Urteil des LG Potsdam vom 13.03.2017

LG Potsdam: eigenes verschulden, innere medizin, strafbefehl, einspruch, wohnung, krankheit, anzeichen, angeklagter, schweigepflicht, erlass

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Gericht:
LG Potsdam 7. Kleine
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
27 Ns 3/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 329 Abs 1 S 1 StPO, § 411 Abs
2 S 1 StPO, § 412 S 1 StPO
Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung:
Verhandlungsunfähigkeit bei Vorlage eines ärztlichen Attests;
Recht des Angeklagten zur persönlichen Teilnahme an der
Hauptverhandlung
Leitsatz
1. Bescheinigt ein Arzt die Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten für den
Verhandlungstag, so muss in Ermangelung gegenteiliger Anzeichen von dessen
Verhandlungsunfähigkeit ausgegangen werden.
2. Ein Angeklagter kann sich gemäß § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO in den Verfahren, das dem
Erlass eines Strafbefehls folgt, durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen; er ist jedoch hierzu
nicht verpflichtet. Diese Vorschrift gibt dem Gericht nicht die Befugnis, gegen den Willen des
nicht eigenmächtig ferngebliebenen Angeklagten in dessen Abwesenheit zu verhandeln.
Tenor
Auf Berufung der Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Nauen vom 11.11.2008 –
Gz.: 32 Ds 490 Js 1655/07 (201/07) – aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten
erstinstanzlichen Verhandlung an das Amtsgericht Nauen zurückverwiesen.
Die Kosten der Berufung werden der Staatskasse auferlegt.
Die Staatskasse hat die der Angeklagten im Berufungsverfahren erwachsenen
notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
I.
Mit der Anklageschrift vom 12. Juni 2007 hat die Staatsanwaltschaft Potsdam der
Angeklagten vorgeworfen, eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben zu
haben, indem sie anlässlich der Beantragung einer einstweiligen Verfügung zur
Glaubhaftmachung wider besseren Wissens an Eides statt versichert habe, der Lorenz N.
habe am 18. Juni 2006 versucht, mittels eines Nachschlüssels in ihre Wohnung
einzudringen. Dies habe die Angeklagte an Eides statt versichert, obwohl sie wisse, dass
der L. N. weder einen Nachschlüssel zu ihrer Wohnung hatte, noch versucht hatte, in
diese Wohnung einzubrechen. Mit Beschluss vom 30. August 2007 hat das Amtsgericht
Nauen die Anklage der Staatsanwaltschaft Potsdam zur Hauptverhandlung zugelassen
und zugleich einen Termin zur Hauptverhandlung bestimmt auf den 20. Dezember 2007.
Wegen Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten, die unter einer chronischen
Atemwegserkrankung leidet, musste der Hauptverhandlungstermin mehrfach verlegt
werden und wurde schließlich auf den 7. August 2008 bestimmt. Da die Angeklagte zu
diesem Termin nicht erschien, erließ das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft
gemäß § 408a StPO einen Strafbefehl, mit welchem die Angeklagte zu einer Geldstrafe
von 80 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt wurde. Gegen diesen Strafbefehl hat die
Angeklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt. Das Amtsgericht Nauen hat den Termin zur
Einspruchsverhandlung auf den 11. November 2008 bestimmt; zu diesem Termin ist die
Angeklagte ordnungsgemäß geladen worden. Unter Vorlage eines ärztlichen Attestes
beantragte der Verteidiger am 6. November 2008 die Verlegung des Einspruchstermins.
Aus dem vorgelegten Attest der Fachärztin für innere Medizin, Dr. med. Dunja H., vom 6.
November 2008 ergab sich, dass die Angeklagte wegen akuter Krankheit am 11.
November 2008 nicht verhandlungsfähig sei. Zugleich mit dem
Terminsverlegungsantrag wies der Verteidiger darauf hin, dass eine Verhandlung in
Abwesenheit der Angeklagten nicht in Betracht komme, da aus tatsächlichen Gründen
die Anwesenheit der Angeklagten, insbesondere bei der Zeugenbefragung erforderlich
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die Anwesenheit der Angeklagten, insbesondere bei der Zeugenbefragung erforderlich
sei: Da die Angeklagte bei dem Geschehen, das Gegenstand der Beweisaufnahme sei,
zeitweise anwesend gewesen sei, könne die Verteidigung nur in Anwesenheit der
Angeklagten auf die Ausführungen der Zeugen umfassend reagieren und ihr Fragerecht
erschöpfend nutzen. Mit Verfügung vom 10. November 2008 hat das Amtsgericht Nauen
unter Hinweis auf die Vertretungsmöglichkeit gemäß § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO den
Terminsverlegungsantrag zurückgewiesen und den für den 11. November 2008
anberaumten Hauptverhandlungstermin aufrecht erhalten. Hiervon ist der Verteidiger
mit Schreiben vom 10. November 2008 in Kenntnis gesetzt worden, das diesem um
11.58 Uhr per Fax übermittelt worden ist.
Zu der Berufungsverhandlung ist weder die Angeklagte, noch ihr Verteidiger erschienen.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 11. November 2008 hat das Amtsgericht Nauen den
Einspruch der Angeklagten gegen den Strafbefehl vom 7. August 2008 kostenpflichtig
verworfen. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte form- und fristgerecht Berufung
eingelegt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Berufung der Angeklagten hat – vorläufig – Erfolg und führt entsprechend § 328 Abs.
