Urteil des LG Marburg vom 10.05.2007

LG Marburg: firma, nötigung, behinderung, versetzung, gewerkschaft, gespräch, geldstrafe, betriebsrat, strafantrag, strafbarkeit

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Gericht:
LG Marburg 2.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Ns 2 Js 18719/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 22 Abs 2 StGB, § 23 StGB, §
25 Abs 2 StGB, § 49 Abs 1
StGB, § 240 Abs 1 StGB
Strafbarkeit der Behinderung einer Betriebsratswahl:
Nötigung durch Erzwingung eines Änderungsvertrages zur
Verhinderung einer Betriebsratswahl; Strafmilderung trotz
Taterfolg
Tenor
Auf die Berufung wird das Urteil des Amtsgerichts Marburg bzgl. des
Schuldspruches abgeändert. Die Angeklagten werden auch wegen Verstoßes
gegen das Betriebsverfassungsgesetz verurteilt.
Die Berufung wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Zahl der Tagessätze
bzgl. des Angeklagten ... auf 90 Tagessätze, bzgl. des Angeklagten ... auf 80
Tagessätze und bzgl. der Angeklagten ... auf 85 Tagessätze herabgesetzt wird.
Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen der Angeklagten fallen zu ½ den Angeklagten und zu ½ der
Staatskasse zur Last.
Zusätzliche Strafvorschrift: § 119 I BetrVerfG.
Gründe
Die Angeklagten wurden durch das Amtsgericht Marburg im Urteil vom 11.12.2006
wegen Nötigung zu Geldstrafen verurteilt. Der Angeklagte wurde wegen
gemeinschaftlicher Nötigung sowie wegen versuchter Nötigung zu einer
Gesamtgeldstrafe von 130 Tagessätzen zu je 50,00 Euro, der Angeklagte ... wegen
versuchter gemeinschaftlicher Nötigung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen
zu je 60,00 Euro und die Angeklagte ... wegen versuchter gemeinschaftlicher
Nötigung und gemeinschaftlicher Nötigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 110
Tagessätzen zu je 50,00 Euro verurteilt. Sämtliche Angeklagte haben gegen
dieses Urteil Berufung eingelegt, die zum Teil, wie aus dem Tenor ersichtlich,
erfolgreich war.
Die Angeklagten haben im Termin zur mündlichen Verhandlung in der
Berufungsinstanz die Feststellungen des Amtsgerichts zu ihren persönlichen
Verhältnissen und zu dem festgestellten Sachverhalt bestätigt. Das Amtsgericht
hat dazu ausgeführt:
I.
Der heute 42 Jahre alte Angeklagte ... ist verheiratet. Er arbeitet seit März 2000 als
Einzelhandelskaufmann bei der Firma ..., wobei er monatlich ca. 2.100,–Euro netto
verdient. Hinzu kommt Kindergeld für seine beiden Kinder im Alter von 15 und 16
Jahren. Seine Ehefrau ist freiberuflich als Handelsvertreterin tätig.
Strafrechtlich ist der Angeklagte ... bislang nicht in Erscheinung getreten.
Der heute 48 Jahre alte Angeklagte ... ist ebenfalls verheiratet. Er ist seit dem
01.09.1989 bei der Firma ... als Verkaufsleiter tätig. Er verdient monatlich ca.
2.300,– Euro netto. Seine Ehefrau verdient als Teilzeitbeschäftigte bei der Firma ...
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2.300,– Euro netto. Seine Ehefrau verdient als Teilzeitbeschäftigte bei der Firma ...
ca. 700,– Euro. Im gemeinsamen Haushalt leben zwei Kinder im Alter von 16 und
14 Jahren.
Auch der Angeklagte ... ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
Die heute 50 Jahre alte Angeklagte ... ist seit dem 01.09.2001 bei der Firma ...
beschäftigt. Sie ist derzeit Bezirksleiterin mit einem monatlichen Nettoverdienst
von ca. 1.600,– Euro. Ihr Ehemann erzielt ungefähr das gleiche Einkommen.
Unterhaltsverpflichtungen bestehen nicht mehr.
Auch die Angeklagte ... ist bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.
II.
Die Hauptverhandlung hat zu folgenden Feststellungen geführt:
Am 27.09.2005 stellte der Gesamtbetriebsrat der Firma ... für den Bezirk ... einen
Wahlvorstand nach § 17 des Betriebsverfassungsgesetzes. Der Wahlbezirk ...
umfasst im Wesentlichen die Region des Landkreises Marburg-Biedenkopf. Zu
Wahlvorstandsmitgliedern wurden die in den – innerhalb des Wahlbezirkes
gelegenen – Filialen Dreihausen, Kirchhain und Marburg beschäftigten ... und ...
bestellt.
