Urteil des LG Mannheim vom 08.01.2016

stand der technik, treu und glauben, dvd, klage auf unterlassung

LG Mannheim Urteil vom 8.1.2016, 7 O 96/14
Leitsätze
1. Der Klage auf Unterlassung und Rückruf sowie Entfernung aus den Vertriebswegen
aus einem standardessentiellen Patent steht jedenfalls in Übergangsfällen, in denen
die Klage vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes in Sachen Huawei
Technologies ./. ZTE (Urteil vom 16. Juli 2015 - C-170/13, ECLI:EU:C:2015:477 idF
des Berichtigungsbeschlusses vom 15. Dezember 2015, ECLI:EU:C:2015:817),
erhoben wurde, nicht entgegen, dass die Klägerseite ihre Obliegenheiten nicht bereits
vor, sondern erst mit der Klageerhebung oder danach erfüllt hat.
2. Auch wenn der vollständige Text des Standards nur gegen eine Schutzgebühr von
10.000 US-$ erhältlich wäre, ist es einem weltweit tätigen Technologieunternehmen,
das sich nicht mit in den ihm überlassenen Claim-Charts enthaltenen Auszügen aus
dem Standard zufrieden geben will, zuzumuten, diesen Betrag aufzuwenden, um die
Verletzungsfrage eigenverantwortlich prüfen zu können.
3. Reagiert der (angebliche) Patentverletzer, der die angegriffenen
Ausführungsformen auch in anderen Schutzstaaten des Klagepatents und der
Europäischen Union vertreibt, auf ein Lizenzangebot des Patentinhabers, das eine
weltweite Portfoliolizenz zum Gegenstand hat, nur mit einem auf Deutschland und das
Klagepatent beschränkten Gegenangebot, so entspricht dies nicht den üblichen
Gepflogenheiten und kann daher nicht als FRAND-gemäß angesehen werden.
4. Es gibt keinen Grundsatz, dass der Patentinhaber im Falle von patentverletzenden
Komponenten einer Vorrichtung ausschließlich (oder zuerst) gegen den Hersteller
dieser Komponenten (und nicht gegen den Vertreiber der Gesamtvorrichtung)
vorzugehen habe.
5. Selbst wenn die Standardisierung und/oder die Einbringung der Lehre des
Klagepatents in den Standard gegen Art. 101 AEUV verstieße, würde dies nicht einer
Durchsetzung der Ansprüche auf Unterlassung, Rückruf und Entfernung aus den
Vertriebswegen entgegenstehen.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der
Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000
- ersatzweise Ordnungshaft - oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Falle
wiederholter Zuwiderhandlungen bis zu insgesamt zwei Jahren, wobei die
Ordnungshaft an ihren jeweiligen Geschäftsführern zu vollstrecken ist, zu unterlassen,
Informationswiedergabevorrichtungen zum Wiedergeben von
Informationen von einem Aufzeichnungsmedium, umfassend:
substanzielle Informationen; Steuerinformationen zum Steuern der
Wiedergabe der substanziellen Informationen als eine erste
Datengruppe, und Managementinformationen zum Verwalten der
Wiedergabe von mehreren ersten Datengruppen; wobei die
Managementinformationen mehrere erste
Operationsverbotsinformationen enthalten, die jeweils anzeigen, ob
eine bestimmte Operation durch die Wiedergabevorrichtung als
Reaktion auf eine Benutzeroperation verboten ist, wenn die durch
die Managementinformationen zu verwaltende erste Datengruppe
wiedergegeben wird, und die mehreren ersten
Operationsverbotsinformationen so ausgebildet sind, dass jeder der
mehreren ersten Operationsverbotsinformationen eine Länge von 1
Bit aufweist und einer anderen Bit-Position entsprechend der
vorbestimmten Operation zugewiesen ist, wobei die
Steuerinformationen mehrere zweite
Operationsverbotsinformationen enthalten, die jeweils anzeigen, ob
eine vorbestimmte Operation durch die Wiedergabevorrichtung als
Reaktion auf eine Benutzeroperation verboten ist, wenn die durch
die Steuerinformationen zu steuernde erste Datengruppe
wiedergegeben wird, und die mehreren zweiten
Operationsverbotsinformationen so ausgebildet sind, dass jede der
mehreren zweiten Operationsverbotsinformationen die gleiche
Bitlänge wie die der ersten Verbotsinformationen aufweist und in
der gleichen Reihenfolge wie die der ersten Verbotsinformationen
zugewiesen ist,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in den Verkehr zu bringen
oder zu gebrauchen oder zu genannten Zwecken einzuführen oder zu
besitzen,
wenn die Vorrichtungen Folgendes umfassen:
Lesemittel zum Lesen von auf dem Aufzeichnungsmedium
aufgezeichneten Informationen; Wiedergabemittel zum
Wiedergeben der von den Lesemitteln gelesenen Informationen,
Anweisungsmittel zum Anweisen der vorbestimmten Operation,
Detektionsmittel zum Detektieren der Steuerinformationen und
Managementinformationen in den von den Lesemitteln gelesenen
Informationen, und Steuermittel zum Verbieten der vorbestimmten
Operation, wenn mindestens eine der ersten
Operationsverbotsinformationen und der zweiten
Operationsverbotsinformationen anzeigt, dass die Operation
verboten ist.
