Urteil des LG Potsdam vom 29.03.2017

LG Potsdam: stadt, treu und glauben, agb, kaufpreis, käufer, erfüllung, erdgas, geschäftsführer, bestandteil, kaufrecht

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Gericht:
LG Potsdam 8.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 O 643/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 3 Abs 3 S 4 VermG, § 2 Abs 1
InVorG, § 3 AGBG, § 9 Abs 1
AGBG, § 9 Abs 2 Nr 1 AGBG
Investitionsvorrang: Unwirksame AGB-Klausel in einem
Grundstückskaufvertrag im Investitionsvorrangsverfahren bei
Überwälzung der Instandsetzungskosten auf den Käufer
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits unter Einschluss der außergerichtlichen Kosten der
Streithelferin der Beklagten werden der Klägerin auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
jeweils zur Vollstreckung gelangenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht der Gemeinnützige W.- und … P. mbH (im
folgenden: G.) Ansprüche auf Aufwendungsersatz für Instandsetzungskosten bzgl. 2
Grundstücken in P. geltend. Es handelt sich dabei um die Grundstücke W. 19 und W. 21
in P.-B. Mit notariellem Vertrag vor dem Notar G. R. zur UR-Nr. 85/2000 erwarb die O.
GmbH - die nunmehrige umfirmierte Streithelferin der Beklagten - die vorbezeichneten
Grundstücke von der Stadt P.. Nachdem zuvor ein Wertgutachten über die Grundstücke
eingeholt wurde, einigte man sich auf einen Kaufpreis von 820.000,00 DM, was in § 2
dieses Notarvertrages festgelegt wurde. § 12 des Notarvertrages ist mit „Kosten“
überschrieben und enthält in Absatz 4 folgenden Passus: „Der Käufer erstattet der W.
GmbH ( Wohnungsverwaltungsges. P.) / G. P. GmbH die nachweisbar aufgewendeten
Kosten gem. § 3 Abs. 3 S. 4 VermG (z. B. Umstellung auf Erdgas)“. Wegen des weiteren
Inhalts dieses Notarvertrags wird auf die Bl. 392 - 400 d. A. Bezug genommen.
Am 14.4.2000 wurde zur UR-Nr. 1219-2000 des Notars P. A. zwischen der O. GmbH und
der Beklagten ein notarieller Grundstückskaufvertrag über die beiden Grundstücke in B.
geschlossen, wobei ein Kaufpreis von 820.000,00 DM festgesetzt wurde. In § 3 dieser
Vertragsurkunde ist geregelt, dass im übrigen für das Verhältnis zwischen Verkäufer und
Käufer die schuldrechtlichen Vereinbarungen aus der Verweisungsurkunde (gemeint ist
der vorherige Kaufvertrag vor dem Notar G.R. zur UR-Nr. 85/2000) entsprechend mit der
Maßgabe gelten, dass die dort genannten Termine und Fristen in der Weise verschoben
werden, dass diese in keinem Fall vor dem 10.5.2000 liegen. In § 4 II des Vertrags vom
14.4.2000 findet sich folgende Regelung: „Der Käufer übernimmt an Stelle des
Verkäufers die Erfüllung aller Verpflichtungen des Verkäufers gegenüber der Stadt aus
der Verweisungsurkunde, insbesondere also die Investitionsverpflichtung gem. dem
Investitionsvorrangbescheid und dem zugehörigen Vorhabenplan sowie die
Kaufpreiszahlung - abgesehen von Ansprüchen aus Verzug wegen einer Zahlung bis
25.5.2000, soweit dieser nicht auf einen Zinsschaden beschränkt ist. Der Verkäufer weiß,
dass er aus seiner Verpflichtung der Stadt gegenüber nur mit deren Zustimmung frei
wird. Dies bedeutet, dass er der Stadt gegenüber zur Durchführung der Investitionen
verpflichtet bleibt. Der Verkäufer ist sich der hieraus für ihn resultierenden Risiken
bewusst. Die Eigentumsumschreibung auf den Käufer soll aber gleichwohl vor Erfüllung
der Investitionsverpflichtung erfolgen. Auch andere Sicherheiten wie beispielsweise eine
Bankbürgschaft werden nicht gewünscht.“ Wegen der näheren Einzelheiten dieser
Notarurkunde wird auf die Blätter 410 - 419 d. A. Bezug genommen.
