Urteil des LG Neuruppin vom 14.03.2017

LG Neuruppin: aufrechnung, auflösende bedingung, arbeitsentgelt, fälligkeit, öffentlich, ausnahme, akte, insolvenz, erfüllung, anfechtbarkeit

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Gericht:
LG Neuruppin 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 O 374/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 197 Abs 3 SGB 3, § 96 InsO, §
129 InsO
Lohnansprüche im Falle der Arbeitgeberinsolvenz: Aufrechnung
seitens der Bundesagentur für Arbeit nach
Forderungsübergang, Anfechtbarkeit des Antrages des
Arbeitnehmers auf Insolvenzgeld
Leitsatz
Die in der Krise der Insolvenzschuldnerin aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs
nach § 187 SGB III auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Lohnansprüche
unterfallen nicht dem Aufrechnungsverbot des § 96 InsO.
Die Anträge der Arbeitnehmer auf Insolvenzgeld sind integraler Bestandteil des öffentlich-
rechtlich geregelten Schicksals von Lohnansprüchen im Fall der Arbeitgeberinsolvenz und
keine der Anfechtung unterliegende Rechtshandlungen iSd § 129ff. InsO.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger verlangt als Insolvenzverwalter über das Vermögen der M. GmbH von der
Beklagten aus insgesamt 10 Verträgen über den Betrieb einer Personal-Service-Agentur
die Zahlung von Fallpauschalen und Vermittlungsprämien.
Die nach Durchführung einer Ausschreibung im Juli und August 2003 geschlossenen
Verträge sahen eine vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung i.S.d. § 37 c SGB
III vor. Die Insolvenzschuldnerin sollte für jeden Arbeitnehmer ein - degressiv gestaffeltes
- Honorar von zunächst monatlich 1.200,00 € erhalten. Im Falle der Vermittlung sollte
eine - ebenfalls je nach Zeit und der Vermittlung degressiv gestaffelte -
Vermittlungsprämie gezahlt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Verträge wird
auf Anlage K3 zur Klageschrift verwiesen.
Im Januar 2004 stellte die Insolvenzschuldnerin ihre Zahlungen, insbesondere auch die
Leistung des Arbeitsentgeltes an die Leiharbeitnehmer, weitgehend ein. Am 16. Februar
2004 beantragte sie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dieses wurde mit Beschluss
des Amtsgerichts Hamburg vom 1. Mai 2004 eröffnet.
Der Kläger begehrt für die Monate Januar und Februar 2004 die Zahlung von
Fallpauschalen i.H.v. insgesamt 786.828,00 €. Außerdem macht er Vermittlungsprämien
i.H.v. 76.908,00 € geltend.
Die Beklagte hat sich hinsichtlich der geforderten Fallpauschalen auf ein
Leistungsverweigerungsrecht nach § 320 BGB berufen und dies mit der ausgebliebenen
Lohnzahlung seitens der Insolvenzschuldnerin begründet. Außerdem hat sie die
Hauptaufrechnung mit einer Forderung i.H.v. 988.928,16 € erklärt, und zwar zunächst
gegen die Forderung aus Vermittlungsprämien in der Reihenfolge der Spezifizierung in
der Klageschrift, danach gegen die Forderung auf Zahlung von Fallpauschalen, wiederum
in der Reihenfolge der Spezifizierung in der Klageschrift. Insoweit ist unstreitig, dass die
Beklagte für den Zeitraum Januar bis April 2004 an die Arbeitnehmer der
Insolvenzschuldnerin insgesamt Zahlungen in Höhe der genannten Summe erbracht
hat.
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Der Kläger ist der Ansicht, der Anspruch auf die Fallpauschalen sei in voller Höhe fällig.
