Urteil des LG Neuruppin vom 24.06.2005

LG Neuruppin: getrennt leben, durchsuchung, unverletzlichkeit der wohnung, straftat, eheliche gemeinschaft, beweismittel, tatverdacht, lebensmittelpunkt, grundstück, grundrechtseingriff

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Gericht:
LG Neuruppin 3.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 Qs 110/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 102 StPO, § 26 Abs 1 EStG, §
370 Abs 1 AO, Art 13 Abs 2 GG
Durchsuchungsbeschluss: Inhaltliche Anforderungen an
Durchsuchungsbeschluss wegen Verdachts der
Einkommensteuerverkürzung und Verhältnismäßigkeitsprüfung
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird festgestellt, dass der gegen ihn ergangene
Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 24. Juni 2005 rechtswidrig
ist.
Gründe
I. Das Finanzamt G. ermittelt gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachts der
Einkommenssteuerverkürzung in den Jahren 1999 bis 2003. Aus den bisherigen
Ermittlungen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau in diesem
Zeitraum zumindest teilweise getrennt voneinander lebten, bei den Steuererklärungen
für den genannten Zeitraum jedoch die Zusammenveranlagung beantragt hatten.
Die seit 1994 verheirateten Eheleute wohnten bis Juni 1998 gemeinsam mit ihren beiden
Kindern in S.. Im Juli 1998 zog die Ehefrau mit den beiden Kindern zunächst nach Berlin
und im August 1999 in eine von ihr erworbene Doppelhaushälfte in V. nahe Berlins.
Hintergrund war - jedenfalls unter anderem -, dass sie ihr anlässlich der Erziehung ihrer
beiden Kinder unterbrochenes Studium an der Universität in Berlin wieder aufgenommen
hatte. Der Beschwerdeführer, selbst als Postdirektor Niederlassungsleiter der Post AG in
T., blieb aus beruflichen Gründen zunächst in der Wohnung in S., später mietete er eine
Wohnung in T.. Im Juli 2001 erwarben die Eheleute ein bebautes Grundstück in H. auf
Usedom zu je 1/2. Der Beschwerdeführer gab nach seiner Pensionierung Anfang 2002
die Wohnung in T. auf und meldete sich polizeilich in der Wohnung seiner Ehefrau in der
Nähe von Berlin an, das Haus in H. auf Usedom meldete er als seine Zweitwohnung;
dort hielt er sich auch zumindest häufig auf.
Aus den Ermittlungen des Finanzamtes ergibt sich ferner, dass die Ehefrau des
Beschwerdeführers in den Jahren 2003 und 2004 eine außereheliche Beziehung zu
einem in N. wohnenden Mann unterhalten hatte; an einem Tag im Jahr 2004 kam es auf
dem Grundstück in V. zu einem Zusammentreffen dieses Mannes mit dem
Beschwerdeführer, als beide zusammen mit dessen Ehefrau gegrillt hatten. Dieser Mann
hat den Beschwerdeführer später wegen dem dem Ermittlungsverfahren zugrunde
liegenden Sachverhalt beim Finanzamt angezeigt, nachdem die Beziehung zu dessen
Ehefrau beendet worden war.
Das Finanzamt geht aufgrund dieser Anzeige und verschiedenen weiteren
Anhaltspunkten davon aus, dass der Beschwerdeführer und seine Ehefrau seit Mitte
1998 dauernd getrennt leben und somit für die Veranlagungszeiträume 1999 bis 2004
zu Unrecht die Zusammenveranlagung nach § 26 Abs. 1 EStG beantragt haben. Der
Beschwerdeführer gibt jedoch an, auch weiterhin mit seiner Ehefrau zusammenzuleben;
diese habe ihren Wohnsitz in der Nähe von Berlin genommen, um ihr Studium
abzuschließen und für ihr Examen zu lernen, die eheliche Gemeinschaft sei damit jedoch
nicht aufgehoben worden.
