Urteil des LG Münster vom 18.01.2011

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Landgericht Münster, 06 S 93/10
Datum:
18.01.2011
Gericht:
Landgericht Münster
Spruchkörper:
Zivilgericht
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
06 S 93/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Ahaus, 16 C 2/10
Schlagworte:
Mobilfunkvertrag, unzulässige Rechtsausübung
Normen:
§§ 611, 398, 280, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 BGB
Leitsätze:
Den Ansprüchen des Mobilfunkanbieters aus einem Mobilfunkvertag
kann der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenstehen,
wenn er bei Vertragsschluss Beratungspflichten im Hinblick auf die Wahl
des Tarifs verletzt hat.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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I.
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Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus abgetretenem Recht der
Mobilfunkanbieterin F geltend. Nachdem der Beklagte über mehrere Jahre
verschiedene Verträge bei dieser Mobilfunkanbieterin abgeschlossen hatte, wechselte
er zum 02.12.2008 in den Tarif "Time & More All In 500" mit einer monatlichen
Grundgebühr in Höhe von 42,50 €. Im Zusammenhang mit diesem Vertragswechsel
vermietete die Mobilfunkanbieterin dem Beklagten zum Preis von monatlich 19,00 € das
Handy "SGH i 900", ein Smartphone mit verschiedenen Funktionen und Internet-
Zugang. Zusammen mit dem Handy wurde dem Beklagten das Navigationsprogramm
"Route 66" zur Verfügung gestellt, das für aktualisiertes Kartenmaterial u.ä. Zugriff auf
das Internet nimmt. Hinsichtlich der Internet- und WAP-Nutzung wurden dem Beklagten
von einem Mitarbeiter der Firma F verschiedene Alternativen aufgezeigt. Er konnte
zwischen einer konkreten Abrechnung nach dem in Anspruch genommenen
Datenvolumen zum Preis von 0,006 € / Kilobyte für Internet-Verbindungen und 0,02 € /
Kilobyte für WAP-Verbindungen, einem Datenpaket von monatlich 150 MB zum Preis
von 10,00 € und einem unbegrenzten Datenvolumen zum Preis von monatlich 25,00 €
wählen. Da der Beklagte noch keine Erfahrung mit internetfähigen Smartphones hatte,
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wählte er auf Anraten des Mitarbeiters der Firma F zunächst die volumenabhängige
Abrechnung, um nach Erhalt der ersten Rechnungen zu entscheiden, ob sich eines der
Paketangebote für ihn lohnt. Der Beklagte installierte zu Hause die mitgelieferte
Software auf seinem Handy und nutzte das Gerät in den folgenden Tagen, wobei er
nach eigenem Bekunden ca. drei- bis viermal im Internet surfte und sich dort
verschiedene Seiten ansah. Am 12.12.2008 wurde ihm die SIM-Karte wegen der bis
dahin entstandenen Telefonkosten in Höhe von mehr als 1.000 € gesperrt.
Diese Kosten entstanden ausweislich der Rechnung und des
Einzelverbindungsnachweises der Mobilfunkanbieterin in erster Linie durch Internet-
bzw. WAP-Verbindungen des Handys, insbesondere durch drei WAP-Verbindungen am
09.12.2008 um 21:48:01 Uhr über 11,96 MB zum Preis von 245,00 €, an demselben Tag
um 23:06:40 Uhr über 7,078 MB zum Preis von 144,96 € und am Folgetag, 10.12.2008,
um 21.22:37 Uhr über 31,15 MB zum Preis von 637,94 €. Hinsichtlich der Einzelheiten
wird auf die Rechnung vom 13.01.2009 (Bl. 26 d.A.) nebst Einzelverbindungsnachweis
(Bl. 43 d.A.) Bezug genommen.
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Da die Firma F die Sperre nicht aufhob, konnte der Beklagte das Handy in der Folgezeit
nicht nutzen. Die Mobilfunkanbieterin stellte dem Beklagten für die folgenden Monate
den jeweiligen Grundbetrag nebst Miete für das Gerät in Rechnung. Da der Beklagte die
Rechnungen nicht bezahlte, kündigte die Mobilfunkanbieterin den Vertrag mit Wirkung
zum 26.05.2009 und verlangte Schadensersatz aufgrund der vorzeitigen
Vertragsbeendigung.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf
die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben.
