Urteil des LG Ravensburg vom 28.07.2006

LG Ravensburg (gegen die guten sitten, beratung, werbung, verhältnis zu, uwg, mwst, preis, wettbewerb, verfügung, verbraucher)

LG Ravensburg Urteil vom 28.7.2006, 8 O 89/06 KfH 2
Wettbewerbsverstoß: Werbung von Rechtsanwälten mit niedrigen Pauschalvergütungen
Tenor
1. Die Verfügungsbeklagten werden verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des
Wettbewerbs damit zu werben, Beratungen in allen Angelegenheiten für Verbraucher zu einem Pauschalpreis von
20,00 EUR inkl. MwSt. o. ä. niedrigen Pauschalsätzen anzubieten.
2. Den Verfügungsbeklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen das in Ziffer 1 aufgeführte
Unterlassungsgebot ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder
Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, angedroht.
3. Die Verfügungsbeklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Streitwert: 30.000,00 EUR.
Tatbestand
1
Die Verfügungskläger Ziffer 1-4 verlangen von den Verfügungsbeklagten Ziffer 1 und Ziffer 2 die Unterlassung
einer Werbeanzeige.
2
Bei den Parteien handelt es sich um Rechtsanwälte, die in der Stadt ... miteinander in unmittelbarem
Wettbewerb stehen. Die Verfügungskläger Ziffer 1 und Ziffer 2 betreiben gemeinsam eine Anwaltskanzlei und
die Verfügungsklägerinnen Ziffer 3 und Ziffer 4 betreiben ebenfalls gemeinsam eine Kanzlei. Die
Verfügungsbeklagten haben sich als Rechtsanwälte ebenfalls zur gemeinschaftlichen Berufsausübung
zusammengeschlossen.
3
Am 10.06.2006 und am 14.06.2006 erschien in der "Schwäbischen Zeitung", deren Verbreitungsgebiet auch die
Stadt ... umfasst, eine Anzeige der Verfügungsbeklagten Ziffer 1 und Ziffer 2, in der diese auf eine
Fachanwaltszulassung und auf Tätigkeitsschwerpunkte hinweisen. Außerdem enthält das Inserat folgenden
Hinweis:
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"Als besondere Dienstleistung bieten wir ab dem 01.07.2006 jeweils mittwochs und freitags von 15:00 Uhr
bis 18:00 Uhr die Möglichkeit, sich ohne vorherige Terminabsprache von uns in allen Angelegenheiten
beraten zu lassen. Die Kosten für eine solche Beratung betragen für Verbraucher 20,00 EUR inkl. MwSt"
(Anlage VK1)
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Die Verfügungskläger halten diese Werbeanzeige für wettbewerbswidrig. Mit Anwaltsschriftsatz vom
14.06.2006 (Anlage VK2) forderten sie die Verfügungsbeklagten auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung
abzugeben. Mit Schriftsatz vom 23.06.2006 (Anlage VK3) lehnten die Verfügungsbeklagten die geforderte
Unterlassungserklärung ab.
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Die Verfügungskläger verfolgen ihr Unterlassungsbegehren weiter und haben den Erlass einer einstweiligen
Verfügung beantragt.
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Die Verfügungskläger tragen vor:
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Die Werbung der Verfügungsbeklagten mit einem derart niedrigen Pauschalgebührensatz von 17,24 EUR netto
verstoße gegen die guten Sitten. Gemäß § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG müssten zulässige Pauschalgebühren in
einem angemessenen Verhältnis zur Leistung und zum Haftungsrisiko bzw. zur Verantwortung des
Rechtsanwaltes stehen. Die von den Verfügungsbeklagten geschaltete Werbung mit Dumpingpreisen von 20,00
EUR inkl. MwSt. für Beratungen in allen Angelegenheiten verstoße damit gegen §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. §§
4 Abs. 2 Satz 3 RVG, 49 b Abs. 1 BRAO. Eine anwaltliche Beratung in allen Angelegenheiten auf seriöser
Basis könne zu diesem Preis nicht durchgeführt werden. Wenn eine derartige Gebührenfestsetzung für
zulässig erklärt würde, wären die Mitwettbewerber gezwungen, ihre Leistungen zu ähnlich niedrigen
Vergütungssätzen anzubieten. Dies führte letztlich zu einem ruinösen Wettbewerb; dieses Ergebnis könne aber
auch nicht im Interesse der Rechtsuchenden liegen, da bei einem derart ruinösen Wettbewerb damit zu
rechnen sei, dass die Qualität der Rechtsberatung nachlassen werde.
