Urteil des LG Münster vom 29.11.2005

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Landgericht Münster, 4 O 725/04
Datum:
29.11.2005
Gericht:
Landgericht Münster
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 O 725/04
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 62.607,69 € zu zahlen nebst
Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
21.06.2005.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung gemäß § 108 ZPO in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
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Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht einen Anspruch auf Rückerstattung der
Einsätze geltend, die ihr Ehemann in der Spielbank der Beklagten in C im Zeitraum von
Januar 2000 bis August 2001 verspielt haben soll.
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Die Beklagte betreibt öffentlich-rechtlich konzessionierte Spielkasinos, u.a. in C. Der
Zeuge Y besuchte in den Casinos vornehmlich den Automatenspielsaal. Eine
Zugangskontrolle zu diesem Saal findet nicht statt. Am 28.04.1998 ließ sich der Zeuge Y
auf eigene Initiative durch das Spielcasino C unwiderruflich sperren (vgl. Bl. 112 d.A.).
Was bei Vereinbarung der Sperre besprochen worden ist, ist zwischen den Parteien
streitig. Mit Abtretungserklärung vom 22.12.2004 trat der Zeuge Y behauptete
Ansprüche in Höhe von 62.914,47 €, bestehend aus den Einzelforderungen, die in der
Abtretungserklärung im Einzelnen aufgeführt sind, an die Klägerin ab (vgl. Bl. 84 ff d.A.).
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Die Klägerin behauptet, der Zeuge Y habe die in der Abtretungserklärung im Einzelnen
aufgeführten Beträge jeweils in dem Spielcasino in C verspielt. Der Zeuge sei an
Spielsucht erkrankt. Die Spielverträge seien jedenfalls wegen der vereinbarten
Spielsperre unwirksam gewesen, so dass ihr ein Anspruch auf ungerechtfertigte
Bereicherung in Höhe der Spieleinsätze zustehe. Der Zeuge sei nicht darüber belehrt
worden, dass trotz der Spielsperre keine Kontrolle in dem Automatensaal stattfinde und
er weiterhin ungehinderten Zugang zum Spielcasino haben würde. Die Klägerin hat die
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er weiterhin ungehinderten Zugang zum Spielcasino haben würde. Die Klägerin hat die
Angabe der Einzelforderungen durch Schriftsatz vom 25.08.2005 in einzelnen
Positionen korrigiert. Insoweit wird auf die Aufstellung Blatt 192 d.A. Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 72.914,47 € nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.06.2005 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet eine Spielsucht des Zeugen Y. Sie bestreitet, dass er die in der
Abtretungserklärung angegebenen Einsätze im Spielcasino der Beklagten verspielt
habe. Sie bestreitet die Abtretung. Sie meint, dass aus dem Sperrvertrag keine
Vermögensbetreuungspflicht für das Vermögen des Zeugen Y der Beklagten erwachsen
sei und die Einsätze nicht nach Bereicherungsrecht zurückzuerstatten seien. Jedenfalls
sei sie in Höhe von 80 % entreichert, weil sie in dieser Höhe jeweils täglich Abgaben an
das Land und den Bund leisten müsse, die sie im Nachhinein nicht zurückerstattet
erhalten könne. Sie meint, der Zeuge Y müsse sich zudem ein Mitverschulden
anrechnen lassen. Er sei zudem darüber informiert worden, dass für den Automatensaal
keine Kontrolle stattfinde, so dass ihm bewusst gewesen sei, dass der Sperrvertrag kein
geeignetes Instrument gewesen sei, um ihn vom Spielen abzuhalten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten
Schriftsätze Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der
Zeugen Y und L. Wegen des Ergebnisses wird auf die Protokolle der mündlichen
Verhandlung vom 16.08.2005 (Bl. 174 ff d.A.) und vom 03.11.2005 (Bl. 239 ff d.A.)
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage war begründet.
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Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Sie hat eine Abtretungserklärung des Zeugen Y
vorgelegt, dieser hat die Abtretung auch bei seiner Vernehmung als Zeuge bestätigt.
Zweifel daran ergeben sich nicht.
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Die Beklagte hat die vom Zeugen Y in ihrem Spielcasino in C verspielten Einsätze
zurückzuerstatten gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB. Denn ein trotz Eigensperre
eines Spielers mit ihm von der Spielbank abgeschlossener Spielvertrag ist unwirksam.