Das Amtsgericht Oranienburg hat mit Beschluss vom 24. Juni 2005 die Durchsuchung
der Wohnräume des Beschuldigten in 17454 H. auf Usedom sowie der von ihm im Haus
seiner Ehefrau in V. nahe Berlins genutzten Räume angeordnet; „es sei zu vermuten,
dass die Durchsuchung zur Auffindung der gesuchten Beweismittel führen wird“. Als
mögliche Beweismittel werden „sämtliche Unterlagen, die Aufschluss darüber bieten,
dass oder ob sich der Lebensmittelpunkt des Beschuldigten in Zinnowitz befindet“
bezeichnet. Für den Fall des Auffindens solcher Beweismitteln ist überdies im selben
Beschluss schon deren Beschlagnahme angeordnet worden.
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Daraufhin wurde am 30. Juni 2005 durch Beamte des Finanzamtes in Anwesenheit des
Beschuldigten und seiner Ehefrau die Durchsuchung in dem beiden Eheleuten
gehörenden Haus in H. auf Usedom durchgeführt. Auch die Wohnung in V. nahe Berlins
wurde durchsucht. Ausweislich der entsprechenden Aktenvermerke machten die
Beamten verschiedene Feststellungen über die Einrichtung und Ausstattung der
Wohnungen, auch über die dort befindlichen Kleidungsstücke, Hygieneartikel und andere
persönliche Gegenstände, die jeweils auch fotografiert wurden. Unterlagen oder andere
Beweisstücke wurden offenbar nicht aufgefunden, jedenfalls aber nicht beschlagnahmt.
Am 24. August 2005 hat der Beschuldigte Beschwerde gegen den Beschluss vom 24.
Juni 2005 erhoben, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.
II. Die Beschwerde ist nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich
die Kammer anschließt, zulässig, obwohl die Durchsuchung bereits abgeschlossen ist
und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Der Beschuldigte hat in Anbetracht
des schwerwiegenden Eingriffs in seine grundgesetzlich geschützten Rechte ein
anzuerkennendes rechtliches Interesse auch an der nachträglichen richterlichen
Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Eingriffs.
Die Beschwerde ist im Übrigen auch in der Sache begründet.
Gemäß § 102 StPO kann bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat
verdächtig ist, eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person
und der ihm gehörenden Sachen durchgeführt werden, wenn zu vermuten ist, dass die
Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde. Dazu reicht es
grundsätzlich aus, wenn - wie im vorliegenden Fall - lediglich ein Anfangsverdacht
besteht. Allerdings ist hierbei zu beachten, dass die Durchsuchungsanordnungen gemäß
§§ 102 ff. StPO schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte des jeweiligen Betroffenen,
insbesondere in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG,
darstellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist
daher eine Wohnungsdurchsuchung nur dann gerechtfertigt, wenn sie in einem
angemessenen Verhältnis zur Schwere der Straftat und zur Stärke des Tatverdachts
steht (BVerfGE 20, 162, 187 = NJW 66, 1603, 1607; BVerfGE 42, 212, 220 = NJW 76,
1735; BVerfGE 59, 95). Sie steht daher wie alle Zwangsmaßnahmen unter dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (BVerfGE a.a.O.) Dementsprechend muss die
Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet und erforderlich sein und
darf der mit ihr verbundene Eingriff nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und
zur Schwere des Tatverdachts stehen (BVerfG NJW 1992, 551). Die Schwere der Tat und
die Stärke des Tatverdachtes stehen dabei in einem Wechselverhältnis derart, dass die
Durchsuchung bei einem schwachen Tatverdacht nur dann rechtmäßig ist, wenn eine
schwere Tat zu verfolgen ist, oder umgekehrt, wenn eine weniger schwere Straftat zu
erforschen, dafür aber der Tatverdacht recht stark ist. Darüber hinaus muss der die
Durchsuchung anordnende Richter durch eine geeignete Konkretisierung des
Durchsuchungsbeschlusses dafür Sorge tragen, dass der Grundrechtseingriff
kontrollierbar bleibt (BVerfG NJW 1992, 551; 1994, 3281; Verfassungsgericht des Landes
Brandenburg Beschluss vom 25. September 2002, zitiert aus Juris).
