Urteil des LG Münster vom 05.04.2005

LG Münster: balkon, persönliches interesse, wohnung, zustand, schmerzensgeld, ermittlungsverfahren, nacht, fraktur, zeugenaussage, akte

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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3
Aktenzeichen:
Landgericht Münster, 11 O 45/04
05.04.2005
Landgericht Münster
11. Zivilkammer
Urteil
11 O 45/04
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstre-
ckenden Betrages zuzüglich 25 % vorläufig vollstreckbar.
(Tatbestand:
Der Kläger beansprucht vom Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund
einer behaupteten Körperverletzung durch den Beklagten.
Die Parteien befanden sich in der Nacht vom 04. auf den 05.01.2002 in der Wohnung des
Beklagten in der I-I-Straße in M. Diese Wohnung liegt im 2. Obergeschoß des I-I-Straße.
Unstreitig hatten die Parteien im Verlaufe des Abends und der Nacht erhebliche N2 an
Alkohol konsumiert, wobei eine später durchgeführte Blutalkoholuntersuchung für den
Kläger eine BAK von 3,5 und für den Beklagten eine solche von 2,5 Promille ergab. Gegen
ca. 3.00 Uhr begaben sich die Parteien auf den zu der Wohnung des Beklagten
gehörenden Balkon. Aus zwischen den Parteien streitigem Grund stürzte der Beklagte über
das Balkongeländer und schlug aus einer Höhe von ca. 6 bis 7 Metern auf den Erdboden
auf, wo er zunächst bewußtlos liegen blieb. Im Anschluß daran begab sich der Beklagte
aus der Wohnung, fuhr seinen PKW bis auf einige Meter Abstand an den bewußtlos auf
dem Rasen liegenden Kläger heran, verbrachte den Kläger in das Fahrzeug, plazierte ihn
dort auf der Rückbank und fuhr nach C, um den Beklagten ins Krankenhaus zu bringen. Bei
einer Verkehrskontrolle wurde der Beklagte angehalten und überprüft. Die überprüfenden
Beamten bemerkten zwar den Kläger auf der Rücksitzbank, gingen aber mangels
erkennbarer äußerer Verletzungen davon aus, daß dessen Zustand allein durch
übermäßigen Alkoholkonsum hervorgerufen worden sei. Ein von den Polizeibeamten
bestellter Rettungswagen brachte den immer noch bewußtlosen Kläger gegen 3.40 Uhr ins
D-Hospital in C, wo erst gegen Mittag bekannt wurde, daß der Kläger von einem Balkon
gestürzt war. Nachdem röntgenologisch eine Kompressionstrümmerfraktur des 12.
Brustwirbelkörpers festgestellt war, wurde der Kläger in die Universitätsklinik nach N
verlegt und notfallmäßig operiert. Die bei dem Beklagten eingetretene
Querschnittslähmung war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits irreversibel. Der Kläger erlitt
daneben eine Brustwirbelluxation, eine Rippenserienfraktur, eine Blasenlähmung, eine
Mastdarmlähmung und in der Folgezeit ein Dekubitus und ein Cystoma. Weiter sind
postoperative Wundheilungsstörungen eingetreten. Der Kläger kann aufgrund seiner
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Verletzungen seine Beine nicht mehr gebrauchen und ist zur Fortbewegung für immer auf
einen Rollstuhl angewiesen. Infolge der Fraktur der Wirbelsäule leidet der Kläger unter
Inkontinenz und Impotenz.
Der Kläger behauptet, der Kläger habe nach einer gegen seine Ehefrau gerichteten
beleidigenden Äußerung des Beklagten versucht, diesen zu schlagen. Der Beklagte habe
dem Schlag aber ohne weiteres ausweichen können. Danach habe der Beklagte den
Kläger ergriffen und ihn über das Balkongeländer geworfen, um ihn für sein vorheriges
Verhalten zu maßregeln. Später habe der Beklagte sowohl gegenüber der Zeugin B2 als
auch gegenüber der Zeugin E erklärt, daß er den Kläger vom Balkon geworfen habe. Nach
den Ausführungen des Klägers ist nicht feststellbar, wie es zu der Querschnittslähmung
gekommen ist. Insofern sei es möglich, daß die Querschnittslähmung eine unmittelbare
Folge des Sturzes vom Balkon sei. Es sei aber auch in Betracht zu ziehen, daß der Sturz
möglicherweise nur zu einer Fraktur der Wirbelsäule aber noch nicht zu einer irreversiblen
Schädigung des Rückenmarks geführt habe. Es lasse sich daher nicht ausschließen, daß
der Zustand des Klägers sich erst verschlechtert habe, als er bewußtlos über den C2
geschleift und in das Auto verbracht wurde. Auch während der Fahrt könne angesichts der
Art und Weise der Lagerung des Klägers es möglich sein, daß es zu weiteren nachteiligen
Einwirkungen auf die Bruchstelle gekommen sei.