(Anspruch 9 des EP 1 267 348 B1)
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin in einer gesonderten Aufstellung
hinsichtlich der Angaben a. und b. unter Vorlage von Rechnungen oder
Lieferscheinen oder Quittungen darüber Angaben zu machen, in welchem Umfang sie
die unter Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 17. September 2011 begangen
hat, und zwar unter Angabe
a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie
der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer
Vorbesitzer,
b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -
zeiten und -preisen, den jeweiligen Typenbezeichnungen sowie
den Namen und Anschriften der Abnehmer,
c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach
Angebotsmengen, -zeiten und -preisen, der jeweiligen
Typenbezeichnungen sowie der Namen und Anschriften der
Angebotsempfänger,
d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern,
deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
im Falle von Internet-Werbung der Domain, den Zugriffszahlen und
den Schaltungszeiträumen,
e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten
Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,
wobei der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der
nicht-gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin
einem von ihnen zu bezeichnenden, der Klägerin gegenüber zur
Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen,
sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet,
der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer
oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu
ersetzen, der ihr durch die in Ziffer 1 bezeichneten Handlungen seit dem 17.
September 2011 entstanden ist und noch entstehen wird.
4. Die Beklagte wird verurteilt,
a) die vorstehend unter Ziffer 1. bezeichneten, im Besitz gewerblicher Dritter
befindlichen Erzeugnisse, soweit diese nach dem 29. April 2006 in den
Verkehr gebracht wurden, aus den Vertriebswegen zurückzurufen und
endgültig zu entfernen,
b) in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Besitz und/oder Eigentum
befindliche, vorstehend unter Ziffer 1. bezeichnete Erzeugnisse auf eigene
Kosten zu vernichten oder nach ihrer Wahl an einen von ihr zu benennenden
Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten der Beklagten
herauszugeben (alternativ an einen zur Vernichtung bereiten
Gerichtsvollzieher).
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
7. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils
EUR 1.500.000,00 in Ziffern 1 (Unterlassung), 4.a) und b) (Rückruf/Entfernung), in
Höhe von EUR 50.000 in Ziffer 2 (Auskunft/Rechnungslegung) und in Höhe von 120%
des jeweils zu vollstreckenden Betrages in Ziffer 6 (Kosten).
Tatbestand
1 Die Klägerin macht mit der vorliegenden Klage Ansprüche auf Unterlassung,
Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung, Rückruf und Entfernung aus den
Vertriebswegen sowie - im Wege eines Feststellungsantrags - auf Schadensersatz
wegen Patentverletzung geltend.
2 Die Klägerin ist Inhaberin des am 3. April 1997 unter Inanspruchnahme der
japanischen Prioritätsanmeldung JP 82932/96 vom 4. April 1996 angemeldeten
europäischen Patents EP 1 267 348 betreffend ein
Informationsaufzeichnungsmedium mit Informationen zum Verbieten einer
Benutzeroperation und ein Gerät zu dessen Aufzeichnung und Wiedergabe. Die
Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Patents erfolgte am 17.