Der Umstand, dass im Januar und Februar kein Arbeitsentgelt mehr gezahlt worden sei,
begründe nicht die Einrede des nicht erfüllten Vertrages, da die Entlohnung der
Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin nicht in einem Austauschverhältnis zu den
geltend gemachten Fallpauschalen stehe. Eine in einzelnen Verhandlungsprotokollen
enthaltene Klausel, dem Mieter sei bekannt, dass die Fallpauschale nicht gewährt
werden könne, für volle Kalendermonate ohne Zahlung von Arbeitsentgelt (vgl. Anlage
B4) sei jedenfalls nicht in dem konkret abgeschlossenen Vertrag eingeflossen. Auch
nach dem gesetzlichen Leitbild des GSA-Vertrages in § 36 c SGB III sei der Ausgleich der
Lohnforderungen nicht Hauptleistungspflicht. Soweit die unterlassene Vergütung eine
Nebenpflichtverletzung darstelle, könne hierauf in der Insolvenz ein
Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB nicht gestützt werden.
Auch die Vermittlungsprämien seien in voller Höhe verdient. Insbesondere hindere die
Vertragsbeendigung zum 16. Februar 2004 nicht die Geltendmachung der später
entstandenen zweiten Tranche.
Der Kläger ist der Ansicht, die Aufrechnung mit gem. § 187 SGB III übergegangenen
Vergütungsansprüchen auf Grund erfolgter Insolvenzgeldzahlungen sei nach § 96 Abs. 1
Nr. 3 InsO unwirksam. Der Gegenanspruch sei nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.
Der Antrag auf Insolvenzgeld stelle eine Rechtshandlung der Arbeitnehmer der
Insolvenzschuldnerin dar. Diese Rechtshandlung sei nach dem Antrag auf Eröffnung des
Insolvenzverfahrens erfolgt. Die Aufrechnung würde die Beklagte gegenüber den übrigen
Gläubigern bevorzugen. Die 100 %ige Befriedigung der Ansprüche der Beklagten
widerspräche auch dem gesetzgeberischen Willen, der mit der Abschaffung der
Privilegierung von Arbeitnehmeransprüchen in § 61 KO durch die Einführung der
Insolvenzordnung zum Ausdruck gekommen sei. Die Ansprüche könnten daher nur als
Insolvenzforderungen zur Tabelle angemeldet werden.
Hinsichtlich der nach Insolvenzeröffnung fällig gewordenen zweiten Tranche der
Vermittlungsprämien sei eine Aufrechnung bereits nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO
unwirksam.
Der Kläger behauptet schließlich, die Insolvenzschuldnerin sei bei Erteilung der
benötigten Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung im Februar 2003
bereits überschuldet gewesen; bei Verlängerung der Erlaubnis am 23.1.2004 habe die
Überschuldung über 2 Millionen Euro betragen. Diesen Umstand hätte die Beklagte bei
Prüfung der Zuverlässigkeit erkennen können. Die Beklagte habe aufgrund ihres
Einblicks in die wirtschaftlichen Verhältnisse wissen müssen, dass durch jede Einstellung
eines neuen PSA-Beschäftigten die Gläubigergesamtheit geschädigt werde. Auch
insoweit habe die Beklagte die Aufrechnungslage in anfechtbarer Weise erlangt.
Jedenfalls sei es im Ergebnis unbillig, wenn der allgemeinen Insolvenzmasse durch die
Aufrechnung die entsprechenden Forderungen verloren gingen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 863.736,00 € nebst einem Zins von 8
Prozentpunkten p.a. über dem Basiszins
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erhebt hinsichtlich der Fallpauschalen die Einrede des nicht erfüllten Vertrages.
Vertragsgegenstand sei die Einstellung der vom Arbeitsamt vorgeschlagenen
Arbeitnehmer in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und darüber
hinaus die vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung. Mit umfasst sei damit die
Lohn- oder Gehaltszahlung als Hauptpflicht gegenüber dem Arbeitnehmer.
