Urteil des LG Mönchengladbach vom 21.04.2010

LG Mönchengladbach (kläger, treu und glauben, allgemeine bedingungen, klausel, allgemeine geschäftsbedingungen, erdgas, erhöhung, umsatzsteuer, unwirksamkeit, versorgung)

Landgericht Mönchengladbach, 2 S 164/06
Datum:
21.04.2010
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
2. Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 S 164/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Grevenbroich, 19 C 189/05
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts
Grevenbroich vom 25. Oktober 2006 a b g e ä n d e r t und wie folgt neu
gefasst:
Das Versäumnisurteil des Amtsgerichts Grevenbroichs vom 13.
September 2005 wird a u f g e h o b e n .
Es wird f e s t g e s t e l l t ,
dass die Erhöhung des Arbeitspreises für die Ver-sorgung mit Erdgas
von 3,3 ct/kWh auf 3,9 ct/kWh zuzüglich 16 % Umsatzsteuer ab dem 1.
Januar 2005 gegenüber dem Kläger unwirksam ist,
dass die Erhöhung des Arbeitspreises für die Ver-sorgung mit Erdgas
von 3,95 ct/kWh auf 4,44 ct/kWh zuzüglich 16 % Umsatzsteuer ab dem 1.
November 2005 gegenüber dem Kläger unwirksam ist,
dass die Erhöhung des Arbeitspreises für die Ver-sorgung mit Erdgas
von 4,4 ct/kWh auf 4,74 ct/kWh zuzüglich 16 % Umsatzsteuer ab dem 1.
Januar 2006 gegenüber dem Kläger unwirksam ist.
Die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der durch das
Versäumnisurteil entstandenen Kosten, die der Kläger trägt, trägt die
Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e :
1
I.
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Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.
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Der Kläger hat sich mit seiner Berufung zunächst insoweit gegen die Entscheidung des
Amtsgerichts gewendet, als es nicht seiner Meinung gefolgt ist, dass die von der
Beklagten vorgenommenen Preiserhöhungen unbillig gewesen seien. Nunmehr ist er
unter Hinweis auf die neueste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Auffassung,
auf die Frage der Billigkeit komme es nicht mehr an, da die von der Beklagten
verwendete Preisanpassungsklausel unwirksam sei.
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Der Kläger beantragt,
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das Urteil des Amtsgerichts Grevenbroich vom 25. Oktober 2006 abzuändern,
das in dieser Sache ergangene Versäumnisurteil vom 13. September 2005
aufzuheben und festzustellen,
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dass die Erhöhung des Arbeitspreises für die Versorgung mit Erdgas von 3,3
ct/kWh auf 3,9 ct/kWh zuzüglich 16 % Umsatzsteuer ab dem 1. Januar 2005
gegenüber dem Kläger unverbindlich ist,
dass die Erhöhung des Arbeitspreises für die Versorgung mit Erdgas von 3,95
ct/kWh auf 4,44 ct/kWh zuzüglich 16 % Umsatzsteuer ab dem 1. November 2005
gegenüber dem Kläger unwirksam ist,
dass die Erhöhung des Arbeitspreises für die Versorgung mit Erdgas von 4,4
ct/kWh auf 4,74 ct/kWh zuzüglich 16 % Umsatzsteuer ab dem 1. Januar 2006
gegenüber dem Kläger unwirksam ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie hält die Preisanpassungsklausel für wirksam. Im Übrigen seien auch bei
Unwirksamkeit der Preisklausel die vorgenommene Preiserhöhungen aus den
verschiedensten Gründen wirksam.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen
und auf die nachfolgende Darstellung unter II. Bezug genommen.
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II.
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Die Berufung und die Feststellungsklage sind begründet.
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Die von der Beklagten in den Jahren 2005 und 2006 vorgenommenen Preiserhöhungen
sind unwirksam. Sie können weder auf die Preisanpassungsklausel in den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Beklagten, noch auf die AVBGasV oder sonstige
Gesichtspunkte gestützt werden.
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1.
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Die Preisanpassungsklauseln in dem von der Beklagten vorformulierten
"Sonderabkommen für Gasvollversorgung" hält einer Inhaltskontrolle gemäß § 307
Abs. 1 S. 1 BGB nicht stand und ist deshalb unwirksam.
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Die Klausel lautet:
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"Die Erdgaspreise sind der Anlage 1 zu der "Verordnung über Allgemeine
Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV) zu
entnehmen. Eine Anpassung der Preise an geänderte Verhältnisse, zum
Beispiel bei einer Änderung der allgemeinen Tarife für die Versorgung mit
Erdgas, bleibt GWG vorbehalten."