August 2011. Grundlage der vorliegenden Verletzungsklage ist Anspruch 9 des
Patents (nachfolgend: Klagepatent), der in der Verfahrenssprache (mit
Bezugsziffern) folgenden Wortlaut hat:
3
An information reproducing apparatus (S2) for reproducing information from an
information record medium (1: DVD) comprising:
4
substantial information;
control information (50:PCI) for controlling of reproduction the substantial
information as a first data group (30:VOBU); and
management information (PGCI) for managing of reproduction of a plurality of first
data groups,
wherein the management information includes a plurality of first operation prohibit
information (202); each
indicating whether a predetermined operation by the reproducing apparatus in
response to a user’s operation is prohibited when reproducing the first data group
to be managed by the management information, and
the plurality of first operation prohibit information are formed so that each of the
plurality of first operation prohibit information has 1 bit length and is assigned to a
different bit position corresponding to the predetermined operation,
wherein the control information includes a plurality of second operation prohibit
information (212), each indicating whether a predetermined operation by the
reproducing apparatus in response to a user’s operation is prohibited when
reproducing the first data group to be controlled by the control information, and
the plurality of second operation prohibit information are formed so that each of the
plurality of second operation prohibit information has the same bit length as that of
the first prohibit information, and is assigned in the same order as that of the first
prohibit information,
characterized in that
the apparatus comprises:
5
reading means (80) for reading information recorded on the record medium;
reproduction means (81 to 97) for reproducing the information read by the reading
means;
instruction means (98) for instructing the predetermined operation;
detection means (100) for detecting the control information and management
information from the information read by the reading means; and
control means (100) for prohibiting the predetermined operation when at least one
of the first operation
prohibit information and the second prohibit information indicates that the operation
is prohibited.
6 Wegen der weiteren Einzelheiten der Klagepatentschrift, insbesondere wegen der
Beschreibung und der Figuren, wird auf die in Anlage K 3 vorgelegte Patentschrift
Bezug genommen.
7 Gegen das Klagepatent haben die [X.] und die Beklagte - diese am 26.01.2016
nach Schluss der mündlichen Verhandlung - jeweils eine Nichtigkeitsklage
erhoben. Die Nichtigkeitsklage der [X.] mit den Anlagen NK 3 bis 6, 7a, 7b, 8a, 9
(nur Deckblatt), 10, NK 11 (nur Deckblatt), NK 12 (nur Deckblatt), NK 13 (nur
Deckblatt) und NK 14 wurde von der Beklagten mit Schriftsatz vom 29.12.2015
eingereicht und befindet sich im Anlagenband II der Beklagten zwischen den
Anlagen [B] 32 und 33. Die Nichtigkeitsklage der Beklagten liegt nebst Anlagen als
Anlage [B] 34 vor.
8 Die Klägerin ist die in [...] ansässige Muttergesellschaft eines weltweit agierenden
Elektronikkonzerns. Mit der Lizenzierung des Klagepatents hat die Klägerin den
Patent-Pool „[A.] […]“ (nachfolgend: [A.]) beauftragt. [A.] ist ein in [...] ansässiges
Unternehmen, das neben den Patenten der Klägerin auch Schutzrechte dreier
weiterer namhafter Elektronikunternehmen in deren Auftrag verwertet. [A.] bietet
seit Oktober 2012 Pool-Lizenzen für die DVD-Softwaretechnologie an.
9 Die Beklagte ist die deutsche Tochtergesellschaft des [...]-Konzerns, dessen
Konzernmutter, die […], ihren Sitz in [...] hat. Sie vertreibt im Inland u.a. Computer
und Notebooks - hierunter die Modelle [...] und [...]. Die angegriffenen Geräte sind
dazu ausgebildet, nach dem DVD-Standard codierte Videodateien zu decodieren
und wiederzugeben. Die hierfür vorinstallierte Software stammt von der [...] Firma
[Y.]. Wegen des Inhalts des vorliegend bedeutsamen Teils 3 des DVD-Standards
(“Video Specifications“) wird auf die in Anlage K 4c vorgelegten Auszüge Bezug
genommen.