Die Frage, inwieweit sich ein Sperrvertrag des Spielers auf die Wirksamkeit der
Spielverträge auswirkt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Es liegen
insbesondere widerstreitende Entscheidungen der verschiedenen Senate des
Oberlandesgerichts I vor. Das Gericht folgt der Ansicht des OLG I im Urteil vom
07.10.2002, Aktenzeichen 13 U ###/##. Inhalt und Tragweite der rechtsgeschäftlichen
Verpflichtung des Spielcasinobetreibers ist durch Auslegung der Sperrvereinbarung in
Verbindung mit den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen des § 133, 157 BGB zu
ermitteln. Die sogenannte Eigensperre ist der Abschluss des Vertrages zwischen einem
Spieler und der Spielbank, wonach in Zukunft der Spieler nicht zugelassen werden soll.
Es handelt sich um ein gebräuchliches Instrument, durch das ein Spieler sich selbst mit
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Hilfe der Spielbank den für ihn als gefahrträchtig erkannten Zugang verstellen will.
Entgegen der Auffassung der Beklagten geht die Spielbank mit der Annahme einer
solchen Eigensperre eine vertragliche Bindung ein. Die Spielbank hat aber objektiv die
Funktion, den einzelnen Spieler vor sich selbst zu schützen, indem er rechtsgeschäftlich
im Zustand voller Geschäftsfähigkeit erklärt, in Zukunft keine Spielverträge mit der
Spielbank mehr abschließen zu wollen. Der Ausgangspunkt dabei für den Spieler ist,
dass er im Zustand freier Willensbildung erkennt, dass der Besuch der Spielbank sein
Vermögen gefährdet. Er will daher eine Lage schaffen, die das Spielen objektiv
unmöglich macht, indem er von dem Betreiber der Spielbank nicht mehr zum Spiel
zugelassen wird. Die Auffassung der Beklagten, wonach der Sperrvertrag nur die Folge
hat, dass Einsätze nicht zurückverlangt werden können und Gewinne nicht ausgezahlt
werden müssen, ist mit dem objektiven Erklärungsgehalt des Sperrvertrags nicht
vereinbar. Der von den Parteien hier vereinbarte und zu den Akten gereichte
Sperrvertrag (vgl. Bl. 112 d.A.) sperrt nach seinem Wortlaut den Zeugen Y unwiderruflich
für bundesweit für alle Spielcasinos. Einschränkungen dieser Spielsperre gab es nicht.
Insbesondere hat die Beklagte nicht bewiesen, dass der Zeuge Y bei der Vereinbarung
der Spielsperre darauf hingewiesen wurde, dass ihm der Eintritt in den
Automatenspielsaal weiterhin ohne weiteres möglich sein würde. Der Zeuge L hat dies
schon nicht im Sinne der Beweislast bestätigt. Er hat angegeben, dass üblicherweise
ein Gespräch mit dem die Eigensperre beantragenden Spieler geführt werde, auch um
die Hintergründe für den Antrag zu erfahren und die Dauer der Sperre auszuhandeln. An
den konkreten Sperrvertrag, der mit dem Zeugen Y vereinbart worden ist, vermochte
sich der Zeuge nicht zu erinnern. Er vermochte nicht anzugeben, ob er selbst mit dem
Zeugen gesprochen oder dies von einem anderen Mitarbeiter übernommen worden war.
Zum Inhalt des Gespräches und zu den mit der Eigensperre verbundenen Belehrungen
konnte der Zeuge nur allgemeine Angaben machen, und sich gerade nicht an die
Gegebenheiten im konkreten Fall des Zeugen Y zu erinnern. Der Zeuge Y hat zudem
glaubhaft bekundet, dass ihm gegenüber keinerlei Einschränkungen gemacht worden
seien. Er sei davon ausgegangen, dass eine Kontrolle stattfinden werde. Zwar habe er
gewusst, dass grundsätzlich der Zugang zu dem Automatensaal nicht kontrolliert werde.
