Urteil des LG Münster vom 07.04.2006
LG Münster: kaufpreis, eigentumswohnung, grundbuch, beweislast, kaufvertrag, kopie, sparkasse, erfüllung, gerichtsakte, käufer
Landgericht Münster, 16 O 585/05
Datum:
07.04.2006
Gericht:
Landgericht Münster
Spruchkörper:
16. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 O 585/05
Schlagworte:
Erfüllung; Beweislast nach langem Zeitablauf
Normen:
§§ 362, 242 BGB
Leitsätze:
Verlangt der Verkäufer einer Eigentumswohnung erst mehr als 20 Jahre
nach Abschluss des Kaufvertrages die Zahlung des Kaufpreises, kann
ihn die Beweislast treffen, dass der Kaufpreis noch nicht gezahlt wurde.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
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Auf Grund notariellen Testaments wurde die Klägerin Alleinerbin ihres im November
1983 verstorbenen Vaters. Zum Nachlass des Vaters gehörte u. a. eine vermietete
Eigentumswohnung im 1. Obergeschoss M S X in X (Wohnungsgrundbuch von X Blatt
0881, Flur X, Flurstück X und X; 362/10.000tel Miteigentumsanteil). Etwa im Januar
1984 beauftragte die Klägerin die Rechtsanwälte und Notare M. und C. aus X mit der
Abwicklung des Nachlasses. Schließlich entschloss sich die Klägerin die geerbte
Eigentumswohnung zu veräußern. Mit notariellem Kaufvertrag vom 22.05.1985 zur UR-
Nr. 179/1985 des Notars I.-K. M. in X, verkaufte die Klägerin die Eigentumswohnung an
den Beklagten zum Kaufpreis von 80.000 DM. Gemäß § 4 des Kaufvertrages sollte der
Kaufpreis fällig sein, sobald der Notar dem Käufer mitgeteilt hatte, dass die notwendigen
behördlichen Genehmigungen zu diesem Vertrag, ausgenommen die
Unbedenklichkeitsbescheinigung des Finanzamtes und die Löschungsbewilligung der
Sparkasse X hinsichtlich der in Abt. III Nr. 3 bestehenden Belastung vorliegen,
spätestens jedoch am 1. Juli 1985. Wegen der Einzelheiten der vertraglichen
Vereinbarungen wird auf die in Kopie zur Gerichtsakte gereichte Urkunde (Bl. 18 – 21 d.
GA) verwiesen.
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Zu den UR-Nr. 78/1985 und 79/1985 des Notars S. C. aus X bestellte der Beklagte am
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Zu den UR-Nr. 78/1985 und 79/1985 des Notars S. C. aus X bestellte der Beklagte am
10.06.1985 zwei Grundschulden an den Eigentumswohnungen. Eine Grundschuld zu
Gunsten der G AG belieft sich über 64.000 DM; die andere Grundschuld belief sich auf
5.000 DM zu Gunsten der C2. - Bausparkasse. Wegen der Einzelheiten der
Grundschuldbestellungsurkunden wird auf die in Kopie zur Gerichtsakte gereichten
Urkunden (Bl. 41 – 46 d. GA) verwiesen. Am 22.07.1985 erfolgte die
Eigentumsumschreibung auf den Beklagten. Zeitgleich wurden die beiden
Grundschulden zu Gunsten der finanzierenden Banken im Grundbuch eingetragen. Die
Klägerin löste die Restverbindlichkeit des verstorbenen Vaters bei der Sparkasse X, die
im Grundbuch in Abt. III Nr. 3 mit 42.000 DM durch eine Grundschuld abgesichert war,
ab. Der Notar holte die Löschungsbewilligung von der Sparkasse nach der erfolgten
Zahlung ein und veranlasste die Löschung, die im Grundbuch am 22.07.1985
eingetragen wurde.
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Der Beklagte, der ursprünglich beabsichtigte die Eigentumswohnung selbst zu
beziehen, nahm von seinem Vorhaben Abstand, nachdem er seine zukünftige Frau
kennen gelernt hatte. Er übernahm den Mietvertrag mit dem bisherigen Mieter der
Klägerin. Bereits im Mai 1990 veräußerte er die Eigentumswohnung weiter. Die
Eigentumsumschreibung auf den Erwerber erfolgte am 09.10.1990. Nach mehreren
Umzügen des Beklagten hat dieser sämtliche Unterlagen über den Erwerb und
Weiterverkauf der Eigentumswohnung vernichtet. Die vom Beklagten angeschriebenen
finanzierenden Banken vermochten ihm Unterlagen über die Darlehensgewährung und
Auszahlung nicht mehr vorzulegen, da – wie sie ausführten – die gesetzliche
Aufbewahrungsfrist abgelaufen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die in Kopie
vorgelegten Schreiben (Bl. 38 – 40 d. GA) verwiesen.
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Erstmals mit Schreiben vom 04.07.2005 forderten die Prozessbevollmächtigten der
Klägerin den Beklagten zur Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 80.000 DM bis zum
31.07.2005 auf.
