Urteil des LG Rottweil vom 05.08.2004

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LG Rottweil Beschluß vom 5.8.2004, 3 Qs 105/04
Strafrechtliches Ermittlungsverfahren: Voraussetzungen für die Anordnung einer sog. Funkzellenabfrage bei einem
Mobiltelefondiensteanbieter
Tenor
1. die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Rottweil wird der Beschluss des Amtsgerichts Rottweil vom 21.7.2004 (Az.: 6 Gs 553-556/04)
aufgehoben
2. Gemäß §§ 100 g, 100 h Abs. 1 S. 2 StPO wird die Verpflichtung zur Auskunftserteilung der
...
über die am 12.7.2004 zwischen 4:00 Uhr und 6:00 Uhr in den Funkzellen der jeweiligen Funknetzbetreiber für die Örtlichkeiten
...
- beim jeweiligen Auskunftsverpflichteten - angefallenen Telekommunikationsdaten einschließlich Standortkennung (§ 100 g Abs. 3 StPO)
angeordnet
3. Die Staatskasse trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
1
Die Staatsanwaltschaft Rottweil wendet sich mit der Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rottweil vom 21.7.2004, mit dem eine
sog. "Funkzellenabfrage" abgelehnt worden ist. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
I.
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Dem Antrag der Staatsanwaltschaft liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
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Aufgrund der bisherigen Ermittlungen besteht der Verdacht, dass mehrere unbekannte Täter, die gewerbs- und bandenmäßig Telefonkarten
entwenden, am 12.7.2004 in der Zeit zwischen 4:30 und 5:00 Uhr in der B in Sch mit einem Gullideckel die Schaufensterscheibe des
Telefonladens "C", B ..., einwarfen. Durch die zerbrochene Scheibe gelangten die Täter ins Innere des Geschäfts und entnahmen der
Ladenkasse Bargeld i. H. v. 140 EUR. Des weiteren schlossen die Täter mit einem dort vorgefundenen Schlüssel eine Schublade mit
Telefonkarten auf und entnahmen dieser alle vorhandenen Telefonkarten im Gesamtwert von 1.500 EUR. Weitere Waren blieben unbeachtet.
Der Schaden an der Schaufensterscheibe beträgt ca. 1.200 EUR.
II.
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Die Voraussetzungen einer "Funkzellenabfrage" gemäß §§ 100 g, 100 h Abs. 1 S. 2 StPO liegen vor.
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1. Die unbekannten Täter sind verdächtig des schweren Bandendiebstahls gemäß § 244 a Abs. 1 StGB. Der Tatverdacht ergibt sich aus dem
Ergebnis der bisherigen polizeilichen Ermittlungen, insbesondere auch aufgrund der im Beschwerdeverfahren nachgereichten Unterlagen.
Danach werden bundesweit Ermittlungsverfahren gegen organisierte, ausländische Banden geführt, die Taten mit demselben Modus Operandi
begehen.
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Es besteht auch der Verdacht, dass mehrere Bandenmitglieder am Tatort anwesend waren, zumal ein schwerer Gullydeckel in eine 1,50 m hohe
Scheibe geworfen wurde.
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2. Bei dem Verbrechen des schweren Bandendiebstahls handelt es sich um eine erhebliche Straftat i. S. d. § 100 h Abs. 1 S. 2 StPO.
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Es genügt daher die räumlich und zeitlich hinreichend bestimmte Bezeichnung der Telekommunikation, über die Auskunft erteilt werden soll.
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Andernfalls wäre die Erforschung des Sachverhalts aussichtslos oder zumindest wesentlich erschwert.
10 3. Der Auskunftsanspruch nach §§ 100 g, h StPO unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Meyer-Goßner, StPO, 47. A., § 100 g Rdnr. 7).
11 a. Nach kriminalistischer Erfahrung – aus früheren Verfahren – kommunizieren Mitglieder überregional tätiger Banden üblicherweise mittels
(Mobil-)Telefonen.
12 Vielfach werden die schwächsten Glieder der Bande mit der unmittelbaren Tatausführung beauftragt. Diese fordern dann – nach erfolgreicher
Ausführung der Tat – telefonisch den Fahrer an, der sie sodann in der Nähe des Tatorts abholt. Vielfach werden auch weitere Bandenmitglieder
eingesetzt, um bei einer Störung durch Dritte während der Tatausführung telefonisch zu warnen (vgl. Beschluss des LG Rottweil vom 2.2.2004,
Az.: 3 Qs 17/04).
13 Diese Annahme reicht für den Auskunftsanspruch aus; weitere tatsächliche Anhaltspunkte sind nicht erforderlich (vgl. BGH NStZ 2002, 107).
14 Die Kammer teilt nicht die Rechtsauffassung des Ermittlungsrichters, dass in den Fällen der Funkzellenabfrage stets § 100 a S. 2 StPO
anwendbar sei und deshalb stets tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen müssten, dass ein Mobiltelefon benutzt worden sei.
15 Die vorliegende Maßnahme richtet sich gegen unbekannte Beschuldigte und nicht gegen Dritte; § 100 a S. 2 StPO enthält lediglich eine
Einschränkung für den Fall, dass gezielt ein Anschluss eines Dritten abgehört werden soll. Dies ist vorliegend gerade nicht der Fall; dass Dritte
mitbetroffen sein können, ändert hieran nichts (s. nachf. c., d.).
16 b. Im übrigen zielt die Maßnahme nicht auf die Gewinnung von Erkenntnissen über Kommunikationsinhalte ab und erreicht deshalb die
Eingriffstiefe von Maßnahmen nach § 100 a StPO bei weitem nicht (vgl. BT-Drucks. 14/7258 S. 1-2).
17 c. Es kommt hinzu, dass die Anzahl der möglicherweise betroffenen unbeteiligten Dritten aufgrund der frühen und deshalb
kommunikationsarmen Zeit sehr gering sein wird.
18 Dass diese wenigen Teilnehmer am Mobilfunkverkehr als Verdächtige in Betracht kommen, ist angesichts der Schwere des Tatvorwurfs nicht
unverhältnismäßig, zumal die Strafverfolgungsbehörden bei den Ermittlungen entsprechend dem Verdachtsgrad üblicherweise zunächst
schonend vorgehen und nicht sogleich Zwangsmaßnahmen einleiten.
19 d. Dass durch die Anordnung möglicherweise datenschutzrechtliche Interessen Dritter betroffen sind, ist der Maßnahme immanent; dem trug der
Gesetzgeber mit den Benachrichtigungspflichten des § 101 StPO Rechnung.
20 4. Nach allem war der Beschwerde stattzugeben und die beantragte Maßnahme anzuordnen (§ 309 Abs. 2 StPO).