Urteil des LG Münster vom 21.08.2008

LG Münster: versicherungsnehmer, nettoeinkommen, annahme des antrages, treu und glauben, eintritt des versicherungsfalles, brille, arbeitsunfähigkeit, widerklage, anfechtung, krankheit

Landgericht Münster, 015 O 21/08
Datum:
21.08.2008
Gericht:
Landgericht Münster
Spruchkörper:
Zivilgericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
015 O 21/08
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.417,58 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
01.09.2006 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt, an den Beklagten
5.390,44 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 17.03.2007 sowie weitere 546,69 € zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu ¾ und der Beklagte
u ¼.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien sind durch einen Krankenversicherungsvertrag verbunden, der u. a. auch
die Zahlung von Krankentagegeld vorsieht. Bestandteil des Versicherungsvertrages
sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Klägerin, hinsichtlich deren
genauen Inhalts zur Vermeidung von Wiederholungen auf Blatt 18 bis 23 (MB/KT 94)
bzw. auf Blatt 98 bis 104 (MB/KK 94) verwiesen wird. Diese Bedingungen sind nicht
identisch mit den Musterbedingungen MB/KK 94 und MB/KT 94.
2
Mit Antrag vom 18.03.2003 beantragte der Beklagte die Erhöhung des zuvor
vereinbarten Krankentagegeldes um 100,-- € auf nunmehr 250,-- € täglich. In dem
Versicherungsantrag, hinsichtlich dessen Inhaltes auf Blatt 24 und 25 der Akte
verwiesen wird, ist als Jahresbruttoeinkommen angegeben: "ca. 180.000,-- €". Der
Antrag wurde über einen Versicherungsmakler, den Zeugen E, gestellt.
3
Der Beklagte, der Fußballprofi ist, verdiente nach eigenen Angaben im Jahr 2003
tatsächlich lediglich 78.983,-- € brutto.
4
Für den Zeitraum vom 10. Oktober 2005 bis 08.12.2005 machte er bei der Klägerin
aufgrund einer Verletzung Krankentagegeld geltend, woraufhin die Klägerin durch
verschiedene Zahlungen insgesamt 4.500,-- € vorbehaltlich der weiteren Prüfung an
den Beklagten auszahlte. Dieser Betrag entspricht dem vereinbarten Tagegeld für 18
Tage, nämlich vom 21.11.2005 bis 08.12.2005. In diesem Zeitraum erhielt der Beklagte
darüber hinaus von der Berufsgenossenschaft Verletztengeld, welches sich auf den Tag
umgerechnet auf 115,69 € pro Tag belief.
5
Die Klägerin forderte Verdienstnachweise an und erfuhr durch eine Bescheinigung der
B, dass der Beklagte im Jahr 2005 in den letzten Monaten vor Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit ein Durchschnittseinkommen von täglich 172,92 € brutto verdiente.
6
Mit Schreiben vom 18.07.2006 forderte die Klägerin den Beklagten auf, die 4.500 €
zurückzuzahlen und berief sich insoweit auf ihre Versicherungsbedingungen. In denen
heißt es unter § 4 MB/KT 94 I (1):
7
"Höhe und Dauer der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif mit
Tarifbedingungen."
8
Weiter heißt es in § 4 I (2):
9
"Die Leistungspflicht des Versicherers beschränkt sich auf das auf den Kalendertag
umgerechnete, aus der beruflichen Tätigkeit herrührende Nettoeinkommen. Sonstige
Krankentage- und Krankengelder bzw. die vom Arbeitsgeber gewährte Lohnfortzahlung
oder sonstige von ihm aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit erbrachte Leistungen werden
auf die Versicherungsleistung angerechnet. Maßgebend für die Berechnung des
Nettoeinkommens ist der Durchschnittsverdienst der letzten 12 Monate vor
Antragstellung bzw. vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit, sofern der Tarif keinen anderen
Zeitraum vorsieht."
10
In § 4 I (4) heißt es:
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"Übersteigt das vereinbarte Krankentagegeld das aus der Berufstätigkeit herrührende
Nettoeinkommen, so kann sowohl der Sicherungsnehmer als auch der Versicherer
verlangen, dass zur Beseitigung der Überversicherung das Krankentagegeld unter
Minderung der Prämie mit sofortiger Wirkung – auch für bereits eingetretene
Versicherungsfälle – herabgesetzt wird."
12
Unter § 4 II und somit in den Tarifbedingungen TB/KT 94 heißt es unter (2):
13
"Zu § 4 (3 u. 4) MB/KT 94:
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Anstelle des Nettoeinkommens der versicherten Person gelten als
Bemessungsgrundlage 75 % des nach den Vorschriften des
Einkommenssteuergesetzes ermittelten Bruttoeinkommens aus selbständiger oder
unselbständiger Tätigkeit in den letzten 12 Monaten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit."
15
Mit Schreiben vom 02.04.2008 erklärte die Klägerin gegenüber dem Beklagten die
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Anfechtung des Krankenversicherungsvertrages.