Am 30.09.2005 suchten daraufhin die Angeklagten ... und ... die Geschädigte ... in
der von ihr geführten Verkaufsfiliale in Kirchhain auf. Nachdem sie zunächst mit ihr
über die Führung der Filiale, unter anderem Beanstandungen hinsichtlich der
Pausenpläne, gesprochen hatten, wurden die Angeklagten von der Zeugin ...
gefragt, ob der Besuch und die Beanstandungen etwas mit der von ihr
beabsichtigten Teilnahme an den Betriebsratswahlen zu tun hätten. Nachdem dies
die Angeklagten zunächst verneinten, teilten sie der Zeugin jedoch im Verlaufe
des Gespräches mit, dass ihre Mitwirkung an den bevorstehenden
Betriebsratswahlen nicht erwünscht sei und forderten sie auf, "so etwas" zu
unterlassen. Andernfalls könnten ihr Unannehmlichkeiten wie Versetzung oder
"Verlassen der Firma" drohen, weil eine Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat
nicht möglich und nicht erwünscht sei. Als die Zeugin ... nicht weiter auf das
Gespräch einging und das Büro verlassen wollte, wurde ihr von den Angeklagten
gesagt, es gäbe "Mittel und Wege, dies zu verhindern". Die Zeugin ... reagierte
jedoch nicht auf die Drohungen.
Am 07.10.2005 wurde die Geschädigte ... zu einem weiteren Gespräch mit den
Angeklagten ... und ... im Büro der von ihr geleiteten Filiale in Kirchhain gebeten.
Dabei verlangten die beiden Angeklagten von der Zeugin ... einen
Änderungsvertrag zu unterzeichnen, mit dem ihre Versetzung an eine andere –
außerhalb des Wahlbezirkes gelegene – Verkaufsfiliale nach Neustadt bewirkt
wurde. Auf die Frage der Zeugin ..., ob dies mit ihrer Tätigkeit für den Betriebsrat
zu tun habe, verneinten dies die Angeklagten und gaben als Grund für die
Versetzung gesundheitliche Probleme der bisherigen Neustädter Filialleiterin ... an,
welche die Zweigstelle in Kirchhain übernehmen solle. In Wahrheit kam es ihnen
jedoch darauf an, durch Entfernung der Geschädigten aus dem Wahlbezirk ...
deren Engagement bei der Bildung eines Betriebsrates zu verhindern. Als die
Geschädigte, welche in der Vergangenheit zwar ihr Interesse an der Leitung einer
größeren Filiale wie in Neustadt bekundet hatte, an der Filiale in Neustadt jedoch
nicht interessiert war, mit der Unterzeichnung des Vertrages zögerte, sagten die
Angeklagten zu ihr, dass sie an ihren Arbeitsplatz denken solle. Ansonsten müsse
man sich "was anderes einfallen lassen" und man könne ihr Arbeitsverweigerung
nachsagen. Unter dem Druck dieser Äußerungen unterschrieb die Zeugin ...
sodann den Änderungsvertrag, widerrief ihre Zustimmung aber am nächsten Tag.
Gleichwohl – eine Reaktion auf ihren Widerspruch erhielt sie nicht – trat die Zeugin
ihre Arbeitsstelle in Neustadt am 17.10.2005 an.
Am 04.11.2005 suchte der Angeklagte ... die Geschädigte ... die sich wie oben
dargestellt ebenfalls bei der Bildung des Betriebsrates engagierte, in der von
dieser geleiteten Verkaufsstelle in Ebsdorfergrund-Dreihausen auf. Nachdem sich
das Gespräch zunächst um Beanstandungen bei der Filialführung drehte, fragte
der Angeklagte ... die Geschädigte ..., warum sie vorhabe einen Betriebsrat zu
gründen. Auf deren Versuche, ihm die Beweggründe zu schildern, teilte der
Angeklagte ... der Zeugin mit, dass Betriebsräte bei der Firma ... grundsätzlich
nicht erwünscht seien, da sie nur Kosten verursachen und gegen die Firma
arbeiten würden. Auf die Erwiderung der Zeugin, dass man nicht vorhabe, gegen
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arbeiten würden. Auf die Erwiderung der Zeugin, dass man nicht vorhabe, gegen
die Firma ... zu arbeiten, sagte der Angeklagte, dass nach seinem Dafürhalten
Mitarbeiter des Betriebsrates von der Gewerkschaft "Gehirnwäsche" bekommen
würden. Als die Zeugin weiterhin nicht von ihrem Vorhaben abrückte, forderte der
Angeklagte ... sie auf, die Firma im beiderseitigen Einverständnis freiwillig zu
verlassen, wobei er ihr eine Abfindung und ein gutes Zeugnis in Aussicht stellte.
