Urteil des LG Mönchengladbach vom 24.06.2009

LG Mönchengladbach: wohnung, hilfskraft, wohnrecht, eltern, vollstreckung, auszug, krankheit, vollstreckbarkeit, unterbringung, vermietung

Landgericht Mönchengladbach, 4 S 127/08
Datum:
24.06.2009
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 S 127/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Grevenbroich, 11 C 52/08
Schlagworte:
Pflegeleistungen; ergänzende Vertragsauslegung
Normen:
BGB §§ 133, 157
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts
Grevenbroich vom 10.06.2008, 11 C 52/08, abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
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I.
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Der Kläger macht als Sozialhilfeträger übergeleitete Ansprüche aus einem notariellen
Grundstücksvertrag gegen die Beklagten gelten. Mit notariellem Vertrag vom 14.
Dezember 1982 übertrugen die Eltern des Beklagten zu 1) das Grundstück
……………………………………..zu je einem halben Anteil an die Beklagten. Im
Gegenzug wurde den Eltern ein lebenslängliches, unentgeltliches Wohnrecht an den
Räumlichkeiten im ersten Obergeschoss des Hauses, der Garage und dem
Gartenhäuschen eingeräumt. Weiter heißt es in dem Vertrag unter § 2 Nr. 2b) wörtlich:
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"Der Erwerber verpflichtet sich weiterhin, dem Übergeber unentgeltlich eine gute Pflege,
Betreuung und Aufwartung in Tagen seines Wohlbefindens und der Krankheit zu
gewähren, auf Wunsch des Übergebers insbesondere für die Reinigung und
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Instandhaltung von dessen Wohnung, Kleidung und Wäsche zu sorgen.
Gegen angemessenes Entgelt kann der Übergeber auch die Zubereitung der seinem
jeweiligen Gesundheitszustand angepassten Mahlzeiten verlangen, auf Wunsch des
Übergebers auch die Beköstigung am gemeinsamen Tisch mit der Familie des
Erwerbers.
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Sollte der Erwerber einmal zukünftig die vorstehenden Leistungen nicht persönlich
erbringen können, so hat er auf seine Kosten für eine entsprechende Hilfskraft zu
sorgen. "
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Die Mutter des Beklagten zu 1) verstarb Ende 1998. Aufgrund eines ärztlich-
psychiatrischen Gutachtens vom 22.07.1999 wurde für den Vater des Beklagten zu 1)
am 30. August 1998 eine Betreuung in den Bereichen Gesundheitsfürsorge,
Aufenthaltsbestimmung und Vermögensangelegenheiten angeordnet. In dem Gutachten
wurde ein hirnorganisches Psychosyndrom mit depressiver Symptomatik bei dem Vater
des Beklagten zu 1) festgestellt. Im Oktober 1999 wurde er in einem Seniorenheim
untergebracht. Die dem Wohnrecht unterliegenden Räumlichkeiten wurden zu einem
monatlichen Mietzins von 400 DM weitervermietet.
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Seit Februar 2002 wird dem Vater des Beklagten zu 1) die Pflegestufe zwei gewährt.
Nachdem dieser die Heimkosten seit November 2006 nicht mehr vollständig selbst
tragen kann, gewährt der Kläger ihm Sozialhilfe gemäß § 61 SGB VII. In der Zeit von
November 2006 bis einschließlich Januar 2008 belief sich der Sozialhilfeaufwand auf
insgesamt 5.401,77 €. Bis auf die Monate November 2006 und Februar 2007 überschritt
die monatliche Leistung einen Betrag von 300 €. In diesen beiden Monaten wurden
Leistungen lediglich in Höhe von 223,92 € und 157,43 € gewährt.