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Die Werbung der Verfügungsbeklagten sei darüber hinaus irreführend. Ziel der Werbung der
Verfügungsbeklagten sei es im Hinblick auf die beworbenen Dumpingpreise, potentielle Mandanten im Rahmen
einer kurz gehaltenen Beratung zur Erteilung eines Auftrags zur außergerichtlichen Vertretung oder zum
gerichtlichen Tätigwerden zu bewegen, um diese Tätigkeiten dann nach den Gebührensätzen des RVG
abrechnen zu können. Mit den niedrigen Pauschalsätzen werde der Verbraucher angelockt, um dann weitere
Angebote unterbreitet zu bekommen. Vor diesem Hintergrund könne der Inhalt der Werbung nicht ernst gemeint
sein und führe so zu einer Irreführung der betroffenen Verkehrskreise.
10 Die Verfügungskläger beantragen,
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den Verfügungsbeklagten Ziffer 1 und Ziffer 2 im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung eines für
jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft
bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu 2
Jahren, zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs damit zu werben,
Beratungen in allen Angelegenheiten für Verbraucher zu einem Pauschalpreis von 20,00 EUR inkl. MwSt.
o. ä. niedrigen Pauschalsätzen anzubieten.
12 Die Verfügungsbeklagten beantragen,
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den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
14 Sie bringen vor:
15 Für die beratende Tätigkeit der Rechtsanwälte gebe es ab 01.07.2006 gar keine gesetzliche Vergütung mehr;
deshalb scheide ein Verstoß gegen §§ 49 b Abs. 1 BRAO aus. Die Rechtsprechung, auf die die
Verfügungskläger Bezug nehmen, sei zur Gesetzeslage, die vor dem 01.07.2006 gegolten habe, ergangen.
16 Sie wiesen den Vorwurf, zum angegebenen Preis nicht seriös zu beraten, entschieden zurück. Es könne
durchaus sein, dass im einen oder anderen Fall eine Beratung zum angegebenen Preis wenig Kostendeckung
erwirtschafte. Dies sei aber das Problem, wie die Verfügungsbeklagten kalkulierten. Tatsächlich handele es
sich bei dem Angebot nicht um "Dumpingpreise", sondern um eine Mischkalkulation, die wirtschaftlich sei.
17 Es sei nicht richtig, dass die beanstandete Werbetaktik gewählt worden sei, um ein Beratungsmandat in eine
Angelegenheit überführen zu können, die dann nach den Gebührensätzen des RVG abgerechnet werde. Ob ein
Beratungsmandat in eine weiter nach dem RVG zu vergütende Tätigkeit münde, hänge allein vom Fall selbst
ab.
18 Durch die Werbemaßnahme sei der Rechtssuchende auch nicht über den Preis des gesamten Angebots der
anwaltlichen Tätigkeit getäuscht worden, weil sich die Werbemaßnahme eben nur auf die anwaltliche Beratung
beziehe. Der Rechtssuchende könne sich frei entscheiden, welche Leistungen er in Anspruch nehmen wolle.
19 Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter und die vorgelegten Anlagen
verwiesen.
20 Die Verfügungsbeklagten haben am 19.06.2006 nach der Abmahnung eine Schutzschrift eingereicht. Die
Kammer hat die Akten der Schutzschrift (Az. 8 AR 64/06 SchS ) beigezogen.
Entscheidungsgründe
I.
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Der Antrag auf Erlass einer einsteiligen Verfügung ist zulässig.
II.
22
Der Antrag ist auch begründet.