Unter Beachtung dieser Grundsätze hätte die Durchsuchung beim Beschwerdeführer
mangels Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme nicht angeordnet werden dürfen. Der
angefochtene Beschluss lässt nicht erkennen, dass das Amtsgericht das Erfordernis der
Verhältnismäßigkeit überhaupt zum Gegenstand seiner Prüfung gemacht hat. Im
vorliegenden Fall hätte das Amtsgericht berücksichtigen müssen, dass sich der
Tatverdacht ganz überwiegend aus den Angaben eines einzigen Anzeigenerstatters
ergibt. Nach dessen eigenen Angaben hat dieser in den Jahren 2003 und 2004 eine
außereheliche (offenbar auch intime) Beziehung mit der Ehefrau des Beschwerdeführers
unterhalten, er habe diese auch finanziell unterstützt, in der Hoffnung, mit ihr eine
gemeinsame Beziehung aufbauen zu können. Zu der Anzeige vom 12. Januar 2005 ist
es tatsächlich erst gekommen, nachdem diese Beziehung der Ehefrau des
Beschwerdeführers zum Anzeigenerstatter am 23. Dezember 2004 beendet wurde. Der
Anzeigenerstatter hatte somit verschiedene Motive den Beschwerdeführer und seine
Ehefrau (möglicher Weise auch zu Unrecht) zu belasten.
Zum Zeitpunkt des Erlass des Durchsuchungsbeschlusses stand kein weiteres
Beweismittel zur Verfügung, welches den Tatvorwurf einer getrennten Lebens- und
Wirtschaftsgemeinschaft objektiv zu stützen in der Lage gewesen wäre. Anhaltspunkte
dafür, dass zwischen den Eheleuten in den Jahren 1999 bis 2003 keine
Wirtschaftgemeinschaft mehr bestand, hatten die Ermittlungsbehörden nicht, auch der
Anzeigenerstatter machte dazu keine Angaben. Gelebt hat die Familie in dieser Zeit
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Anzeigenerstatter machte dazu keine Angaben. Gelebt hat die Familie in dieser Zeit
offenbar weiterhin von dem Einkommen des Beschwerdeführers. Auch dazu, ob die
Eheleute in dieser Zeit tatsächlich gewillt waren, die eheliche Lebensgemeinschaft
fortzusetzen oder wiederherzustellen oder nicht, worauf es im Rahmen der Beurteilung
nach § 26 Abs. 1 EStG ankommt, gab es keine hinreichenden Anhaltspunkte. Die
vermeintlichen Äußerungen der Ehefrau gegenüber ihrem Liebhaber sind für eine
Beurteilung ihrer inneren Einstellung zu der Beziehung zu ihrem Ehemann ungeeignet,
über den Willen des Ehemannes ergeben sie ohnehin nichts. Die weiteren objektiven
Beweismittel im Zeitpunkt des Erlasses des Beschlusses belegen lediglich, dass die
Ehefrau des Beschwerdeführers aufgrund ihres Studiums eine Wohnung in Berlin und
später ein Doppelhaus in V. bezog, während er selbst aus beruflichen Gründen bis zu
seiner Pensionierung in S. bzw. T. blieb. Der Wille, eine über die Wirtschaftsgemeinschaft
hinausgehende Lebensgemeinschaft wieder herzustellen, fehlt jedoch nicht alleine
deswegen, weil die Ehegatten aus beruflichen Gründen für längere Zeit getrennt leben.
Das Haus in H. auf Usedom haben beide Eheleute (offenbar mit den Geldmitteln aus
dem Verkauf ihrer früheren Wohnung in S.) am 16. Juli 2001 zu je 1/2 erworben, was,
jedenfalls zu diesem Zeitpunkt, gegen eine Aufhebung der Wirtschaftsgemeinschaft und
damit gegen eine nachhaltige Trennung spricht.
Die den Tatverdacht begründenden Anhaltspunkte über Art und Umfang der Nutzung
dieses, möglicher Weise auch als gemeinsames Ferienhaus angeschaffte Grundstück
durch den Beschwerdeführer, basieren ausschließlich auf den Angaben des
Anzeigenerstatters. Unter diesen Umständen ist der Anfangsverdacht als nur gering
anzusehen.