Sie ist der Ansicht, sie könne deshalb die gezahlten Beträge zurück verlangen, weil
nach § 4 I (2) der vereinbarten Bedingungen in Verbindung mit II (2) das
Krankentagegeld auf 75 % des Nettoeinkommens aus den letzten 12 Monaten vor
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit beschränkt sei. Der Beklagte könne daher nicht 250,-- €
sondern lediglich maximal sein durchschnittliches damaliges Nettoeinkommen
verlangen, wobei er sich auf dieses zudem das erhaltene Verletztengeld anrechnen
lassen müsse, was letztlich dazu führe, dass er gar keine Ansprüche mehr geltend
machen könne. Im Übrigen könne sie die Zahlungen auch deshalb zurückfordern, da
der Vertrag durch die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung unwirksam sei. Dazu
behauptet sie, der Beklagte habe bei Abschluss des Versicherungsvertrages durch die
Angabe eines falschen Bruttoeinkommens die Klägerin arglistig getäuscht. Sie ist der
Ansicht, insoweit müsse sich der Beklagte die Kenntnisse und das Wissen des
eingeschalteten Versicherungsmaklers zurechnen lassen.
17
Sie beantragt daher,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 4.500,-- € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.09.2006 sowie
434,88 € Verzugsschaden und 5,35 € Auskunftskosten zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
21
Er behauptet, es sei einkommensunabhängig ein Krankentagegeld von 250,-- €
vereinbart worden und die Angabe des Einkommens von ca. 180.000,-- € sei nicht zur
Täuschung der Klägerin erfolgt. Er ist der Ansicht, die Klausel, wonach das täglich zu
zahlende Krankentagegeld sich auf das Nettoeinkommen abzüglich des
Verletztengeldes beschränke, sei unwirksam. Die Anfechtung sei nicht fristgerecht
erfolgt, da die Klägerin bereits seit 2005 Kenntnisse von den wahren
Einkommensverhältnissen des Beklagten gehabt habe.
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Mit der Widerklage begehrt der Beklagte den Ersatz von Behandlungskosten für seine
mitversicherte Ehefrau. Diese hat sich im Juni 2006 wegen Kurzsichtigkeit einer
Augenlaser-OP durch den Augenarzt Dr. med. L im "Zentrum für refraktive Chirurgie"
unterzogen. Dafür wurden ihr 5.390,44 € in Rechnung gestellt, die sie nunmehr ersetzt
verlangt.
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Der Beklagte beantragt insoweit widerklagend,
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die Klägerin zu verurteilen, an ihn 5.390,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.03.2007 sowie 546,69 €
Verzugsschaden zu zahlen.
25
Die Klägerin beantragt,
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die Widerklage abzuweisen.
27
Sie ist der Ansicht, die Behandlung sei deshalb nicht medizinisch notwendig gewesen,
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weil die Kurzsichtigkeit auch durch das Tragen einer Brille korrigiert werden konnte, was
zur fehlenden Notwendigkeit einer darüber hinaus- und weitergehenden kostspieligen
Behandlung führe. Auch sei der Behandler kein niedergelassener Arzt im Sinne der
zwischen den Parteien vereinbarten Tarifbedingungen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf wechselseitigen Schriftsätze nebst
Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
29
Es ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung des Zeugen E. Hinsichtlich des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung
vom 21.08.2008 verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
31
Die Klage ist nur in Höhe von 2.082,42 € begründet, während die Widerklage in vollem
Umfange begründet ist.
32
1.
33
Die Klage ist in Höhe von 2.082,42 € begründet. Insoweit hat die Klägerin gegen den
Beklagten einen Anspruch auf Rückzahlung vorbehaltlich geleisteter Zahlungen aus §
812 Abs. 1 S. 1 1. Alternative BGB. In Höhe dieses Betrages erfolgte die Zahlung der
Klägerin nämlich ohne Rechtsgrund, da insoweit dem Beklagten kein Anspruch auf
Leistungen aus der Krankentagegeldversicherung zusteht.
34
a)
35
Zu Unrecht macht die Klägerin die Rückzahlung der gesamten Beträge geltend. Sie
kann sich entgegen ihrer Auffassung nicht auf § 4 I (2) in Verbindung mit II (2) der
vereinbarten Versicherungsbedingungen zur Krankentagegeldversicherung berufen.
Die Klägerin meint, § 4 I (2) der Versicherungsbedingungen sei so zu verstehen, dass
unabhängig von der zwischen den Parteien vereinbarten Krankentagegeldsumme
maximal ein Krankentagegeld in Höhe des durchschnittlichen Nettoeinkommens vor
Eintritt der Arbeitsunfähigkeit verlangt werden könne.
36
Auf diese von der Klägerin geltend gemachte Klausel kann sie sich jedoch nicht
berufen. Soweit in § 4 I (2) eine Beschränkung auf das Nettoeinkommen geregelt ist,
handelt es sich um eine Sollvorschrift bzw. eine Zielvorgabe, die jedoch keine
bestimmte Rechtsfolge für den Fall des Überschreitens des Nettoeinkommens anordnet.