Des Weiteren ist die Beklagte der Ansicht, die eingeklagten Ansprüche seien durch die
erklärte Prinzipalaufrechnung insgesamt erloschen. Die Aufrechnungslage sei nicht
durch eine anfechtbare Rechtshandlung - nämlich Antragstellung durch den
Arbeitnehmer -, sondern durch den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 187 SGB III
entstanden. Eine Rechtsfolge, die gesetzlich angeordnet sei, könne nicht anfechtbar
sein. Soweit die Antragstellung die gesetzliche Anspruchsvoraussetzung für die Zahlung
von Insolvenzgeld ist, sei ein solches vom Gesetzgeber gebotenes Verhalten des
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von Insolvenzgeld ist, sei ein solches vom Gesetzgeber gebotenes Verhalten des
Arbeitnehmers nicht als anfechtbare Rechtshandlung anzusehen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die in der vollen geltend gemachten Höhe entstandenen Ansprüche des Klägers sind
durch Aufrechnung erloschen. Die Aufrechnung ist nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
unwirksam. Die Antragstellung der Arbeitnehmer ist integraler Bestandteil der öffentlich-
rechtlichen Regelung von Lohnansprüchen im Fall der Arbeitgeberinsolvenz und keine
der Anfechtung unterliegende - zivilrechtliche – Rechtshandlung.
Nach Nr. 9 der Verträge bestand ein Anspruch auf Bezahlung der Fallpauschalen für die
Monate Januar und Februar 2004 i.H.v. insgesamt 786.828,00 €. Entsprechend der
vertraglichen Vereinbarung war für jedes Vollzeitarbeitsverhältnis in den ersten drei
Monaten ein Honorar von jeweils 1.200,00 € netto, für die folgenden drei Monate ein
solches von je 900,00 € netto und für den siebten bis neunten Kalendermonat schließlich
je 600,00 € netto zu zahlen. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf die
Darlegungen im Schriftsatz vom 30. Juni 2008 und die dort in Bezug genommenen
Anlagen verwiesen. Diesen Ausführungen ist die Beklagte nicht entgegengetreten.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Forderung nicht davon abhängig, dass die
Insolvenzschuldnerin die Lohnansprüche der Arbeitnehmer erfüllt. Die Lohnzahlung an
die Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin ist keine im Gegenseitigkeitsverhältnis zu der
Zahlung der Fallpauschale stehende Leistung. Die Kammer folgt insoweit den
Ausführungen des OLG Naumburg in den beiden zur Akte gereichten Urteilen vom 17.
September 2008. Dort heißt es: „Ein solches Gegenseitigkeitsverhältnis ist in den
Verträgen (…) weder ausdrücklich vorgesehen, noch ergibt es sich im Wege der
Auslegung der Vereinbarung der Parteien. In den Verträgen sind die Leistungspflichten
der Insolvenzschuldnerin gegenüber der Beklagten eingehend beschrieben. Die Zahlung
der Löhne an die Arbeitnehmer zählt nicht dazu. Auch zu den weiteren in den Verträgen
ausdrücklich geregelten Voraussetzungen für die Zahlung der Fallpauschalen gehört die
Lohnzahlung nicht. Die in Nr. 1 Abs. 3 der Verträge aufgeführte Verpflichtung der
Insolvenzschuldnerin, die Arbeitnehmer in sozialversicherungspflichtige
Beschäftigungsverhältnisse zu übernehmen, lässt sich nicht dahingehend auslegen,
dass die Lohnzahlungspflicht der Insolvenzschuldnerin aus diesen Arbeitsverträgen nicht
nur gegenüber den Arbeitnehmern, sondern auch gegenüber der Beklagten bestehen
sollte. Vielmehr war die Insolvenzschuldnerin gegenüber der Beklagten nur verpflichtet,
sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse mit der in Nr. 7 der Verträge näher
beschriebenen Ausgestaltung einzugehen. Sobald dies geschehen war, hatte sie ihre
Vertragspflichten gegenüber der Beklagten in diesem Punkt erfüllt. Die Pflichten aus
dem so begründeten Arbeitsverhältnis trafen, wie auch sonst üblich, lediglich die
Arbeitsvertragsparteien.