2 StPO zur Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht Nauen, da die
Angeklagte ohne eigenes Verschulden verhindert war, an der für den 11. November
2008 anberaumten Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Nauen teilzunehmen; sie
musste sich auch nicht darauf verweisen lassen, sich durch ihren Rechtsanwalt vertreten
zu lassen.
Das Ausbleiben der Angeklagten in der Einspruchsverhandlung am 11. November 2008
ist genügend entschuldigt im Sinne von § 412 Satz 1 in Verbindung mit § 329 Abs. 1
Satz 1 StPO. Nach den genannten Vorschriften ist der von der Angeklagten eingelegte
Einspruch gegen einen Strafbefehl nur dann zu verwerfen, wenn das Ausbleiben der
Angeklagten in der Einspruchsverhandlung nicht genügend entschuldigt ist. Das
Ausbleiben ist dann genügend entschuldigt, wenn es glaubhaft erscheint, dass die
Angeklagte kein Verschulden hieran trifft. Krankheit entschuldigt das Ausbleiben nur
dann, wenn sie nach ihrer Art und Auswirkung eine Beteiligung an der Hauptverhandlung
unmöglich macht (Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 329 Rz. 26, m. w. N.). Ausweislich der
vom Verteidiger am 6. November 2008 per Fax übermittelten ärztlichen Bescheinigung
war die Angeklagte am 11. November 2008 wegen akuter Krankheit nicht
verhandlungsfähig. Zwar lag nicht das Original der ärztlichen Bescheinigung vor, sondern
lediglich eine Faxkopie, die überdies teilweise unleserlich war. Die Vorlage einer solchen
Bescheinigung gibt dem Gericht allerdings Anlass zu Nachforschungen, die auch im
Wege des Freibeweises erfolgen können (BGH St, 17, 391; OLG Düsseldorf, StV 1987, 9;
KG, Beschluss vom 17. Januar 2000, Gz.: 5 Ws 776/99, veröffentlich in JURIS; OLG
Brandenburg, Beschluss vom 19. Februar 1989, Gz.: 2 Ss 1/98). In der Vorlage eines
ärztlichen Attestes liegt regelmäßig die – zumindest konkludente – Entbindung des
Arztes von seiner Schweigepflicht (BayObLG NStZ-RR 1999, 143; OLG Karlsruhe, NStZ
1994, 191; Meyer-Goßner, a.a.O. § 329 Rz. 19); im übrigen hatte der Verteidiger
ausdrücklich die behandelnde Ärztin namens der Angeklagten von der berufsrechtlichen
Schweigepflicht entbunden. Bescheinigt ein Arzt die Verhandlungsunfähigkeit des
Angeklagten für den Verhandlungstag, so muss in Ermangelung gegenteiliger Anzeichen
von dessen Verhandlungsunfähigkeit ausgegangen werden. So liegt der Fall hier: Die
Ärztin hat mit dem vorliegenden Attest bescheinigt, dass die Angeklagte am 11.
November 2008 verhandlungsunfähig sei.
Da dieses Attest nur wenige Tage vor dem Verhandlungstermin ausgestellt worden ist,
musste weiterhin davon ausgegangen werden, dass die Angeklagte angesichts des aus
medizinischer Sicht absehbaren Krankheitsverlaufes auch noch am Verhandlungstag
tatsächlich verhandlungsunfähig war. Vor diesem Hintergrund ist ihr Ausbleiben in der
Einspruchsverhandlung am 11. November 2008 entschuldigt.
Die Angeklagte musste sich auch nicht auf eine Vertretung durch ihren Rechtsanwalt
verweisen lassen. Zwar kann sich ein Angeklagter gemäß § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO in
den Verfahren, das dem Erlass eines Strafbefehls folgt, durch einen Rechtsanwalt
vertreten lassen; er ist jedoch hierzu nicht verpflichtet. Diese Vorschrift gibt dem Gericht
nicht die Befugnis, gegen den Willen des nicht eigenmächtig ferngebliebenen
Angeklagten in dessen Abwesenheit zu verhandeln (OLG Karlsruhe, MDR 1985, 868;
Meyer-Goßner, a.a.O., § 411, Rz. 4; Karlsruher Kommentar/Fischer, StPO, 6. Aufl., § 411
Rz. 14). So liegt der Fall hier: In dem Terminsverlegungsantrag vom 6. November 2008
hat der Verteidiger deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Angeklagte an der
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hat der Verteidiger deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Angeklagte an der
Einspruchsverhandlung teilzunehmen wünscht. Im Übrigen ist die Anwesenheit der
Angeklagten im vorliegenden Fall auch zur Sachaufklärung erforderlich.
III.
Das Verfahren war entsprechend § 328 Abs. 2 StPO zur Nachholung der
Einspruchsverhandlung an das Amtsgericht Nauen zurückzuverweisen, da sonst der
Angeklagten der Verlust einer Tatsacheninstanz drohen würde (vgl. BGH St 36, 139;
Meyer-Goßner, a.a.O., § 412, Rz. 10). Die durch das vorliegende Berufungsverfahren
entstandenen Kosten und die hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen der
Angeklagten waren gemäß § 21 GKG der Staatskasse aufzuerlegen, da diese
Aufwendungen bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären.
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