Dem liegt folgende Erwägung zugrunde:
37
Die Klausel weist hinsichtlich der Berechnung des Nettoeinkommens, auf welches zur
Bemessung der Höchstgrenze des Krankentagegeldes abgestellt werden soll, eine
unklare Regelung auf, da nach der Formulierung der Klausel drei Berechnungsarten
denkbar sind. Zum einen könnte auf das Nettoeinkommen der letzten 12 Monate vor der
Antragstellung auf Abschluss (bzw. im vorliegenden Fall Erhöhung) der
Krankentagegeldversicherung abzustellen sein. Alternativ könnte mit Antragstellung der
Moment der Antragstellung für den konkreten Versicherungsfall gemeint sein. Zudem ist
als dritter möglicher Zeitpunkt der ausdrücklich erwähnte Eintritt der Arbeitsunfähigkeit
denkbar. Bei der Auslegung von allgemeinen Versicherungsbedingungen ist darauf
abzustellen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer die Allgemeinen
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Bedingungen bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und
Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (vgl. BGHZ
123, 83 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist für den durchschnittlichen
Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung dieser Klausel nicht mit der
hinreichenden Eindeutigkeit zu entnehmen, auf welchen Zeitpunkt es für die
Berechnung des Nettoeinkommens ankommt. Dies kann er auch nicht aus dem
Sinnzusammenhang erschließen. Ein Klarstellung kann sich zwar grundsätzlich aus
den konkreten Tarifbedingungen ergeben (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 3.11.1999 (20 U
102/99)), was hier jedoch nicht der Fall ist. Zwar ist unter § 4 II (2) eine Konkretisierung
auf den Zeitpunkt 12 Monate vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit geregelt. Es ist aber
deshalb für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht hinreichend klar, dass
diese Klausel eine Konkretisierung der Regelung des § 4 I (2) sein soll, weil in der
Überschrift des § 4 II (2) "zu § 4 (3 u. 4) MB/KT 94" steht. Nach dem eindeutigen
Wortlaut der Überschrift handelt es sich daher bei dieser Tarifbestimmung um eine
Ergänzung der Absätze (3) und (4) des Abschnittes I. In diesen sind aber ganz andere
Punkte geregelt, die mit der hier streitgegenständlichen Frage bzw. dem
Nettoeinkommen nichts zu tun haben. Die Überschrift ist somit unzutreffend und
jedenfalls unklar, wobei diese Unklarheit zu Lasten des Verwenders der allgemeinen
Versicherungsbedingungen und somit zu Lasten der Klägerin geht.
Nach alledem ist für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht klar, auf
welchen Zeitpunkt abzustellen ist. Gemäß § 305 c Abs. 2 BGB gehen Zweifel an der
Auslegung einer Bestimmung zu Lasten des Verwenders. Dies hat zur Folge, dass die
denkbare Auslegung zugrunde zu legen ist, die für den Versicherungsnehmer die
günstigste ist. Dabei ist hier folgendes zu berücksichtigen: Wenn die Auslegung
zugrunde zu legen wäre, wonach das maßgebliche Nettoeinkommen das
Durchschnittseinkommen der letzten 12 Monate vor Antragstellung auf Abschluss des
Versicherungsvertrages sein soll, dann kann aus Sicht des verständigen
durchschnittlichen Versicherungsnehmers § 4 I (2) nicht so verstanden werden, dass
eine automatische Deckelung auf das Nettoeinkommen erfolgt, obwohl bei
Antragstellung ausdrücklich etwas anderes vereinbart worden ist. Individuelle
vertragliche Vereinbarungen gehen jeder allgemeinen Versicherungsbedingung vor.
Wenn bei Antragstellung ausdrücklich ein das durchschnittliche Nettoeinkommen der
letzten 12 Monate übersteigendes Krankentagegeld vereinbart wird, ist es für den
Versicherungsnehmer selbstverständlich, dass er nicht damit rechnen muss, dass
entgegen der ausdrücklichen Vereinbarung letztlich aufgrund von Klauseln in den
Versicherungsbedingungen doch nur ein viel niedrigerer Betrag ausgezahlt wird. Daher
kann § 4 I (2) in diesem Fall nur so ausgelegt werden, dass die Vertragsparteien dazu
angehalten werden sollen, ein das Nettoeinkommen der letzten 12 Monate nicht
übersteigendes Krankentagegeld zu vereinbaren, ein Verstoß gegen diese "Anweisung"
aber nicht zur Folge hat, dass die Individualabrede unbeachtlich ist. Dann stellt sich
folglich die Klausel lediglich als sanktionslose Sollvorschrift dar.
39
Folglich ist diese Auslegung zugrunde zu legen und führte dazu, dass keine Deckelung
auf das Nettoeinkommen erfolgt. Die Parteien haben ein das bei Beantragung der
Erhöhung des Krankentagegeldes gezahlte Nettoeinkommen übersteigendes
Krankentagegeld vereinbart. Dieses gilt als Versicherungsleistung und kann nicht durch
die Versicherungsbedingungen eingeschränkt werden. Insoweit schließt sich die
Kammer im Wesentlichen der Argumentation des OLG Hamm (a.a.O.) an. Zwar ist zu
berücksichtigen, dass die dem dortigen Fall zugrunde liegenden
Versicherungsbedingungen in einigen Punkten von den hier maßgeblichen abwichen.
