Urteil des LG Mönchengladbach vom 15.01.2008

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Landgericht Mönchengladbach, 5 S 95/07
Datum:
15.01.2008
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
Zivilkammer des Landgerichts
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 95/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Erkelenz, 14 C 275/06
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. August 2007 ver-
kündete Urteil des Amtsgerichts Erkelenz unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu
gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger 1.018,84 € sowie weitere
87,29 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz
seit dem 3. Mai 2006 zu zahlen.
Die Klage im Übrigen wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Streitverkündung tragen
der Kläger zu 46 % und die Beklagten zu 54 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
(
G r ü n d e :
Unfallereignis vom 3. November 2005 in Erkelenz, an dem der Kläger mit seinem
Fahrzeug und der Beklagte zu 1. mit seinem Fahrzeug, das bei der Beklagten zu 2.
haftpflichtversichert ist, beteiligt waren. Gegenstand des Verfahrens sind ausschließlich
die von dem Kläger geltend gemachten Mietwagenkosten für die Dauer von 18 Tagen
gemäß der Rechnung der Streitverkündeten vom 28. November 2005 in Höhe von
insgesamt 3.997,20 €. Auf die Mietwagenkosten hat die Beklagte zu 2. vorprozessual
einen Teilbetrag von 1.516,00 € gezahlt. Die Erstattung der restlichen Mietwagenkosten
unter Berücksichtigung eines Eigenanteils in Höhe von noch 1.881,62 € sowie
vorgerichtliche Anwaltsgebühren in Höhe von 123,48 € macht der Kläger mit der
vorliegenden Klage geltend.
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Er ist der Ansicht, dass die Unfallersatztarife der Streitverkündeten gerechtfertigt seien
und ihm ein günstigerer Tarif nicht zugänglich gewesen sei.
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Das Amtsgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Es hat sich auf den
Standpunkt gestellt, dass abzüglich der geleisteten Zahlung Mietwagenkosten in Höhe
von noch 2.142,04 € erstattungsfähig seien. Hierbei ist das Amtsgericht von einem
erstattungsfähigen Tarif pro Tag von 201,78 € ausgegangen. Da der Kläger aus
anwaltlicher Vorsorge nur 1.881,62 € eingeklagt habe, sei die Klage in vollem Umfang
begründet. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie rügen, dass
das Amtsgericht im Rahmen der Schätzung der Mietwagenkosten die Schwacke-Liste
für das Jahr 2006 und nicht für das Jahr 2003 sowie den Tagespreis ohne Reduzierung
nach Wochen, 3-Tagespreis und Tagespreise zugrunde gelegt habe.
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Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg. Der Kläger kann von den Beklagten
restliche Mietwagenkosten nur in der zuerkannten Höhe von noch 1.018,84 € verlangen.
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Nach der auch vom Amtsgericht zitierten herrschenden Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs kann der Geschädigte vom Schädiger bzw. dessen
Haftpflichtversicherer nach § 249 BGB als erforderlichen Herstellungsaufwand nur den
Ersatz derjenigen Mietwagenkosten verlangen, die ein verständiger, wirtschaftlich
vernünftig denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und
notwendig halten darf. Der Geschädigte ist dabei nach dem aus dem Grundsatz der
Erforderlichkeit hergeleiteten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm
Zumutbaren von mehreren möglichen den wirtschaftlicheren Weg der
Schadensbehebung zu wählen. Das bedeutet für den Bereich der Mietwagenkosten,
dass er von mehreren auf dem örtlich relevanten Markt erhältlichen Tarifen für die
Anmietung eines vergleichbaren Ersatzfahrzeuges grundsätzlich nur den günstigeren
Mietpreis ersetzt verlangen kann. Der Geschädigte verstößt allerdings auch nicht allein
deshalb gegen seine Pflicht zur Schadensgeringhaltung, weil er ein Kfz zum
Unfallersatztarif anmietet, der gegenüber einem Normaltarif teurer ist, soweit die
Besonderheiten dieses Tarifes mit Rücksicht auf die Unfallsituation einen gegenüber
dem Normaltarif höheren Preis rechtfertigen, weil sie auf Leistungen des Vermieters
beruhen, die durch die besondere Unfallsituation veranlasst und infolgedessen zur
Schadensbehebung nach § 249 BGB erforderlich sind (vgl. insbesondere BGHZ 160,
377). Anknüpfungspunkt für diese Prüfung kann nur ein Normaltarif sein, also
regelmäßig ein Tarif, der für Selbstzahler Anwendung findet und daher unter
marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten gebildet wird. Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs kann in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO der Tatrichter
für die Prüfung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines Unfallersatztarifes den
Normaltarif auf der Grundlage des gewichteten Mittels des Schwacke-Mietpreis-
Spiegels im Postleitzahlengebiet des Geschädigten ermitteln (vgl. insbesondere BGH in
VersR 2007, 1144).