Der Kläger stellte sich für die erlittenen Beeinträchtigungen ein Schmerzensgeld in der
Größenordnung von mindestens 112.500,00 Euro vor.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von
112.500,00 Euro und Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 25.01.2004 zu zahlen.
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche aus dem
Vorfall vom 05.01.2002 entstehenden zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden
unter Berücksichtigung eines Mithaftungsanteils des Klägers von 25 % zu ersetzen, soweit
die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er behauptet, daß sich der Kläger im Rahmen eines Gesprächs der Parteien auf dem
Balkon dem sitzenden Beklagten auf einmal genähert und dem Beklagten ins Gesicht
geschlagen habe. Der ebenfalls angetrunkene Beklagte habe, da der Kläger für ihn
unerwartet gekommen sei, zunächst nicht reagieren können. Der Kläger sei dann einen
Schritt zurückgetorkelt und habe ohne Fremdeinwirkung das Gleichgewicht verloren und
sei über das Balkongeländer gestürzt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen B2, E, F und B. Wegen
der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 05.04.2005 verwiesen. Das Gericht hat
ferner die Akte der Staatsanwaltschaft N, 36 Js 619/02, beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen den Beklagten aus §
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823 Abs. 1 und 2 BGB, der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage.
Der Kläger hat nicht zur Überzeugung des Gerichts den von ihm behaupteten
Geschehensablauf bewiesen, daß der Beklagte ihn ergriffen und vom Balkon gestürzt
habe. Lediglich diese Handlung des Beklagten kommt als schadensstiftende Handlung in
Betracht, da der Kläger selbst nicht behauptet bzw. darlegen kann, daß die von ihm
dargestellten schweren Beeinträchtigungen aus nachfolgenden Handlungen des
Beklagten, wie etwa eines zu spät herbeigerufenen Rettungswagens oder eines
unsachgemäßen Transportes im PKW herrühren. Nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme ist das Gericht allerdings nicht zu der hinreichenden Überzeugung
gelangt, daß der Beklagte den Kläger vom Balkon geworfen hat. Insbesondere die
Vernehmung der von den Parteien benannten Zeuginnen konnte nicht zu einer solchen
Überzeugungsbildung des Gerichts führen. Die vom Kläger für den von ihm behaupteten
Geschehensablauf benannte Zeugin E hat aus persönlichen Gründen die Aussage
verweigert. Daher konnte auch ihre im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gemachte
Aussage nicht zu Beweiszwecken herangezogen werden. Zwar hat die Zeugin B2 erklärt,
daß der Beklagte unmittelbar nach der Tat zur Wohnung der Zeugin E, in der sie, die
Zeugin B2, genächtigt habe, gekommen sei und erklärt habe, daß er den Kläger vom
Balkon heruntergeschmissen habe. Die Zeugin ist jedoch unglaubwürdig. Zum einen hat
sie als Ehefrau des Klägers ein erhebliches persönliches Interesse am Ausgang dieses
Rechtsstreites. Nach dem persönlichen Eindruck von der Zeugin war diese im
Verhandlungstermin sehr bemüht, eine für ihren Ehemann günstige Zeugenaussage zu
machen. Dies manifestiert sich unter anderem auch daran, daß die Zeugin B2 zunächst
keine vollständige Aussage gemacht hat. So hat sie sich zunächst dahingehend
eingelassen, daß es keine Anlässe oder Gelegenheiten gegeben habe, bei denen sie
gemeinsam mit dem Kläger und beispielsweise Frau B bzw. Frau F gewesen sei und mit
diesen gesprochen habe. Erst bei der erneuten Befragung nach der Vernehmung der
Zeugin B und auf entsprechenden Vorhalt der Aussage der Zeugin B hat die Zeugin B2
zugestanden, daß sie und ihr Ehemann die Zeugin B einmal eingeladen hätten, und zwar
deshalb, weil die Zeugin B dem Ehepaar B2 sehr viel geholfen habe. Die Aussage der
Zeugin B2 ist auch deshalb nur eingeschränkt verwertbar und kann nicht zur hinreichenden
Überzeugung des Gerichts führen, weil diese Zeugin nur eine solche vom Hörensagen ist.
Denn selbst wenn der Beklagte die Aussage getätigt haben sollte - was allerdings nicht zur
Überzeugung des Gerichts bewiesen ist -, daß er den Kläger vom Balkon geschmissen
habe, so steht noch nicht fest, daß dies tatsächlich so gewesen ist. Denn hierbei ist zu
berücksichtigen, daß der Beklagte sich doch in einem Zustand erheblicher Alkoholisierung
befunden hat - insoweit wurde beim Beklagten im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen
Ermittlungsverfahrens ein Blutalkoholgehalt von 2,5 Promille festgestellt - und nicht
ausgeschlossen werden kann, daß dies dazu geführt hat, daß der Beklagte Aussagen
gegenüber den Zeuginnen B2 und E gemacht hat, die nicht mit dem tatsächlichen Hergang
übereinstimmten.