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So hieß es im dortigen Fall "das Krankentagegeld darf (...)das (...) Nettoeinkommen
nicht übersteigen", während es im vorliegenden Fall heißt: "die Leistungspflicht des
Versicherers beschränkt sich (...)". Auch diese unterschiedlichere Formulierung
rechtfertigt jedoch keine andere Beurteilung als in dem Urteil des OLG Hamm. Zwar
spricht die Formulierung "darf nicht" noch eher für eine Sollvorschrift als die
Formulierung "Leistungsbeschränkung". Dennoch ist auch im Fall der hier vorliegenden
Versicherungsbedingungen eine andere "für den Versicherungsnehmer günstigste"
Auslegung der Klausel nicht möglich, da ungeachtet der Formulierung für den
durchschnittlichen Versicherungsnehmer klar ist, dass eine konkrete individuelle
Vereinbarung einer Regelung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen
vorgehen muss. Die Klausel kann daher auch in dieser Fassung nur als folgenlose
Sollvorschrift verstanden werden kann.
Somit kommt es nicht mehr darauf an, dass die Kammer darüber hinaus die Klausel
aufgrund der verschiedenen denkbaren Auslegungsmöglichkeiten für intransparent hält
(so wohl auch Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., MB/KT 490 § 4 Rdnr. 2). Darüber hinaus
dürfte die Klausel überraschend im Sinne des § 305 c BGB sein, da nicht damit zu
rechnen ist, dass § 4 I (2) auch gelten soll, wenn das Nettoeinkommen nicht erst durch
eine nachträgliche Änderung unter das vereinbarte Krankentagegeld gefallen ist,
sondern schon von vornherein bei Vertragsabschluss niedriger als das vereinbarte
Krankentagegeld war.
41
Aufgrund des Vorranges der Individualvereinbarung muss sich die Klägerin als
Versicherer an der Vereinbarung des konkreten Krankentagegeldsatzes festhalten
lassen. Wenn dies – wie im vorliegenden Fall – schon bei Vertragsabschluss über dem
durchschnittlichen Nettoeinkommen lag, kann sie keine Leistungsbeschränkung durch
die Versicherungsbedingungen herbeiführen, sondern äußerstenfalls den Weg über die
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung suchen (vgl. insoweit auch Prölss/Martin,
a.a.O.). Auf diese wird unten noch einzugehen sein.
42
b)
43
Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine Leistungsfreiheit wegen einer
Anzeigepflichtverletzung stützen. Insoweit macht sie eine Verletzung des § 4 (3) der
Versicherungsbedingungen geltend. Die von ihr insoweit in Bezug genommene Klausel
ist zwar Bestandteil der Allgemeinen Musterbedingungen, nicht hingegen der zwischen
den Parteien vereinbarten Tarifbedingungen, hinsichtlich deren Inhalts auf Blatt 18 ff.
der Akte nochmals Bezug genommen wird. In den vereinbarten
Versicherungsbedingungen ist die Verpflichtung, dem Versicherer unverzüglich eine
Minderung des Einkommens mitzuteilen, nicht geregelt.
44
c)
45
Auch eine Rückforderung aus § 4 I (4) der zwischen den Parteien vereinbarten
Versicherungsbedingungen zur Krankentagegeldversicherung kommt nicht in Betracht.
Nach dieser Klausel kann dann, wenn das vereinbarte Krankentagegeld das
Nettoeinkommen übersteigt, durch den Versicherer verlangt werden, dass zur
Beseitigung der Überversicherung mit sofortiger Wirkung – auch für bereits eingetretene
Versicherungsfälle – die Prämie herabgesetzt wird. Nach dem eindeutigen Wortlaut
dieser Klausel setzt sie somit ein Herabsetzungsverlangen voraus.
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Ein solches Herabsetzungsverlangen ist – wenn man es als konkludent erklärt ansehen
möchte – erst deutlich nach Eintritt des Versicherungsfalles erfolgt. Entgegen der
Auffassung der Klägerin kann dies nicht mit Wirkung für bereits vergangene
Versicherungsfälle sondern lediglich mit sofortiger Wirkung, d. h. für die Zukunft,
verlangt werden. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, auf den für die Auslegung
der Klausel abzustellen ist (s. o.) kann die Klausel nur so verstehen, dass sie nur für die
Zukunft gilt. Soweit in der Klausel auch von "eingetretenen Versicherungsfällen" die
Rede ist, kann aufgrund der Verknüpfung mit der Formulierung "mit sofortiger Wirkung"
die Klausel nur so verstanden werden, dass möglicherweise auch für schon laufende
Versicherungsfälle – mit Wirkung für die Zukunft – Änderungen geltend gemacht werden
können. Die Klausel ist aber nicht so zu verstehen, dass sie auch auf abgeschlossene
und vollständig in der Vergangenheit liegende Versicherungsfälle Anwendung findet.