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Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe den Kaufpreis bis heute nicht gezahlt. Sie
sei davon ausgegangen, dass das Geld gut auf dem Konto bei dem Notar M. angelegt
worden sei. Damals habe sie es auch nicht benötigt. es sollte letztlich ihrer
Altervorsorge dienen. Erst als sie das Geld im Jahre 2002 – als sie 65 Jahre alt
geworden war – in Anspruch nehmen wollte, habe sie festgestellt, dass das Geld nicht
da gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie 40.903,35 € (80.000 DM) nebst 5 %
Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.1985 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er behauptet, im unmittelbaren Zusammenhang mit der Eigentumsumschreibung den
Kaufpreis an die Klägerin gezahlt zu haben. Einen Teil der Mittel für die Finanzierung
des Kaufs habe er aus Eigenmitteln (Bundesschatzbriefe) aufgebracht. Im Übrigen habe
er den Großteil des Kaufpreises über die G2 AG (64.000 DM) sowie über die C2.-
Bausparkasse in I (5.000 DM) finanziert. Zu diesem Zweck seien die unstreitig
eingetragenen Grundschulden zu Gunsten der Banken im Grundbuch eingetragen
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worden. Er vertritt die Auffassung, auf Grund des M.n Zeitablaufes und der Tatsache,
dass weder bei den finanzierenden Banken, noch dem involvierten Notar noch
Unterlagen über das Veräußerungs- und Darlehensgeschäft vorhanden sind, er nicht
verpflichtet sei, nach über 20 Jahren die Zahlung des Kaufpreises nachzuweisen.
Jedenfalls habe die Klägerin den Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises verwirkt.
Schließlich erhebt er die Einrede der Verjährung.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen L. Wegen des
Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung
vom 07.03.2006 (Bl. 67 – 71 d. GA) verwiesen.
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Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Erklärungen der Parteien zu Protokoll der
mündlichen Verhandlung verwiesen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aus § 433 Abs. 2 BGB nicht zu. Der
Anspruch ist zwar mit dem notariellen Kaufvertrag vom 22.05.1985 in Höhe von 80.000
DM (= 40.903,35 €) entstanden. Der Anspruch ist jedoch gemäß § 362 Abs. 1 BGB
durch Erfüllung erloschen.
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Der Beklagte hat nachvollziehbar und glaubhaft vorgetragen, unter Inanspruchnahme
zweier Kredite, einmal der C2. und einmal der E. sowie im Übrigen aus vorhandenen
Eigenmitteln den Kaufpreis für die Eigentumswohnung aufgebracht und an die Klägerin
gezahlt zu haben. Hierfür spricht, dass tatsächlich zwei Grundschulden zur Absicherung
der Kredite im Grundbuch eingetragen wurden. Im Übrigen habe er sich – so der
Beklagte – auf die Anweisungen des Notars M. verlassen. Auf seine Anweisung hin
habe er das Geld auf das vom Notar angegebene Konto überwiesen. Insoweit erscheint
es glaubhaft, dass er heute nicht mehr aus der Erinnerung anzugeben vermochte, ob die
Zahlung auf ein Notaranderkonto oder auf ein angegebenes Konto des Erblassers, d. h.
des Vaters der Klägerin überwiesen worden ist.
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Die Klägerin hat die angeblich unterlassene Zahlung des Kaufpreises aus dem
Kaufvertrag vom 22.05.1985 erstmals im Juli 2005 von dem Beklagten eingefordert. Auf
Grund der vorstehenden Umstände im Hinblick auf die Finanzierung des Kaufpreises
und den M.n Zeitablauf von mehr als 20 Jahren sowie dem glaubwürdigen Auftritt des
Beklagten in der mündlichen Verhandlung, sprechen durchaus einige Indizien für die
erfolgte Zahlung des Kaufpreises durch den Beklagten. Zwar vermochte der Beklagte
den Vollbeweis einer Zahlung nicht durch die Vorlage von Urkunden oder durch
Zeugenbeweis zu führen. Er trägt auch grundsätzlich als Schuldner die Beweislast für
die Erfüllung der Schuld. Dieser Grundsatz ändert sich jedoch, je mehr Zeit seit der
Fälligkeit des behaupteten Anspruchs vergangen ist, da dieser Zeitablauf grundsätzlich
mit einem Verlust von Beweismitteln des Schuldners verbunden ist. Je länger die zu
beweisenden Vorgänge zurückliegen, desto weniger kann es deshalb dem Gläubiger
noch erlaubt sein, ohne konkrete positive Anhaltspunkte für ein unsachgemäßes
Geschehen die ordnungsgemäße Abwicklung von Geschäftsabläufen mit dem Ergebnis
zu bestreiten, dass der Schuldner sie voll umfänglich beweisen – oder soweit dies nicht
mehr möglich sein sollte – erneut zahlen muss. Unangemessene und regelmäßig zu
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materiell-rechtlicher Ungerechtigkeit führende Beweisanforderungen dürfen nicht
gestellt werden. Daher obliegt einem Käufer jedenfalls dann keine Beweisführungslast
mehr für die Zahlung des Kaufpreises, wenn – wie hier – mehr als 20 Jahre vergangen
sind und erhebliche Indizien für eine Zahlung sprechen (vgl. OLG G3 NZG 2002,
822,823; OLG G3 NJW-RR 2001, 402,403; andere Ansicht OLG L2 NZG 2002, 821,822;
OLG G3 – 1. Senat – NZG 2005, 898).