Es bestand auch kein wirtschaftliches oder rechtliches Interesse der Beklagten, neben
den Arbeitnehmern einen eigenen Anspruch auf die Lohnzahlung zu erhalten. Soweit es
der Beklagten darum ging, von eigenen Pflichten zu Entgeltersatzleistungen,
insbesondere von Arbeitslosengeld (§ 116 Nr. 1 SGB III) befreit zu werden, war dieser
Zweck bereits mit der Begründung sozialversicherungspflichtiger
Beschäftigungsverhältnisse erfüllt (§§ 117 Abs. 1 Nr. 1, 119 Abs. 1 Nr. 1 SGB III), ohne
dass es darauf ankam, ob die Löhne aus diesen Arbeitsverhältnissen auch tatsächlich
bezahlt wurden. So lange die Arbeitsverhältnisse bestanden, drohte der Beklagten bei
Nichtzahlung der Löhne auch nicht ohne Weiteres die Heranziehung zu
Entgeltersatzleistungen. Sie musste allenfalls damit rechnen, dass sie womöglich trotz
Bestehens der Arbeitsverhältnisse Insolvenzgeld (§ 116 Nr. s SGB III) würde bezahlen
müssen. Davor hätte sie allerdings auch kein eigener Anspruch gegen die
Insolvenzschuldnerin auf Zahlung der Löhne an die Arbeitnehmer bewahren können.
Ebenso wenig deuten Höhe und Ausgestaltung der Fallpauschalen darauf hin, dass sie
bezahlt werden sollten, um damit zu erreichen, dass die Insolvenzschuldnerin den
Arbeitnehmern Löhne auszahlte. Vielmehr spricht gegen eine solche Annahme
insbesondere die Degression der Pauschale, die dazu führte, dass die
Insolvenzschuldnerin gerade in Bezug auf solche Arbeitnehmer, die sie nicht schnell
vermitteln und deshalb länger selbst beschäftigen und entlohnen musste, deutlich
weniger erhielt, so dass die Mittel und der Anreiz für die Lohnzahlung im Laufe der Zeit
schwanden. Die Zahlung der Löhne war auch nicht etwa der einzige finanzielle Aufwand,
den der Betrieb der PSA für die Insolvenzschuldnerin mit sich brachte. Sie hatte neben
ihren arbeitsvertraglichen Pflichten vielfältige kostenträchtige Aufgaben zu erfüllen,
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ihren arbeitsvertraglichen Pflichten vielfältige kostenträchtige Aufgaben zu erfüllen,
beispielsweise nach Nr. 8 der Verträge, und ihre Organisation vorzuhalten. Zudem ist
aus dem letzten Absatz der Nr. 9 der Verträge herzuleiten, dass die Fallpauschale nicht
als Lohnkostenzuschuss gedacht war. (…)
Auch aus Nr. 5e des Protokolls über die Verhandlung vom 18. März 2003 folgt nicht,
dass die Lohnzahlung an die Arbeitnehmer eine Hauptleistungspflicht der
Insolvenzschuldnerin sein sollte. Eine derartige Regelung ist nicht in die Verträge vom
30. Mai 2003 übernommen worden. Der Wortlaut des Protokolls deutet auch nicht darauf
hin, dass insoweit das einvernehmliche Ergebnis von Verhandlungen wiedergegeben
wurde. Vielmehr ging es allein um die Mitteilung einseitiger Vorstellungen der Beklagten,
die in den Vertrag keinen Eingang gefunden haben. Selbst, wenn in den Verhandlungen
Einvernehmen i.S.d. Nr. 5e des Protokolls erzielt worden wäre, hätte dies für die
Auslegung des Vertrages letztlich keine Bedeutung. Wird ein derart wichtiger Punkt nicht
in den Vertrag übernommen, nötigt dies nicht etwa zu der Schlussfolgerung, dass er bei
Vertragsschluss übersehen worden sei, sondern es liegt wenigstens ebenso nahe, dass
man bei der endgültigen Einigung wieder anderen Sinnes als noch in der
vorangegangenen Verhandlung geworden ist.“
Der Anspruch auf die Fallpauschalen ist indes durch Aufrechnung erloschen. Die
Beklagte hat die Hauptaufrechnung mit Gegenforderungen i.H.v. 988.928,16 € erklärt.