Da vor Eintritt des hier gegenständlichen Versicherungsfalles ein
Herabsetzungsverlangen nicht erfolgt ist, kommt auch keine entsprechende
Herabsetzung des Krankentagegeldes in Betracht.
47
Der Zeitpunkt der Geltendmachung des Verlangens kann auch entgegen der
Auffassung der Klägerin nicht rückwirkend auf den Zeitpunkt fingiert werden, in dem der
Versicherer normalerweise Kenntnis von der Minderung des Nettoeinkommens hätte
erlangen müssen. Eine solche Rückwirkung ist nicht geboten und im Übrigen hier auch
deshalb nicht denkbar, weil die von der Klägerin geltend gemachte Anzeigepflicht des
"§ 4 (3)" in den hier geltenden Versicherungsbedingungen nicht geregelt ist.
48
d)
49
Die Klägerin kann hier auch nicht die Rückforderung vor dem Hintergrund einer
Nichtigkeit des Vertrages wegen der erklärten Anfechtung wegen arglistiger Täuschung
verlangen. Die Klägerin konnte hier nämlich nicht beweisen, dass die Voraussetzungen
einer Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB in Verbindung mit §
22 VVG vorliegen. Die Klägerin hat behauptet, der Beklagte habe bei der Antragstellung
in Bezug auf die Erhöhung des Krankentagegeldes bewusst ein falsches Gehalt
angegeben, um dadurch die Klägerin zum Abschluss des Vertrages zu bewegen. Die
Kammer kann hier nach Durchführung der Beweisaufnahme jedoch nicht feststellen,
dass der Beklagte insoweit tatsächlich arglistig getäuscht hat. Insoweit kann allein
aufgrund der Tatsache, dass unstreitig bei Antragstellung ein falsches
Jahreseinkommen angegeben wurde, nicht auf die Arglist des Beklagten geschlossen
werden. Einen entsprechenden Anscheinsbeweis gibt es entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht. Auch unter Berücksichtigung der den Versicherungsnehmer in einem
solchen Fall möglicherweise treffenden sekundären Beweislast (vgl. BGH IV ZR 103/06)
ist der Klägerin der ihr letztlich obliegende Nachweis der Arglist nicht gelungen. Der
Beklagte hat vorgetragen, dass die Vereinbarung des Krankentagegeldes unabhängig
von der Höhe seines Einkommens erfolgt sei. Wenn dem Beklagten mithin nicht bekannt
war, dass die Höhe des Nettoeinkommens maßgeblich für die Frage der Annahme des
Antrages und auch für die Höhe des von der Versicherung zu zahlenden
Krankentagegeldes war, wäre Arglist zu verneinen. Die Kammer hält es auch für
durchaus plausibel, dass dem Beklagten die Bedeutung des Nettoeinkommens insoweit
nicht bekannt war. Es ist nicht allgemein bekannt, dass das Nettoeinkommen für die
Versicherung eine Obergrenze darstellt. Auch wenn es letztlich nachvollziehbar ist, dass
die Versicherung keinen Anreiz für Arbeitsunfähigkeit schaffen möchte, kann nicht
davon ausgegangen werden, dass dies allgemein bekannt ist. Darum oblag hier der
Klägerin der Nachweis, dass dem Beklagten die Bedeutung des Einkommens entgegen
50
seiner Ausführungen doch bekannt und bewusst war und er vor diesem Hintergrund die
Klägerin bewusst täuschen wollte.
Dieser Nachweis ist ihr jedoch nicht gelungen. Sie hat zwar behauptet, dem Beklagten
sei durch den Zeugen E die Bedeutung des Nettoeinkommens erläutert worden. Der
Zeuge hat insoweit in der mündlichen Verhandlung die Behauptung der Klägerin jedoch
nicht bestätigt. Er hat ausgeführt, die Spieler nach dem Gehalt zu fragen, um die
Deckungslücke zu ermitteln. Dass er – insbesondere im konkreten Fall – den Beklagten
darauf hingewiesen habe, dass eine Versicherung nur in Höhe des Nettoeinkommens in
Betracht komme, hat er indes nicht bestätigt. Zwar mache er dies häufig. Er gehe auch
davon aus, dass dies den Versicherungsnehmern grundsätzlich bekannt sei. Er konnte
aber nicht bestätigen, dass er auch in diesem Fall diesen Hinweis erteilt hat.
51
Nach alledem hat die Kammer nach Durchführung der Beweisaufnahme nicht die
Überzeugung erlangt, dass dem Beklagten die Bedeutung des Nettoeinkommens
bekannt war, so dass sie aus der objektiven Falschangabe nicht auf die Arglist
schließen kann. Die Klägerin ist folglich beweisfällig geblieben.
