Urteil des LG Potsdam vom 15.03.2017

LG Potsdam: zuwendung, freiheitsentziehung, auszahlung, diktatur, anerkennung, entschädigung, berechtigung, republik, rechtskraft, stadt

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Gericht:
LG Potsdam Kammer
für
Rehabilitierungssachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
BRH (OP) 22/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 17a Abs 1 S 1 StrRehaG, §
17a Abs 4 S 1 StrRehaG, § 25
Abs 1 S 5 StrRehaG
Strafrechtliche Rehabilitierung: Voraussetzungen für den Beginn
der Auszahlung einer Opferrente; Zeitpunkt der
Anspruchsentstehung
Leitsatz
Der Anspruch auf die monatliche besondere Zuwendung nach § 17a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4
Satz 1 StrRehaG entsteht ab dem auf die Antragstellung folgenden Monat. Dabei kommt es
nicht darauf an, zu welchem Zeitpunkt eine Rehabilitierungsgrundentscheidung in Rechtskraft
erwächst.
Tenor
Der Bescheid des Präsidenten des Landgerichts Potsdam vom 14. August 2008 wird
insoweit aufgehoben, als dem Antragsteller erst beginnend ab dem 01. Februar 2008
eine monatliche besondere Zuwendung nach § 17a Abs. 1 StrRehaG gewährt worden ist.
Der Präsident des Landgerichts Potsdam wird verpflichtet, dem Antragsteller beginnend
ab dem 01. Oktober 2007 eine monatliche besondere Zuwendung nach § 17a Abs. 1
StrRehaG zu gewähren.
Kosten des Verfahrens werden nicht erhoben. Die notwendigen Auslagen des
Antragstellers fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Kreisgericht Potsdam-Stadt verurteilte den Betroffenen am 19. Juni 1961, Az.:...,
wegen Einbruchsdiebstahls, Diebstahls persönlichen Eigentums in vier Fällen, versuchten
Einbruchs, illegaler Einfuhr von Zahlungsmitteln und illegalen Verlassens der Republik zu
einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die er in der Zeit vom 07. März 1961 bis zum 06.
März 1962 verbüßte. Mit Beschluss der Kammer vom 21. August 2007, Az.:, wurde diese
Verurteilung für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben, soweit sie wegen illegalen
Verlassens der Deutschen Demokratischen Republik erfolgt war und die Freiheitsstrafe
neun Monate überstieg. Gegen diese ihm am 30. August 2007 zugestellte Entscheidung
legte der Betroffene am 26. September 2007 Beschwerde ein, woraufhin das
Brandenburgische Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung mit Beschluss
vom 17. Januar 2008 dahingehend abänderte, dass das Urteil des Kreisgerichts
Potsdam-Stadt für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben wurde, soweit der
Betroffene zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden war. Ferner wurde
festgestellt, dass er in der Zeit vom 07. März 1961 bis zum 06. März 1962 weitere neun
Monate zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten hat.
Mit Schreiben vom 28. September 2007, das am gleichen Tag bei Gericht eingegangen
ist, hat der Betroffene einen Antrag auf Gewährung einer Opferrente gestellt, den er
unter Verwendung des entsprechenden Antragsformulars am 01. März 2008 ergänzt
hat. Mit Bescheid des Präsidenten des Landgerichts Potsdam vom 14. August 2008
wurde ihm unter Bezugnahme auf die erst seit dem 18. Januar 2008 rechtskräftige
Rehabilitierungsentscheidung beginnend ab dem 01. Februar 2008 eine monatliche
besondere Zuwendung gemäß § 17a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG gewährt. Gegen diesen
Bescheid, der dem Betroffenen am 16. August 2008 zugestellt worden ist, wendet er
sich mit einem am 11. September 2008 gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung.
Zur Begründung führt er aus, dass ihm die Opferrente aufgrund der bereits am 28.
September 2007 erfolgten Antragstellung beginnend mit dem Monat Oktober 2007
zustehe.
II.
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Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach § 25 Abs. 1 StrRehaG ist
statthaft und auch im Übrigen zulässig, er wurde insbesondere innerhalb der Frist des §
25 Abs. 1 Satz 5 StrRehaG gestellt. Er hat auch in der Sache Erfolg. Entgegen der
Auffassung des Präsidenten des Landgerichts Potsdam entsteht der Anspruch auf die
monatliche besondere Zuwendung nach § 17a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 StrRehaG ab
dem auf die Antragstellung folgenden Monat. Dabei kommt es nicht darauf an, zu
welchem Zeitpunkt eine Rehabilitierungsgrundentscheidung in Rechtskraft erwächst.