Eine Aufrechnung ist gem. § 94 InsO grundsätzlich auch dann möglich, wenn ein
Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die
Aufrechnungsklage bereits vor Insolvenzeröffnung entstanden ist und nicht auf einer
anfechtbaren Rechtshandlung beruht (§§ 95, 96 InsO). Vorliegend ist die Gegenforderung
nach Grund und Höhe unstreitig (anderenfalls wäre der hier vorliegende Zivilprozess
auch nicht entscheidungsreif gewesen, da es sich bei der zur Aufrechnung gestellten
Forderung um eine rechtswegfremde Forderung handelt). Die Forderung ist auch vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 1. Mai 2004 entstanden. Die Beklagte hat zu den
in Anlage B3 im Einzelnen angegebenen Zeitpunkten an die dort namentlich genannten
Arbeitnehmer auf die dort ebenfalls aufgeführten Anträge, die dort näher bezeichnete
Zahlung erbracht. Alle Anträge sind vor dem 1. Mai 2004 gestellt worden. Damit ist gem.
§ 187 SGB III jeweils vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens der entsprechende Anspruch
auf Arbeitsentgelt auf die Beklagte übergegangen.
Krodel (Kommentar zum SGB III, herausgegeben von Niesel, Anmerkung 6, § 187 SGB III)
hält die übergegangenen Entgeltansprüche nur dann für aufrechenbar, wenn das
Insolvenzgeld auch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens an den Arbeitnehmer gezahlt
wurde. Gagel (Kommentar zum SGB III, 32. Ergänzungslieferung 2008, Anm. 23 zu § 187
SGB III) hält den Rechtserwerb im Falle der Antragstellung durch den Arbeitnehmer vor
Verfahrenseröffnung bereits für vollendet und den Zeitpunkt der Zahlungen damit für
unerheblich. Die Kammer folgt der letztgenannten Meinung. Der Anspruchsübergang
nach § 87 SGB III betrifft alle noch offenen Entgeltansprüche, für die die entfernte
Möglichkeit der Gewährung von Insolvenzgeld besteht. Die Ablehnung des Antrages ist
auflösende Bedingung für den Forderungsübergang (Landesarbeitsgericht Rheinland
Pfalz, Urteil vom 27. April 2005, 9 Sa 181/04, zitiert nach Juris, m.w.N.). Damit ist auch in
den Fällen, in denen die Auszahlung an die Arbeitnehmer nach Insolvenzeröffnung
erfolgt ist, die Aufrechnungslage mit Antragstellung vor Insolvenzeröffnung entstanden.
Abweichend von den Ausführungen des OLG Naumburg im Urteil vom 17. September
2008 (5 U 72/08) ist die Aufrechnung nicht nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO unwirksam.
Nach dem Wortlaut dieser Vorschrift ist eine Aufrechnung dann unzulässig, wenn die
Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt worden ist.
Nach § 129 InsO kann der Insolvenzverwalter Rechtshandlungen, die vor der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden sind, nach Maßgabe der §§ 130-146 InsO
anfechten. Anfechtbar ist danach insbesondere eine Rechtshandlung, die in den letzten
drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen
worden ist (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Im Zentrum der Vorschriften steht der Begriff der
Rechtshandlung. Dieser Begriff ist zivilrechtlich zu verstehen. In diesem Sinne erfasst er
zwar nicht nur Rechtsgeschäfte, sondern auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen oder
Realakte, denen das Gesetz Rechtsfolgen beimisst. Unverzichtbare Komponente ist
jedoch jeweils die Willensbetätigung. Selbst Realakte (wie das Einbringen eines
Gegenstandes mit der Rechtsfolge der Begründung eines Mieterpfandrechts) können nur
dann eine anfechtbare Rechtshandlung darstellen, wenn sie willentlich geschehen.