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Mit Bescheiden vom 25. Juni ,27. September und 17. Dezember 2007 leitete der Kläger
Ansprüche des Vaters gegen die Beklagten aus dem notariellen Übertragungsvertrag
wegen ersparter Aufwendungen aus nicht mehr erbrachten Pflegeleistungen gemäß §
93 SGB VII auf sich über. Hierin setzte der Kläger als ersparte Aufwendungen für die
Pflegeleistungen entsprechend der Pflegestufe eins einen Betrag von monatlich 225,00
Euro und für die ersparten hauswirtschaftlichen Tätigkeiten 75,00 € an.
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Mit seiner Klage macht der Kläger die Erstattung ersparter Aufwendungen für 13 Monate
in Höhe von jeweils 300 € zuzüglich der Leistungen für November 2006 in Höhe von
223,92 € und für Februar 2007 Höhe von 157,43 €, insgesamt einen Betrag von 4281,35
€ geltend.
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Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
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die Beklagten zu verurteilen, an ihn als Gesamtschuldner 4.281,35 € nebst Zinsen
in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem
08.03.2008 zu zahlen.
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Die Beklagten haben erstinstanzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagten sind der Ansicht, dass keine überleitungsfähige Forderung des Vaters
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gegen die Beklagten bestehe. Die Verpflichtung zur Tragung der Kosten für eine
Hilfskraft sei auf den Fall abgestimmt, dass aus gesundheitlichen Gründen eine
Versorgung des Vaters in der Wohnung nicht mehr sichergestellt werden könne. Eine
solche medizinische Notwendigkeit habe jedoch nicht bestanden, da der Vater des
Beklagten zu 1) freiwillig aus der Wohnung ausgezogen sei. Außerdem sei nach § 2 Nr.
2b) des Vertrages die Gestellung einer Hilfskraft nur dann erforderlich, wenn die
Beklagten aus in ihrer Person liegenden Gründen die Pflegeverpflichtung nicht
übernehmen könnten. Schließlich habe der Vater seine Rechte aus dem Vertrag
verwirkt, da er die Schwester des Beklagten zu 1) über längeren Zeitraum missbraucht
habe.
Das Amtsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Es hat ausgeführt, dass
die Regelung in § 2 Nr. 2b) des notariellen Vertrages dahin gehend auszulegen sei,
dass entweder die Beklagten aus Gründen, die in ihrer Person liegen, die
Pflegeverpflichtung nicht mehr erbringen können, oder der Vater des Beklagten zu 1)
aus Gründen, die in seiner Person liegen nicht mehr ohne professionelle Hilfe von den
Beklagten gepflegt werden könne. Dass auch medizinische Notwendigkeiten
hinsichtlich des Vaters des Beklagten zu 1) zu berücksichtigen seien, ergebe sich
insbesondere daraus, dass sich die Beklagten auch "in Tagen (...) der Krankheit" zu
einer unentgeltlichen Pflege und Betreuung der Eltern verpflichtet hätten.
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Gegen dieses Urteil haben die Beklagten fristgerecht Berufung eingelegt.
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Die Beklagten behaupten in der Berufungsinstanz erstmals, dass es zwischen den
Beklagten und der Betreuerin des Vaters des Beklagten zu 1) Anfang des Jahres 2000
zu einer Besprechung über die Abwicklung des Vertrages vom 14. Dezember 1982
gekommen sei. Anlass sei gewesen, dass der Beklagte zu 1) zum damaligen Zeitpunkt
auf Unterhalt in Anspruch genommen wurde, jedoch infolge Arbeitslosigkeit
leistungsunfähig gewesen sei. Es sei in diesem Gespräch vereinbart worden, dass zur
Abgeltung der Ansprüche aus § 2 Nr. 2 des notariellen Vertrages vom 14. Dezember
1982 die Wohnung, an der das Wohnrecht bestand, durch ……..……………………
angemietet werde und dafür eine Miete in Höhe von 400 DM an den Vater des
Beklagten zu 1) gezahlt werden sollte. Mit dieser Vereinbarung sollten sämtliche
Ansprüche aus dem notariellen Vertrag vom 14. Dezember 1982 zu § 2 Nr. 2 abgegolten
seien. Zur möglichen Präklusion des Vortrages tragen die Beklagten vor, dass zwar der
Umstand der Vermietung bekannt gewesen sei, nicht jedoch die Umstände, die in dem
Schreiben der Betreuerin vom 6. Januar 2009 geschildert worden seien
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Die Beklagten beantragen,
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unter Aufhebung des Urteils des amtsgerichtlichen Urteils vom 10.6.2008 die Klage
abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Das amtsgerichtliche Urteil beruht auf
einem Rechtsfehler.