Unter Berücksichtigung eines solchen Tatverdachtes und der Schwere der möglichen
Straftat ist ein so weitgehender Grundrechtseingriff, wie die Durchsuchung der gesamten
Privaträume nicht gerechtfertigt. Insoweit entspricht der angegriffene
Durchsuchungsbeschluss vom 24. Juni 2005 bereits inhaltlich nicht den Anforderungen,
die aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit an den Inhalt solcher Anordnungen zu stellen
sind und stellt sich bereits daher als nicht verhältnismäßig dar. Zwar ist die Straftat, die
Anlass zur Durchsuchung gibt, noch hinreichend bestimmt, allerdings sind in der
angefochtenen Entscheidung weder der Zweck noch das Ziel der Durchsuchung oder die
zu suchenden Beweismittel hinreichend konkret bezeichnet. Nach dem Beschluss des
Amtsgericht sind sämtliche Unterlagen, die Aufschluss darüber bieten, dass oder ob sich
der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers in H. auf Usedom befindet zu
beschlagnahmen. Seinem Inhalt nach zielt der Beschluss somit auf die Feststellung, ob
zwischen dem Beschwerdeführer und seiner Ehefrau in den Jahren 1999 bis 2003 eine
Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft bestand, was sich, wie das Finanzamt zutreffend
ausführt, nach dem Gesamtbild der Verhältnisse bestimmt. Sowohl zur Feststellung des
Lebensmittelpunkt als auch der gesamten Verhältnisse ist nach der Fassung des
amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschlusses somit nach sämtlichen dem
Beschwerdeführer und seiner Ehefrau gehörenden Gegenstände zu suchen. Die im
Hinblick auf eine mögliche Straftat zu suchenden Beweismittel sind damit nicht
hinreichend konkret umschrieben; weder den die Durchsuchung durchführenden
Beamten, wie auch dem Beschuldigten ist es möglich, die gesuchten Unterlagen zu
identifizieren. Die von der Verfassung geforderte Kontrollierbarkeit des Grundrechteingriff
ist damit nicht gegeben.
Hinzu kommt im vorliegenden Fall außerdem, was das Amtsgericht ebenfalls nicht
erwogen hat, dass die Suche nach Unterlagen von vornherein - was das spätere
Ergebnis der Durchsuchungsmaßnahmen bestätigt hat - nicht geeignet war, den gegen
den Beschwerdeführer bestehenden Tatverdacht zu untermauern. Weder aus
Kontounterlagen, Versorgungsabrechnungen, Behördenkorrespondenz oder den
anderen beispielhaft in dem Beschluss aufgeführten Unterlagen lassen sich stichhaltige
Anhaltspunkte darüber gewinnen, ob die Eheleute im hier maßgeblichen Zeitpunkt eine
gemeinsame Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft unterhalten haben. Dokumente, die
Aufklärung über die maßgeblichen persönlichen Lebensumstände der Eheleute in den
vergangenen Jahren geben könnten, wären allenfalls private Briefe des
Beschwerdeführers oder seiner Frau, eine Sichtung solcher Post wäre jedoch aufgrund
des geringen Tatverdachtes und unter Berücksichtigung der Schwere der möglichen
Straftat ohne weitere Vorermittlungen unverhältnismäßig. Aus den Gesamtumständen
des vorliegenden Verfahrens, insbesondere aus den von den Ermittlungsbehörden über
die Durchsuchungen gefertigten Vermerken ergibt sich vielmehr, dass die Durchsuchung
nicht dem Auffinden von Unterlagen dienen sollte, wie in der angefochtenen
Entscheidung angegeben, sondern der Feststellung, ob sich in der Wohnung V. nahe
Berlins persönliche Gegenstände des Beschwerdeführers und in der Wohnung in H. auf
Usedom solche seiner Frau befinden. Ein solcher, in die Intimsphäre des
Beschwerdeführers und seiner Ehefrau eingreifender Durchsuchungszweck ist jedoch von
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Beschwerdeführers und seiner Ehefrau eingreifender Durchsuchungszweck ist jedoch von
dem Beschluss des Amtsgerichts nicht gedeckt und ist auch im übrigen
unverhältnismäßig.
Ein Grundrechtseingriff, der weder Erfolg verspricht, noch der Aufklärung einer schweren
Straftat dient oder zur Bestätigung eines starken Tatverdachts geeignet ist, ist im
Rahmen von § 102 StPO nicht gerechtfertigt.
Die Kosten der Beschwerde sind Kosten des Verfahrens. Eine Kostenentscheidung
erübrigt sich somit.
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