Urteil des LG Münster vom 10.01.2007

LG Münster: firma, halle, brandstiftung, maschine, verschulden, kriminalpolizei, verfügung, anlieferung, sicherheitsleistung, wahrscheinlichkeit

Landgericht Münster, 10 O 785/04
Datum:
10.01.2007
Gericht:
Landgericht Münster
Spruchkörper:
10. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 O 785/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Sicherheitsleistung darf auch durch unbedingte, unbefristete,
selbstschuldnerische Bürgschaft einer im Gebiet der Bundesrepublik
Deutschland als Zoll- oder Steuerbürgin zugelassenen Bank oder
Sparkasse erbracht werden.
Tatbestand:
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Die Klägerin ist Feuerindustrieversicherer der Firma L GmbH. Am 31.05.2001 kam es
aus streitigen Ursachen zu einem Brand in einer Industriehalle der
Versicherungsnehmerin der Klägerin. Wegen dieses Brandschadens zahlte die Klägerin
an die Firma L GmbH einen Schadenbetrag in Höhe von
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635.388,00 Euro. Sie nimmt die Beklagte auf Erstattung der für den Brandschadenfall
gemachten Aufwendungen aus übergegangenem Recht nach § 67 VVG in Anspruch,
wobei die Brandschadenverursachung durch die Beklagte zwischen den Parteien
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streitig ist.
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Dem Brandschaden lag im Einzelnen folgendes zugrunde:
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Die Versicherungsnehmerin der Klägerin verarbeitet Produktionsabfälle aus der
Autoindustrie, wie z.B. Automobilteppichreste zu Ersatzbrennstoffen für die
Zementindustrie. Am Schadentag, dem 31.05.2001, brachte der Zeuge L3 insgesamt 7
Container grüne und graue Teppichreste von der Betriebsstätte der Beklagten in I-E.
zum Betrieb der Firma L. Die Teppichreste wurden in die Stoffaufbereitungshalle 2 der
Firma L gekippt. Die Anlieferungen erfolgten in der Zeit von 4.45 Uhr bis 13.19 Uhr.
Gegen 19.30 Uhr am gleichen Tag entwickelte sich ein Brand in dieser Halle. Der
Versuch, den Brand mit örtlich vorhandenen Wasserschläuchen durch Mitarbeiter der
Firma L zu bekämpfen, scheiterte. Die sofort herbeigerufene Feuerwehr löschte
anschließend den Brand.
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Die genaue Lage der von der Beklagten abgelieferten Teppichreste ist zwischen den
Parteien ebenso streitig wie die genaue Brandstelle.
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Die Klägerin behauptet:
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Der Brand sei in der linken hinteren Seite im nördlichen Hallenabschnitt entstanden, wo
ausschließlich Material, das von der Beklagten angeliefert worden sei, gelagert habe.
Der Brand sei darauf zurückzuführen, dass sich in dem von der Beklagten angelieferten
Teppichmaterial ein Glutnest befunden habe, das die Beklagte aufgrund mangelnder
Kontrolle in ihrem Betrieb nicht entdeckt habe. Das zunächst verborgen gebliebene
Glutnest habe sich zur Brandentstehungszeit entflammt und habe so das Feuer
verursacht.
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Das Glutnest sei bei den Produktionsprozessen im Betrieb der Beklagten entstanden.
Die textilen Rohmaterialien würden bei der Beklagten gepresst und zugeschnitten. Das
Material werde thermisch gebunden, wobei es schmilzt und sich verklebt. Dabei werde
Phenolharz eingesetzt. Durch Wärmezufuhr werde eine chemische Reaktion gestartet
und das Material bei Wegfall der Wärme gebunden. Die Erhitzung des Materials
geschehe über Thermöl. Es werde gleichzeitig Hitze und Druck erzeugt und eine
Oberflächentemperatur von etwa 180 Grad Celsius erreicht. Dabei werde das Material
auch durch Einsatz von Infrarotstrahlen erhitzt. Im Rahmen des Produktionsverfahrens
komme es bei Isolation im Material häufig zum Wärmestau mit der Folge, dass das
Material sich entzünden könne. Wenn dies im Bereich der Beklagten bemerkt werde,
werde der Brandherd sofort routinemäßig gelöscht.