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Die Klägerin steht aus übergeleitetem Recht kein Anspruch auf Zahlung des
eingeklagten Betrages zu.
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Ein entsprechender Anspruch ergibt sich zunächst nicht aus dem notariellen
Übertragungsvertrag vom 14.September 1982. Im Vertrag ist nicht geregelt, dass die
Beklagten im Falle, dass sie die übernommene Pflegeverpflichtung nicht mehr erbringen
können, weil der Vater des Beklagten zu 1) pflegebedürftig wird und in ein Heim
übersiedelt, zumindest anteilig die Kosten der Heimunterbringung zu tragen haben. Die
Kammer folgt insoweit nicht der Auffassung des Amtsgerichts zu § 2 Nr. 2b des
notariellen Vertrages. Dort ist geregelt, dass die Erwerber auf ihre Kosten für eine
entsprechende Hilfskraft zu sorgen haben, wenn der Erwerber einmal zukünftig die
Pflegeverpflichtung nicht persönlich erbringen kann. Nach Auffassung der Kammer hat
diese Klausel allein den Fall im Auge, dass die Pflegeverpflichtung aus Gründen nicht
mehr erbracht werden kann, die in der Person des Erwerbers liegen. Dagegen vermag
die Kammer der Klausel keine Regelung für den Fall zu entnehmen, dass der
Veräußerer die Pflegeleistungen durch seinen Auszug unmöglich macht.
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(2)
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Eine entsprechende Zahlungsverpflichtung der Beklagten ergibt sich auch nicht aus
einer ergänzenden Auslegung des notariellen Vertrages vom 14.September 1982. Kann
der Übernehmer die in einem Übergabevertrag vereinbarte Verpflichtung zur
umfassenden Pflege des Übergebers wegen dessen medizinisch notwendigen
Unterbringung in einem Pflegeheim nicht mehr erfüllen, so muss er nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ohne entsprechende Abrede die Kosten der
Heimunterbringung nicht tragen; wohl aber muss er sich an ihnen in Höhe seiner
ersparten Aufwendungen beteiligen (BGH NJW 2002, 440). Zu diesem Ergebnis kommt
der Bundesgerichtshof im Wege einer ergänzenden Vertragsauslegung. Dieser
Auffassung schließt sich die Kammer an.
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Dies bedeutet, dass sich die Beklagten in Höhe der ersparten Aufwendungen an den
Pflegekosten des Vaters des Beklagten zu 1) zu beteiligen haben. An die Stelle der
nicht mehr zu erbringenden Sachleistungen treten nach Auffassung des
Bundesgerichtshofs Zahlungsverpflichtungen, die den Wert der Sachleistungen nicht
nur nicht überschreiten, vielmehr nur den Wert der ersparten Aufwendungen für die an
sich geschuldeten Sachleistungen abschöpfen (BGH, NJW-RR 2003, 577). Dies hat
zunächst zur Folge, dass ersparte Aufwendungen für Essenzubereitungen u.ä. zu
ersetzen sind. Insoweit folgt die Kammer der Rechtsauffassung des Klägers.