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Die Klausel benachteiligt den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben
unangemessen (§ 307 Abs. 1 S. 1 BGB).
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2.
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Der Kläger ist unstreitig Sondervertragskunde.
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Zwar stellt eine Preisanpassungsklausel in einem Sondervertrag, der das im
Tarifkundenverhältnis bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1
und 2 AVBGasV unverändert in diesen Sondervertrag übernimmt, also davon nicht zum
Nachteil des Kunden abweicht, keine unangemessene Benachteiligung des
Sonderkunden im Sinne von § 307 BGB dar (BGH, Urteil vom 13.01.2010, VIII ZR 81/08,
Juris, Rdnr. 17 m.w.N.). Die von der Beklagten verwendete Preisanpassungsklausel
enthält aber keine unveränderte Übernahme der Regelungen des § 4 Abs. 1 und 2
AVBGasV. Vielmehr heißt es darin, dass eine Anpassung der Preise an "geänderte
Verhältnisse … vorbehalten" bleibt.
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Aus der Bindung des allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folgt, dass das
Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der
Rechtspflicht einhergeht, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenfalls zu
berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu
wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben
Rechnung getragen wird als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasst
daher neben dem Recht des Versorgers zur Preisanpassung auch die Pflicht hierzu,
wenn die Anpassung dem Kunden günstig ist (BGH a.a.O., Rdnr. 18). Diesen
Anforderungen wird die Preisanpassungsklausel der Beklagten nicht gerecht.
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Die von der Beklagten verwendete Formulierung lässt nämlich eine Auslegung zu, nach
der die Beklagte zwar berechtigt, nicht aber verpflichtet ist, nach gleichlaufenden
Maßstäben zu bestimmten Zeitpunkten eine Preisanpassung unabhängig davon
vorzunehmen, in welche Richtung sich die Gasbezugskosten seit Vertragsschluss oder
seit der letzten Preisanpassung entwickelt haben. Mangels anderweitiger vertraglicher
Vorgaben hat die Beklagte damit die Möglichkeit, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem
sie von dem Preisänderungsrecht Gebrauch gemacht, und durch die Wahl des
Preisanpassungstermins erhöhten Bezugskosten umgehend, niedrigeren Bezugskosten
jedoch nicht oder erst in zeitlicher Verzögerung durch eine Preisänderung Rechnung zu
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tragen (vgl. BGH a.a.O. Rdnr. 19 m.w.N.). Dies verschafft der Beklagten die Möglichkeit
einer ungerechtfertigten Erhöhung ihrer Gewinnspanne.
Die Klausel ist damit unwirksam.
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3.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten hat sie auch kein Preisanpassungsrecht aus
der Anwendung der AVBGasV als dispositives Gesetzesrecht.
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Sind allgemeine Geschäftsbedingungen – hier die formularmäßige
Preisänderungsklausel - nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, so bleibt
der Vertrag grundsätzlich nach § 306 Abs. 1 BGB im Übrigen wirksam und richtet sich
sein Inhalt gemäß § 306 Abs. 2 BGB nach den gesetzlichen Vorschriften. § 4 AVBGasV
zählt hier bereits deshalb nicht zu den an die Stelle der unwirksamen
Preisanpassungsklausel tretenden gesetzlichen Vorschriften, weil es sich bei dem
Kläger nur um einen Sonderkunden und nicht um einen Tarifkunden im Sinne von § 1
Abs. 2 AVBGasV handelt. Eine entsprechende Anwendung von § 4 AVBGasV auf den
zwischen den Parteien bestehenden Sonderkundenvertrag kommt nicht in Betracht (vgl.
dazu auch BGH a.a.O. Rdnr. 25).
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Der Beklagten steht auch kein Preisanpassungsrecht nach den Grundsätzen der
ergänzenden Vertragsauslegung zu.
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Zwar fehlen zu den gemäß § 306 Abs. 2 BGB bei Unwirksamkeit von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen anwendbaren gesetzlichen Vorschriften auch die
Bestimmungen der §§ 157, 133 BGB über die ergänzende Vertragsauslegung. Eine
solche kommt aber nur dann in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall einer
unwirksamen Klausel entstehenden Lücke nicht durch dispositives Gesetzesrecht füllen
lässt und dies zu einem Ergebnis führt, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in
vertretbarer Weise Rechnung trägt, sondern das Vertragsgefüge völlig einseitig zu
Gunsten des Kunden verschiebt (vgl. dazu BGH a.a.O., Rdnr. 27 m.w.N.).
