Urteil des LG Mönchengladbach vom 10.01.1997

LG Mönchengladbach (bewegliche sache, allgemeine geschäftsbedingungen, anlage, dauer, benachteiligung, zeitpunkt, bindung, mietzins, klausel, inhalt)

Landgericht Mönchengladbach, 2 S 216/96
Datum:
10.01.1997
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 S 216/96
Vorinstanz:
Amtsgericht Viersen, 17 C 963/95
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 15. April 1996 verkündete
Urteil des Amtsgerichts Viersen - Aktenzeichen: 17 C 963/95 - wie folgt
abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Entscheidungsgründe:
1
Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.
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Die Klage ist unbegründet.
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Der Beklagte ist nicht verpflichtet, an die Klägerin den für die Zeit ab 1. Juli 1993 geltend
gemachten Mietzins zu zahlen, nachdem er den über eine
Fernsprechnebenstellenanlage - eine bewegliche Sache also - geschlossenen
Mietvertrag mit Schreiben vom 7. Juni 1993 (Bl. 21 GA) zum 30. Juni 1993 rechtzeitig
gemäß. § 565 Abs. 4 Nr. 2 BGB gekündigt hat. Nach dieser Vorschrift ist bei einem
Mietverhältnis über bewegliche Sachen die Kündigung spätestens am 3. Tag vor dem
Tag, mit dessen Ablauf das Mietverhältnis endigen soll, zulässig, wenn der Mietzins
nach längeren Zeitabschnitten als nach Tagen bemessen ist. Im vorliegenden Fall war
der Mietzins nach Monaten bemessen.
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Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf die vereinbarte Vertragslaufzeit von 10
Jahren gemäß Ziffer 3. des Mietvertrages vom 3./4. Juli 1990 in Verbindung mit der zum
gleichen Zeitpunkt geschlossenen Zusatzvereinbarung berufen, weil die Klausel wegen
unangemessener Benachteiligung des Beklagten unwirksam im Sinne des § 9 Abs. 1
Abs. 2 Nr. 2 AGBG ist.
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Die Vereinbarung der 10-jährigen Vertragslaufzeit stellt ungeachtet dessen eine
allgemeine Geschäftsbedingung und nicht eine Individualvereinbarung dar, daß die in
Ziffer 3. des Mietvertrages vorformulierte Klausel - "Die Vertragslaufzeit erstreckt sich auf
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das bei der Betriebsbereitschaft der Anlage laufende Jahr und anschließende 10
Kalenderjahre (Mindestvertragsdauer)" - in der handschriftlichen, vom Beklagten
unterschriebenen Zusatzvereinbarung hinsichtlich des Beginns der 10-jährigen
Vertragslauf zeit in der Weise modifiziert worden ist, daß die Mietberechnung erst 14
Monate nach Betriebsbereitschaft beginnen und die Vertragslaufzeit sich über das bei
der ersten Mietberechnung laufende Jahr und anschließende 10 Kalenderjahre
erstrecken sollte.
Denn an der von der Klägerin in Ziffer 3. ihrer als allgemeine Geschäftsbedingungen
anzusehenden Vertragsbedingungen vorformulierten Vertraglaufzeit änderte sich durch
die Zusatzvereinbarung nichts. Lediglich der Beginn der dann geltenden 10-jährigen
Vertragslaufzeit ist in der Weise hinausgeschoben worden, daß dem Beklagten -
sozusagen der 10-jährigen Vertragslauf zeit vorgeschaltet - ein 14-monatiger Zeitraum
in Form eines Rabatts oder Bonus zugestanden wurde, in dem ihm noch keine Miete
seitens der Klägerin berechnet werden sollte. Die den Beklagten in seinen
betriebswirtschaftlichen Entscheidungen erheblich einschränkende Dauer der
Vertragslaufzeit war durch die Modifizierung als solche nicht betroffen. Der auf einem
Formular der Klägerin befindliche Wortlaut der Zusatzvereinbarung wiederholte im
übrigen lediglich den der Ziffer 3. der Vertragsbedingungen der Klägerin. Das
Hinausschieben des Beginns der Vertragslaufzeit berührte nicht nur nicht deren Dauer
als solche, sondern führte im Ergebnis sogar dazu, daß diese sich um ein volles Jahr
verlängerte. Nach dem Wortlaut der Ziffer 3. der Vertragsbedingungen der Klägerin hätte
die Vertragslaufzeit mit der für den Monat Juli 1990 anzunehmenden
Betriebsbereitschaft begonnen und dementsprechend zum Ablauf des Jahres. 2000
geendet. Nach der Zusatzvereinbarung verschob sich das Ende der Vertragslaufzeit um
ein weiteres Jahr bis zum Ablauf des Jahres 2001.