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Eine andere technische Ursache, die zur Brandentstehung geführt haben könne, sei
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ausgeschlossen. Die Überprüfungen der Staatsanwaltschaft N3 hätten ergeben, dass in
dem Hallenabschnitt, wo das Feuer seinen Ausgang genommen habe, weder
elektrische Leitungen verlegt noch technische Geräte aufgestellt gewesen seien. In der
Halle sei auch nicht geraucht worden.
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Der Brand müsse daher von dem Material der Beklagten ausgegangen sein.
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Die Klägerin macht einschließlich vorprozessualer Sachverständigenkosten einen
Gesamtschaden von 645.658,00 Euro geltend, der im Einzelnen zwischen den Parteien
streitig ist.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 645.658,00 Euro nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 635.388,00 Euro seit
dem 01.05.2004 sowie Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz aus weiteren 10.270,00 Euro seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet, dass der Brand durch das von ihr gelieferte Teppichmaterial verursacht
worden sei und behauptet:
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In dem der Firma L zur Verfügung gestellten Abfallmaterial habe sich kein Glutnest
befunden. Sie habe in ihrem Betrieb ausreichend dafür Sorge getragen, dass das zur
Verfügung gestellte Abfallmaterial ausreichend abgekühlt worden sei, sodass es sich
nicht mehr habe entzünden können. Der Zeuge X habe auch die streitgegenständlichen
Abfallreste sorgfältig geprüft und festgestellt, dass kein Glutnest vorhanden gewesen sei
und keine Entzündungsgefahr bestanden habe. Er habe weder Brandgeruch noch
sonstigen verdächtigen Geruch festgestellt. Es sei üblicherweise deutlich zu riechen,
falls sich in dem Material ein Entzündungsherd befinde. Das sei hier nicht der Fall
gewesen. Auch der Zeuge L3 habe das bei der Firma L angelieferte Abfallmaterial auf
den Containern nochmals auf Brandauffälligkeiten untersucht und nichts festgestellt.
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Im Übrigen gebe es im Betrieb der Beklagten seit dem 25.02.1998 eine
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Betriebsanweisung, nach der die Reststoffe stets auf Raumtemperatur herunterzukühlen
sind. Darüber hinaus seien erkennbar aufgehitzte Stoffe durch Mitarbeiter mindestens
16 Stunden lang in einen eigens dafür vorgesehenen Wasserbehälter zu geben, bevor
sie in Abfallcontainer geladen würden. Ebenso gebe es eine Betriebsanweisung, nach
der die Mitarbeiter angewiesen seien, glimmendes und brennendes Material in ein
Tauchbecken zu geben und den Vorgesetzten zu informieren. So werde im Betrieb
tatsächlich verfahren. Es sei deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen, dass sich noch ein verborgenes Glutnest in den Abfallmaterialien
befunden habe.
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Es sei nach den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten und den darin enthaltenen
Zeugenaussagen auch nicht eindeutig, wo sich das Material der Beklagten in der Halle
der Firma L befunden habe und dass es sich bei dem entzündeten Material um solches
der Beklagten gehandelt habe. Es sei im Übrigen durch die Kriminalpolizei nicht
untersucht worden, ob auch Materialien einer anderen Firma oder eine Zigarette den
Brand ausgelöst haben könnte.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen L3, L2, X
und Greiner sowie durch Einholung eines schriftlichen und mündlichen
Sachverständigengutachtens des Sachverständigen für Brandschutz Dipl.-Ingenieur D
aus N2. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird die Sitzungsniederschriften
vom 08.07.2005 und 08.12.2006 sowie das schriftliche Gutachten vom 13. Juli 2006 und
die Ergänzung vom 24.10.2006 Bezug genommen.