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1. Die Verfügungskläger können von den Verfügungsbeklagten verlangen, dass diese es unterlassen,
damit zu werben, Beratungen in allen Angelegenheiten für Verbraucher zu einem Pauschalpreis von 20,00
EUR inkl. MwSt. o. ä. niedrigen Pauschalsätzen anzubieten. Denn derartige Werbeanzeigen sind unlauter,
da mit geringeren Gebühren geworben wird, als es das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) vorsieht (§§
3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG, § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG).
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a) Die Parteien stehen zueinander in einem direkten Wettbewerb, da sie alle ihre Anwaltskanzleien in
der Stadt ... betreiben.
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b) Die Werbung mit einer Pauschalgebühr in Höhe von 20,00 EUR inkl. MwSt. für eine Beratung in
allen Angelegenheiten verstößt gegen das Verbot in § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO, geringere Gebühren
zu verlangen als es das RVG vorsieht. § 49 b BRAO stellt eine Marktverhaltensregelung (auch) im
Interesse der Mitbewerber dar. Diese Vorschrift soll einen ruinösen Preiswettbewerb verhindern und
gleichzeitig gleiche rechtliche Voraussetzungen für alle Wettbewerber auf dem Markt schaffen
(Hefermehl/Köhler/Bornkamm-Köhler, Wettbewerbsrecht, 24. Auflage, § 4 UWG, Randnummer 11.139).
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c) Nach § 49 b Abs. 1 Satz 1 BRAO ist auch die Vergütungsvorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG zu
beachten. Bei Kosten in Höhe von 20,00 EUR für Beratungsleistungen in allen Angelegenheiten des
Verbrauchers steht die Vergütung aber nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistung,
der Verantwortung und dem Haftungsrisiko des Rechtsanwalts.
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Nach Ansicht der Kammer findet § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG auch nach der Neufassung von § 34 RVG
ab 01.07.2006 auf Pauschalvergütungen, die für Beratungsleistungen getroffen werden,
Anwendung. Dass § 4 Abs. 2 Satz 1 RVG, auf den in § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG Bezug genommen
wird, vorsieht, dass für die außergerichtlichen Angelegenheiten, für die die Pauschalvergütung
vereinbart wurde, ansonsten gesetzliche Gebühren gegolten hätten, § 34 Abs. 1 Satz 2 RVG n. F.
aber nicht mehr auf Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis sondern auf die Gebühren nach
den Vorschriften des bürgerlichen Rechts (§ 612 Abs. 2 BGB) verweist, steht dem nicht entgegen.
Nach der Begründung zur Neufassung von § 34 RVG (vgl. BT-Drucksache 15/1971 S. 3 und S.
238) sollte dadurch zwar eine Deregulierung erreicht werden, andererseits sollte weiterhin eine
funktionierende Rechtspflege sichergestellt werden. Deshalb ist § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG als
allgemeine Vorschrift auch für Pauschalvergütungen heranzuziehen, die für außergerichtliche
Angelegenheiten vereinbart wurden, für die ansonsten eine übliche Vergütung nach § 34 Abs. 1
Satz 2 RVG i.V.m. § 612 Abs. 2 BGB festzusetzen wäre.
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d) Nach Ansicht der Kammer steht eine Pauschalvergütung in Höhe von 20,00 EUR für eine
Beratungsleistung in allen Angelegenheiten eines Verbrauchers nicht mehr in einem angemessenen
Verhältnis zur Leistung, zur Verantwortung und zum Haftungsrisiko des Rechtsanwalts (vgl. OLG
Hamm NJW 2004, 3269). Das gilt sowohl dann, wenn man sich bei der angemessenen Vergütung an
den Gebühren der Nummern 2100 ff. VV RVG a. F. orientiert, als auch dann, wenn man zum Vergleich
auskömmliche Zeitvergütungen oder feste Anteile heranzieht (vgl. Schneider, Wegfall der
Beratungsgebühren zum 01.07.2006, in: NJW 2006, 1905 ff., 1907 ff.; Gerold/Schmidt/v.
Eicken/Madert/Müller-Rabe-Madert, RVG, 17. Auflage, § 34 Randnummer 3 ff.; zur Angemessenheit
von Stundensätzen s. Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe-Madert, a.a.O., § 34
Randnummer 4 und § 4 Randnummer 34).
