Urteil des LG Mönchengladbach vom 25.10.2005

LG Mönchengladbach (wiederherstellung des ursprünglichen zustandes, reparatur, beschädigung, abweisung der klage, kläger, fahrzeug, unfall, fachmann, abrechnung, schaden)

Landgericht Mönchengladbach, 5 S 53/05
Datum:
25.10.2005
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 53/05
Schlagworte:
Abrechnung auf Neuwagenbasis
Normen:
BGB § 249
Leitsätze:
Ist ein Fahrzeug erst 15 Tage alt und weist es eine Laufleistung von nur
412 km auf, so kann der Geschädigte den durch einen Verkehrsunfall
erlittenen Fahrzeugschaden auch dann auf Neuwagenbasis abrechnen,
wenn lediglich ein Heckabschlussblech neu eingeschweißt und eine
neue Fahrzeug-Ident-Nummer eingeschlagen wird und diese
Reparaturarbeiten bei sorgfältigster Reparatur nur von einem Fachmann
erkannt wer-den können. Die Beschädigung ist angesichts der
Reparaturkosten von 1.698,81 € (= 13% des Neupreises) insbesondere
deshalb als erheblich anzusehen, weil durch die Schweiß-arbeiten die
Herstellergarantie hinsichtlich des werksseitigen Korrosionsschutzes
ent-fallen kann.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Berufungswert: 3.814,08 Euro
I.
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Der Kläger begehrt Schadensersatz und Ersatz von Gutachterkosten aus einem
Verkehrsunfall vom 24.12.2003. Zu diesem Zeitpunkt war das Fahrzeug des Klägers 15
Tage zugelassen und hatte eine Laufleistung von 412 km.
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Die Parteien streiten darüber, ob die Beschädigung an dem Fahrzeug erheblich ist und
eine Abrechung auf Neuwagenbasis rechtfertigt.
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Der Kläger hat seinen Schaden wie folgt berechnet:
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Kaufpreis 13.570,00 €
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abzüglich Restwert 8.000,00 €
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abzüglich gezahlter Nettoreparaturkosten 1.698,81 €
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abzüglich gezahlter Wertminderung 500,00 €
8
3.371,19 €
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zuzüglich Gutachterkosten 442,89 €
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3.814,08 €
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Das Amtsgericht hat der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens in
vollem Umfang stattgegeben. Es hat ausgeführt, nach dem Sachverständigengutachten
stehe fest, dass die Karosseriearbeiten im Heckbereich für einen Fachmann erkennbar
seien. Dem Kläger sei es nicht zuzumuten, sich mit dem Unfallfahrzeug zufrieden zu
geben.
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Mit der Berufung verfolgt die Beklagte die Abweisung der Klage. Sie vertritt die
Auffassung, es handele sich um eine unerhebliche Beschädigung, die durch
fachgerechte Reparatur vollständig behoben werden könne. Dass der Schaden für
einen Fachmann nach der Reparatur noch erkennbar sei, sei kein relevantes
Abgrenzungskriterium.
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Die Beklagte beantragt,
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das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom
3.5.2005, AZ.: 11 C 131/04, abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Amtsgericht hat dem Kläger zu Recht einen Schadensersatzanspruch in Höhe von
3.814,08 Euro aus § 3 Nr. 1 PflVG zugesprochen, da er berechtigt ist, den Schaden auf
Neuwagenbasis abzurechnen.
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Nach der Rechtsprechung des BGH
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(Urteil v. 4.3.1976 – VI ZR 14/75, Juris Nr. PRRE051490000;
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Urteil v. 3.11.1981 – VI ZR 234/80, VersR 1982, 163;
23
Urteil v. 29.3.1983 – VI ZR 157/81, VersR 1983, 658;
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Urteil v. 25.10.1983 – VI ZR 282/81, VersR 1984, 46)
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ist anerkannt, dass der Geschädigte bei der Beschädigung neuwertiger privat genutzter
Kraftfahrzeuge, die kurz nach der Anschaffung durch einen Unfall erheblich beschädigt
werden, auf Neuwagenbasis abrechnen kann, wenn es ihm nicht zuzumuten ist, das
Fahrzeug instand zu setzen und statt eines neuen ein repariertes Kraftfahrzeug zu
benutzen. Danach müssen in der Regel folgende drei Kriterien erfüllt sein:
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1. Fahrleistung unter 1.000 km,
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2. Zulassungszeit maximal 1 Monate,
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3. erhebliche Beschädigung.