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Weder ist hierzu etwas vorgetragen, noch liegen irgendwelche Anhaltspunkte dafür vor,
daß die Parteien die Dauer der bereits in den. vorformulierten Vertragsbedingungen der
Klägerin festgelegten 10-jährigen Vertragslaufzeit als solche ausgehandelt hätten. Es
deutet vielmehr alles darauf hin, daß die Klägerin dem Beklagten ihre vorformulierten
Vertragsbedingungen gestellt hätte. Von einer Individualvereinbarung kann aber nur
dann ausgegangen werden, wenn deren Inhalt in dem Sinne ausgehandelt worden ist,
daß die allgemeine Geschäftsbedingung inhaltlich ernsthaft zur Disposition gestellt und
dem anderen Teil - hier dem Beklagten - Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener
Interessen eingeräumt worden ist, er also die reale Möglichkeit erhalten hat, den Inhalt
der Vertragsbedingungen zu beeinflussen (vgl. hierzu Palandt-Heinrichs, BGB, 55. Aufl.,
§ 1 AGBG Rdnr. 18). Hiervon kann weder im Hinblick auf den Wortlaut noch den Inhalt
der Zusatzvereinbarung ausgegangen werden, die ja lediglich die in den
Vertragsbedingungen der, Klägerin vorformulierte Vertragslaufzeit von 10
Kalenderjahren wiederholt und lediglich deren Beginn hinausschiebt, was de facto zu
einer Verlängerung der ursprünglich mit 10 1/2 Jahre anzusetzenden Vertragslaufzeit
auf 11 1/2 Jahre führte. Hierbei ist weiter zu berücksichtigen, daß das Mietobjekt eine
kommunikationstechnische Anlage darstellte, die bei der Schnelligkeit der technischen
Entwicklung auf diesem Gebiet sich schon in relativ kurzer Zeit als veraltet und mit dem
technischen Fortschritt nicht schritthaltend herausstellen würde. Trotz der scheinbaren
Besserstellung des Beklagten durch die Zusatzvereinbarung verstärkte diese im
Ergebnis noch die ohnehin schon sehr beträchtliche Dauer von dessen Bindung.
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Diese Überlegungen bestätigen auch die unangemessene Benachteiligung des
Beklagten im Sinne des § 9 AGBG durch seine langfristige Bindung an den Vertrag.
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Soweit der Bundesgerichtshof in seinem grundlegenden Urteil vom 13. Februar 1985 -
VIII ZR 154/84 (Köln) - (BGH in NJW 1985, 2328 ff) die formularmäßige Vereinbarung
der 10-jährigen Laufzeit eines zwischen Kaufleuten (wie hier) geschlossenen
Mietvertrages über eine Fernsprechnebenstellenanlage als nicht gegen § 9 AGBG
verstoßend angesehen hat und in seinem aus jüngerer Zeit stammenden Urteil vom 10.
Februar 1993 - XII ZR 74/91-(Koblenz) . BGH in NJW 1993, 1133 ff) die in einem
formularmäßigen "Anschließungsvertrag für Breitbandkabelanschlüsse" an das
Rundfunk- und Fernsehnetz enthaltene Klausel "dieser Vertrag wird über eine
Mindestdauer von 144 Monaten abgeschlossen" als den Anschlußnehmer nicht
unangemessen im Sinne von § 9 AGBG benachteiligend angesehen hat, folgt die
Kammer diesen Urteilen nicht.
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Zwar sind eingegangene Verträge, und zwar auch längerfristige, grundsätzlich
einzuhalten. Weiter trägt ein Mieter das Risiko der Verwendung der Mietsache während
der Dauer der vertraglich vereinbarten Laufzeit. Dies kann aber nicht uneingeschränkt
gelten, sondern muß auch der Art des Mietgegenstandes Rechnung tragen.