Die O. GmbH hatte zuvor die beiden Grundstücke im Wege eines
Investitionsvorrangverfahrens von der Landeshauptstadt P. erworben. Die Klägerin hat
eine Abtretungserklärung vom 11.5.2004 der G. an sie vorgelegt, wonach alle gegenüber
den Restitutionsberechtigten bzw. Miteigentümern des Grundstücks W. 19 in P.
bestehenden, aus der Verwaltung des Grundstücks resultierenden Ansprüche
einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Freistellungsansprüche
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einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Freistellungsansprüche
abgetreten werden, wobei die Abtretungsempfängerin die Abtretung annimmt. Eine
wortlautgleiche Abtretungsvereinbarung hat die Klägerin für das Grundstück W. 21
vorgelegt.
Die Klägerin behauptet: Die Stadt P. habe der G. mit der Umwandlung des Vermögens
des ehemaligen VEB Gebäudewirtschaft P. das ehemals von diesem als Rechtsträger
gehaltene Immobiliarvermögen zur Verwaltung übertragen, so auch die
Hausgrundstücke W. 19 und 21 in P.. Die hiesige Klägerin sei eine 100 %ige
Tochtergesellschaft der G. und darüber hinaus identisch mit der im Notarvertrag vom
27.1.2000 bezeichneten W. GmbH. Sie sei aufgrund der Abtretungserklärungen vom
11.5.2004 Forderungsinhaberin geworden. Die Abtretungsvereinbarungen seien auf
Seiten der G. durch den Geschäftsführer W. und auf seiten der Klägerin durch den
Geschäftsführer N. unterzeichnet worden. Bzgl. des Grundstücks W. 19 habe die G. die
Umstellung von Stadtgas auf Erdgas und weitere Maßnahmen zur Sanierung beauftragt
und bezahlt. Auf dieses Grundstück seien Kosten in Höhe von 348.433, 34 DM
angefallen. Bzgl. des Grundstücks W. 21 sei ebenfalls eine Umstellung von Stadtgas auf
Erdgas durch die G. beauftragt und bezahlt worden und darüber hinaus noch weitere
Maßnahmen durchgeführt worden. Die G. habe insgesamt bzgl. des Grundstücks
107.893,50 DM aufgewendet. Insgesamt seien 456.326,84 DM (= 233.316,20 €) von der
Beklagten zu erstatten.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 233.316,20 € nebst 5 % hieraus über dem
Basiszinssatz seit dem 1.9.2001 zu zahlen.
Die Beklagte und ihre Streithelferin beantragen,
Die Klage abzuweisen.
Die Beklagte und die Streithelferin sind der Auffassung, dass die Vertragsklausel in § 12
IV des Notarvertrags vom 27.1.2000 gegen das AGBG verstoße. Sie sei überraschend
und unangemessen. Darüber hinaus bestreitet die Beklagte die Wirksamkeit der
vorgelegten Abtretungserklärungen. Des weiteren bestreitet die Beklagte die
Erforderlichkeit der abgerechneten Maßnahmen, die Verauslagungen der Kosten durch
die G. und auch die Ortsüblichkeit der abgerechneten Kosten. Im übrigen ergebe sich
aus einem Schreiben der W. an die Landeshauptstadt P., dass letztere frühzeitig die
Höhe der Kosten bekannt gewesen sei. Die Stadt P. habe bei dem
Vertragsverhandlungen diese bewusste und zielgerichtet verschwiegen.
Die Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist sachlich nicht gerechtfertigt. Die Klägerin hat keinen Anspruch
aus § 12 IV des Notarvertrags vom 27.1.2000 in Verbindung mit § 4 II des Notarvertrags
vom 14.4.2000 in Verbindung mit § 3 III S. 4 VermG und § 398 BGB.
