Urteil des LG Münster vom 18.04.2002

LG Münster: wichtiger grund, adoption, auflage, zerrüttung, namensänderung, eltern, begriff, unzumutbarkeit, druck, freiwilligkeit

Landgericht Münster, 5 T 294/02
Datum:
18.04.2002
Gericht:
Landgericht Münster
Spruchkörper:
5. Zivilbeschwerdekammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 T 294/02
Vorinstanz:
Amtsgericht Rheine, 13 XVI 457
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Das Amtsgericht wird angewiesen, von den in dem angefochtenen
Beschluss geäu-ßerten Bedenken Abstand zu nehmen.
G r ü n d e :
1
Mit notarieller Urkunde des Notar XXX vom 30.01.1997 (Urkundenrolle Nr. 13/1997)
beantragten die Beteiligten die Adoption der damals schon volljährigen Beteiligten zu
1). Nach Anhörung der Beteiligten wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Rheine vom
04.06.1998 die Adoption antragsgemäß ausgesprochen. In dem Adoptionsbeschluss ist
ausgeführt, dass die Beteiligte zu 1) gemäß §§ 1757, 1767 BGB als Geburtsnamen den
Familiennamen des Annehmenden führt. Hiermit waren die Beteiligten nicht
einverstanden, weil diese Regelung nicht ihren dem Adoptionsbegehren zu Grunde
liegenden Vorstellungen entsprach. Der Beteiligte zu 2) legte daraufhin am 29.07.1998
Beschwerde gegen den Beschluss ein, die nach Erteilung eines entsprechenden
Hinweises mit Beschluss der Kammer vom 23.09.1998 als unzulässig verworfen wurde.
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Mit undatiertem, am 05.02.2002 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schreiben
beantragten die Beteiligten, die Adoption gemäß § 1771 BGB aufzuheben. Zur
Begründung legten die Beteiligten eine umfangreiche gemeinsame Erklärung vor,
bezüglich deren Einzelheiten auf Bl. 49 ff. der Gerichtsakten verwiesen wird.
Wesentlicher Aspekt dieser gemeinsamen Erklärung ist ein unerträgliches
Familienleben, das dadurch entstanden sei, dass die Beteiligte zu 1) mit der durch die
Adoption bedingte Namensänderung nicht zurechtkomme.
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Mit angefochtenem Beschluss hat das Amtsgericht Rheine den Antrag auf Aufhebung
der Adoption zurückgewiesen mit der Begründung, in keiner der zur Adoption geführt
habenden Erklärungen oder Urkunden sei mitgeteilt worden, dass die Beteiligte zu 1)
weiter "XXX" heißen wolle. Im übrigen könne es nicht sein, dass die Beteiligten davon
ausgegangen seien, die Beteiligte zu 1) heiße weiterhin "XXX".
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Hiergegen wenden sich die Beteiligten mit ihrer Beschwerde vom 08.03.2002, mit der
sie ihren bisherigen Vortrag aufrechterhalten und vertiefen.
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Die zulässige Beschwerde ist in der Sache begründet.
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Gemäß § 1771 BGB kann das Annahmeverhältnis, das zu einem Volljährigen begründet
worden ist, auf Antrag des Anzunehmenden und des Angenommenen aufgehoben
werden, wenn "ein wichtiger Grund vorliegt". Wann ein wichtiger Grund im Sinne dieser
Vorschrift vorliegt, wird im Gesetz nicht ausgeführt. In der Literatur werden verschiedene
Auffassungen zu diesem Begriff vertreten, die inhaltlich stark voneinander abweichen.
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Parlandt (BGB, 61. Auflage, § 1771 Rdnr. 2) verlangt ein Verbrechen gegen
Adoptivverwandte oder sonstige schwere Verstöße gegen die Familienbindung.
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Hiervon abweichend reicht nach den Ausführungen im Münchner Kommentar zum BGB
(§ 1771, Rdnr. 6) ein Grund, der die Fortsetzung der einem Eltern-Kind-Verhältnis
entsprechenden emotionalen Beziehung unmöglich macht, wobei eine derartige
Zerrüttung bei beiderseitigem Antrag indiziert wird mit der Folge, dass nur noch
Ernstlichkeit und Freiwilligkeit des Antrags zu prüfen sei.