Besonders betont hat dies der BGH im Zusammenhang mit der Beurteilung der
Anfechtbarkeit von Geldzahlungen an einen Gerichtsvollzieher im Zusammenhang mit
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen. So sind Zahlungen unter dem Druck einer
Zwangsvollstreckung anfechtbare willentliche Rechtshandlungen (BGH NJW 2003, 3347
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Zwangsvollstreckung anfechtbare willentliche Rechtshandlungen (BGH NJW 2003, 3347
ff). Dies gilt aber dann nicht, wenn der Schuldner lediglich die Wahl hat, die geforderte
Zahlung sofort zu leisten oder die Vollstreckung durch die bereits anwesende
Vollziehungsperson zu dulden (BGH Urteil vom 10. Februar 2005, IX ZR 211/02, zitiert
nach Juris). In diesem Fall fehlt eine willensgesteuerte Handlung des Schuldners.
Im vorliegenden Fall geht es bereits im Ansatz nicht um eine solche zivilrechtliche
Rechtshandlung. Das Schicksal der Lohnansprüche von Arbeitnehmern in der Insolvenz
eines Arbeitgebers ist insgesamt öffentlich-rechtlich geregelt. Der Arbeitnehmer hat
unter bestimmten gesetzlichen Voraussetzungen einen Anspruch auf Insolvenzgeld.
Dieser Anspruch besteht unabhängig von einem hierauf gerichteten Willen und
unabhängig von einer Rechtshandlung. Zwar bedarf es zur Geltendmachung des
gesetzlichen Anspruchs einer Antragstellung. Diese ist aber nicht isoliert anfechtbar, da
ihr keine eigenständige Bedeutung zukommt. Er ist nur der Auslöser für die Prüfung
durch die zuständigen Behörden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Leistung
bestehen. Auf den Anspruch selbst ist der Antrag ohne Einfluss. Durch die
Antragstellung wird der Anspruch lediglich aktualisiert, nicht aber begründet.
In vergleichbaren Fällen hat dies die obergerichtliche Rechtsprechung ähnlich gesehen.
Der Bundesfinanzhof hat in seiner Entscheidung vom 16. Oktober 2008 (Az.: VII B 17/08,
zitiert nach Juris) die Aufrechnung mit Steuerforderungen im Insolvenzverfahren für
zulässig gehalten. Danach kann das Finanzamt im Insolvenzverfahren des
Steuerpflichtigen gegen ein Erstattungsanspruch mit einem Anspruch auf rückständige
Umsatzsteuer aufrechnen. Wörtlich heißt es: „Die für den Streitfall im Hinblick auf das
Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO maßgebende Frage, ob das Finanzamt
die Möglichkeit der Aufrechnung gegen den Erstattungsanspruch durch eine anfechtbare
Rechtshandlung erlangt hat, lässt sich nur so beantworten, wie es das Finanzgericht
getan hat. Auch wenn sich - wie die Beschwerde ausführt - in der Reihe von Ereignissen,
die zu dem aus der Umsatzsteuererklärung 2001 resultierenden Erstattungsanspruch
der Schuldnerin geführt haben, Rechtshandlungen i.S.d. § 129 InsO finden lassen, so
beruht doch - wie das Finanzgericht zutreffend ausgeführt hat - der Erstattungsanspruch
der Schuldnerin und damit die entstandene Aufrechnungslage unmittelbar allein auf der
Erfüllung der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nr. 1 des
Umsatzsteuergesetzes, nämlich auf der Uneinbringlichkeit des vereinbarten Entgelts für
eine bereits erklärte steuerpflichtige Lieferung oder Leistung. Der Eintritt der
Uneinbringlichkeit eines vereinbarten Entgelts ist aber keine von einem Willen getragene
Rechtshandlung i.S.d. § 129 InsO, sondern eine an Hand objektiver Kriterien
festzustellende Tatsache, mag er auch zuvor durch Rechtshandlungen bewirkt worden
sein.“
Auf den vorliegenden Fall übertragen bedeutet dies, dass die Aufrechnungslage durch
die gesetzliche Regelung des Schicksals von Arbeitnehmerforderungen für den Zeitraum
vor Insolvenzeröffnung begründet worden ist.