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Es kann auch nicht argumentiert werden, ein Rechtsanwalt könne zwischen der vereinbarten
Vergütung für Beratungsleistungen und seiner sonstigen Kostenstruktur eine Mischkalkulation
vornehmen, da ansonsten die Gefahr besteht, dass die Beratungsleistung i. S. v. § 34 RVG nicht
umfassend erfolgt, sondern dass versucht wird, potentielle Mandanten im Rahmen einer kurz
gehaltenen Beratung zur Erteilung eines Auftrags zur außergerichtlichen Vertretung oder zum
gerichtlichen Tätigwerden zu bewegen.
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Bei der vorliegenden Anzeige kommt erschwerend hinzu, dass keinerlei Differenzierung nach
Rechtsgebieten, nach Schwierigkeit der Beratung und Umfang der Tätigkeit vorgenommen wird,
und dass trotz der äußerst niedrigen Pauschalgebühren keine Ausnahmen vorgesehen sind. Auch
nach der Vorstellung des Gesetzgebers (vgl. BT-Drucksacke 15/1971 S. 239) sollte aber nicht für
alle Beratungsfälle – unabhängig von Umfang, Bedeutung und Zeitintensität – eine einheitliche
Pauschale verlangt werden, sondern durch die Gebührenvereinbarung sollte es dem Anwalt
ermöglicht werden, eine auf den Einzelfall zugeschnittene Gestaltung der Gebühren vorzunehmen.
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Den Verfügungsklägern ist außerdem zuzugeben, dass dann, wenn eine derartige
Gebührenfestsetzung für zulässig erklärt würde, auch die Mitwettbewerber gezwungen wären, ihre
Leistungen zu ähnlich niedrigen Vergütungssätzen anzubieten. Dies würde letztlich zu einem
ruinösen Wettbewerb führen. Dieses Ergebnis kann aber nicht im Interesse der Rechtsuchenden
liegen, da bei einem derart ruinösen Wettbewerb die Qualität der außergerichtlichen Beratung i. S.
v. § 34 RVG beeinträchtigt sein könnte (vgl. LG Essen, NJW 2004, 2836).
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Die Verfügungsbeklagten können sich schließlich auch nicht auf einen Vergleich mit den
Beratungshilfegebühren berufen. Selbst in diesem Sonderfall entstehen als Festgebühren die
Beratungshilfegebühr nach Ziffer 2500 des VV zum RVG i. H. v. 10,00 EUR und zusätzlich die
Beratungsgebühr nach Ziffer 2501 des VV zum RVG i. H. v. 30,00 EUR zzgl. Auslagen und
MwSt.; außerdem besteht hier noch die Möglichkeit der Einigungs- und Erledigungsgebühr nach
Ziffer 2508 des VV zum RVG i. H. v. 125,00 EUR.
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e) Damit ist eine unlautere Werbemaßnahme im Sinne von §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. § 49 b Abs. 1
Satz 1 BRAO, § 4 Abs. 2 Satz 3 RVG und ein Unterlassungsanspruch nach § 8 Abs. 1 UWG gegeben.
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f) Ob die Werbung der Verfügungsbeklagten auch irreführend im Sinne von §§ 3, 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1
und Nr. 2 UWG (Irreführung über Merkmal und Preis der Dienstleistung) ist, weil dem Mandanten ein
Preis für eine Beratungsleistung versprochen wird, zu dem keine in allen Fällen befriedigende Beratung
– kostendeckend – erfolgen kann, kann dahingestellt bleiben.
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2. Da die Verfügungsbeklagten im Juni 2006 die beanstandeten Werbeanzeigen veröffentlichen ließen, ist
auch die Eilbedürftigkeit der Sache zu bejahen.
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3. Somit war dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stattzugeben (§§ 8 Abs. 1, 12 Abs. 2
UWG).
III.
37
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO. Die Androhung der Zwangsmittel beruht auf § 890 ZPO.
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Die Schriftsätze des Klägervertreters vom 18.07.2006, 19.07.2006 und 25.07.2006 gaben keine
Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.