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Unter Anwendung dieser Grundsätze hat die Kammer in ihrer bisherigen
Rechtsprechung die erforderlichen Mietwagenkosten nach § 249 BGB regelmäßig auf
der Grundlage des Schwacke-Mietpreis-Spiegels ermittelt. An dieser Rechtsprechung
hält die Kammer nach erneuter Prüfung fest. Das Vorbringen der Beklagten in der
Berufungsinstanz rechtfertigt insoweit keine andere Betrachtung.
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Der Einwand der Beklagten, die Schwacke-Liste 2006 leide an methodischen Mängeln,
weil es sich bei den dort genannten Normaltarifen nur um Angebotspreise handele und
das Korrektiv der Nachfrage fehle, so dass bei der Schadensschätzung allenfalls die
Liste für das Jahr 2003 zugrundegelegt werden könne, geht fehl. Nach den
Erläuterungen in der Schwacke- Liste handelt es sich zwar bei der vorgenommenen
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Marktuntersuchung in der Tat nur um eine Überprüfung der Angebotspreise. Der
sogenannte Modus oder das gewichtete Mittel ist danach der Wert, der bei den
Angebotspreiserhebungen am häufigsten genannt wurde. Aber auch bei der Schwacke-
Liste für das Jahr 2003 liegen nur Überprüfungen der Angebotspreise vor, so dass der
Einwand, wegen methodischer Mängel der Schwacke-Liste 2006 sei allenfalls die
Schwacke-Liste 2003 anwendbar, nicht durchgreift.
Auch die weiteren Einwände der Beklagten überzeugen nicht. Selbst wenn bei dem
sogenannten gewichteten Mittel die am häufigsten genannten Preise ermittelt werden,
ohne auch zu berücksichtigen, in welchem Umfang die verschiedenen Anbieter am
Markt präsent sind, spricht dies nicht dagegen, die Schwacke-Liste 2006 als
Schätzungsgrundlage heranzuziehen. Gleiches gilt für den Einwand, dass die
Preisentwicklungen zwischen 2003 und 2006 nach den Erhebungen des Statischen
Bundesamtes im Bereich Verkehr etwa 10 % betragen und diese Preisentwicklungen
bei den Normaltarifen in der Schwacke-Liste 2006 keinen Niederschlag gefunden
haben sollen.
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Nach der bereits oben zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist im Rahmen
der Überprüfung der betriebswirtschaftlichen Rechtfertigung eines Unfallersatztarifes
eine Schätzung des Normaltarifs gemäß § 287 ZPO auf der Grundlage des gewichteten
Mittels des Schwacke-Mietpreis-Spiegels im Postleitzahlengebiet des Geschädigten
ausdrücklich als zulässig erachtet worden. In den Fällen, in denen eine
Schadensschätzung zulässig ist, tritt an die Stelle des Vollbeweises der Schadenshöhe
das Ermessen des Gerichts, wobei in Kauf genommen wird, dass die richterliche
Schätzung unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (vgl. Zöller ZPO,
24. Aufl., § 287 Rdn. 1 m.w.N.). Daraus folgt, dass eine Schadensschätzung regelmäßig
mit Unsicherheiten behaftet ist und deshalb keine absolute Genauigkeit erwartet werden
kann. In Kenntnis dieser Umstände hat der Bundesgerichtshof noch zuletzt mehreren
Entscheidungen die Anwendbarkeit der Schwacke-Liste als Schätzungsgrundlage
ausdrücklich bestätigt, d.h. zu einem Zeitpunkt, als die Schwacke-Liste 2006 schon
existierte. Bei dieser Sachlage sieht die Kammer keine Veranlassung, von der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs abzuweichen und die Anwendbarkeit der
Schwacke-Liste für das Jahr 2006 als geeignete Schätzungsgrundlage in Zweifel zu
ziehen.
