Urteil des LG Paderborn vom 18.11.2010

LG Paderborn (wichtiger grund, neues vorbringen, ex nunc, zpo, beitrittserklärung, grund, gesellschaft, kündigung, anleger, zeitpunkt)

Landgericht Paderborn, 5 S 59/10
Datum:
18.11.2010
Gericht:
Landgericht Paderborn
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 59/10
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 05.07.2010 verkündete Urteil
des
Amtsgerichts Paderborn wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
1
I.
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Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf die im angefochtenen Urteil
erfolgte Darstellung gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.
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II.
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Die zulässige Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
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Zumindest im Ergebnis hat das Amtsgericht zu Recht die Klage abgewiesen. Dabei
kann dahinstehen, ob die Klägerin gemäß den §§ 705, 706 BGB in Verbindung mit der
Beitrittserklärung des Beklagten vom 27. Mai 2006 einen Anspruch auf Zahlung der
geltend gemachten Einlagen hat. Selbst wenn dies der Fall wäre, wäre dieser Anspruch
auf Grund der wirksamen Kündigung des Gesellschaftsvertrages durch den Beklagten
nicht durchsetzbar, da dem der Gegenanspruch des Beklagten auf Ermittlung des
Auseinandersetzungsguthabens entgegensteht. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung
der Einlagen ist nicht isoliert durchsetzbar.
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1.)
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Unstrittig hat der Beklagte jedenfalls mit der Klageerwiderung vom 17. Februar 2010
den Gesellschaftsvertrag gekündigt.
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2.)
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Diese Kündigungserklärung ist auch gemäß § 723 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam.
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a.
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Allerdings ist die Gesellschaft nach Ziffer 10 der Beitrittserklärung, die im konkreten Fall
eine Kündigung erst nach Ablauf von 31 Jahren vorsieht, im Sinne des § 723 Abs. 1 S. 2
BGB befristet. Grundsätzlich ist die Kündigung deshalb vor Ablauf dieser Zeit nur dann
zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Ob ein solcher wichtiger Grund zu bejahen
ist, kann hier jedoch dahinstehen, da diese Befristung wegen Verstoßes gegen § 307
Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam ist.
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aa)
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Eine Inhaltskontrolle der Ziffer 10 der Beitrittserklärung gemäß den §§ 305 ff BGB ist
nicht gemäß § 310 Abs. 4 BGB ausgeschlossen. Zwar finden grundsätzlich die
Vorschriften über die allgemeinen Geschäftsbedingungen auf Gesellschaftsverträge
nach dieser Regelung keine Anwendung. Entgegen dieser Regelung ist jedoch eine
Inhaltskontrolle dann geboten, wenn die gesellschaftsrechtliche Beteiligung zur
Vermögensanlage ohne unternehmerische Befugnisse erworben wird (vgl. Palandt-
Grüneberg, 69. Aufl., § 310 Rdn. 50). Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.
Erkennbar hatte der Beklagte die Beteiligung für seine Altersvorsorge und damit zur
Vermögensanlage gewählt. Der Beklagte war nämlich im Zeitpunkt des
Vertragsabschlusses 46 Jahre alt. Die Mindestbeteiligungsdauer liefe damit zu einem
Zeitpunkt ab, in dem der Beklagte sich bereits seit einigen Jahren in Rente befinden
würde.
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Zudem standen ihm trotz seines Eintritts in die Gesellschaft keine unternehmerischen
Befugnisse zu.
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bb)
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Ziffer 10 der Beitrittserklärung stellt auch eine allgemeine Geschäftsbedingung i.S.d. §
305 Abs. 1 S. 1 BGB dar. Sie war für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert. Der
Umstand, dass der Beklagte bei dem Formular zwischen verschiedenen Laufzeiten
wählen konnte, führt nicht dazu, dass von einer Individualvereinbarung auszugehen ist.
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cc)
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Schließlich benachteiligt Ziffer 10 der Beitrittserklärung vom 27. April 2006 den
Beklagten auch i.S.d. § 701 Abs. 1 S. 1 BGB unangemessen. Eine derartige
unangemessene Benachteiligung liegt vor, wenn der Verwender durch einseitige
Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines
Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange
hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen.
Zur Beurteilung bedarf es einer umfassenden Würdigung, in welche die Interessen
beider Parteien einzubeziehen sind.
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Insoweit ist im Rahmen der Gesamtabwägung zunächst zu berücksichtigen, dass der
Beklagte hier auf Grund der Dauer der Beteiligung in einem sehr langen, von ihm zum
Zeitpunkt der Anlageentscheidung regelmäßig nicht überschaubaren Zeitraum
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gebunden wird. In diesem Zeitraum hat er monatliche Raten zu leisten. Diese sind zwar
isoliert betrachtet mit einer Höhe von 52,50 € pro Monat verhältnismäßig überschaubar.