Ansonsten müsse sie mit "verstärkten Kontrollen" rechnen, bei denen man z. B.
abgelaufene Ware oder andere Mängel entdecken würde. Dies würde sofort zu
einer Abmahnung führen. Sie wisse ja, dass man sie nach drei Abmahnungen
ohne Abfindung und ohne gutes Zeugnis entlassen werden könne. Bei der Firma ...
zu bleiben könne er ihr nicht empfehlen. Weiterhin gab der Angeklagte ...
gegenüber der Zeugin zu, dass die Versetzung der Geschädigten ... nach
Neustadt nur erfolgt war, um die Betriebsratsgründung zu verhindern. Die Zeugin
... weigerte sich jedoch, die Firma zu verlassen.
In der Folge wandten sich die Geschädigten ... und ... an die Gewerkschaft ver.di,
welche mit Schreiben vom 07.12.2005 gegenüber der Firma ... das Verhalten der
Angeklagten als Behinderung der Betriebsratswahl rügten und am 22.12.2005
gegen die Angeklagten Strafanzeige erstatteten. Beide Geschädigten erhoben vor
dem Arbeitsgericht Marburg gegen die Firma ... Klage, welche sie jedoch nach
einer folgenden außergerichtlichen Einigung – einvernehmliche Auflösung der
Arbeitsverhältnisse gegen Abfindungen und Rücknahme des Strafantrages –
zurücknahmen.
Ergänzend ist festzustellen, dass der ursprünglich von der Gewerkschaft Verdi
gestellte Strafantrag aufgrund der arbeitsgerichtlichen Vereinbarung von einem
unzuständigen Mitarbeiter der Gewerkschaft Verdi zurückgenommen wurde und
damit keine wirksame Rücknahme des Strafantrages möglich war.
Dieser Sachverhalt ergibt zur Überzeugung des Gerichts aus den Einlassungen der
Angeklagten. Diese decken sich mit dem Ergebnis der erstinstanzlichen
Beweisaufnahme.
Der Angeklagte ... hat sich damit der gemeinschaftlichen Nötigung sowie der
versuchten Nötigung gemäß den § 240 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, 22, 23, 25 StGB
schuldig gemacht. Darüber hinaus hat er sich strafbar gemacht gemäß § 119 Abs.
1 Ziffer 1 Betriebsverfassungsgesetz, da er die Wahl eines Betriebsrats behindert
hat. Der erforderliche Strafantrag ist gestellt.
Der Angeklagte ... hat sich wegen versuchter gemeinschaftliche Nötigung gemäß
den §§ 240 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, 22, 23, 25 Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
Ebenso hat er sich wegen Behinderung der Wahl eines Betriebsrats gemäß § 119
Betriebsverfassungsgesetz strafbar gemacht. Gleiches gilt für die Angeklagte ...
die darüber hinaus der versuchten gemeinschaftlichen Nötigung und der
gemeinschaftlichen Nötigung gemäß der §§ 240 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, 22, 23, 25
Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
Bezüglich der Strafzumessung ist zum einen auf die Ausführungen des
Amtsgerichts zu verweisen und ergänzend festzustellen, dass die Angeklagten
jetzt in der Berufungsinstanz den vorgeworfenen Sachverhalt anders als in der
ersten Instanz eingestanden haben. Dies wirkt sich strafmildernd aus.
Hinsicht des Angeklagten ... erschien für die Taten vom 07.10.2005 und
04.11.2005 Einsatzstrafen von 60 und 70 Tagessätzen schuld- und
tatangemessen. Daraus war eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu bilden.
Hinsichtlich des Angeklagten ... erschien unter Abwägung der genannten
Gesichtspunkte eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen als tat- und
schuldangemessen. Hinsichtlich der Angeklagte ... erschien für die Taten vom
30.09.2005 und 07.10.2005 Geldstrafe von 50 und 60 Tagessätzen als schuld- und
tatangemessen, aus denen eine Gesamtgeldstrafe von 85 Tagessätzen zu bilden
war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.