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Bei der Abrechnung der Mietwagenkosten sind nach Auffassung der Kammer jedoch die
sich bei mehrtägiger Vermietung ergebenden Reduzierungen nach dem Schwacke-
Automietpreis-Spiegel nach Wochen, Dreitages- und Tagespauschalen anstelle der
vom Amtsgericht vorgenommenen Multiplikation des Tagessatzes mit der Anzahl der
Miettage zu berücksichtigen. Denn der Geschädigte ist aus dem Gesichtspunkt der
Schadensminderungspflicht gehalten, immer den wirtschaftlicheren Weg der
Schadensbehebung zu wählen. Insoweit folgt die Kammer der Auffassung des
Oberlandesgerichts Köln in seiner Entscheidung vom 2. März 2007 (in Schaden-Praxis
2007, 215).
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Der Geschädigte kann nicht mit dem Einwand gehört werden, er könne nicht
vorhersehen, wie lange die Reparatur bzw. die Ersatzbeschaffung dauere. Aufgrund der
Angaben der Werkstatt oder des Autohändlers über die Dauer der Reparatur oder der
Ersatzbeschaffung dürfte die Mietdauer auch im Vorhinein in etwa feststehen oder leicht
feststellbar sein. Bei mehrtätiger Vermietung sind die erstattungsfähigen
Mietwagenkosten daher regelmäßig unter Berücksichtigung der angebotenen
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Vergünstigungen zu ermitteln.
Da die Beklagten mit der Berufung die Schätzungs- und Berechnungsmethoden des
Amtsgerichts im Übrigen nicht angegriffen haben, ergibt sich nunmehr folgende
Abrechnung:
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Nach der Schwacke-Liste 2006 für das Postleitzahlengebiet 418 und der Gruppe 7
beträgt der Normaltarif auf der Grundlage des gewichteten Mittels für 1 Woche 610,00 €,
für 3 Tage 307,00 € und für 1 Tag 105,00 € (das Amtsgericht hatte irrtümlicherweise den
Tagespreis des arithmetischen Mittels in Höhe von 144,00 € bei seiner Berechnung
zugrundegelegt).
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Auf 18 Tage entfallen danach 2 mal 610,00 €, 1 mal 307,00 €
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und 1 mal 105,00 €, das sind insgesamt
1.632,00 €
zuzüglich 30 % für den unfallbedingten Mehraufwand
489,60 €
zuzüglich Vollkaskoversicherung 18 Tage mal 26,00 €
468,00 €
zuzüglich Zweitfahrer 18 Tage mal 11,00 €
198,00 €
Zwischensumme
2.787,60 €
abzüglich 10% ersparte Eigenaufwendungen
- 278,76 €
zuzüglich Zustellkosten
26,00 €
Zwischensumme
2.534,84 €
abzüglich von der Beklagten zu 2. gezahlter
- 1.516,00 €
verbleibt der zuerkannte Betrag von
1.018,84 €
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Abschließend wird darauf hingewiesen, dass nach der bereits zitierten Rechtsprechung
des Bundesgerichtshofs die Erforderlichkeit des den Normaltarif übersteigenden
Unfallersatztarifes im Hinblick auf die gebotene subjektbezogene Schadensbetrachtung
zwar dann keiner Klärung bedarf, wenn der Geschädigte darlegt und beweist, dass ihm
unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten
sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren
Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt zumindest
auf Nachfrage kein wesentlich günstigerer Normaltarif zugänglich war. Nach Erörterung
der Sach- und Rechtslage im Verhandlungstermin vor der Berufungskammer haben die
Prozessbevollmächtigten des Klägers und der Streitverkündeten jedoch klargestellt,
dass sie ihren dahingehenden Vortrag nicht mehr aufrechterhalten und gegen die von
der Kammer im Termin im Einzelnen dargestellte - insoweit nicht protokollierte -
Berechnungsweise hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten keine Einwände
mehr erheben wollen.
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Der Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen anrechenbaren
Rechtsanwaltsgebühren errechnet sich auf der Grundlage einer Geschäftsgebühr von
85,00 € (Geschäftswert bis 1.200,00 €) in Höhe von insgesamt 87,29 €.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 und 92 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die gesetzlichen
Voraussetzungen nicht vorliegen.
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Jopen zum Bruch Fuchs
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