Auf der anderen Seite ist jedoch zu beachten, dass diese Verpflichtung unabhängig
davon besteht, ob auf Grund der Entwicklung der persönlichen Lebensverhältnisse
weitere Ratenzahlungen für den Anleger noch sinnvoll sind oder sie sogar eine
erhebliche individuelle Belastung darstellen. Sie bestehen selbst dann fort, wenn der
Anleger in Folge von Arbeitslosigkeit, Alter, Gebrechen, Privatinsolvenz, Krankheit oder
dergleichen ein erhebliches Interesse daran hat, keine weiteren Einlagen mehr leisten
zu müssen. Auch Ziffer 12 der Beitrittserklärung würde dem Anleger in einem solchen
Fall nur unzureichend weiterhelfen. Denn nach dieser Ziffer besteht nur die Möglichkeit,
nach Ablauf von 12 Jahren eine Beitragsfreistellung zu beantragen. Hierbei handelt es
sich um keinen Rechtsanspruch, sondern lediglich um einen Anspruch auf eine nicht
überprüfbare Ermessensentscheidung der Klägerin (so auch Amtsgericht Hardersleben
(17 C 672/08)). Richtig ist allerdings, dass unserem Rechtssystem derartige längere
Vertragslaufzeiten nicht unbekannt sind. Bei vergleichbaren Rechtsverhältnissen
werden dann jedoch regelmäßig Regelungen getroffen, die zu einem für den Anleger
günstigeren Interessenausgleich führen. So sieht § 165 VVG im Fall der
Lebensversicherung das Recht des Versicherungsnehmers vor, für den Schluss der
laufenden Versicherungsperiode die Umwandlung der Versicherung in eine
prämienfreie Versicherung zu verlangen. Ist die vereinbarte
Mindestversicherungsleistung nicht erreicht, wird der Versicherer verpflichtet, den auf
die Versicherung entfallenden Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile
auszuzahlen. Über diese flexible Regelung kann der Versicherungsnehmer demnach
auch auf unvorhergesehene Ereignisse in seinem Lebenslauf reagieren und wird nicht
in unbilliger Weise für einen ganz erheblichen Zeitraum an den Zahlungen festgehalten.
Überwiegende Interessen auf Seiten der Klägerin, die eine derart überlange
Vertragslaufzeit rechtfertigen könnten, sind für die Kammer nicht erkennbar, so dass die
Klausel insgesamt als unangemessen i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB anzusehen ist.
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b.
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Die Unwirksamkeit der Befristung des Gesellschaftsverhältnisses führt dazu, dass die
Gesellschaft als unbefristet i.S.d. § 723 Abs. 1 S. 1 BGB anzusehen ist. Jeder
Gesellschafter kann sie mithin ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist kündigen.
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3.)
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Es trifft zu, dass die Kündigung lediglich ex nunc wirkt, so dass allein auf Grund dieser
Kündigungserklärung der Anspruch auf Zahlung der Einmaleinlage sowie der
Ratenzahlungen bis Januar 2010 nicht erloschen sein kann. Diese Ansprüche können
jedoch schon deshalb nicht durchgesetzt werden, weil ihnen ein Anspruch des
Beklagten auf Ermittlung und Auszahlung des Auseinandersetzungshabens, das ihm
gegenüber der Klägerin zustehen könnte, entgegengesetzt werden kann. Im Fall der
Kündigung eines Gesellschafters können die isoliert bestehenden wechselseitigen
Ansprüche nicht einzeln durchgesetzt werden; vielmehr sind sie in eine
Auseinandersetzungsbilanz einzustellen (Palandt-Sprau, BGB, § 738 Rdn. 2). Lediglich
der auf diese Weise ermittelte Überschuss kann geltend gemacht werden. Bis dahin
sind die einzelnen Positionen als unselbständige Rechnungsposition in der
Schlussabrechnung anzusehen (vgl. Münchener Kommentar, 5. Auflage, § 730 Rdn.
49).
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Es trifft zu, dass diese sogenannte Durchsetzungssperre in der Rechtsprechung
zahlreiche Ausnahmen erfahren hat. Generell werden Ausnahmen für den Fall gemacht,
dass der mit der Durchsetzungssperre angestrebte Zweck, ein Hin- und Herzahlen zu
verhindern, nicht eingreift, oder dies unzumutbar ist. So ist eine Ausnahme für den Fall
bejaht worden, dass der geltend gemachte Anspruch auch nach der anstehenden
Saldierung mit Sicherheit besteht (vgl. BGH NJW-RR 1991, 549; Prütting-von Dittfurt,
BGB, 4. Aufl., § 730 Rdn. 6). Dieser Umstand wird zwar nunmehr mit der Berufung von
der Klägerin vorgebracht, indem sie anführt, dass die Auseinandersetzungsbilanz
negativ wäre. Mit diesem neuen Vortrag ist die Klägerin jedoch in der Berufungsinstanz
gemäß § 531 Abs. 2 ZPO präkludiert. Die Fälle des § 531 Abs. 2 Nr. 1 – 3 ZPO, in
denen in der Berufungsinstanz neues Vorbringen zuzulassen ist, liegen erkennbar nicht
vor.