10 Im Hinblick auf solche Patente, die für die Herstellung, den Verkauf und/oder den
Gebrauch von DVD Produkten notwendig sind, legte die Klägerin eine sog.
FRAND-Erklärung (Anlage K 11) vor, die an das sogenannten „DVD-Forum“,
welches den Standard verwaltet und dessen Mitglied die Klägerin ist, gerichtet war
und auch für die Vergangenheit ab dem 07.08.1997 gelten sollte. Hierüber setzte
die Klägerin die Beklagte im Dezember 2014 in Kenntnis. Ob die Klägerin eine
solche Erklärung bereits abgegeben hatte, als sie das Klagepatent als für den
Standard essentiell deklarierte, steht zwischen den Parteien im Streit.
11 Anfang 2013 trat [A.] an die Konzernmutter der Beklagten heran und stellte das
DVD-Software-Lizenzprogramm vor. Es kam zu jedenfalls zu einem Gespräch und
zwei schriftlichen Kontaktaufnahmen durch [A.]. Ein konkreter Hinweis auf die
Verletzung des hiesigen Klagepatents erging dabei nicht. Die Mutter der Beklagten
hat die Vorstellung des Lizenzprogramms nicht zum Anlass genommen, in
Lizenzverhandlungen einzutreten.
12 Mit Klageerwiderung legte die Beklagte ein Angebot vom 06.10.2014 (Anlage [B]
13) für einen Lizenzvertrag zwischen den Parteien vor. Gegenstand des
Lizenzvertragsangebots ist eine auf Deutschland und das Klagepatent
beschränkte Lizenz zugunsten der Beklagten. Als Lizenzgebühr sieht der
angebotene Lizenzvertrag eine sog. FRAND-Royalty vor, deren Bestimmung durch
die Klägerin im Wege eines Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 BGB
erfolgen soll. In der Klageerwiderung erklärte die Beklagte zudem, dass sie bereit
sei, über eine Portfolio-Lizenz für die deutschen Patente der Klägerin zu
verhandeln und im Fall der Nichteinigung die Lizenzgebühr durch ein Gericht oder
Schiedsgericht festlegen zu lassen. Das gelte auch für den Fall, dass die Klägerin
das Lizenzangebot nicht annehmen werde. Als Orientierung dafür, was sie als
FRAND-Lizenzgebühr ansah, legte die Beklagte ein für andere Klagepatente aus
zwei parallelen Rechtsstreitigkeiten gefertigtes Parteigutachten (Anlage [B] 14) vor,
das für die dort behandelten Patente aus den Parallelverfahren zu einem
Lizenzsatz von USD […] pro Patent und verkauftem PC kam.
13 Die Klägerin antwortete hierauf mit Schreiben vom 28.11.2014 (Anlage K 1 d). In
diesem Schreiben schlug sie vor, das Beklagtenangebot dahingehend
abzuändern, dass Lizenznehmer die Muttergesellschaft der Beklagten ist, dass
Lizenzgegenstand eine Portfolio-Lizenz an allen [A.]-Pool-Patenten der Klägerin ist
und dass die Lizenz alle Länder umfasst, in denen eines der Lizenzpatente
gewährt wurde. Für die Identifizierung der Portfoliopatente verwies die Klägerin auf
die Internet-Seite der [A.]. Hierauf ließ sich die Beklagte nicht ein.
14 Mit konsekutiven Schreiben vom 13.03.2015 und 13.04.2015 (Anlage K 1e)
unterbreitete die Klägerin der Muttergesellschaft der Beklagten ein neues Angebot
in Form eines Lizenzvertragsentwurfs, der eine weltweite Portfolio-Lizenz zum
Gegenstand hatte. In dem Begleitschreiben vom 13.03.2015 (Anlage K 1 e) umriss
die Klägerin die Ableitung der Stücklizenzgebühr aus den [A.]-Sätzen und fügte
beispielhaft für zwei Patente aus dem Pool Claim-Charts bei.