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Die ersten beiden Kriterien sind unstreitig erfüllt. Hinsichtlich des dritten Kriteriums
bedarf es einer "erheblichen" Beschädigung, wobei die Einzelheiten in der
Rechtsprechung der Instanzgerichte streitig sind. Die Weiternutzung ist jedenfalls dann
zumutbar, wenn der Unfall nur Teile des Fahrzeugs betrifft, durch deren spurenlose
Auswechslung der frühere Zustand voll wiederhergestellt werden kann (BGH, Urteil v.
4.3.1976, a.a.O). Damit ist aber nicht gesagt, wann die Erheblichkeitsgrenze
überschritten ist. In der Entscheidung des BGH vom 3.11.1981 (a.a.O.) werden für
Fahrzeuge mit einer Laufleistung von 1.000 – 3.000 km drei Kriterien genannt. Danach
wird der frühere Zustand durch eine Reparatur auch annähernd nicht wiederhergestellt,
wenn
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1. sicherheitsrelevante Teile beschädigt worden sind und trotz Reparatur ein
Unsicherheitsfaktor bleibt, oder
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2. nach durchgeführter Reparatur erhebliche Schönheitsfehler am Pkw
zurückbleiben (verzogene und nicht mehr schließende Türen bzw. Kofferraum –
oder Motorhaubendeckel, sichtbare Schweißnähte, Verformungen bestimmter
Fahrzeugteile usw.) oder,
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3. eine Beschädigung stattgefunden hat, welche die Garantieansprüche des
Eigentümers zumindest beweismäßig gefährden kann, es sei denn, der
Haftpflichtversicherer erkennt alsbald nach dem Unfall seine Einstandpflicht für
diesen Fall verbindlich an.
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Die Instanzgerichte gehen von einer erheblichen Beschädigung in der Regel dann aus,
wenn die Reparatur nicht nur das Auswechseln von Blechteilen, sondern tragende Teile
betrifft, die durch Schweiß- und Richtarbeiten instandgesetzt werden (vgl.
Geigel/Rixecker, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., 3. Kapitel Rn. 18 m.w.N.).
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Nach Auffassung des OLG Zweibrücken (Urteil v. 21.4.1999 – 1 U 228/88, NZV 1989,
355 und Urteil vom 28.1.2004 – 1 U 136/03, Juris Nr. KORE558292004) kann der
Geschädigte beim Einschweißen des Rückwandbleches auch bei technisch
einwandfreier Reparatur auf Neuwagenbasis abrechnen. Nach Auffassung des OLG
Celle (Urteil v. 20.6.2002 – 14 U 209/01, Juris Nr. KORE434342002; Urteil v. 19.6.2003,
NJW-RR 2003, 1381) kann von einer erheblichen Beschädigung nur gesprochen
werden, wenn Karosserie und/oder Fahrwerk in wesentlichen Teilen wieder aufgebaut
werden müssen, und zwar auch bei Richtarbeiten geringen Umfangs und dem
Einschweißen von Abschlussblechen.
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Nach den Feststellungen des Sachverständigen Hillers lässt sich das
Heckabschlussblech wieder so einschweißen, dass keine Abweichungen zu einem
nicht reparierten Fahrzeug vorhanden und die Festigkeit der Karosserie nicht
beeinträchtigt wird. Die unfallbedingten Reparaturarbeiten können bei sorgfältigster
sach- und fachgerechter Reparatur in einem Karosseriebetrieb vollständig und
annähernd unerkennbar behoben werden. Ein Fachmann kann die Reparatur nur am
Aussehen des Dichtungskitts, an der Dicke der Lackschicht und gegebenenfalls einer
neu eingeschlagenen Ident-Nummer erkennen.
