Urteil des LG Potsdam vom 29.03.2017

LG Potsdam: juristische person, staat, öffentlich, verfügung, finanzen, nachlassgericht, liquidität, bereicherungsanspruch, form, kapital

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Gericht:
LG Potsdam 1.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 O 35/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 100 BGB, § 818 Abs 1 BGB, §
2020 S 1 BGB, § 2021 BGB
Anspruch gesetzlicher Erben gegen den Landesfiskus auf
Herausgabe der Nutzungen aus treuhänderisch verwaltetem
Nachlassvermögen: Erstreckung der Herausgabepflicht auf
Zinsen
Tenor
1. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Kläger 27.100,46 Euro zu zahlen.
2. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden
Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Kläger sind die gesetzlichen Erben des am 4. April 1992 in M. bei O. verstorbenen W.,
der der Cousin des Vaters der Kläger, A., war.Da zunächst keine testamentarisch
bedachten oder gesetzlichen Erben hatten ermittelt werden können, stellte das
Amtsgericht Oranienburg durch Beschluss vom 12. Dezember 1994 - 52 VI 256/92 - fest,
dass ein anderer Erbe als das Land Brandenburg nicht vorhanden sei.
Der Wert des Nachlasses belief sich auf den beim Nachlassgericht hinterlegten Betrag
von 127.905,12 DM. Mit Schreiben an das Nachlassgericht vom 14. August 1995
bestätigte das Ministerium der Finanzen, dass am 18. April 1995 ein Betrag in Höhe von
129.273,14 DM auf das Konto des Landes bei der Landeszentralbank in Berlin-
Brandenburg eingegangen war.
Mit Schreiben vom 30. Oktober 1996 teilte der von den Klägern beauftragte
Rechtsanwalt T. dem Ministerium für Finanzen unter Beifügung von Unterlagen mit, dass
die Kläger Erben des Erblassers W. seien, und forderte das Ministerium für Finanzen auf,
den treuhänderisch verwalteten Betrag in Höhe von 129.273,14 DM an die Kläger zu
zahlen.
Die Kläger leiteten ein Erbscheinsverfahren beim Nachlassgericht Oranienburg ein. Am
15. Juni 2005 hob das Amtsgericht Oranienburg den Beschluss vom 12. Dezember 1994
hinsichtlich der Fiskuserbrechtsfeststellung auf und erteilte den Erbschein, wonach die
Kläger zu je 1/3 des Nachlasses Erben des am 4. April 1992 verstorbenen W. sind.
Am 15. Juli 2005 zahlte das beklagte Land 66.096,31 Euro (=129.273,14 DM) an die
Kläger.
Mit Schreiben vom 19. Dezember 2005 teilte das beklagte Land den Klägern mit, der
Nachlassbetrag von 66.096,31 Euro sei „für den Landeshaushalt zur Finanzierung
öffentlicher Aufgaben vereinnahmt“ worden. Die Einnahme sei „haushaltsmäßig unter
Kapitel 20020, Titel 29810 des Haushaltsplanes (Einnahmen aus Erbschaften des Fiskus)
erfasst“ worden.
Die Kläger sind der Auffassung, ihnen stünden für die Zeit vom 18. April 1995 bis 15. Juli
2005 Zinsen auf das vom beklagten Land genutzte Kapital zu, weil das Land sich sonst
diesen Betrag im Wege einer Kreditaufnahme hätte leihen und hierfür die marktüblichen
Zinsen zahlen müssen. Das Land habe daher Gebrauchsvorteile in Form der ersparten
Zinsen erlangt und diese gezogenen Nutzungen herauszugeben. Zudem habe das Land
spätestens seit Erhalt des Schreibens des Rechtsanwalts T. vom 30. Oktober 1996
gewusst bzw. wissen müssen, dass die Kläger sich der Erbenstellung berühmten und der
Betrag nicht dem Land zustehe. Hinsichtlich der Höhe der Aufwendungen würden sich
die Kläger auf den Wert des seinerzeitigen gesetzlichen Zinssatzes von 4 %
beschränken.
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Nachdem die Kläger die zunächst auf die Klageforderung geltend gemachten
Rechtshängigkeitszinsen zurückgenommen haben, beantragen sie,
das beklagte Land zu verurteilen, an die Kläger 27.100,46 Euro zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es macht geltend, Nutzungen seien nicht in Form zugeflossener Zinserträge oder
ersparter Kreditzinsen gezogen worden, da die haushaltsmäßig erfassten Einnahmen
nicht zur Tilgung eigener Schuldverpflichtungen verwandt worden seien. Maßgebend sei
allein, dass der Staat bei der Vereinnahmung von Beträgen im Rahmen von
Fiskalerbschaften nicht im eigenwirtschaftlichen Interesse tätig werde, sondern über die
ihm zur Verfügung gestellten Mittel im Interesse der Allgemeinheit verfüge. Das beklagte
Land sei aufgrund des Erbscheins des Amtsgerichts Oranienburg gutgläubig gewesen
und habe auch nach Erhalt des Schreibens des Rechtsanwaltes T. vom 30. Oktober 1996
auf dessen Richtigkeit vertrauen dürfen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Den Klägern als Erben steht nach §§ 2020 Satz 1, 2021, 818
Abs. 1, 100 BGB gegen das beklagte Land als Erbschaftsbesitzer ein Anspruch auf
Herausgabe der aus dem Nachlassvermögen gezogenen Nutzungen zu.