Darüber hinaus hat das Gericht aber keinen B, den Angaben der Zeugin B2 mehr Glauben
zu schenken als denjenigen Aussagen der Zeugin B. Diese Zeugin, die als einzige der
benannten Zeuginnen nicht in einem Verwandtschaftsverhältnis mit einer der Parteien steht
und deshalb kein ersichtliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreites hat, hat bekundet,
daß anläßlich eines Grillfestes im Frühjahr 2004 die Zeugin B2 zum Kläger sinngemäß
gesagt haben soll, daß er die Unterlagen herunterholen solle und daß er ja gar nicht vom
Balkon gestoßen worden sei, sondern selbst aufgrund seiner Alkoholisierung über den
Balkon gefallen sei. Der Kläger habe daraufhin geantwortet: "Na und? Ich sitze im Dreck
und dann soll Herr F auch im Dreck sitzen." Aus dieser Aussage der Zeugin ergibt sich,
daß sowohl der Kläger als auch die Zeugin B2 im Beisein der Zeugin B eingestanden
haben, daß sich der Vorfall nicht so abgespielt hat, wie vom Kläger behauptet. Das Gericht
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hat deshalb keinen B jedenfalls der Zeugin B2 mehr Glauben zu schenken als der Zeugin
B, weil die Aussage der Zeugin B insgesamt detailreich und stringent war. Die Zeugin B hat
anschaulich ihr zunächst positives Verhältnis zum Kläger beschrieben, jedoch dann auch
unumwunden eingestanden, daß sich das Verhältnis zum Kläger aufgrund von Aussagen
anderer Personen als auch aufgrund eigener Wahrnehmungen erheblich verschlechtert
habe, so daß sie, die Zeugin B, die Hilfestellungen, die sie dem Kläger und seiner Ehefrau
anfangs gegeben hatte, in der Folgezeit nicht mehr geben wollte. Anhaltspunkte dafür, daß
aufgrund des abgekühlten Verhältnisses zum Kläger die Zeugin B hatte, den Kläger
einseitig durch ihre Aussage zu belasten bzw. den Beklagten zu entlasten, sieht das
Gericht nicht. Dies ergibt sich auch nicht aus der von dem Kläger angedeuteten Tatsache,
daß die Zeugin B für ihre Dienste vom Kläger Geld verlangt, dieses aber nicht erhalten
habe und deshalb gegebenenfalls B habe, eine für den Kläger ungünstige Aussage zu
machen. Der Kläger hat diese Tatsache nicht bewiesen; vielmehr hat die Zeugin B
angegeben, sie habe zu keinem Zeitpunkt Geld von dem Kläger oder dessen Ehefrau
verlangt und dies plausibel damit begründet, daß sie die Eheleute B2 für hilfsbedürftig
gehalten habe. Da, wie bereits oben erwähnt, bereits sich aufgrund der Aussage der
Zeugin B2 unter Berücksichtigung der Aussage der Zeugin B keine hinreichende
Überzeugung des Gerichts für den vom Kläger behaupteten Tatsachenablauf ergibt, kam
es auf die Aussage der gegenbeweislich benannten Zeugin F nicht mehr an. Diese Zeugin
war ohnehin unglaubwürdig, da die Aussage der Zeugin nach dem persönlichen Eindruck
von der Zeugin und dem Inhalt der Aussage eindeutige Begünstigungstendenzen zu
Lasten des Beklagten, ihres Ehemannes, ergaben. Die Zeugin antwortete insgesamt sehr
unsicher und ausweichend und oftmals erst nach mehrfachem Nachfragen auf die Fragen
des Gerichts. Zudem sagte die Zeugin auch etwas anderes aus, als sie im
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren hat protokollieren lassen, und zwar in bezug
auf die Angaben, welche die Zeugin E ihr gegenüber bei einem ersten Telefonat am
05.01.2002 gemacht haben will. Die Zeugin F konnte insoweit keine für das Gericht
überzeugende und plausible Erklärung dafür abgeben, daß sich ihre Aussagen im
staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren von denen, die sie nunmehr im hiesigen
Verfahren zu Protokoll gegeben hat, unterscheiden.
Da nach alledem das Gericht keine hinreichende Überzeugung von dem vom Kläger
behaupteten Tathergang gewonnen hat, war die Klage mit der sich aus § 91 ZPO
ergebenden Kostenfolge abzuweisen. Die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen
Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.