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Die Akten 20 U Js 210/01 Staatsanwaltschaft N3 haben vorgelegen und waren
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat nicht mit der erforderlichen Sicherheit
bewiesen, dass der Brand vom 31.05.2001 im Betrieb ihrer Versicherungsnehmerin
durch das Teppichmaterial verursacht worden ist, das die Beklagte am Schadentag bei
der Firma L angeliefert hatte. Zwar geht das Gericht aufgrund der Aussagen der Zeugen
L2 und L3 davon aus, dass der Brand seinen Ausgang im hinteren linken Bereich der
Halle der Firma L genommen hat, wo die Teppichreste der Beklagten gelagert waren;
dennoch ist nach dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. D, der die mögliche
Brandursache nach dem Eliminationsverfahren (Ausschlussprinzip) ermittelt hat, nicht
auszuschließen, dass der Brand durch eine Brandstiftung entstanden sein kann. Die
Klägerin hat daher den ihr obliegenden Beweis dafür, dass der Brand nur durch ein
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Verschulden der Beklagten entstanden sein kann, nicht geführt.
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Dazu führen im Einzelnen folgende Überlegungen:
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Die Zeugen L2 und L3 haben für das Gericht überzeugend dargestellt, dass am
Brandtag hinten links in der Halle der Firma N lagerte, das von der Beklagten stammte.
Der Zeuge L3 hatte schon bei seiner polizeilichen Aussage vom 05.06.2001 kurz nach
dem Brand die von ihm angelieferten Container der Beklagten in einer Skizze (Blatt 59
der Beiakten) hinten links in der Halle eingezeichnet. Die Richtigkeit dieser Skizze hat
er bei seiner gerichtlichen Vernehmung bestätigt. Auch der Zeuge L2 hat für das Gericht
überzeugend dargestellt, dass hinten links in der Halle Material lagerte, das von der
Firma C stammte. Er hat erklärt, dass er das aufgrund seiner langen Erfahrungen an der
Zusammensetzung des Materials habe erkennen können.
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Weiter hat der Zeuge L2 überzeugend dargestellt, dass es hinten links in der Halle
angefangen habe zu brennen, als er zu dem Brand hinzugerufen worden sei. Die
Aussage des Zeugen L2 war lebendig und detailreich. Sie stimmte in den wesentlichen
Punkten mit seinen Angaben überein, die er unmittelbar nach dem Vorfall am
01.06.2001 bei der Kriminalpolizei gemacht hatte.
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2.
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Der Umstand, dass der Brand hinten links in der Halle ausgebrochen ist, wo das von der
Beklagten angelieferte Teppichmaterial lagerte, beweist allerdings allein nicht, dass der
gegen 19.30 Uhr entstandene Brand zwangsläufig auf ein Verschulden der Beklagten
zurückzuführen ist.
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Insoweit geben die mündlichen und schriftlichen Gutachten des Sachverständigen des
Sachverständigen D keine hinreichende Sicherheit über die tatsächliche Brandursache.
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Zum einen gelangt der Sachverständige D in seinem mündlichen Gutachten vom
08.12.2006 zu dem Ergebnis, dass die Oberflächentemperaturen, die bei dem
Schmelzprozess bei der Verarbeitung der Teppichreste im Betrieb der Beklagten mit
etwa 180 Grad Celsius entstehen, nicht hoch genug sind, um ein Glutnest zu erzeugen,
das den Brand in der festgestellten Form verursacht haben könnte.
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Der Sachverständige meint vielmehr, dass für den Fall, dass ein Glutnest in dem von der
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Beklagten angelieferten Material enthalten gewesen sein sollte, dies allenfalls auf den
Produktionsprozess in der Schneidmühle, die im Betrieb der Beklagten zur
Zerkleinerung des Teppichmaterials verwendet wurde, zurückgeführt werden kann.
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Dazu hat er die theoretische Möglichkeit aufgezeigt, dass in der Schneidmühle bei der
Zerkleinerung der Teppiche ein Messer des Schneidwerks zerbrochen sein könnte.
Dadurch könnten Funken entstanden sein. Diese Funken könnten wiederum das
verarbeitete Material innerhalb der Schneidmühle entzündet haben. Dabei müsse es
nicht zwangsläufig zu einem Brand in der Maschine selbst kommen. Es sei vielmehr
denkbar, dass sich ein Feuer infolge der Materialdichte innerhalb der Maschine nicht
offen bilden könne. Es könne sich vielmehr ein Schwelbrand innerhalb der Maschine
gebildet haben.
