Urteil des LG Münster vom 16.12.2008
LG Münster: reparatur, gleichwertigkeit, werkstatt, bestandteil, verzug, vollstreckbarkeit, versicherung, gewissheit, firma, datum
Landgericht Münster, 08 S 10/09 LG Münster = 7 C 4648/08 AG Münster
Datum:
30.04.2009
Gericht:
Landgericht Münster
Spruchkörper:
8. Zivilkammer - Berufungskammer -
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
08 S 10/09 LG Münster = 7 C 4648/08 AG Münster
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.12.2008 verkündete Urteil
des Amtsgerichts N, Az. 7 C 4648/08, abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 613,04 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
10.11.2007 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 70,20
€ zu zahlen.
Im Übrigen, d.h. wegen der weitergehenden Zinsforderung, werden die
Klage abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des gesamten Rechtsstreits einschließlich
der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
1
I.
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Wegen des zugrunde liegenden Sachverhalts wird zunächst auf den Tatbestand der
angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
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Es ist über die Frage zu entscheiden, ob die Klägerin auf der Basis einer fiktiven
Reparaturkostenabrechnung die vom einem Privatgutachter angesetzten
Ersatzteilpreise und Stundensätze der Firma C (bzw. N.) oder aber nur die von der
Beklagten eingewandten, niedrigeren Preise der T GmbH geltend machen kann.
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Das Amtsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin müsse
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sich auf die konkret unterbreitete, kostengünstigere Reparaturmöglichkeit verweisen
lassen.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und bezieht sich im wesentlichen
auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und das sogenannte "Porsche-Urteil" des
Bundesgerichtshofes vom 29.04.2003.
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II.
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig und bis auf einen geringen Teil der Zinsforderung
begründet.
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Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadensersatz in Höhe von 613,04 € zu.
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Dies folgt allerdings nicht – jedenfalls nicht unmittelbar – aus dem "Porsche-Urteil" des
BGH (NJW 2003, 2086). Der BGH hat lediglich entschieden, dass der Geschädigte, der
seiner fiktiven Reparaturabrechnung die Stundensätze einer markengebundenen
Fachwerkstatt zugrunde legt, sich nicht auf die abstrakte Möglichkeit der technisch
ordnungsgemäßen Reparatur in irgendeiner kostengünstigeren Fremdwerkstatt
verweisen lassen muss. Vorliegend hat die Beklagte jedoch konkret eine
kostengünstigere Reparaturmöglichkeit in einer Fremdwerkstatt aufgezeigt, von der sie
behauptet, die Reparatur erfolge dort in jeder Hinsicht gleichwertig. Die Konstellation ist
– soweit ersichtlich – noch nicht höchstrichterlich entschieden.
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Die Kammer ist der Auffassung, dass auch die konkrete Benennung günstigerer
Fremdwerkstätten für den Schadensersatzanspruch des Geschädigten irrelevant ist. Es
fehlt insoweit grundsätzlich an der notwendigen Gleichwertigkeit der
Reparaturmöglichkeiten (vgl. BGH a.a.O., S. 2087).
