Urteil des LG Mönchengladbach vom 19.05.2008

LG Mönchengladbach: anspruch auf rechtliches gehör, faires verfahren, diagnose, verkündung, unparteilichkeit, befangenheit, druck, anforderung, qualifikation, voreingenommenheit

Landgericht Mönchengladbach, 5 T 429/07
Datum:
19.05.2008
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
Einzelrichter
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 T 429/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Mönchengladbach, 5 T 429/07
Tenor:
Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass das
gegen Richter X gerichtete Ablehnungsgesuch des Beklagten für
gerechtfertigt erklärt wird.
G r ü n d e :
Sache Erfolg.
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Wegen Besorgnis der Befangenheit kann ein Richter nach § 42 Abs. 2 ZPO abgelehnt
werden, wenn ein objektiver Grund gegeben ist, der aus der Sicht einer ruhig und
vernünftig denkenden Partei die Befürchtung erwecken könnte, der Richter stehe der
Sache nicht unparteiisch gegenüber. Nicht erforderlich ist, dass der abgelehnte Richter
tatsächlich befangen ist oder sich für befangen hält. Entscheidend ist allein, dass durch
sein Verhalten bei der ablehnenden Partei begründete Zweifel an der Unparteilichkeit
auftreten können (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 42 Rn. 9 m.w.N.).
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Nach diesen Grundsätzen ist die Besorgnis der Befangenheit im vorliegenden Fall zu
bejahen.
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Ob bereits die Fortführung des Verhandlungstermins am 3. August 2007 und der damit
einhergehende Verstoß gegen die Wartepflicht des § 47 Abs. 1 ZPO (abzustellen ist
insoweit auf den Eingang des Befangenheitsgesuchs und nicht auf die
Kenntniserlangung des Richters) das Ablehnungsgesuch rechtfertigt, kann dahingestellt
bleiben (vgl. dazu Zöller/Vollkommer, a.a.O., Rn. 24). Der abgelehnte Richter hat
jedenfalls durch sein vorheriges Verhalten berechtigtes Misstrauen des Beklagten
gegen seine Unparteilichkeit geweckt, in dem er trotz Vorlage des privatärztlichen
Attests vom 23. April 2007 den Beweisaufnahmetermin am 3. August 2007 durchgeführt
und anschließend Termin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt hat. In diesem
Vorgehen liegt ein schwerer Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör und auf
ein faires Verfahren.
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Der Beklagten-Vertreter hat in der Sitzung vom 2. Mai 2007 ein Attest des Hausarztes
des Beklagten, der praktischer Arzt ist, vom 23. April 2007 vorgelegt, das folgenden
Wortlaut hat: "Der Pat. leidet an KHK mit Blutdruckkrisen bei Z. n. Bypass-OP. Der Pat.
kann an einer Gerichtsverhandlung wegen der hohen gesund. Risiken nicht
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teilnehmen." Es gibt keine objektiven Anhaltspunkte, dass es sich bei diesem Attest
lediglich um eine Gefälligkeitsbescheinigung handelt, wie der abgelehnte Richter ganz
offensichtlich annimmt. Denn das Attest ist aussagekräftig, da es eine Diagnose enthält.
Dass es insoweit nicht von einem Facharzt stammt, spielt keine Rolle, da der das Attest
ausstellende praktische Arzt eine solche Diagnose – sei es aufgrund eigener fachlicher
Qualifikation oder (ohne dies im Attest kenntlich gemacht zu haben) unter Hinzuziehung
fachärztlichen Rates – abgeben kann. Es mag zwar noch vertretbar sein, vom Beklagten
eine amtsärztliche Untersuchung zu verlangen (vgl. dazu OLG Nürnberg, Beschluss
vom 2. Oktober 1998 – 1 W 2005/98 – Juris). Nachdem eine amtsärztliche Untersuchung
allerdings aus Gründen, die der Beklagte nicht zu vertreten hat, scheiterte, hätte der
abgelehnte Richter sich nicht einfach über das Attest vom 23. April 2007 hinwegsetzen
dürfen, in dem er den Beschluss vom 26. Juni 2007 erließ. Dort bringt er
unmissverständlich zum Ausdruck, dass er im Falle des Ausbleibens des Beklagten im
anberaumten Beweistermin vom 17. August 2007, der dann auf den 3. August 2007
vorverlegt wurde, die Folgen des § 454 ZPO dergestalt unterstellen würde, dass sein
Ausbleiben als nicht genügend entschuldigt angesehen wird. Darüber hinaus wird
Druck auf den Beklagten dergestalt ausgeübt, dass er aufgefordert wird, für ein
kardiologisches Gutachten einen Auslagenvorschuss in Höhe von 800,00 €
einzuzahlen. Für die Anforderung eines solchen Auslagenvorschusses besteht
allerdings keine gesetzliche Verpflichtung. Zwar muss die Partei ihr Ausbleiben im
Rahmen von § 454 ZPO entschuldigten, also beispielsweise aussagekräftige Atteste
über eine Verhandlungsunfähigkeit beibringen. Das bedeutet jedoch lediglich, dass die
Partei aufgefordert werden kann, weitere Nachweise (fachärztliche Atteste etc.)
beizubringen. Für einen Kostenvorschuss zur Einholung eines
Sachverständigengutachtens über die Verhandlungsfähigkeit besteht hingegen keine
Handhabe. Der abgelehnte Richter hat die Beweisaufnahme am 3. August 2007 sodann
in Abwesenheit des Beklagten trotz nachgewiesener Verhandlungsunfähigkeit
durchgeführt und Termin zur Verkündung einer Entscheidung bestimmt. Dieses
Vorgehen des abgelehnten Richters entbehrt einer ausreichenden gesetzlichen
Grundlage, verletzt den Beklagten in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör und
verstößt gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens, so dass sich für den Beklagten
der Eindruck einer sachwidrigen auf Voreingenommenheit beruhenden Benachteiligung
aufdrängt.
Das Ablehnungsrecht des Beklagten ist nicht gemäß § 43 ZPO ausgeschlossen, weil
sein Rechtsanwalt in der – entgegen § 47 Abs. 1 ZPO durchgeführten – Sitzung vom
3. August 2007 zur Sache verhandelt hat. Das Ablehnungsgesuch ist vor der Sitzung bei
Gericht eingegangen. Es ist nicht erforderlich, dass sich die Partei noch zusätzlich der
Antragstellung und Verhandlung verweigern muss, um ihr Ablehnungsrecht nicht zu
verlieren (Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 43 Rn. 6).
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst.
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Beschwerdewert: 1.520,53 € (Wert der Hauptsache).
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