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Dies ist hier nicht der Fall.
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Unstreitig hat die Beklagte entsprechend der insoweit anzuwendenden AVBGasV (§ 32,
Bl. 16 d.A.) ein ordentliches Kündigungsrecht. Wenn die Beklagte für den Zeitraum der
vereinbarten Kündigungsfrist an den vertraglich vereinbarten Preis gebunden bleibt,
führt dies nicht zu einem die ergänzende Vertragsauslegung gebietenden
unzumutbaren Ergebnis.
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4.
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Entgegen der Ansicht der Beklagten ist ihr auch nicht aus Rechtsgründen eine
Kündigung verwehrt.
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Soweit sie in diesem Zusammenhang auf Pressemitteilungen des Bundeskartellamts
und der Verbraucherzentrale hinweist, wonach insoweit die Auffassung vertreten wird,
dass es einen Missbrauch einer markbeherrschenden Stellung darstellt, wenn
Energieversorgungsunternehmen damit drohten, Strom- oder Gaslieferungen
einzustellen oder durch Kündigung den Kunden in teurere Grundversorgungstarife
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herabzustufen, vermag ihr dies nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn die vom
Bundeskartellamt und der Verbraucherzentrale kritisierten Verhaltensweisen (Drohung
mit Liefereinstellung und Herabstufung in einen teureren Tarif) ist nicht zu vergleichen
mit dem Recht der Beklagten zu kündigen, um eine unwirksame Klausel durch eine für
den Kunden faire Klausel zu ersetzen.
5.
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Schließlich führt die fehlende Preisanpassungsmöglichkeit nicht zu einer
wirtschaftlichen Unzumutbarkeit für die Beklagte.
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Soweit die Beklagte darauf verweist, dass sie ohne ein Recht zu Preisanpassungen
sämtliche Kunden zum letztgültigen Preis vor der ersten streitgegenständlichen
Preiserhöhung beliefern müsste, was für sie zu bedrohlichen Liquiditätsengpässen
führen könnte, führt auch dies nicht zu einer Wirksamkeit der Preiserhöhung.
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Es bestehen bereits erhebliche Bedenken dagegen, bei der Prüfung der Wirksamkeit
einer Klausel einem individuellen Kunden gegenüber kollektive Betrachtungen
anzustellen, die die Konsequenz haben, durch Einbeziehung einer Vielzahl
vergleichbarer Fälle eine Verschiebung der Rechtslage gegenüber einer individuellen
Betrachtung vorzunehmen (hier die Verdrängung des Festhaltens an dem
unveränderten Ausgangspreis und stattdessen eine Kompetenz des
Energieversorgungsunternehmens zur Preiserhöhung wegen der sonst unzumutbaren
Auswirkungen wegen einer Vielzahl von Kunden) (vgl. dazu Büdenbender,
Preisanpassungsklauseln der EVU, NJW 2009, 3125, 3128).
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Letztlich kann dies aber dahinstehen. Denn die Beklagte trägt nichts dazu vor, wie sich
die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklausel konkret auf ihr Geschäftsergebnis
ausüben würde. Es fehlen jede Einzelheiten dazu, wie viele Sondervertragskunden die
Beklagte hat, wie viele Sondervertragskunden sich möglicherweise ebenfalls auf die
Unwirksamkeit der Preisanpassungsklauseln berufen werden und zum Beispiel,
welches Geschäftsergebnis es zur Folge hätte, wenn sämtliche Sondervertragskunden
sich auf die Unwirksamkeit der Preisanpassungsklauseln berufen würden.
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6.
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Schließlich ist auch nicht der gesamte Vertrag gemäß § 306 Abs. 3 BGB unwirksam.
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Nach dieser Vorschrift ist der gesamte Vertrag unwirksam, wenn das Festhalten an ihm
auch unter Berücksichtigung der nach Absatz 2 vorgesehenen Änderung eine
unzumutbare Härte für eine Vertragspartei darstellen würde. Dies ist allerdings – wie
bereits ausgeführt – nicht der Fall.
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7.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 344 ZPO.
46
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht kein Anlass.
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Die Frage der Wirksamkeit der von der Beklagten verwendeten Klausel und der daraus
entstehenden Folgen ist bereits geklärt. Auf die offenen Rechtsfragen kam es im
Hinblick auf den Vortrag der Beklagten nicht an.
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Streitwert: bis 2.500,00 €
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Wolters Kuhn Dr. Siemes
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