Der Nutzungsherausgabeanspruch umfasst die tatsächlich erlangten Zinsen seit
Entstehung dieses Anspruchs. Ferner hat der Bereicherungsschuldner, sofern er das
erlangte Geld zur Tilgung von Schulden verwendet hat, die dadurch ersparten
Zinszahlungen als Vorteil aus dem Gebrauch des Geldes an den Bereicherungsgläubiger
herauszugeben (Palandt/Sprau, 67. Aufl., § 818 BGB Rnr. 10). Auch die öffentliche Hand
ist gemäß § 818 Abs. 1 BGB verpflichtet, Zinsgewinne herauszugeben. Das gilt für den
zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch in gleicher Weise wie für den öffentlich-
rechtlichen Erstattungsanspruch. Den Zinserträgen, zu denen die gezogenen Nutzungen
gehören, sind die ersparten Zinszahlungen als Vorteile aus den rechtsgrundlos
erhaltenen Beträgen gleichzustellen, soweit das erlangte Geld zur Tilgung von Schulden
verwendet wird (BGHZ 138, 160 = NJW 1998, 2354; BayObLG NJW 1999, 1194, 1195).
Allerdings hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 3. Februar 2004 (NJW 2004, 1315,
1317) ausgeführt, bei einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch gegen eine
Behörde komme eine Verzinsung wegen tatsächlich gezogener Nutzungen grundsätzlich
nicht in Betracht, weil der Staat öffentlich-rechtlich erlangte Einnahmen in der Regel
nicht gewinnbringend anlege, sondern über die ihm zur Verfügung stehenden Mittel im
Interesse der Allgemeinheit verfüge. Diese Rechtssprechung gelte auch für den
zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch gegen den Steuerfiskus, weil die Zahlung wie
eine Steuereinnahme im Interesse der Allgemeinheit habe verwandt werden sollen.
Dem vermag das erkennende Gericht nicht zu folgen. Zunächst hat das
Bundesverwaltungsgericht in der vom Bundesgerichtshof in Bezug genommenen
Entscheidung vom 27. Oktober 1998 (NJW 1999, 1201, 1202) den in der Entscheidung
vom 18.05.1973 (NJW 1973, 1854 f.) aufgestellten Grundsatz, der Staat lege seine
öffentlich-rechtlichen Einnahmen in aller Regel nicht gewinnbringend an, sondern die
öffentliche Hand verfüge über die ihr zur Verfügung gestellten Mittel stets im Interesse
der Allgemeinheit, nicht bestätigt. Das Bundesverwaltungsgericht hat lediglich
ausgeführt, es könne auf sich beruhen, ob die Rechtsprechung in NJW 1973, 1854 der
Überprüfung bedürfe, da sie jedenfalls in dem zu entscheidenden Fall - bei dem
beklagten Pensionssicherungsverein handelte es sich um eine juristische Person des
Privatrechts - keine Anwendung finden könne. Wenn Kapital in einer Art und Weise
verwendet worden sei, die nach der Lebenserfahrung einen bestimmten wirtschaftlichen
Vorteil erwarten lasse, sei nach der zivilrechtlichen Rechtsprechung eine entsprechende
Zinsziehung zu vermuten.
An der vom Bundesverwaltungsgericht in NJW 1973, 1854 f. vertretenen, jedoch nicht
näher begründeten Auffassung, dass der Staat seine Einnahmen nur für Zwecke des
allgemeinen Wohls und nicht für Zwecke der Ertragserzielung verwende, mag richtig
sein, dass der Staat die Verwaltung seiner Mittel nicht am Zweck der Gewinnerzielung,
sondern der Finanzierung öffentlicher Aufgaben ausrichtet. Das ändert jedoch nichts
daran, dass auch der Staat mit den vorhandenen liquiden Mitteln wirtschaftlich umgehen
muss, den Kreditbedarf gering halten und Überschüsse ertragbringend anlegen soll. Dies
entspricht dem allgemeinen Prinzip einer wirtschaftlichen staatlichen Haushaltsführung.
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entspricht dem allgemeinen Prinzip einer wirtschaftlichen staatlichen Haushaltsführung.
