellt:
...
Die Einholung des Gutachtens wird davon abhängig gemacht, dass der Antragsteller binnen
3 Wochen einen Kostenvorschuss in Höhe von 1.000,-- Euro einzahlt.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
IV. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 1.000,-- Euro.
V. Die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens wird dem Amtsgericht St.
Wendel übertragen.
Gründe
A.
Der Antragsteller ist Eigentümer des am 31.10.2000 erstmals zugelassenen ..., amtliches
Kennzeichen ....
Die Antragsgegnerin gewährt für das von ihr bzw. in ihrem Auftrag hergestellte Modell ...
eine Herstellergarantie für 12 Jahre gegen Durchrostung von Karosserieteilen.
Der Antragsteller hat der Antragsgegnerin über einen in St. Wendel ansässigen
Vertragshändler im November 2008 Rostschäden an einer Tür und der Heckklappe seines
... angezeigt.
Die Antragsgegnerin hat ihre Einstandsverpflichtung abgelehnt.
Der Antragsteller hat beim Amtsgericht St. Wendel ein selbständiges Beweisverfahren
anhängig gemacht und die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu
den von ihm behaupteten Rostschäden an seinem Fahrzeug ... beantragt.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das Amtsgericht St. Wendel sei örtlich unzuständig. Der
Erfüllungsort für die von dem Antragsteller geltend gemachten Ansprüche aus der
Herstellergarantie liege bei dem Sitz der Antragsgegnerin in ....
Abgesehen davon lägen die Voraussetzungen für einen Garantieanspruch nicht vor. Die
Antragsgegnerin erhebt außerdem die Einrede der Verjährung.
Das Amtsgericht St. Wendel hat durch Beschluss vom 01.10.2010 den Antrag auf
Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zurückgewiesen.
Es hat ausgeführt, es sei örtlich unzuständig. Der Gerichtsstand des Erfüllungsortes für die
im Streit stehenden Garantieansprüche des Antragstellers sei Köln, der Sitz der
Antragsgegnerin.
Gegen diesen am 01.10.2010 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am
15.10.2010 sofortige Beschwerde eingelegt.
Er ist der Auffassung, er könne einen Garantieanspruch bei jedem Vertragshändler der
Antragsgegnerin geltend machen; die Auswahl des Vertragshändlers sei ihm überlassen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und sie der erkennenden
Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
B.
I.
Die gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige – insbesondere auch fristgerecht
eingelegte – sofortige Beschwerde des Antragstellers ist begründet und führt zur
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts sowie zur Stattgabe des
Beweissicherungsantrags des Antragstellers.
II.
Das Amtsgericht St. Wendel ist für die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens
örtlich zuständig (1) und die Voraussetzungen für die Einholung des von dem Antragsteller
beantragten schriftlichen Sachverständigengutachtens sind erfüllt (2).
1.
streitgegenständlichen Rostschäden anhängig ist, ist der Antrag auf Durchführung eines
selbständigen Beweisverfahrens gemäß § 486 Abs. 2 ZPO bei dem Gericht zu stellen, das
nach dem Vortrag des Antragstellers zur Entscheidung in der Hauptsache berufen wäre.
Der Antragsteller beabsichtigt, die Antragsgegnerin in dem besonderen Gerichtsstand des
Erfüllungsortes (§ 29 ZPO) auf Erfüllung seines Garantieanspruchs zu verklagen. Die
Bestimmung des für die örtliche Zuständigkeit maßgeblichen Erfüllungsortes richtet sich
nach § 269 Abs. 1 und Abs. 2 BGB. Danach läge der Erfüllungsort für eine eventuelle
Verpflichtung der Antragsgegnerin aus der Garantiezusage nur dann bei dem Ort der
gewerblichen Niederlassung der Antragsgegnerin, wenn zwischen den Parteien ein Ort für
die Leistung der Antragsgegnerin weder bestimmt noch aus den Umständen, insbesondere
aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen wäre.
aus der Natur des Schuldverhältnisses, zu entnehmen wäre.