Auch das Bundessozialgericht hat die Aufrechnung der Bundesanstalt für Arbeit mit
übergegangenem Arbeitsentgeltanspruch gegen Beitragserstattungsansprüche bei vor
Konkurseröffnung gestellten Kaufantrag für zulässig erachtet (Urteil vom 15. Dezember
1994, ZIP 1995, 396 ff). Diese Entscheidung ist zwar zu dem heute nicht mehr geltenden
§ 55 Nr. 3 KO ergangen. Die Aufrechnungsmöglichkeiten sind in § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO
weitergehend eingeschränkt worden. Die Aufrechnung ist also vorliegend nicht bereits
deswegen zulässig, weil sie weder auf einer Rechtsabtretung noch auf der Befriedigung
des Arbeitnehmers durch die Beklagte beruht. Das Bundessozialgericht hat die
Zulässigkeit der Aufrechnung aber darüber hinaus wie folgt begründet: „Im übrigen war
die Beklagte sowohl zur Übernahme der Forderung als auch zur Erfüllung der
Lohnansprüche durch Zahlung von Kaug gesetzlich verpflichtet, so dass § 55 Nr. 3 KO
die Aufrechnung schon wegen der in Satz 2 enthaltenen Ausnahme nicht ausschließt.“
(a.a.O. S. 400). Diese Hilfsbegründung trägt auch heute noch.
Entgegen der Ansicht des OLG Naumburg in der zitierten Entscheidung und des OLG
Karlsruhe in dem zur Akte gereichten Hinweisbeschluss vom 7. Oktober 2008 ist
Anknüpfungspunkt für die rechtliche Beurteilung, damit nicht die Antragstellung als
willentliche Rechtshandlung der ehemaligen Arbeitnehmer der Insolvenzschuldnerin,
sondern die in § 187 SGB III angeordnete cessio legis.
Die Unzulässigkeit der Aufrechnung kann auch nicht damit begründet werden, die
Beklagte habe die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung zu einem Zeitpunkt erteilt
bzw. verlängert, zu dem die Insolvenzschuldnerin bereits für die Beklagte erkennbar
überschuldet gewesen sei. Die Erteilung einer beantragten Genehmigung in einem
Verwaltungsverfahren ist keine anfechtbare Rechtshandlung. Außerdem hat die Beklagte
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Verwaltungsverfahren ist keine anfechtbare Rechtshandlung. Außerdem hat die Beklagte
hierdurch nicht eine Sicherung oder Befriedigung i.S.d. §§ 130 ff. InsO erworben. Der
Zeitpunkt der Überschuldung sowie deren Erkennbarkeit für die Insolvenzschuldnerin ist
daher für die hier zu entscheidende Frage der Aufrechenbarkeit nicht erheblich. Ob
dieses Ergebnis der Billigkeit entspricht, ist in diesem Verfahren nicht abschließend zu
entscheiden.