Er sei aber davon ausgegangen, dass dies nach der Vereinbarung einer Sperre anders
gehandhabt werde, z.B. durch die Information der entsprechenden Mitarbeiter darüber,
wer gesperrt sei. Dass der Zeuge Y nicht anzugeben vermochte, wie diese Kontrolle
konkret aussehen sollte, wenn er doch wusste, dass keine Personalienfeststellung beim
Betreten des Automatenspielsaales erfolgte, mindert nicht die Glaubhaftigkeit seiner
Aussage. Denn der Zeuge hat zu Recht die Frage aufgeworfen, welchen Sinn die
Spielsperre denn haben soll, wenn von vornherein bekannt ist, dass eine
Zugangskontrolle nicht erfolgt. Die Auffassung, dass die Bedeutung der Sperre sich
daraus erschöpfe, dass die Spielbank ihr Hausrecht gegenüber dem gesperrten Spieler
ausschöpfe und dass ihr keine Pflicht zur Vermögensbetreuung entstehe, ist mit dem
objektiven Erklärungsgehalt der Spielsperre nicht in Einklang zu bringen. Auch insoweit
wird auf die Entscheidungsgründe des 13. Zivilsenats des OLG I Bezug genommen. Ob
der Zeuge Y daher tatsächlich spielsüchtig war und beim Abschluss der jeweiligen
Spielverträge geschäftsunfähig, kann dahingestellt bleiben.
Es steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Zeuge
die sich aus den Kontoauszügen ergebenden Abhebungen von Beträgen jeweils in C
sogleich im dortigen Spielcasino der Beklagten verspielt hat. Dem steht nicht entgegen,
dass der Zeuge sich an die einzelnen Spielverträge nicht mehr zu erinnern vermochte.
Dies ist angesichts des geraumen Zeitablaufs und der Häufigkeit der Vorfälle auch
unmöglich. Der Zeuge hat aber glaubhaft geschildert, dass er nur nach C gefahren ist,
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um dort ins Spielcasino zu gehen. Er hat nicht in C gewohnt. Es erscheint plausibel,
dass der Zeuge die mit der Eurocard oder mit der EC-Karte an Geldautomaten in C
abgehobenen Beträge zugleich im Spielcasino der Beklagten verspielt hat. Wie der
Zeuge detailliert geschildert hat, befanden sich die Geldautomaten teilweise im oder in
unmittelbarer Nähe des Casinos. Auch die Häufigkeit und teilweise die Uhrzeit der
abgehobenen Beträge spricht dafür, dass diese zum Spielen im Casino verwendet
worden sind.
Hinsichtlich der Höhe der Beträge liegen teilweise Übertragungsfehler von den
Kontoauszügen auf die Aufstellung in der Klageschrift und in der Abtretungserklärung
vor. Zudem liegt ein Rechenfehler hinsichtlich der Beträge vor, die mit der EC-Karte
abgehoben worden sind. So ergeben die addierten Beträge bezüglich der Abhebungen
vom Konto des Zeugen bei der C-Bank/T-Bank nicht 38.950,00 DM, sondern tatsächlich
39.850,00 DM. Gemäß § 308 Abs. 1 ZPO war das Gericht gehindert, einen über dem
geltend gemachten Antrag hinausgehenden Betrag zuzusprechen. Zur Überzeugung
des Gerichts stehen Forderungen in folgender Höhe und zu folgenden Zeitpunkten fest:
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Die Beklagte kann sich nicht auf Entreicherung gemäß § 18 Abs. 3 BGB berufen. Ob
sich der Schuldner nach dieser Vorschrift auf die Entreicherungseinrede berufen kann,
hängt maßgeblich von der Frage ab, wer nach den Vorschriften des fehlgeschlagenen
Geschäfts das Entreicherungsrisiko zu tragen hat (vgl. BGH, ZIP 1998, S. 1063 ff). Die
Erhebung der Einrede ist ausgeschlossen, wenn gerade in der Entgegennahme der
rechtsgrundlosen Leistung eine schuldhafte Pflichtverletzung liegt (vgl. OLG Y, NJW-RR
1997, S. 1546 ff). Ein solcher Fall liegt vor. Die Beklagte hat die vertragliche
Verpflichtung gegenüber dem Zeugen Y gerade vor dem für ihn unkalkulierbaren
Spielverlust übernommen. Es verstößt gegen Treu und Glauben, demjenigen das
Entreicherungsrisiko aufzuerlegen, der gerade durch die vertragliche Vereinbarung
geschützt werden soll.
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Eine Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens des Zeugen Y gemäß § 254 BGB
scheidet aus. Es handelt sich um eine Forderung aus Bereicherungsrecht, ein
Verschulden ist auf keiner Seite erforderlich, ein Mitverschulden nicht zu
berücksichtigen.
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Die Zinsforderung beruht auf §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
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