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Obwohl der Beklagte bereits in der Klageerwiderung vom 02.03.2010, dort Seite 4, 7, 49
und 50, darauf hingewiesen hat, dass sich die Klägerin in Parallelverfahren, wenn es
um die Anwendung der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft geht, "dauernd" auf
das negative Kapitalkonto / die negative Auseinandersetzungsbilanz der Anleger beruft,
hat sie dies in der ersten Instanz zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht.
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Da es sich hierbei um einen Ausnahmetatbestand zur Anwendbarkeit der sogenannten
Durchsetzungssperre handelt, bestand für das Erstgericht keine Veranlassung, der
Klägerin einen diesbezüglichen Hinweis nach § 139 ZPO zu erteilen. Dass ein
entsprechender Vortrag unterblieben ist, beruhte vielmehr auf einer Nachlässigkeit der
Klägerin, die sich trotz der o.g. Ausführungen des Beklagten in erster Instanz nicht auf
eine negative Auseinandersetzungsbilanz berufen hat.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin besteht die Durchsetzungssperre grundsätzlich
auch im Bereich der Publikumsgesellschaften. Die Entscheidung BGH NJW 2003, 1252
ist erkennbar nicht einschlägig. Wie das Landgericht München II in seinem Urteil vom
20.05.2010, 8 O 6510/09 zutreffend ausgeführt hat, ist Gegenstand der Entscheidung
des BGH in erster Linie die Frage der Nichtigkeit eines Treuhandvertrages, der auch
eine rechtsbesorgende Tätigkeit des Treuhänders vorsieht, der nicht Rechtsanwalt ist.
Die Nichtigkeit eines solchen Vertrages erfasst auch die dem Treuhänder erteilte
Vollmacht, weswegen der von dem Treuhänder erklärte Beitritt zu einer
Publikumsgesellschaft unwirksam ist. Dennoch trifft den Beitretenden eine
Nachschusspflicht für nichtgeleistete Einlagen, und zwar nach den Grundsätzen über
den fehlerhaften Beitritt zu einer Gesellschaft. In welcher Form diese Nachschusspflicht
durchsetzbar ist, wird in der Entscheidung nicht problematisiert. Die Frage des
Bestehens oder Nichtbestehens einer Durchsetzungssperre ist nicht einmal
ansatzweise Gegenstand der Entscheidung.
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Eine generelle Ausnahme von der Durchsetzungssperre für Publikumsgesellschaften
kennt die Rechtsprechung eben nicht. Insofern ist in jedem Fall eine
Einzelfallabwägung geboten. Auch diese führt hier jedoch nicht zur Durchbrechung der
Durchsetzungssperre. Ein höherer Verwaltungsaufwand wird über die
Durchsetzungssperre auf Seiten der Klägerin gerade vermieden. Denn der Grundsatz
der Gesamtsaldierung bewirkt gerade, dass nicht über einzelne Ansprüche
abzurechnen bzw. zu streiten ist, sondern lediglich über einen einzigen Anspruch aus
dem Ergebnis der Saldierung. Dies führt im Regelfall zu einer höheren Effektivität. Auch
dass das Geschäftsmodell der Klägerin über die Durchsetzungssperre in erheblicher
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Weise belastet würde, ist für die Kammer nicht erkennbar. Denn die
Durchsetzungssperre führt nicht zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation
der Publikumsgesellschaft. Ihr gehen gerade keine Ansprüche verloren. Vielmehr
werden diese nur zu unselbständigen Zahlungspositionen und saldiert, ohne dass sich
das wirtschaftliche Gesamtergebnis verändern würde.
Nach alledem hält die Kammer die Durchsetzungssperre des § 730 BGB für anwendbar,
so dass ein der Klägerin eventuell zustehender Zahlungsanspruch jedenfalls nicht
durchsetzbar ist.
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Eine weitere Schriftsatzfrist auf den Schriftsatz der Gegenseite vom 16.11.2010 war der
Klägerin nicht zu gewähren, da der Schriftsatz keine neuen Angriffs- und
Verteidigungsmittel enthält, auf die sich das Urteil stützt.
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Entgegen der Auffassung der Klägerin begegnet die Kostenentscheidung des
Erstgerichts keinen Bedenken. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des
Amtsgerichts unter Ziffer III. der Entscheidungsgründe verwiesen, denen sich die
Kammer anschließt.
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Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 540 Abs. 1, Abs. 2
ZPO nicht gegeben sind.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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……
……..
……..
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