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Auf der anderen Seite kann der Sachverständige insoweit auch keine sicheren
Feststellungen mehr treffen, weil die Maschine heute nicht mehr vorhanden ist und von
dem Sachverständigen nicht mehr begutachtet werden konnte. Der Sachverständige hat
daher die Möglichkeit einer Brandursache im Betrieb der Beklagten lediglich als
hypothetische Überlegung angestellt. Sein Ergebnis für eine mögliche Brandursache ist
daher zwangsläufig spekulativ.
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Nach dem Ausschlussprinzip könnte aus diesen Überlegungen des Sachverständigen
allenfalls dann auf die ausschließliche Möglichkeit einer Brandverursachung durch die
Beklagte rückgeschlossen werden, wenn es keine andere, nicht gerade
unwahrscheinliche mögliche Alternative für die Brandentstehung im Betrieb der Firma L
geben könnte.
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Der Sachverständige D vermochte indes nicht mit der erforderlichen Sicherheit
auszuschließen, dass der Brand auch durch eine Brandstiftung ausgelöst worden sein
könnte. In Bezug auf die Möglichkeit einer Brandstiftung hat der Sachverständige in den
Strafakten keine hinreichenden Untersuchungen der Kriminalpolizei gefunden. Er hat
auch nicht feststellen können, dass insoweit ausreichender Sachverstand des
ermittelnden Kriminalbeamten gegeben war. Es hätte indes nach den überzeugenden
Ausführungen des Sachverständigen Veranlassung bestanden, den Sachverhalt auch
auf Brandstiftung hin zu überprüfen, weil die Brandstelle selbst keinen Hinweis für eine
natürliche Brandquelle enthalten habe. Für ihn selbst als Brandsachverständigen gebe
es denkbare Möglichkeiten, wie auch im konkreten Fall der Brand durch eine
Brandstiftung hätte verursacht werden können. Diesen Möglichkeiten sei für ihn
jedenfalls nicht erkennbar nachgegangen worden.
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Er könne daher als Sachverständiger die Möglichkeit einer Brandstiftung nicht
ausschließen, weil dieser Möglichkeit nicht mit den erforderlichen technischen Mitteln
nachgegangen worden sei.
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Deshalb sieht der Sachverständige einen Fehler in der Schneidmühle im
Produktionsprozess bei der Beklagten zwar als die einzige
technische
die den Brand verursacht haben kann. Er kann aber abgesehen von dieser technischen
Möglichkeit auch die Möglichkeit einer Brandstiftung nicht ausschließen, weil insoweit
nicht mit der erforderlichen Nachhaltigkeit und Fachkompetenz ermittelt worden ist.
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Das Gericht vermag sich nach diesem Beweisergebnis keine hinreichende Sicherheit
darüber zu verschaffen, ob der Brand im Betrieb der Firma L ausschließlich durch ein
Verschulden der Beklagten, indem sie mit einem Glutnest versehenes Material
angeliefert hat, entstanden sein kann. Daran bestehen nicht zuletzt auch deshalb
Zweifel, weil keinem der befragten Zeugen bei der Anlieferung des Materials der
Beklagten ein Brandgeruch aufgefallen ist. Der Zeuge L3 hat dazu anschaulich
dargestellt, dass üblicherweise, wenn Glutnester vorhanden sind, das Material entweder
dampft oder aber ein Brandgeruch wahrnehmbar ist. Wäre ein solcher Brandherd bereits
vorhanden gewesen, so hätte es nahegelegen, dass es vorher auch bei der Anlieferung
des Materials oder der Ablagerung in der Halle von einem der dort tätigen Zeugen
wahrgenommen worden wäre.
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Nach allem kann die tatsächliche Brandursache letztlich nicht mit der erforderlichen
Sicherheit festgestellt werden. Die Klägerin ist insoweit beweisfällig geblieben. Die
Möglichkeit einer Brandstiftung liegt nicht außerhalb der Wahrscheinlichkeit und kann
auch von dem Sachverständigen nicht ausgeschlossen werden. Eine Verantwortlichkeit
der Beklagten für den Brand ist daher nicht bewiesen.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 91 a ZPO abzuweisen. Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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