Dementsprechend können für die Miete von unbeweglichen und beweglichen Sachen
unterschiedliche Gesichtspunkte insbesondere dann gelten, wenn es sich bei dem
Mietgegenstand - wie im vorliegenden Fall - um eine technische Anlage handelt, die
einer ständigen und gerade auf dem Telekommunikationssektor rasanten technischen
Entwicklung unterliegt, die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht voraussehbar ist.
Auch wenn der Mieter einer derartigen technischen Anlage keinen einklagbaren
Anspruch darauf haben dürfte, daß die ihm im Zeitpunkt des Vertragsschlusses als auf
dem neuesten technischen Stand befindlich vermietete - Anlage in den Folgejahren
auch jeweils dem neuesten technischen Stand angepaßt wird, ist eine erhebliche --
Benachteiligung des Mieters einer derartigen Anlage darin zu sehen, daß er über einen
Zeitraum von mindestens 10 Jahren - nach der Vertragsgestaltung der Klägerin sogar
länger - nicht, oder jedenfalls nicht ohne erhebliche Mehrkosten, in der Lage ist, eine
den neueren technischen Möglichkeiten oder sogar Notwendigkeiten entsprechende
Anlage zu erhalten sondern vielmehr sich während der Dauer der Vertragslaufzeit mit
einer immer mehr veralternden Anlage begnügen muß, ohne die Möglichkeit zu haben,
sich von der langfristigen Vertragsbindung zu lösen. Unter diesen Aspekten folgt die
Kammer der in dem Aufsatz "Langfristige Laufzeitklauseln in vorformulierten Verträgen
über technische Anlagen" von Loewe (NJW 1995) vertretenen Ansicht, wonach eine 10-
Jahres-Bindung über technische Anlagen entgegen der früheren BGH-Rechtsprechung
als unwirksam im Sinne des § 9 AGBG anzusehen ist, weil sie die technische
Entwicklung und den Preisverfall, der inzwischen offensichtlich ist und im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses 1990 bereits voraussehbar war, nicht berücksichtigt. Denn es kann
weiter nicht außer acht gelassen werden, daß gerade auf dem Fernmeldesektor die
Preise sich eher nach unten entwickelt haben, weshalb auch das Argument der Klägerin
und vergleichbarer Firmen, eine langjährige Vertragsbindung sei mit Rücksicht auf die
hohen Investitionskosten erforderlich, nicht mehr tragfähig ist. Weiter kann auch nicht
außer acht gelassen werden, daß der Bundesgerichtshof in seinem Urteil aus dem
Jahre 1985 eine 10-jährige .Vertragslaufzeit für Fernsprechnebenstellenanlagen auch
deshalb nicht als unbillige Benachteiligung des Kunden angesehen hat, weil § 22 .Abs.
2 Nr. 2 der Fernmeldeordnung für posteigene Nebenstellenanlagen eine
Mindestüberlassungsdauer von 10 Jahren vorsah. Diese Fernmeldeordnung ist aber
seit 1989 entfallen, und durch das Poststrukturgesetz vom 8. Juni 1989 ersetzt worden,
das eine vergleichsweise Regelung nicht mehr enthält.
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Zwar hat der Bundesgerichtshof in seinem neueren Urteil vom 10. Februar 1993 in NJW
1993, 1133 ff. in der Weise auf sein früheres zu Fernsprechnebenstellenanlagen
ergangenes Urteil aus dem Jahre 1985 Bezug genommen, daß es die dort vertretene
Auffassung, daß eine 10-jährige Bindung des Kunden nicht als unangemessene
Benachteiligung angesehen werden könne, nicht nur für den kaufmännischen Verkehr
sondern auch für den nicht kaufmännischen Verkehr gelten müsse. Der
Bundesgerichtshof hat in seiner neueren Entscheidung aber nicht eindeutig erkennen
lassen, daß er speziell zu Fernsprechnebenstellenanlagen seine frühere Ansicht
aufrechterhalten würde und brauchte dies auch nicht, weil in dem dem Urteil vom 10.
Februar 1993 zugrundeliegenden Fall es um einen Anschließungsvertrag für
Breitbandkabelanschlüsse ging, die erheblich höhere Investitionen erfordern als
Fernsprechnebenstellenanlagen und bei denen deshalb die Kalkulierbarkeit der
Investitionskosten eine erheblich größere Rolle spielt als bei
Fernsprechnebenstellenanlagen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
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Streitwert für die Berufung: 2.655,10
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Diez-Holz Kluge Bößem
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