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Erman (BGB, 9. Auflage § 1771 Rdnr. 7) vertritt die Auffassung, dass der beiderseitige
Antrag den wichtigen Grund indiziert und vom Gericht nur noch offensichtlicher
Mißbrauch zu prüfen ist.
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Davon wiederum abweichend lehnt Staudinger (BGB, 12. Auflage, § 1771 Rdnr. 10)
eine Indizwirkung des beiderseitigen Antrages ab und verlangt ein schuldhaftes
schweres Fehlverhalten des Angenommenen oder des Annehmenden oder eine
schuldlose Zerrüttung der Beziehungen, wobei eine bloße Lästigkeit nicht ausreicht.
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Soergel (BGB, Stand Frühjahr 2000, § 1771 Rdnr. 9) vertritt die Auffassung, die
Aufhebung sei nicht in das Belieben der Parteien gestellt. Vielmehr seien nachprüfbar
bedeutsame Gründe erforderlich, die bei Unzumutbarkeit des Adoptionsverhältnisses
gegeben seien. Das Eltern-Kind-Verhältnis müsse ernsthaft in Frage gestellt werden.
Eine Indizwirkung habe der beiderseitige Antrag nicht.
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Nach Auffassung der Kammer bedeutet die Voraussetzung des "wichtigen Grundes",
dass die Aufhebung der Adoption nicht bloß in das Belieben der Adoptionsbeteiligten
gestellt werden soll, sondern zum Schutz des familienrechtlichen Verhältnisses nur
wegen nachprüfbarer bedeutsamer Gründe aufhebbar sei (Soergel, § 1771 Rdnr. 9 unter
Hinweis auf BT-Druck S/73061, Seite 55). Dabei kann der Begriff des wichtigen
Grundes sinnvoll nur so verstanden werden, dass der Grund so beschaffen sein muss,
dass der Fortbestand des Annahmeverhältnisses nicht mehr verlangt werden kann, weil
dies für den einen oder anderen Beteiligten unzumutbar wäre. Vor diesem Hintergrund
ist Aufgabe des Vormundschaftsgerichts die Feststellung, ob die Beteiligten nicht etwa
einen wichtigen Grund nur vorschieben, dessen Vorliegen nicht schon durch den
beiderseitigen Antrag indiziert wird (Soergel, § 1771 Rdnr. 10).
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In dem hier zu entscheidenden Fall tragen beide Beteiligten vor, dass aufgrund der sich
ergebenden Schwierigkeiten wegen der Namensänderung der Fortbestand des
Annahmeverhältnisses für beide Beteiligte nicht mehr zumutbar ist. Es bestehen keine
Anhaltspunkte dafür, dass diese Darstellung der Beteiligten lediglich vorgeschoben ist.
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Vielmehr ist gewichtiges Indiz für die inhaltliche Richtigkeit dieses Vorbringens der
Umstand, dass die Beteiligten sich bereits unmittelbar nach Ausspruch der Adoption
gegen diese Folge gewendet hatten. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die sehr
emotionalen Ausführungen der Beteiligten im Aufhebungsverfahren für einen
Außenstehenden nicht ohne weiteres mit der Vorstellung, man sei "wie eine richtige
Familie zusammengewachsen", vereinbar sind. Indessen kommt es darauf
entscheidend nicht an. Die Tatsache, dass die durch die Namensänderung für die
Beteiligte zu 1) aufgetretenen Schwierigkeiten von einem unbeteiligten Dritten nicht
ohne weiteres nachvollzogen werden können, bedeutet nicht, dass diese
Schwierigkeiten bei der Beteiligten zu 1) nicht vorliegen und letztlich zu der Zerrüttung
des Adoptionsverhältnisses geführt haben, wie von den Beteiligten geschildert wird. Es
ist daher davon auszugehen, dass ein wichtiger Grund gegeben ist, der zur Aufhebung
des Adoptionsverhältnisses Anlaß gibt.
Der angefochtene Beschluss war daher aufzuheben. Das Adoptionsverhältnis wird vom
Amtsgericht aufzuheben sein, wenn die übrigen Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
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