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Es ist nicht allgemein davon auszugehen, dass die Reparatur in einer freien (oder auch
fremdmarkengebundenen) Werkstatt der Reparatur in einer Markenwerkstatt qualitativ
gleichkommt. Es besteht vielmehr stets Anlass zu der Vermutung, dass eine
Markenwerkstatt mit den Besonderheiten des jeweiligen Fahrzeugtyps besser vertraut
ist und aus diesem Grund die Reparatur besser ausführen kann. Auf die Frage, ob eine
vom Schädiger benannte Werkstatt die Reparatur im konkreten Einzelfall dennoch mit
der gleichen Qualität wie eine markengebundene Fachwerkstatt ausführen könnte,
kommt es nicht an. Die Frage ließe sich regelmäßig nur im Nachhinein – nach erfolgter
Reparatur – mit Gewissheit beantworten. Für ein derartiges Vorgehen ist jedoch im
Rahmen einer fiktiven Reparaturkostenabrechnung, die dem Geschädigten nach
ständiger Rechtsprechung zuzubilligen ist, kein Raum. Eine hinreichend zuverlässige
Möglichkeit, die Gleichwertigkeit bereits vor einer Reparatur festzustellen, ist nicht
ersichtlich. So kann weder die Verwendung moderner Spezialgeräte noch die
Beachtung von Herstellervorgaben noch die Übernahme einer Garantie auf die
Reparaturarbeiten noch die Eigenschaft als Meisterbetrieb die Gleichwertigkeit
garantieren. Es wäre dem Geschädigten auch gar nicht zuzumuten, derartige
Anknüpfungspunkte zu überprüfen. Auf entsprechende Angaben der gegnerischen
Versicherung muss sich der Geschädigte nicht verlassen. Es ist dem Geschädigten
auch nicht zuzumuten, es auf eine Klärung der Gleichwertigkeit im Rahmen eines
Rechtsstreits – mit Hilfe eines teuren Gutachtens – ankommen zu lassen.
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Im Übrigen kann die Reparatur in einer Markenwerkstatt für den im Weiterverkaufsfall zu
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erzielenden Preis eine Rolle spielen. Der Reparaturort besitzt also auch unabhängig
von der Frage der technischen Gleichwertigkeit der Reparatur eine wirtschaftliche
Bedeutung. Ob die Reparatur in einer Fremdwerkstatt im konkreten Fall den
Garantieanspruch gegenüber dem Fahrzeughersteller berühren würde, sei
dahingestellt.
Im Ergebnis kann die Klägerin ihrer fiktiven Schadensabrechnung die Stundensätze
einer Markenwerkstatt zugrunde legen.
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Der Geschädigte kann auch (fiktive) UPE-Aufschläge auf Ersatzteile verlangen, sofern
eine markengebundene Fachwerkstatt solche Aufschläge macht bzw. machen würde.
Es wäre dem Geschädigten nicht zuzumuten und vermutlich auch gar nicht möglich, die
Ersatzteile anderweitig zu beziehen und lediglich die Arbeit in der Markenwerkstatt
erledigen zu lassen. Die UPE-Aufschläge sind folglich notwendiger Bestandteil der
(fiktiven) Reparatur in einer Markenwerkstatt, wie sie dem Geschädigten – hier der
Klägerin – zuzubilligen ist.
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Die konkrete Höhe der Klagehauptforderung (613,04 € netto) ist nicht zu beanstanden.
Die Beklagte hat insoweit keine Einwände erhoben.
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2)
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Der Zinsanspruch der Klägerin seit dem 10.11.2007 folgt aus Verzug (§§ 286 II Nr. 3,
288 I BGB). Die Beklagte hat mit ihrem Abrechnungsschreiben vom 09.11.2007 (Bl. 4 f.
d.A.) die weitere Regulierung ernsthaft und endgültig verweigert. Die weitergehende
Zinsforderung der Klägerin seit dem 18.10.2007 (Unfalltag) ist unbegründet. § 849 BGB
ist nicht einschlägig.
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3)
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Die Klägerin hat auch Anspruch auf Ersatz verzugsbedingter, vorgerichtlicher
Rechtsanwaltskosten i.H.v. 70,20 € (netto) nach einem Gegenstandswert von 551,12 €
aufgrund des Anwaltsschreibens vom 11.06.2008 (Bl. 6 d.A.).
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II.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 II Nr. 1 ZPO. Die Zuvielforderung der Klägerin
hinsichtlich der Zinsen war verhältnismäßig gering und hat keine höheren Kosten
verursacht.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
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III.
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Die Revision ist jedenfalls aus dem Grund zuzulassen, dass die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543
I Nr. 1, II 1 Nr. 2 ZPO). Die hier streitige Rechtsfrage war bereits Gegenstand zahlreicher
erst- und zweitinstanzlicher Entscheidungen, ohne dass sich bislang eine einheitliche
Linie herausgebildet hat.
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Streitwert für die Berufungsinstanz: 613,04 €
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