52
Die Klägerin kann jedoch von dem Beklagten die geleisteten Zahlungen zumindest in
Höhe des an den Beklagten durch die Berufsgenossenschaft ausgezahlten
Verletztengeldes zurückverlangen. Dieses muss der Beklagte sich nämlich nach den
Versicherungsbedingungen auf das ihm zustehende Krankentagegeld anrechnen
lassen. Dies ergibt sich aus § 4 I (2) Satz 2 der zwischen den Parteien vereinbarten
Krankentagegeldversicherungsbedingungen. Diese Regelung ist aus Sicht des
durchschnittlichen Versicherungsnehmers so zu verstehen, dass sonstige Leistungen,
die der Versicherungsnehmer infolge seiner Erkrankung bzw. Verletzung erhält, auf das
Krankentagegeld angerechnet werden. Insoweit weichen die
Versicherungsbedingungen maßgeblich von den Musterbedingungen ab, bei denen die
Frage der Anrechnung deshalb umstritten ist, weil die Anrechnungsklausel Bestandteil
der oben ausgeführten intransparenten Nettoeinkommens-Regel ist. Hier ist indes
ausdrücklich und in einer unabhängigen Regelung geregelt, dass sonstige Leistungen
angerechnet werden müssen. Diese Klausel ist eindeutig. Daran ändert auch die
Tatsache nichts, dass sich Satz 2 zwischen Satz 1 und Satz 3 des Absatzes 2 befindet.
Zwar ist die Regelung der Sätze 1 und 3 – wie oben ausgeführt – unklar und
intransparent, jedoch umfasst diese Unklarheit nicht den Satz 2, der auch aus Sicht des
durchschnittlichen Versicherungsnehmers erkennbar eine eigenständige Regelung
enthält, deren Bestand und Bedeutung daher von den übrigen Sätzen unabhängig ist.
Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann keine Zweifel haben, dass ohne
weitere Bedingung eine Anrechnung derartiger Leistungen erfolgen soll. Die
Anrechnungsklausel ist daher wirksam und Verletztengeld ist von dieser auch umfasst
(vgl. Prölss/Martin, a.a.O. Rdnr. 5 m.w.N.). Vor dem Hintergrund der eindeutigen
Regelung kommt es hier auch nicht darauf an, ob die Krankentagegeldversicherung
grundsätzlich als Summen- oder Schadensversicherung anzusehen ist. Im vorliegenden
Fall ist die Anrechnung ausdrücklich geregelt und das ist maßgeblich.
53
Unstreitig hat der Beklagte für 25 Tage 2.776,56 € erhalten, was einem Tagessatz von
115,69 € entspricht. Da die Klägerin die für 18 Tage erbrachten Leistungen
zurückfordert, kann sie insgesamt 18 x 115,69 € und somit 2.082,42 € zurück verlangen,
so dass der Klage in dieser Höhe stattzugeben war.
54
Im Übrigen war die Klage abzuweisen.
55
Außergerichtliche Anwaltskosten kann die Klägerin nicht verlangen, da nicht
vorgetragen ist, dass die Anwälte der Klägerin vorgerichtlich überhaupt tätig geworden
sind. Sie haben offenbar keinerlei Schreiben oder ähnliches verfasst, sondern ihre
Tätigkeit mündete unmittelbar in der Erhebung der Klage. Wenn die Prüfung des
Sachverhaltes direkt zur Erhebung der Klage führt und keine weiteren
außergerichtlichen Maßnahmen ergriffen werden, kann neben der Anwaltsgebühr für
das gerichtliche Verfahren keine weitere außergerichtliche Gebühr verlangt werden. Im
Übrigen wäre die außergerichtliche Einschaltung einer Rechtsanwältin angesichts der
Rechtsabteilung der Klägerin und deren eigener Tätigkeit im Vorfeld des Prozesses
auch nicht erforderlich gewesen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der
Beklagte schon seinen Rechtsanwalt eingeschaltet hatte und damit bekannt war, dass
er das Geld nicht zurückzahlen würde.
56
Die Erforderlichkeit der geltend gemachten Auskunftskosten ist ebenfalls nicht
erkennbar.
57
2.
58
Die Widerklage ist im vollen Umfang begründet. Der Beklagte hat gegen die Klägerin
einen Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten für seine mitversicherte Ehefrau
aus den §§ 1, 178 b Abs. 1 VVG in Verbindung mit §§ 1, 4 der AVB MB/KK 94 der
Klägerin. Unstreitig sind für die Behandlung der Ehefrau des Beklagten durch den
Augenarzt Dr. L Kosten in Höhe der Widerklageforderung angefallen.
59
a)
60
Die insoweit durchgeführte Heilbehandlung erfolgte auch durch einen niedergelassenen
approbierten Arzt im Sinne des § 4 I (2) der Versicherungsbedingungen.