Auch der Anspruch auf Vermittlungsprämien ist durch Aufrechnung erloschen. Die
Insolvenzschuldnerin hat zwar die in der Replik vom 30. Juni 2008 im Einzelnen
dargelegten Vermittlungsprämien verdient. Der Anspruch umfasst nicht lediglich die bis
zur Vertragsbeendigung am 16. Februar 2004 entstandenen Prämien, sondern auch die
erst nach diesem Zeitpunkt fällig gewordenen zweiten Tranchen. Dies ergibt sich
unmittelbar aus Ziff. 4 des Vertrages. Dort heißt es: „Für vor Beginn und nach Ende der
Vertragslaufzeit erbrachte Leistungen der PSA wird kein Honorar gewährt. Dies gilt nicht
für die zweite Tranche der Vermittlungs-/Integrationsprämie (siehe Ziffer 9). Die Klausel
differenziert nicht danach, ob die Laufzeit des Vertrages durch Zeitablauf oder gemäß
Ziff. 14 durch Kündigung oder durch Wegfall der Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung
endet. Eine solche unterschiedliche Behandlung wäre im Übrigen auch nicht einsichtig.
Anspruchsbegründend ist die Vermittlung des Arbeitnehmers. Der mindestens
sechsmonatige Verbleib ist eine Bedingung, auf deren Eintritt die Insolvenzschuldnerin
keinen Einfluss hat und die es auf ein Fortbestehen des Vertrages nicht ankommt.
Die erklärte Aufrechnung erfasst aus den vorgenannten Gründen die
Vermittlungsprämien, soweit die Ansprüche auf Prämienzahlung und die
übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt sich bereits im Zeitpunkt der
Insolvenzeröffnung aufrechenbar gegenüber standen. Die Aufrechnung ist aber auch
wirksam, soweit sie die erst nach Insolvenzeröffnung fällig gewordenen zweiten Tranchen
betrifft. Dies ergibt sich aus § 95 InsO. Danach kann bei aufschiebend bedingten
Forderungen die Aufrechnung auch noch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
erfolgen. Die Aufrechnung ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Forderung, gegen die
aufgerechnet werden soll, unbedingt und fällig wird, bevor die Aufrechnung erfolgen
kann. Diese Ausnahme ist hier nicht gegeben. Die Aufrechenbarkeit mit den nach § 187
SGB III übergeleiteten Ansprüchen bestand durchgehend ab Eröffnung des
Insolvenzverfahrens. Die Wirkung der Aufrechnung trat jeweils mit Fälligkeit einer zweiten
Tranche einer Vermittlungsprämie ein.
Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten worden ist, § 95 Abs. 1 S. 3 InsO sei
erweiternd ab Bedingungseintritt auch in dem Fall anzuwenden, dass zunächst lediglich
die Forderung der Masse bedingt war, ist dem der Bundesgerichtshof entgegengetreten
(vgl. Fischer, WM 2008, 3 unter Hinweis auf BGHZ 160, 1). Nach Satz 1 können zunächst
beide oder lediglich eine der beiden Forderungen bedingt oder betagt sein. Der Fall, dass
dies lediglich auf die Forderung der Masse zutrifft, wird nicht ausgeschieden. Eine
weitergehende Einschränkung der Aufrechnungslage entspricht nicht dem Willen des
Gesetzgebers (a.a.O.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Danach hat der Kläger als der unterlegen
Teil die Kosten des Verfahrens insgesamt zu tragen. Das Unterliegen des Klägers beruht
auch nicht auf einer lediglich hilfsweise erklärten Aufrechnung mit der Folge, dass die
Kosten zu quoteln wären. Die Beklagte hat ausdrücklich die Prinzipalaufrechnung erklärt
(Schriftsatz vom 19. Februar 2008, S. 9; Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4.
September 2008). Dies bedeutet, dass die Beklagte ohne Rücksicht auf den Einwand der
fehlenden Fälligkeit (§ 320 BGB) in jedem Fall die Aufrechnung erklären wollte (und
möglicherweise bereits vor dem Prozess erklärt hat). Der Einwand der fehlenden
Fälligkeit ist demgegenüber eine Hilfsbegründung, die den Streitwert nicht erhöht.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Streitwert : 863.736,00 €.
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