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Zur Begründung hat es ausgeführt, die Daten seien unstreitig von dem Mobiltelefon des
Beklagten aufgerufen worden. Da keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen
technischen Defekt o.ä. bestünden, streite für die Richtigkeit der Abrechnungen der
Anscheinsbeweis. Dass der Beklagte die Datenverbindungen nicht wissentlich oder
willentlich hergestellt haben wolle, sei unerheblich. Auch wenn sein Handy
automatische Verbindungen ins Internet hergestellt habe, falle es in seinen
Risikobereich, sich mit der Bedienungsanleitung auseinanderzusetzen und diese
Funktion zu deaktivieren. Ggf. könnten dem Beklagten im Hinblick hierauf Ansprüche
gegen den Hersteller des Handys zustehen. Auch könne der Beklagte der Klägerin
gemäß § 242 BGB keine Schadensersatzansprüche entgegenhalten. Zwar werde z.T.
eine Verpflichtung des Telekommunikationsunternehmens angenommen, den Nutzer
auf Auffälligkeiten hinzuweisen. Dieser Verpflichtung sei der Mobilfunkanbieter jedoch
nachgekommen, indem er nach 3 Tagen den Anschluss gesperrt habe. Insoweit
bestehe auch kein Schadensersatzanspruch wegen Verschulden bei Vertragsschluss.
Dem Mobilfunkanbieter obliege keine Pflicht, den Nutzer auf jede Art der automatischen
Einwahl o.ä. hinzuweisen. Dies würde die im Rahmen der Privatautonomie geltende
Selbstverantwortlichkeit des Kunden zu stark zulasten des Mobilfunkanbieters
verschieben. Der Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 906,90 € beruhe auf der
Kündigung infolge des Zahlungsrückstandes und resultiere aus §§ 611, 280, 281, 398
BGB i.V.m. den AGB des Mobilfunkanbieters.
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Gegen das ihm am 24.06.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit einem am
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07.07.2010 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese
mit einem am 04.08.2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.
Er beantragt,
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die Klage unter Abänderung des am 16.06.2010 verkündeten Urteils des
Amtsgerichts Ahaus, Az: 16 C 2/10, abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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II.
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Die zulässige Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
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Dem an die Klägerin abgetretenen Anspruch auf Zahlung der Rechnungsbeträge für die
Monate Dezember 2008 sowie März bis Mai 2009 gemäß §§ 398, 611 BGB in
Verbindung mit dem Mobilfunkvertrag steht der Einwand der unzulässigen
Rechtsausübung gemäß § 242 BGB entgegen.
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Die mit Rechnung vom 31.12.2008 geltend gemachten Gebühren sind durch eine
Verletzung vorvertraglicher Nebenpflichten seitens des Mobilfunkanbieters entstanden,
so dass die Mobilfunkanbieterin als Zedentin gemäß §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280
BGB im gleichen Umfang zum Schadensersatz verpflichtet wäre.
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Die Firma F hat im Rahmen des Vertragsschlusses durch den zuständigen Mitarbeiter,
dessen Verhalten sie sich gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss, vorvertragliche
Nebenpflichten verletzt. Sie hätte den Beklagten vor Abschluss des Mobilfunkvertrags
unter gleichzeitiger Vermietung des Smartphones "SGH i 900" mit dem dazu
gehörenden Navigationsprogramm "Route 66" auf die Gefahr erheblicher Kosten durch
WAP- und Internetverbindungen und die damit einhergehenden Vorzüge einer
Datenflatrate hinweisen müssen.
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Zwar ist im Rahmen der Privatautonomie grundsätzlich jede Partei selbst dafür
verantwortlich, die eigenen Interessen wahrzunehmen und sich die für sie relevanten
Informationen zu beschaffen (vgl. insoweit LG Bonn, Urteil vom 08.05.2009, Az: 10 O
395/08). Eine Aufklärungspflicht gemäß § 242 BGB besteht jedoch, wenn der
Vertragspartner nach Treu und Glauben und den im Verkehr herrschenden
Anschauungen redlicherweise Aufklärung erwarten darf – beispielsweise im Hinblick
auf die Umstände, die für den Vertragsschluss von wesentlicher Bedeutung sind
(Grüneberg in: Palandt, BGB, 70. Auflage 2011, § 242 Rdn. 37).
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Nach diesem Maßstab konnte der Beklagte von der Mobilfunkanbieterin die Aufklärung
über die Gefahren bei Nutzung des Smartphones "SGH i 900" in Kombination mit einer
verbrauchsabhängigen Datenabrechnung erwarten.
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Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Firma F dem Beklagten gleichzeitig das
Mobiltelefon mit der Navigationssoftware "Route 66" vermietet hatte und ihr bekannt
war, dass dieses Gerät Internet- und WAP-Verbindungen mit erheblichem
Datenvolumen herstellen könnte – z.B. um Softwareupdates sowie aktuelles
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Kartenmaterial für die Navigationssoftware im Umfang von mehr als 150,00 MB
herunterzuladen.