Niedergelassener Arzt ist insoweit, wer sich öffentlich erkennbar zur Ausübung des
ärztlichen Berufes in selbständiger Praxis bereitstellt (vgl. Prölss/Martin, a.a.O. MB/KK
94 § 4 Rdnr. 8 m.w.N.). Zu begründen ist dies damit, dass dadurch die hohe Gewähr
geboten ist, dass nur notwendige Heilbehandlungen vorgenommen werden. Nicht
erfasst sind von diesem Begriff Ärzte, die nur gelegentlich tätig werden oder solche, die
als angestellte Ärzte, nicht für ihre eigene Praxis oder die eines niedergelassenen – und
dann abrechnenden - Arztes tätig werden. Vor diesem Hintergrund sind auch nicht
erstattungsfähig Behandlungen unter Inanspruchnahme einer von einer juristischen
Person getragenen Therapieeinrichtung. Von einer solchen kann indes dann keine
Rede sein, wenn mehrere Ärzte sich als Gesellschafter in einer gemeinschaftlichen
Praxis zusammentun. In dem Fall ist die Interessenlage der Ärzte nicht anders, als wenn
sie eine eigene Praxis betreiben, da sie nicht für den wirtschaftlichen Erfolg einer
juristischen Person, sondern nach wie im eigenen Interesse tätig sind (vgl.
Prölss/Martin, a.a.O. Rdnr. 11 m.w.N.).
61
Im hier zu entscheidenden Fall kann dahinstehen, welche genaue Gesellschaftsform in
der Praxis, in der Dr. L tätig ist, besteht, da jedenfalls von der Klägerin nicht substantiiert
bestritten wurde, dass Dr. L selbst als Gesellschafter in einer Gemeinschaftspraxis
agiert. Dies ergibt sich auch aus den Briefbögen sowie den Eintragungen im Internet.
Nach alledem ist den Anforderungen, die an der Niederlassung des Arztes gestellt
werden, im vorliegenden Fall Rechnung getragen und der Beklagte durfte diesen
Behandler ohne weiteres auswählen.
62
Somit kommt es nicht mehr darauf an, dass im Übrigen für den durchschnittlichen
Versicherungsnehmer in einem derartigen Fall auch nicht erkennbar gewesen wäre,
dass die Behandlung durch einen solchen Arzt ausgeschlossen sein soll, was nicht zu
seinen Lasten gehen könnte.
63
b)
64
Hier liegt auch ein von den Versicherungsbedingungen erfasster Versicherungsfall vor.
Dieser tritt ein bei einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung wegen Krankheit.
Dabei ist Krankheit im Sinne der Bedingungen ein objektiv nach ärztlichem Urteil
bestehender anormaler, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand. Unstreitig ist die
Ehefrau des Beklagten kurzsichtig, was einen anormalen Zustand im Sinne der oben
genannten Definition darstellt und insoweit auch einer medizinischen Behandlung
bedarf.
65
Die Klägerin hat ihr Bestreiten der medizinischen Notwendigkeit damit begründet, dass
die Fehlsichtigkeit auch durch das Tragen einer Brille oder Kontaktlinsen kompensiert
werden könne, worauf sich die Versicherte verweisen lassen müsse. Die generelle
Eignung der Laser-Behandlung –jedenfalls für die Korrektur der Sehstörung - hat die
Klägerin indes nicht in Frage gestellt.
66
Vor diesem Hintergrund bedurfte es nach Auffassung der Kammer nicht der Einholung
eines medizinischen Sachverständigengutachtens zur Beurteilung der Frage der
medizinischen Notwendigkeit, da die generelle Eignung der Behandlung für die
Korrektur der Sehstörung feststeht und es lediglich hier zu entscheiden galt, ob die
Versicherte sich auf das Tragen einer Brille verweisen lassen muss. Die von der
Klägerin behaupteten Risiken der Behandlung sind hier für die Frage der Notwendigkeit
nicht relevant.
67
Bei der Frage des Verweises auf eine Brille handelt es sich um eine reine Rechtsfrage,
zu deren Beantwortung die Kammer sachverständiger Hilfe nicht bedarf.
68
Entgegen der Auffassung der Klägerin sind die Versicherungsbedingungen hier nicht so
zu verstehen, dass der Versicherte sich auf eine Brille verweisen lassen muss. Eine
Behandlungsmaßnahme ist dann medizinisch notwendig, wenn es nach objektiven
medizinischen Befunden und Erkenntnissen zum Zeitpunkt der Behandlung vertretbar
war, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Dadurch wird ein objektiver, vom
Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab zugrunde gelegt (vgl. LG E2,
2 S 17/05, Urteil vom 05.10.2006, mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Entscheidend
sind objektive medizinische Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der
Behandlung. Steht danach die Eignung einer Behandlung, eine Krankheit zu heilen
oder zu lindern oder ihren Verschlimmerungen entgegenzuwirken nach medizinischen
Erkenntnissen fest, folgt daraus grundsätzlich auch die Eintrittspflicht des Versicherers.
Ausreichend ist insoweit die Vertretbarkeit der Einschätzung als medizinisch notwendig
im Zeitpunkt der Behandlung (vgl. für alles Vorstehende LG E2 a.a.O. m.w.N.).
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Dass hier die Augenoperation insoweit grundsätzlich geeignet war, die bestehende
Kurzsichtigkeit zu korrigieren, ist vor dem Hintergrund des eingeschränkten Bestreitens
der Klägerin unstreitig. Es ist auch nicht vorgetragen, dass bei der Klägerin
Kontraindikationen gegen die Laser-Behandlung vorlagen.