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Vor diesem Hintergrund geht die Kammer mit dem OLG Zweibrücken (a.a.O.) davon
aus, dass die Weiternutzung des reparierten Fahrzeugs für den Kläger unzumutbar ist,
da es sich um eine erhebliche Beschädigung handelt. Bei dem einzuschweißenden
Heckabschlussblech handelt es ich um ein tragendes Teil. Da nach den Ausführungen
des Sachverständigen nur bei sorgfältigster Reparatur von einer vollständigen
Behebung ausgegangen werden kann, verbleibt für den Kläger ein gewisser
Unsicherheitsfaktor, dass das Fahrzeug nicht wieder in den vom Hersteller gefertigten
Zustand versetzt wird. Denn im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung ist darauf
abzustellen, dass nur von einer durchschnittlich sorgfältigen Reparatur durch ein
Fachunternehmen auszugehen ist.
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Hinzu kommt, dass der Kläger in der Berufung unwidersprochen vorgetragen hat, dass
die Herstellergarantie aufgrund der Schweißarbeiten und des deshalb zu entfernenden
werksseitigen Korrosionsschutzes entfiele. Nach der Entscheidung des BGH vom
3.11.1981 (a.a.O.) für Fahrzeuge mit einer Laufleistung von 1.000 bis 3.000 Kilometer ist
die Erheblichkeitsgrenze unter anderem dann überschritten, wenn eine Beschädigung
stattgefunden hat, welche die Garantieansprüche des Eigentümers zumindest
beweismäßig gefährden kann, es sei denn, der Haftpflichtversicherer erkennt alsbald
nach dem Unfall seine Einstandpflicht für diesen Fall verbindlich an. Dieses vom BGH
aufgestellte Kriterium muss nach Auffassung der Kammer für Fahrzeuge mit einer
Laufleistung bis zu 1.000 Kilometer für die Prüfung der Überschreitung der
Erheblichkeitsgrenze erst recht gelten.
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Weiterhin kommen dem Vorhandensein des merkantilen Minderwertes in Höhe von
500,00 Euro und den nicht unerheblichen Reparaturkosten, die nach dem Vortrag der
Beklagten 1.698,81 Euro betragen und somit ca. 13 % des Neuanschaffungspreises
ausmachen, indizielle Bedeutung für die Erheblichkeit der Beschädigung zu.
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Danach stellt die Reparatur des Fahrzeugs unter Berücksichtigung eines merkantilen
Minderwertes keine dem § 249 BGB entsprechende Wiederherstellung des
ursprünglichen Zustandes dar. Der Kläger kann deshalb den für die Anschaffung eines
Neufahrzeugs erforderlichen Betrag verlangen, wobei die Schadensberechnung
zwischen den Parteien unstreitig ist. Die Frage der Erstattungsfähigkeit der
Gutachtenkosten in Höhe von 442,89 Euro hat die Beklagte mit der Berufung nicht mehr
angegriffen.
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Soweit teilweise die Auffassung vertreten wird, dass eine Abrechnung auf
Neuwagenbasis nur dann in Betracht kommt, wenn der Geschädigte ein fabrikneues
Ersatzfahrzeug gekauft hat (vgl. Eggert, DAR 1997, 129, 136), so kann die Kammer dem
nicht folgen. Bejaht man grundsätzlich eine Abrechnung auf Neuwagenbasis, weil nur
ein Neuerwerb alle vermögenswerten Nachteile ausgleichen kann, so gilt es, eine
tatsächliche Differenz in der Vermögensbilanz wieder gutzumachen. Wie der
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Geschädigte dann mit deren Geldwert verfährt, ist aber nach der Konzeption des § 249
Abs. 2 S. 1 BGB ihm allein überlassen (Geigel/Rixecker, Der Haftpflichtprozess, 24.
Auflage, Kap. 4 Rn. 20).
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1 S. 1, 288 Abs. 1 BGB.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711,
713 ZPO.
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Die Revision wird nicht zugelassen. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung.
Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist weder zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung noch zur Fortbildung des Rechts erforderlich.
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