1. Die Klausel in § 4 II des Vertrags vom 14.4.2000, wonach der Käufer anstelle des
Verkäufers die Erfüllung aller Verpflichtungen des Verkäufers gegenüber der Stadt aus
der Verweisungsurkunde übernimmt, ist insoweit unwirksam, als es um die
Erstattungspflicht gem. § 12 IV der ersten Notarurkunde geht.
Die Klausel in § 12 IV des ersten Notarvertrages verstößt gegen § 9 II Nr. 1 AGB und ist
deshalb unwirksam. Die Klausel stellt eine Allgemeine Geschäftsbedingung gem. § 1 I
AGB dar, zumal sie für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert wurde, wobei die Stadt
P. Verwender ist. Unstreitig hat die Stadt P. in einer Reihe von Fällen, in denen es um
einen Erwerb nach dem InVorG ging, gleichartige Verträge mit solchen Klauseln
verwendet. Unstreitig ging es dabei um Kaufverträge vom 5.6.1997, 6.2.1998 und
27.1.2000 über Objekte in der G. und der L. in P. (Bl. 310 d. A.). Für den AGB-Charakter
ist es unerheblich, dass der Vertrag notariell beurkundet wurde (vgl. BGH, NJW-RR 2001,
1420, 1422). Es kann dahinstehen, ob der vorformulierte Text von der Klägerin gestellt
oder vom beurkundenden Notar selbständig erarbeitet wurde. Entscheidend ist, dass in
all diesen Fällen eine solche Klausel verwendet wurde, welche Verpflichtungen für den
Grundstückskäufer statuiert und insofern alles dafür spricht, dass diese Klausel auf
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Grundstückskäufer statuiert und insofern alles dafür spricht, dass diese Klausel auf
Initiative der Stadt aufgenommen wurde. Die Stadt hat offenkundig in all den Fällen Wert
auf die Hereinnahme dieser Klausel in den Vertrag gelegt, so dass alles dafür spricht,
dass sie nicht individuell zwischen den Parteien des Grundstückskaufvertrages
ausgehandelt wurde. Letzteres trägt die Klägerin auch nicht vor.
Bei der Beurteilung, ob eine unangemessene Benachteiligung der anderen
Vertragspartei gegeben ist, ist zunächst von den Vorschriften des dispositiven Rechts
auszugehen, welches ohne die Klausel gelten würde (Palandt/Heinrichs, BGB 57. Auflage,
§ 9 AGB, Rnr. 7). Eine nach Treu und Glauben unangemessene Benachteiligung setzt
voraus, dass die Abweichung vom dispositiven Recht Nachteile von einigem Gewicht
begründet (Palandt/Heinrichs, aaO). Das Kaufrecht sieht in § 433 BGB als
Leistungspflicht des Käufers die Kaufpreiszahlung vor, nicht jedoch die Übernahme von
aufgewendeten Kosten im Sinne des § 3 III S. 4 VermG. Dasselbe gilt auch für einen Kauf
nach dem InVorG, wobei § 2 I InVorG die Anwendbarkeit des § 3 III - V VermG ausschließt.
Auch wenn das InVorG und das BGB-Kaufrecht die Auferlegung solcher schuldrechtlichen
Pflichten nicht explizit verbieten, handelt es sich doch um eine von dem gesetzlichen
Leitbild abweichende Regelung (vgl. grundsätzlich hierzu BGH NJW 1979, 2387, 2388).