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Die Kammer schließt sich hier bei der Beantwortung der streitentscheidenden Frage
dem Landgericht E2 dahingehend an, dass sich die Versicherte nicht auf die Benutzung
von Hilfsmitteln in Form einer Brille verweisen lassen muss.
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Maßgeblich für die Frage, was von der Versicherung erstattet verlangt werden kann sind
allein und ausschließlich die Versicherungsbedingungen. Diese sind – wie bereits oben
ausgeführt – so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei
verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des
erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Vor diesem Hintergrund haben bei
der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit zunächst Kostengesichtspunkte außer
Acht zu bleiben (vgl. BGH, Versicherungsrecht 2003, 581). Aus dem hier maßgeblichen
§ 1 Abs. 2 S. 1 der AVB kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer jedoch nicht
erkennen, dass bei mehreren zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Behandlung
einer Krankheit die Erstattungsfähigkeit nur für eine bestimmte Heilbehandlung gegeben
ist. Die Kammer schließt sich der Auffassung des LG E2 dahingehend an, dass der
Begriff medizinische Notwendigkeit nur so verstanden werden kann, dass
ausschließlich medizinische Gesichtspunkte heranzuziehen sind. Dabei muss der
Versicherungsnehmer nicht vor Durchführung der Behandlung überprüfen, ob es andere
gleichgeeignete Behandlungsmethoden gibt. Es lässt sich den
Versicherungsbedingungen auch kein "Prinzip der Nachrangigkeit" entnehmen, dass
die eine oder andere Behandlung vom Versicherungsschutz ausnehmen würde. Da
nicht auf eine allgemeine Notwendigkeit im Sinne des Rechtsbegriffes "Erforderlichkeit"
sondern auf die "medizinische" Notwendigkeit abgestellt wird, erschließt sich dem
Versicherungsnehmer ein solches Nachrangigkeitsprinzip nicht (vgl. N,
"Krankheitskostenversicherung: Voraussetzung der Kostenerstattung für Lasik-
Operation", V+R kompakt 2007, 28). Der Versicherungsnehmer wird die Klausel so
verstehen, dass er dann, wenn die medizinische Eignung der Behandlung feststeht, die
Behandlung auch durchführen lassen kann. Wenn es einschneidendere und weniger
einschneidende Behandlungsmöglichkeiten gibt (vgl. Hütts Beispiel mit dem Ziehen des
Zahnes in VersR 2007, 1401), kann der Versicherungsnehmer entscheiden, welche
Behandlung er durchführen lässt, sofern beide geeignet sind. Zwar mag es insoweit
nach Treu und Glauben Einschränkungen geben, die in einem Fall wie dem
vorliegenden aber noch nicht einschlägig sind.
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Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses der Versicherungsklausel durfte die
Ehefrau des Beklagen hier die Behandlung durchführen lassen, da sie zu Recht von der
medizinischen Eignung der Behandlung zur Behebung der Folgen ihrer Erkrankung
ausgehen durfte und daher die Versicherungsbedingungen auch so verstehen konnte,
dass sie die Kosten erstattet bekommt. Insoweit genügt es, dass die Behandlung
geeignet ist, die Sehschwäche zu korrigieren und somit die Folgen der Krankheit zu
beseitigen. Etwaige Hinweise der Ärzte auf die Erstattungsfähigkeit – auf die sich die
Klägerin hier ebenfalls beruft – spielen insoweit keine Rolle.
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Es kann dahinstehen, ob dem LG E2 dahingehend zuzustimmen ist, dass die
Versicherungsbedingungen sogar so zu verstehen sind, dass der Versicherte auch eine
geeignete Behandlung wählen könnte, wenn es höherwertige Alternativbehandlungen
gibt (vgl. insoweit N a.a.O.). Denn jedenfalls kann im vorliegenden Fall das Tragen einer
Brille nicht als höherwertig gegenüber dem Erfolg einer Laser-Behandlung angesehen
werden. Die Brille ist ein reines – äußeres – Hilfsmittel, die den gesundheitlichen
Zustand nicht verändert, sondern lediglich zu einer Kompensation der Folgen führt. Die
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Laser-Behandlung – mag sie auch nicht zu einer vollständigen Heilung der
Kurzsichtigkeit führen – führt jedoch zu einer Korrektur der Sehschwäche, ohne dass es
noch der äußerlichen Hilfsmittel bedarf. Diese Behandlung ist die der normalen
Sehfähigkeit am nächsten kommende Kompensation der Kurzsichtigkeitsfolgen. Eine
solche Behandlung ist gegenüber der Behandlung mittels äußerlicher Hilfsmittel
höherwertig und verschafft die größere Linderung der Krankheit. Aus diesem Grund
musste sich die Ehefrau des Beklagten nicht auf das Tragen einer Brille verweisen
lassen und kann die Erstattung der Kosten für die Behandlung verlangen.
Der Anspruch auf Ersatz der Anwaltskosten folgt aus § 280 ZPO.
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Nach alledem war der Widerklage stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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