Dem gegenüber fehlt es an einem substantiierten Sachvortrag der Klägerin, die die
seinerzeitige Kaufpreiszahlung durch den Beklagten unwahrscheinlich machen würde.
Es erscheint schon zweifelhaft, wie die Zahlung eines nicht gerade geringen
Kaufpreises bei der Klägerin in Vergessenheit geraten konnte. Zwar trägt sie vor, auf
dieses Geld finanziell nicht angewiesen gewesen zu sein und dieses Geld der
Altersvorsorge dienen sollte. Allein dies erklärt noch nicht, warum sich die Klägerin nie
um den Geldeingang gekümmert hat. Nachvollziehbar wird dies nur vor dem
Hintergrund, dass die Klägerin die Angelegenheit dem Notar M. überlassen hat. Wenn
die Klägerin tatsächlich die Aufgabe an den Rechtsanwalt und Notar M. deligiert hatte,
stellt sich die Frage, warum dieser niemals die Zahlung des Kaufpreises gegenüber
dem Beklagten angemahnt hat. Die Zahlung des Kaufpreises auf ein Notaranderkonto
ist zwischen den Parteien nicht vereinbart worden. Hierzu fehlt es an einer Regelung im
Kaufvertrag. Zu einer nachträglichen Vereinbarung hat die Klägerin nichts vorgetragen.
Denkbar ist – auch nach dem Vortrag der Klägerin – dass eine Zahlung auf Anweisung
des Notars auf ein Konto des Erblassers erfolgt ist. Nach dem Vortrag der Klägerin hatte
allein der Notar die Kontounterlagen über diese Konten. Dem Notar stand daher die
Möglichkeit offen, einen Zahlungseingang auf einem der Konten zu kontrollieren. Hätte
dem Notar daher die Überwachung der Kaufpreiszahlung oblegen – so wie es die
Klägerin vorträgt – wäre ihm eine unterlassene Zahlung aufgefallen und er hätte diese
beanstandet und angemahnt. Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Angaben erscheint die
Behauptung der Klägerin, der Kaufpreis sei nicht gezahlt worden, auf eine unsichere
Tatsachengrundlage gegründet. Der Notar vermochte keine Angaben mehr zu machen,
da ihm keine Unterlagen mehr vorlagen. Auch die Banken der Klägerin konnten ihr
Auszüge der Konten ihres Vaters nicht mehr zur Verfügung stellen. Der Vortrag der
Klägerin entbehrt daher einer sicheren Tatsachengrundlage, zumal sie nicht darzulegen
vermochte, wie die Zahlung genau zu erfolgen hatte. Insbesondere ob sie an den Notar
selbst oder auf ein Konto ihres Vaters oder ein eigenes Konto erfolgen sollte.
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Unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles erscheint es der Kammer daher
vorliegend als sachgerecht, der Klägerin die Darlegungs- und Beweislast für eine nicht
erfolgte Zahlung aufzuerlegen. Diesen Beweis hat die Klägerin nicht geführt. Der von ihr
benannte Zeuge L, ihr Ehemann, vermochte keine weitergehenden Angaben als die
Klägerin zu machen. Seine Zeugenaussage ist nicht anders als der Parteivortrag der
Klägerin zu bewerten und steht daher im Beweiswert nicht über den Angaben des
Beklagten im Rahmen seiner persönlichen Anhörung nach § 141 ZPO. Es erscheint
insgesamt wenig glaubhaft, dass der Beklagte die Kaufpreisfinanzierung zunächst in die
Wege geleitet hat, insbesondere Grundschulden eintragen ließ und dann letztlich den
Finanzierungsbetrag nicht abrief und quasi die Finanzierungsgrundlage aufgekündigt
hat in dem Wissen, dass die Klägerin jederzeit den Kaufpreis hätte anfordern können.
Es erscheint insgesamt lebensnäher, dass der Kaufpreis vom Beklagten, angewiesen
durch den Notar M., tatsächlich gezahlt wurde. Die Klägerin hat die Überwachung der
Kaufpreiszahlung aus der Hand gegeben und muss insoweit, insbesondere im Hinblick
auf den M.n Zeitablauf, die Konsequenzen daraus tragen, wenn sie nicht in der Lage ist,
auf einer gesicherten Grundlage sich darüber zu erklären, dass der Kaufpreis tatsächlich
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nicht gezahlt worden ist. Insbesondere nach Ablauf der gesetzlichen
Aufbewahrungsfristen der Banken nach § 257 HGB und der Notare (jeweils 10 Jahre)
obliegt es der Klägerin daher den Beweis zu führen.
Im Ergebnis geht daher die Kammer davon aus, dass der Kaufpreis von dem Beklagten
gezahlt worden ist. Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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Der Streitwert wird auf 40.903,35 € festgesetzt.
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