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Der Zahlungsantrag des Klägers stützt sich aber nicht auf solche ersparten
Sachaufwendungen, sondern beruht auf der wertmäßigen Erfassung von ersparten
Pflegeleistungen durch die Beklagten. Nach Auffassung der Kammer ergibt sich aus
den genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes nicht, dass der Erwerber
auch für nicht mehr zu erbringende persönliche Pflegeleistungen einen
vermögensmäßigen Ersatz zu leisten hat. Eine solche Verpflichtung vermag die
Kammer auch nicht dem zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 21. November
2002 (NJW 2003,1126.) entnehmen. In diesem Beschluss wird zur Bestimmung des
Aufwendungsersatzes lediglich auf einen weiteren Beschluss des Bundesgerichtshofes
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(WM 2002, 598) Bezug genommen, der seinerseits keine eigene Entscheidung getroffen
hat, sondern die Sache an das Berufungsgericht zur näheren Aufklärung
zurückverwiesen hat. Das von Seiten des Klägerin zitierte Urteil des Oberlandesgericht
Düsseldorf vom 5.4.2004 (Bl. 165 ff. GA) betrifft nach Auffassung der Kammer eine
andere Fallgestaltung. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt entfiel die Verpflichtung
zur persönlichen Pflege aufgrund einer Zerstörung des Vertrauensverhältnisses
zwischen den Vertragsparteien. In diesem Fall mag gegebenenfalls eine andere
Auslegung bzw. eine andere Regelung über die Regeln des Wegfalls der
Geschäftsgrundlage sachgerecht sein.
Für die Auffassung der Klägerin streiten allerdings der Beschluss des LG Düsseldorf
vom 15. März 2006 (Bl. 170 ff. GA) und auch das Urteil des Oberlandesgericht
Düsseldorf vom 11. Juli 2005 (Bl. 177 ff. GA). In diesen Entscheidungen wird in der Tat
unter den Begriff der ersparten Aufwendungen auch die ersparte Zeit für nicht mehr zu
erbringende Pflegeleistungen gefasst.
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Dieser Auffassung vermag die Kammer sich nicht anzuschließen. Verträge, in denen die
Übertragung eines Grundstücks und die Verpflichtung zur Pflege und Betreuung
einander gegenüberstehen, werden seitens der Übertragenden regelmäßig in der
Erwartung geschlossen, der Übernehmende werde die vereinbarte Pflege persönlich
leisten. Der Übernehmende ist häufig wirtschaftlich nicht in der Lage, die vereinbarte
Pflege und Betreuung des Übertragenden durch einen Dritten vornehmen zu lassen.
Hierzu kann er sich nur verpflichten, weil er davon ausgeht, ohne größeren
wirtschaftlichen Aufwand die von ihm geschuldeten Dienste erbringen zu können (so
OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.April 2004, a.a.O.). Dieser Hintergrund spricht nach
Auffassung der Kammer dagegen, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung
regelmäßig eine Verpflichtung des Erwerbers zur (teilweisen) Tragung der Pflegekosten
zu begründen. Eher spricht die Vertragsgestaltung dafür, regelmäßig im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung davon auszugehen, dass die Parteien für den Fall,
dass der Veräußerer pflegebedürftig wird und deshalb die Erbringung der Pflegeleistung
durch den Erwerber persönlich unmöglich wird, gerade keine Zahlungspflicht des
Erwerbers vereinbart hätten, wenn diese Fallkonstellation im notariellen Vertrag
berücksichtigt worden wäre. Etwas anderes kann nach Auffassung der Kammer nur
dann gelten, wenn entweder der Erwerber den Auszug des Veräußerers und die damit
eintretende Unmöglichkeit schuldhaft verursacht hat oder sich im Vertrag selbst konkrete
Anhaltspunkte für eine derartige ergänzende Auslegung finden. Dies ist im notariellen
Vertrag vom 14.September 1982 gerade nicht der Fall.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision wird im Hinblick auf abweichenden Auffassungen des Landgerichts
Düsseldorf und des Oberlandesgerichts Düsseldorf zur Vereinheitlichung der
Rechtsprechung zugelassen.
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