Urteil des LG Ravensburg vom 15.03.2010

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LG Ravensburg Beschluß vom 15.3.2010, 4 O 416/09
Leitsätze
1. Der Anspruchsübergang nach § 6 EFZG verändert nicht den Charakter des Schadensersatzanspruchs.
2. Ein nach § 6 EFZG übergehender Ersatzanspruch muss nicht stets allgemein bürgerlich-rechtlicher Art sein;
eine Qualifizierung des Anspruchs als arbeitsrechtlicher Natur (mit der Folge der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte)
ist etwa dann begründet, wenn ein Arbeitnehmer in mehreren Arbeitsverhältnissen steht und die von dem einen
Arbeitgeber zu verantwortende Schädigung zu Arbeitsunfähigkeit und Lohnfortzahlung im anderen Arbeitsverhältnis
führt.
Tenor
Der Rechtsweg zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist unzulässig.
Der Rechtsstreit wird gem. § 17a Abs. 2 GVG verwiesen an das
Arbeitsgericht Ulm.
Gründe
I.
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von 3.977,14 EUR nebst Zinsen in Anspruch.
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Ein Arbeitnehmer der Klägerin, G.S., war auch (als geringfügig Beschäftigter) Arbeitnehmer der Beklagten. Die
Beklagte setzte ihn bei Fa. H. in B. für Reinigungsdienste ein; dort kam es am 11.11.2006 zu einem
Arbeitsunfall. S.‘s Aufgabe war es, mit Hilfe eine ca. 4 m hohen Leiter eine etwa 3 m hohe CNC-Maschine zu
reinigen. Als die Leiter auf dem öligen Boden wegrutschte, stürzte S. zu Boden und verletzte sich.
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Die Klägerin macht geltend:
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Die Beklagte habe es versäumt, S. ausreichend über die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen zu instruieren.
S. sei infolge des Unfalls arbeitsunfähig gewesen; sie, die Klägerin, habe nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz
Arbeitslohn fortgezahlt. Gestützt auf § 6 EFZG begehrt sie von der Beklagten Ersatz.
II.
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Für den Rechtsstreit sind die Arbeitsgerichte zuständig. Nach Anhörung der Parteien war deshalb der
Rechtsstreit an das sachlich und örtlich zuständige Arbeitsgericht Ulm zu verweisen.
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1. Würde der Arbeitnehmer S. selbst gegenüber der Beklagten als seinem Arbeitgeber Ansprüche wegen des
Arbeitsunfalls geltend machen, wäre in jedem Fall die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte gem. § 2 Abs. 1 Ziff. 3
ArbGG begründet. Dies gilt unabhängig davon, ob man wegen der behaupteten Pflichtverletzung auf § 280 Abs.
1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag abstellt (§ 2 Abs. 1 Ziff. 3 Buchst. a) ArbGG) oder auf die
Verletzung von allgemeinen Verkehrssicherungspflichten gem. § 823 BGB (§ 2 Abs. 1 Ziff. 3 Buchst. d)
ArbGG).
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2. Die Klägerin macht im vorliegenden Rechtsstreit diesen Anspruch ihres Arbeitnehmers geltend. Sie hat nicht
etwa originär eigene Ansprüche gegen einen Schädiger wegen der zu erbringenden Lohnfortzahlung, sondern
kann nur aus übergegangenem Recht aufgrund der in § 6 EFZG angeordneten cessio legis vorgehen.
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a) Diese cessio legis erfasst gleichermaßen den Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB wie auch den Anspruch aus
§ 823 BGB ( Dörner , in: Erfurter Komm. zum ArbR, 10. Aufl. 2010, § 6 EFZG Rn. 4; MünchKomm- Müller-
Glöge , BGB 5. Aufl. 2009, § 6 EFZG Rn. 3). Sie vermag den arbeitsrechtlichen Charakter des geltend
gemachten Anspruchs nicht zu verändern.
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Gleichwohl wäre die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte an sich zu verneinen in solchen Fällen aufgrund der auch
subjektiven Anknüpfung in § 2 ArbGG (etwa Abs. 1 Ziff. 3: „zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern“). § 3
ArbGG ordnet jedoch an, dass eine nach § 2 begründete Zuständigkeit der Arbeitsgerichte auch in solchen
Fällen der Rechtsnachfolge (hier: gesetzliche Einzelrechtsnachfolge) besteht (vgl. Koch , in: Erfurter Komm.
zum ArbR, 10. Aufl. 2010, § 3 ArbGG Rn. 2). Allein die Tatsache eines Anspruchsübergangs soll nicht dazu
führen, dass Ansprüche arbeitsrechtlichen Charakters nicht mehr vor den Arbeitsgerichten zu klären sind.
10 b) Die klägerseits angeführte Kommentarstelle trägt keine andere rechtliche Bewertung.
11 In der Tat freilich wird weitestgehend in der Kommentierung zu § 6 EFZG ausgeführt, der Anspruchsübergang
verändere nicht den Charakter des Schadensersatzanspruchs; dieser bleibe ein allgemein bürgerlich-rechtlicher
Schadensersatzanspruch, der folglich nicht vor den Arbeitsgerichten, sondern vor den ordentlichen Gerichten
geltend zu machen sei ( Dörner , in: Erfurter Komm. zum ArbR, 10. Aufl. 2010, § 6 EFZG Rn. 3; Schlachter ,
in: MünchHdbArbR 3. Aufl. 2009, § 76 Rn. 2; Staudinger- Oetker , BGB Bearb. 2002, § 616 Rn. 416 mit zahlr.
weiteren Nachw.). Eine Zuständigkeit der Arbeitsgerichte komme nur gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 ArbGG in Betracht,
wenn es sich beim Schädiger um einen Arbeitskollegen handele ( Dörner und Schlachter , jew. a.a.O.).
12 Richtig ist, dass ein gesetzlicher Forderungsübergang grundsätzlich den Charakter eines Anspruchs nicht
berührt (siehe bereits vorstehend a) ). Soweit aber gesagt wird, der in § 6 EFZG erfasste Ersatzanspruch des
Arbeitnehmers sei stets ein allgemein bürgerlich-rechtlicher Anspruch (und nicht etwa ein spezifisch
arbeitsrechtlicher), fehlt jede Begründung. Eine Begründung hierfür ist auch nicht zu geben, denn in dieser
Allgemeinheit ist der Satz falsch. Dies wird bereits deutlich aus dem Hinweis auf die Fallkonstellation nach § 2
Abs. 1 Nr. 9 ArbGG (Arbeitskollege als Schädiger). Dass allein diese Fallkonstellation als mögliche Ausnahme
angeführt wird, liegt ersichtlich daran, dass die hier zu klärende Fallgestaltung nicht in den Blick genommen
wird, die wohl tatsächlich einen seltenen Ausnahmefall darstellt – dass nämlich ein Arbeitnehmer in mehreren
Arbeitsverhältnissen steht und die von dem einen Arbeitgeber zu verantwortende Schädigung zu
Arbeitsunfähigkeit und Lohnfortzahlung im anderen Arbeitsverhältnis führt. Wie aber vorstehend unter 1. bereits
dargelegt, ist der Ersatzanspruch des Arbeitnehmers in einem solchen Fall unzweifelhaft arbeitsrechtlicher
Natur.