Gemäß § 17a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG erhalten Berechtigte nach § 17 Abs. 1 StrRehaG,
die in ihrer wirtschaftlichen Lage besonders beeinträchtigt sind, eine monatliche
besondere Zuwendung, wenn sie eine mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen
rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung von insgesamt mindestens
sechs Monaten erlitten haben, und zwar gemäß § 17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG monatlich
im Voraus, beginnend mit dem auf die Antragstellung folgenden Monat. Danach ist
Voraussetzung für den Erhalt einer Opferrente das Vorliegen der materiellrechtlichen
Anspruchsvoraussetzungen, also eine rechtsstaatswidrige Freiheitsentziehung von
mindestens sechs Monaten sowie eine wirtschaftliche Beeinträchtigung des Betroffenen.
Darüber hinaus ist für den Beginn der Auszahlung der Opferrente die Stellung eines
Antrags erforderlich. Weitere Voraussetzungen sind dem Wortlaut des § 17a StrRehaG
nicht zu entnehmen, insbesondere ist die Entstehung des Anspruchs nicht an eine
rechtskräftige Rehabilitierungsgrundentscheidung geknüpft.
Eine solche Einschränkung ergibt sich auch nicht aus systematischen Erwägungen,
insbesondere nicht aus dem Regelungszusammenhang mit den Bestimmungen des
Dritten Abschnitts des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes (StrRehaG), der die
sozialen Ausgleichsleistungen regelt, namentlich mit den §§ 16 Abs. 1 und 3, 17 Abs. 1
und 4 Satz 1 StrRehaG. Zwar sieht § 16 Abs. 1 StrRehaG vor, dass der Anspruch auf
soziale Ausgleichsleistungen für die dem Betroffenen durch eine Freiheitsentziehung
entstandenen Nachteile, zu denen nach § 16 Abs. 3 StrRehaG auch die monatliche
besondere Zuwendung für Haftopfer gehört, durch die Rehabilitierung begründet wird,
und nimmt damit auf eine Rehabilitierungsgrundentscheidung im Sinne des § 1 Abs. 1
StrRehaG Bezug. Jedoch ergibt sich aus § 16 Abs. 1 StrRehaG nicht zwingend, dass über
die Rehabilitierung des Betroffenen bereits eine rechtskräftige Entscheidung vorliegen
muss, zumal bereits geleistete Ausgleichsleistungen gegebenenfalls zurückgefordert
werden können, und außerdem nimmt § 17a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG lediglich auf die
Berechtigung nach § 17 Abs. 1 StrRehaG Bezug, der ausschließlich die Höhe der
Kapitalentschädigung regelt. Darüber hinaus stellt § 17a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG eine für
die Opferrente speziellere und daher vorrangige Regelung dar, die lediglich an das
Vorliegen der materiellrechtlichen Voraussetzungen für eine Rehabilitierung und gerade
nicht an die Bestandskraft einer Rehabilitierungsgrundentscheidung anknüpft.
Ferner ist auch aufgrund sonstiger vergleichbarer Regelungen keine andere Beurteilung
geboten. Die in § 17a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 StrRehaG enthaltene Verknüpfung der
materiellen Anspruchsvoraussetzungen mit einem Antragserfordernis findet sich auch in
anderen Regelungen über wiederkehrende staatliche Leistungen. So setzt insbesondere
der gesetzliche Rentenanspruch nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI das Vorliegen der
Anspruchsvoraussetzungen voraus, mit dem der Rentengrundanspruch als Stammrecht
entsteht, während der Beginn der Rentenzahlung, mithin der Anspruch auf die aus dem
Stammrecht abgeleitete erste Einzelleistung, eine Antragstellung voraussetzt (Kasseler
Kommentar- , Sozialversicherungsrecht, 59. EL, § 99 SGB VI Rdn. 5). In gleicher
Weise ist auch der Anspruch auf eine aufgrund veränderter Umstände erhöhte
gesetzliche Rente geregelt, § 100 Abs. 2 SGB VI, und auch weitere vergleichbare
Leistungen. So beginnen die Beschädigtenversorgung für Kriegsopfer nach § 60 Abs. 1
Satz 1 BVG und die in Form einer monatlichen Rentenleistung gewährte Hilfe für durch
Anti-D-Immunprophylaxe mit dem Hepatitis-C-Virus infizierte Personen gemäß § 7 Abs.
1 Satz 2 AntiDHG in dem Monat, in dem die entsprechenden Voraussetzungen
vorliegen, frühestens jedoch mit dem Antragsmonat. Ähnliches gilt für den Anspruch auf
Altersversorgung für Abgeordnete des Landes Brandenburg, dessen materielle
Anspruchsvoraussetzungen in § 11 AbgGBbg geregelt sind, der jedoch daneben einen
Antrag nach § 24 Abs. 2 AbgGBbg voraussetzt, sowie für die Kriegsschadenrente, die
neben den materiellen Tatbestandsvoraussetzungen des § 261 Abs. 1 LAG gemäß den
§§ 261 Abs. 5, 325 Abs. 1 Satz 1 LAG einem Antragserfordernis unterliegt.
Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass eine wesentliche
Tatbestandsvoraussetzung für den Erhalt der Opferrente des § 17a Abs. 1 Satz 1
StrRehaG, nämlich eine mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen
rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung von mindestens sechs
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rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbare Freiheitsentziehung von mindestens sechs
Monaten, eine gerichtliche Feststellung erfordert. Diese Rechtslage ist mit den
Bestimmungen über Leistungen vergleichbar, die durch das Gesetz über die
Entschädigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen und über
staatliche Ausgleichsleistungen für Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und
besatzungshoheitlicher Grundlage vom 27. September 1994 (BGBl. I, Seite 2624)
gewährt werden, auch wenn es sich hierbei nicht um regelmäßige wiederkehrende
Leistungen handelt. Hiernach ergeben sich bestimmte Entschädigungsansprüche, sofern
eine Berechtigung nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen besteht,
eine Restitution der Vermögenswerte jedoch ausscheidet, § 1 Abs. 1 Satz 1 EntschG, § 1
Abs. 1 Satz 1 NS-VEntschG, § 1 Abs. 1 Satz 1 AusglLeistG. Auch hier ist jedoch eine
Bestandskraft des Entschädigungsgrundlagenbescheids nicht Voraussetzung für eine
Antragstellung. Vielmehr werden anhängige Anträge nach dem Vermögensgesetz
bereits als Anträge auf Leistungen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz gewertet, § 6
Abs. 1 Satz 2 AusglLeistG, und für die Leistungen nach dem Entschädigungsgesetz ist
die Bestandskraft des Entschädigungsgrundlagenbescheids lediglich dahingehend von
Bedeutung, dass entsprechende Anträge gemäß § 12 Abs. 1 Satz 4 EntschG nur bis
zum Ablauf des sechsten Monats nach ihrem Eintritt gestellt werden können. Auch
Anträge auf Leistungen nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz setzen lediglich
einen fristgerechten Restitutionsantrag nach § 30 Abs. 1 Satz 1 VermG voraus ( ,
Die Entschädigung nach dem NS-Verfolgtenentschädigungsgesetz, VIZ 1995, 692, 693),
nicht aber die Bestandskraft des hierauf ergehenden Bescheids.
Schließlich entspricht eine Anknüpfung des Beginns der Rentenzahlung an die
Bestandskraft einer Rehabilitierungsgrundentscheidung nicht dem Sinn und Zweck der
Regelung des § 17a StrRehaG. Diese mit dem Dritten Gesetz zur Verbesserung
rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der
ehemaligen DDR vom 29. August 2007 (BGBl. I, 2118) eingeführte Regelung soll eine
symbolische finanzielle Anerkennung der erlittenen Nachteile und Schädigungen für
Opfer des SED-Unrechts gewährleisten und damit den besonderen Wert zum Ausdruck
bringen, den die Gesellschaft dem Handeln von Menschen beimisst, die sich gegen die
SED-Diktatur gewehrt und unter Einsatz ihres Lebens und um den Preis erheblicher
persönlicher und sozialer Nachteile für Freiheit und Demokratie eingesetzt haben (BT-
Drucksache 15/932, Seite 2). Eine sich aus dem Gesetzeswortlaut nicht ergebende
zeitliche Einschränkung des Anspruchs im Hinblick auf die Bestandskraft der
Rehabilitierungsentscheidung würde eine mit dieser gesetzgeberischen Intention
unvereinbare unbillige Benachteiligung der Betroffenen darstellen. Verfahren über die
Rehabilitierung von Opfern rechtsstaatswidriger Strafverfolgungsmaßnahmen im
Beitrittsgebiet nehmen aufgrund der erforderlichen Nachforschungen häufig eine lange
Zeit in Anspruch. Die Dauer des Verfahrens kann im Zeitpunkt der Antragstellung in der
Regel noch nicht abgeschätzt werden. Gerade vor diesem Hintergrund schafft die
Regelung des § 17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG, die den Beginn der Rentenzahlung für den
Fall des Vorliegens der materiellrechtlichen Voraussetzungen ausschließlich an den
Zeitpunkt der Antragstellung knüpft, unter Berücksichtigung der mit der Einführung der
Opferrente beabsichtigten weitergehenden Anerkennung von Opfern der SED-Diktatur
und der Verbesserung ihrer Situation mittels einer regelmäßigen finanziellen Zuwendung
Rechtssicherheit für die Betroffenen. Namentlich in dem hier zu entscheidenden Fall, in
dem erst durch den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 17.
Januar 2008 eine gemäß § 17a Abs. 1 Satz 1 StrRehaG für die Gewährung der Opferrente
ausreichende, zu Unrecht erlittene Haftzeit festgestellt wurde, zeigt sich, dass das Risiko
der Verfahrensdauer einschließlich der Beschwerdeinstanz nicht vom Betroffenen
getragen werden kann.
Unter Berücksichtigung des bereits am 28. September 2007 gestellten Antrags ist die
besondere monatliche Zuwendung beginnend ab dem 01. Oktober 2007 zu zahlen, §
17a Abs. 4 Satz 1 StrRehaG.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 25 Abs. 1 Satz 4, 14 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1
StrRehaG.
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