Eine ausdrückliche Bestimmung des Leistungsortes ist nicht erfolgt. Die Antragsgegnerin
gewährt dem Erwerber eines Kraftfahrzeuges des Modells ... nach Maßgabe ihrer
Garantiebedingungen eine Garantie gegen Durchrosten von Karosserieteilen für die Dauer
von 12 Jahren ohne Kilometerbegrenzung und ohne spezielle Nachprüfungen oder
Nachbehandlungen. An welchem Ort diese Garantieleistungen gegen Durchrosten zu
erfüllen sind, wird in den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin nicht
geregelt.
Somit ist zur Bestimmung des Erfüllungsortes auf die Natur des Schuldverhältnisses
abzustellen. Danach ist ausschlaggebend, dass ein Kraftfahrzeug zum Gebrauch des
Käufers bestimmt ist und sich sein regelmäßiger Standort bestimmungsgemäß bei dem
Käufer befindet (vgl. auch OLG München, NJW 2006, 449-450, zitiert nach juris, Rdnr. 31).
Es macht insoweit für den Erfüllungsort keinen Unterschied, ob der Käufer des
Kraftfahrzeuges Gewährleistungsansprüche aus dem Kaufvertrag geltend macht oder ob
er den Hersteller des Fahrzeuges aus der Herstellergarantie in Anspruch nimmt (a. A.: LG
München II, Beschluss vom 17.3.2010, 1 O 449/10; LG Coburg, Beschluss vom 5.9.2008,
11 OH 77/08; LG Kleve, Beschluss vom 12.10.2009, 1 O 261/09; AG Hagen, Beschluss
vom 26.7.2010, 19 C 165/10; AG Pankow/Weißensee, Beschluss vom 23.2.2010, 2 H
1/10; AG Winsen/Luhe, Beschluss vom 18.3.2009, 20 H 20/08; AG Beckum, Beschluss
vom 17.5.2010, 12 C 74/10; AG Montabaur, Beschluss vom 21.6.2010, 5 C 273/10; AG
Landsberg am Lech, Beschluss vom 12.7.2010, 3 C 249/10) . Solange der
Fahrzeughersteller in seinen Garantiebedingungen keine zulässige und eindeutige Regelung
trifft, dass er seine Verpflichtungen aus der Garantie entweder nur am Ort seiner
Niederlassung oder an einem sonstigen Ort erfüllen wird, ist darauf abzustellen, dass die in
erster Linie in Betracht zu ziehende Nacherfüllung bzw. Nachbesserung dort zu erbringen
ist, wo sich das Kraftfahrzeug vertragsgemäß befindet (vgl. dazu BGH, NJW-RR 2008, 724
-725, zitiert nach juris, Rdnr. 13; OLG München, a.a.O., juris, Rdnr. 32), also am Wohnort
des Käufers.
Es bedarf für den vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob in den Fällen, in denen der
Erwerber des Kraftfahrzeuges unter Berufung auf die Herstellergarantie keinen
Nacherfüllungsanspruch geltend macht, sondern eine Geldleistung, insbesondere in der
Form des Schadensersatzes begehrt (vgl. dazu Brandenburgisches Oberlandesgericht, IBR
2010, 544, zitiert nach juris, Rdnr. 13), der Erfüllungsort der für die Entscheidung in der
Hauptsache maßgeblichen Geldforderung (vgl. §§ 270 Abs. 1, Abs. 4, 269 BGB, 29 ZPO)
die gewerbliche Niederlassung des Fahrzeugherstellers ist.
2.
Antragstellers sind im vorliegenden selbständigen Beweisverfahren ohne Bedeutung. In
dem selbständigen Beweisverfahren ist der Sachvortrag des Antragstellers grundsätzlich
nicht auf seine Schlüssigkeit oder Erheblichkeit zu prüfen. Ausnahmen kommen allenfalls
dann in Betracht, wenn von vornherein ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner
oder ein Anspruch nicht in Betracht kommt (vgl. BGH, NJW 2004, 3488;
Brandenburgisches Oberlandesgericht, a.a.O., juris, Rdnr. 7; Zöller/Herget, ZPO, 27.
Auflage, § 485 ZPO, Rdnr. 7 a m.w.N.).
Die Voraussetzungen einer solchen Ausnahme sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
3.
Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wurde gemäß § 3 ZPO unter
Berücksichtigung des Rechtsverfolgungsinteresses des Antragstellers festgesetzt.