Insofern braucht ein Grundstückskäufer im Investitionsvorrangverfahren mit einer
solchen Klausel nicht zu rechnen. Die Klausel ist in einem reinen Kaufvertrag deshalb
unangemessen, da die Käuferin erhebliche Mehrkosten über den vereinbarten Kaufpreis
hinaus zu zahlen hat, die zu diesem Zeitpunkt durch die Stadt Potsdam bereits
bezifferbar waren. Die Maßnahmen sind lange vor den Kaufverträgen vorgenommen
worden, wobei nach dem eigenen Vortrag der Klägerin sie selbst bzw. die mit ihr
identische W. GmbH hinsichtlich ihrer Anteile zu 100 % von der Landeshauptstadt P.
gehalten werde. Insofern wäre es vollkommen realitätsfern, wenn der Stadt P. nicht
bekannt wäre, welche Investitionen in einem Fall wie hier von einem kommunalen
Unternehmen getätigt wurden. Die verwendete Klausel ist intransparent und lässt nicht
erkennen, was auf die Käuferin an Kosten noch zukommt. Zudem ist vor dem
Kaufvertragsabschluss ein Verkehrswertgutachten eingeholt worden, so dass die
Streithelferin (damals noch unter der Bezeichnung O. GmbH firmierend) weitaus mehr
als den auf dem Gutachten basierenden Kaufpreis zu zahlen hätte. Zu Recht verweist
die Streithelferin der Beklagten darauf, dass die Maßnahmen, für die die Klägerin hier
Ersatz verlangt, bereits im Wert des Grundstücks eingepreist sind. Für die
Unangemessenheit der Klausel spielt es auch keine Rolle, dass sie keinerlei Bezug zum
Kaufpreis aufweist. Letztendlich ist es einem Käufer gleichgültig, ob sich durch eine
solche Klausel der Kaufpreis erhöht oder ob ihm zusätzliche Kosten auferlegt werden, die
nicht Bestandteil des Kaufpreises sind.
2. Die verwendete Klausel ist darüber hinaus auch überraschend gem. § 3 AGB. Dies
betrifft Bestimmungen in AGBG, die nach den Umständen, insbesondere nach dem
äußeren Erscheinungsbildes des Vertrages so ungewöhnlich sind, dass der
Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht.
Dem steht nicht entgegen, dass die Rechtsprechung eine Klausel, die Bestandteil eines
von einem Notar beurkundeten und verlesenen Vertrages ist in der Regel nicht als
überraschend ansieht (vgl. KG, NJW-RR 2002, 490, 491). Eine entsprechende Annahme
ist nämlich nur bei einem „übersichtlichen und verständlichen“ Vertrag gerechtfertigt
(KG, aaO). Ein solcher liegt aber gerade nicht vor, wenn die maßgebliche Klausel in
einem Abschnitt steht, in dem sie vernünftigerweise nicht erwartet und daher auch beim
Verlesen nicht notwendigerweise wahrgenommen wird. Im vorliegenden Fall ist die
Klausel, welche zu Mehrkosten von ca. 56 % des vereinbarten Kaufpreises führt, in einer
Rubrik enthalten, wobei es nur um „Kosten“ geht, in welcher sie hier als letzter Punkt
dieser Position „Kosten“ verzeichnet ist. In Absatz 1 von § 12 des Kaufvertrages geht es
um Kosten des Vertrages und seiner Durchführung, in Absatz 2 um etwaige Kosten für
die Löschung von nicht übernommenen Grundstücksbelastungen und in Abs. 3 über die
zu zahlende Grunderwerbssteuer. Dies alles sind Positionen, die man bei einem
Kaufpreis von immerhin 820.000,00 € als eindeutig weniger wichtig einstufen muss. Dass
man die Klausel des § 12 IV in einer solchen Nachbarschaft zu angesichts des
Kaufpreises vollkommen irrelevanten Kosten unterbringt, stellt bereits ein „Verstecken“
dieser für den Käufer außerordentlich bedeutsamen Regelung dar. Insofern ist der
Vertrag gerade nicht übersichtlich und verständlich, so dass ihre Verlesung nichts daran
ändert, dass sie überraschend ist.
Aufgrund des Verstoßes von § 12 IV des ersten Notarvertrages gegen § 3 und § 9 AGB
kommt es nicht mehr auf die Frage an, ob der 2. Notarvertrag AGB-Charakter hat. Beim
zweiten Notarvertrag fand im übrigen nicht einmal eine Verlesung statt. Die Klage ist
demnach abzuweisen.
20 3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 I, 101 I ZPO und die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 S. 1 ZPO.
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