Der Beklagte wusste hingegen zwar, dass er die abgerufenen Daten nach Volumen
bezahlen musste. Auch waren ihm die hierfür vereinbarten Preise bekannt. Nicht zu
erkennen und zu erwarten waren für ihn jedoch die möglichen Kostenfolgen durch die
Funktionen des gleichzeitig von der Mobilfunkanbieterin angemieteten Handys. Er
konnte die von dem Handy heruntergeladenen Datenmengen und die hiermit verbunden
Kosten nicht überblicken. Dies gilt insbesondere, weil ihm mit der vereinbarten
Abrechnungseinheit von 0,006 € / Kilobyte für Internet-Verbindungen bzw. 0,02 € /
Kilobyte für WAP-Verbindungen ein besonders niedriger Preis suggeriert wurde.
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Der Mitarbeiter der Firma F wäre daher im Rahmen der Beratung vor Vertragsschluss
gemäß § 242 BGB dazu verpflichtet gewesen, den Beklagten auf die Gefahren bei
Nutzung des Smartphones in Kombination mit einer verbrauchsabhängigen Abrechnung
hinzuweisen und ihm eine Datenflatrate zur Vermeidung dieser Kostenfalle zu
empfehlen. Hätte der Mitarbeiter diesen Hinweis ausgesprochen, hätte der Beklagte
einen Tarif mit unbegrenztem Datenvolumen vereinbart, die Funktionen seines Handys
besonders vorsichtig kontrolliert oder sogar ganz von dem Vertragsschluss Abstand
genommen, so dass ihm die mit der Rechnung vom 31.12.2008 geltend gemachten
Kosten nicht entstanden wären.
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Die Klägerin kann auch die vereinbarte Grundgebühr des Tarifs "Time & More All In
500" in Höhe von 42,50 sowie die Miete für das Endgerät in Höhe von 19,00 € für die
Monate Dezember 2008 sowie März bis Mai 2009 nicht verlangen. Die
Mobilfunkanbieterin hat die SIM-Karte am 12.12.2008 gesperrt mit der Folge, dass der
Beklagte das Handy sowie die Telekommunikationsleistungen in der Folgezeit nicht
mehr nutzen konnte. Die Sperrung war rechtswidrig, weil der Beklagte dem
Vergütungsanspruch der Mobilfunkanbieterin den Einwand des § 242 BGB
entgegenhalten konnte. Soweit der Beklagte in der Zeit vor der Sperrung – vom 02. bis
11.12.2008 – die Leistungen der Firma F in Anspruch genommen hat, ist der hierfür zu
zahlende Preis durch die in der Rechnung vom 31.12.2008 in Abzug gebrachte
Gutschrift in Höhe von 49,00 € erloschen.
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Da bereits die dargestellte Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungs- und
Beratungspflicht den geltend gemachten Vergütungsanspruch der Firma F zu Fall bringt,
kann dahinstehen, ob – wofür viel spricht – die Mobilfunkanbieterin auch nach
Vertragsschluss bestehende Hinweis- und Schutzpflichten verletzt hat (vgl. insoweit
auch LG Bonn, Urteil vom 01.06.2010, Az: 7 O 470/09; AG Frankfurt, MMR 2008, 496f).
Bereits durch die beiden WAP-Verbindungen am 09.12.2008 um 21:48:01 Uhr über
11,96 MB zum Preis von 245,00 € und um 23:06:40 Uhr über 7,078 MB zum Preis von
144,96 € sind Kosten entstanden, die den Jahresbetrag für eine Flatrate mit
unbegrenztem Datenvolumen übersteigen. Der gewählte Tarif stand dementsprechend
– was für den Mobilfunkanbieter erkennbar war – in einem eklatanten Widerspruch zu
dem Nutzungsverhalten des Kunden. Hieraus musste der Mobilfunkanbieter den
Schluss ziehen, dass der Kunde, dem die durch sein Handy abgerufenen Datenmengen
und Kosten nicht unmittelbar mitgeteilt werden, sich offensichtlich unbewusst selbst
schädigt. Die dargestellte Interessenlage spricht daher auch für eine Warnpflicht des
Mobilfunkanbieters im Rahmen des laufenden Vertragsverhältnisses, beispielsweise
durch eine automatisch generierte SMS bei Erreichen bestimmter Kostenmarken.
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Da aus den oben dargelegten Gründen kein Vergütungsanspruch der Firma F bestand,
war die am 25.05.2009 ausgesprochene Kündigung nicht berechtigt, so dass auch der
geltend gemachte Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung gemäß §§ 398, 281
BGB i.V.m. den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Firma F nicht besteht.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10 ZPO.
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Streitwert für die Berufungsinstanz: 2.070,86 €
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