Gerade aus dem Gedanken der Zweckbindung staatlicher Finanzmittel in Richtung auf
das Gemeinwohl ergibt sich, dass der Staat zum wirtschaftlichen Umgang mit seinen
Geldmitteln verpflichtet ist (Schön, NJW 1993, 3289, 3291; dem folgend BayObLG NJW
1999, 1194, 1195). Der der öffentlichen Hand zugeflossene Geldbetrag führt entweder
zu einer faktischen Erhöhung der Liquidität oder zu einer faktischen Verminderung eines
etwaigen Fehlbestandes. Jede überschlüssige Liquidität auf Seiten der öffentlichen Hand
zieht eine konkrete Auswirkung auf die Höhe etwaiger Kassenverstärkungskredite oder
auf den Umfang einer zinslosen Anlage bei der Deutschen Bundesbank oder einer
zinsbringenden Anlage bei den Geldmärkten nach sich. Das rechtlich streng geordnete
Verfahren der öffentlichen Kassenwirtschaft lässt es daher zu, jede Einzahlung eindeutig
in eine Kausalbeziehung zu der Verminderung von Kreditzinsen aus
Kassenverstärkungskrediten oder der Vermehrung von Einnahmen aus vorläufigen
Anlagen des Überschusses zu setzen. Soweit die konkrete Überzahlung der öffentlichen
Hand Kassenverstärkungskredite erspart oder Anlagemöglichkeiten geboten hat, sind
die erwirtschafteten oder ersparten Zinsen als Bereichungserfolg an den
Bereicherungsgläubiger herauszugeben (Schön a. a.0., 3292).
Für den vorliegenden Fall kommt hinzu, dass das Land Brandenburg gerichtsbekannt
verschuldet ist und auch bereits bei Vereinnahmung des Nachlasswertes im Jahre 1995
und Einstellung in den Landeshaushalt verschuldet war. Dadurch sind entweder dem
beklagten Land Ausgaben ermöglicht worden, welche es sonst aus den Einnahmen an
Steuern, Gebühren, Beiträgen sowie aus Einkünften der Unternehmen der öffentlichen
Hand nicht hätte tätigen können und wofür deshalb das Volumen der Kreditaufnahme
hätte erhöht werden müssen. Oder das vereinnahmte Geld ist dazu genutzt worden, die
Verschuldung des beklagten Landes in der entsprechenden Höhe abzutragen, wodurch
Kreditzinsen erspart worden sind. Eine andere Möglichkeit, etwa die Tätigung von
Luxusausgaben, scheidet aufgrund der Verpflichtung der öffentlichen Hand zur
sorgfältigen Bewirtschaftung ihrer Mittel im Rahmen des Haushaltsrechts aus.
Aus diesen Ausführungen folgt zugleich, dass der Gesichtspunkt des regelmäßig
fehlenden eigenwirtschaftlichen Interesses der öffentlichen Hand bzw. das „Interesse der
Allgemeinheit“ kein geeignetes Kriterium für den Umfang der Verpflichtung der
öffentlichen Hand zur Herausgabe gezogener Nutzungen sein kann. Es kommt nur
darauf an, ob die öffentliche Hand aus der rechtsgrundlosen Vereinnahmung von
Geldbeträgen faktische Vorteile zieht. Das ist wegen der im Hinblick auf die
Haushaltslage zwangsläufig ersparten Zinszahlungen der Fall. Die Berücksichtigung
etwaiger Motive des Bereicherungsschuldners bei der Verwendung rechtsgrundlos
erlangter Einnahmen ist dem Bereicherungsrecht fremd. Eine Privilegierung der
öffentlichen Hand gegenüber dem privaten Bereicherungsschuldner, der ersparte
Kreditzinsen ohne weiteres herauszugeben hat, ist unter keinem Gesichtspunkt sachlich
zu rechtfertigen.
Die Höhe des verlangten Zinssatzes von 4 % ist im Hinblick auf die bezüglich ersparter
Schuldzinsen geltende Vermutung (vgl. BVerwG NJW 1999, 1201, 1202 f.) nicht zu
beanstanden und von dem beklagten Land auch nicht bestritten worden.
Da somit die Klage bereits nach den vorstehenden Ausführungen in vollem Umfang
begründet ist, kommt es auf die Frage, ob das beklagte Land nach §§ 2024 Satz 2, 2023
Abs. 2, 987 Abs. 1 BGB seit dem Erhalt des Schreibens vom 30. Oktober 1996 auch
unter dem Gesichtspunkt der Bösgläubigkeit haftet, nicht mehr an.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO. Die
Zuvielforderung hinsichtlich des zurückgenommenen Zinsanspruchs war
verhältnismäßig geringfügig und hat keine besonderen Kosten verursacht (§ 92 Abs. 2
Nr. 1 ZPO).
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