15 Im Antwortschreiben vom 05.05.2015 (Anlage K 1f) forderte die Mutter der
Beklagten zur Beurteilung der Verletzungsfrage und des Rechtsbestands der
Portfolio-Patente weitere Informationen in Form von detaillierten Claim-Charts für
alle Patente sowie eine weitergehende Erläuterung der Lizenzgebühr. Mit
Schreiben vom 07.08.2015 (Anlage K 1 g) übersandte die Klägerin daraufhin
Claim-Charts zu fünf weiteren ihrer Patenten aus dem [A.]-Portfolio mit dem
Hinweis, dass sie bereit sei, technische Informationen zu weiteren Patenten zu
übersenden, sobald sie eine konstruktive technische Diskussion mit Blick auf die
übersandten Dokumente feststelle, was bis jetzt nicht der Fall sei.
16 Mit Schriftsatz vom 20.11.2015 erläuterte die Klägerin die Ableitung der [A.]-
Lizenzsätze für DVD-Software aus dem [A.]-DVD-Player-Lizenzprogramm und
legte unterstützend ein Privatgutachten (Anlage K 6) vor.
17 Die Klägerin meint, das Klagepatent sei im Hinblick auf den Standard essentiell.
Daher machten die angegriffenen Ausführungsformen von der Lehre des
Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch. Die Firma [Y.] sei für die vorinstallierte
DVD-Software nicht lizensiert.
18 Die Klägerin habe schon keine marktbeherrschende Stellung inne und sei damit
nicht Adressatin der Art. 101, 102 AEUV. Selbst wenn man die
Normadressateneigenschaft unterstelle, habe sie aber auch alle kartellrechtlichen
Anforderungen erfüllt, insbesondere der Beklagten ein FRAND-Angebot
unterbreitet und sie in ausreichendem Maß über die ihr vorgeworfenen
Verletzungshandlungen informiert. Überdies sei sie stets gewillt gewesen, sich an
die von ihr in der Vergangenheit abgegebene FRAND-Erklärung zu halten. Sie
könne lediglich das Original dieser Erklärung nicht vorlegen, was aber
kartellrechtlich ohne Relevanz sei. Sie habe sich auch nicht an die Herstellerin der
DVD-Software halten müssen, sondern sei befugt, aus dem Klagepatent gegen die
Beklagte vorzugehen. Das von der Beklagten vorgelegte, deren Auffassung nach
der Entscheidung Orange-Book-Standard entsprechende Lizenzangebot sei
hingegen ersichtlich nicht FRAND, da es auf das Klagepatent und die Verkäufe in
der Bundesrepublik Deutschland beschränkt sei. Ein solches Angebot brauche die
Klägerin nicht anzunehmen, weil zahlreiche parallele ausländische Patente der
gleichen Patentfamilien existierten und die Gesellschaften des [...]-Konzerns in
sämtlichen Ländern, in denen Mitglieder dieser Patentfamilie erteilt worden seien,
identische Computer wie die hier angegriffenen Ausführungsformen vertreiben
würden.
19 Die Beklagte stelle die angegriffenen Ausführungsformen auch her.
20 Die Klägerin beantragt:
21 1. wie gewährt, jedoch zusätzlich gerichtet auf das Unterlassen des Herstellens,
2. wie gewährt,
3. wie gewährt,
4. Die Beklagte wird verurteilt,
22 a) die vorstehend unter Ziffer 1. bezeichneten, im Besitz Dritter befindlichen
Erzeugnisse, soweit diese nach dem 29. April 2006 in den Verkehr gebracht
wurden, aus den Vertriebswegen zurückzurufen, indem diejenigen Dritten, denen
durch die Beklagten oder mit deren Zustimmung Besitz an den Erzeugnissen
eingeräumt wurde, unter Hinweis darauf, dass die Kammer mit dem hiesigen Urteil
auf eine Verletzung des Klagepatents DE 696 28 487.1 (deutscher Teil des EP 0
734 181 B1) erkannt hat, ernsthaft aufgefordert werden, die Erzeugnisse an die
Beklagten zurückzugeben und den Dritten für den Fall der Rückgabe der
Erzeugnisse eine Rückzahlung des gegebenenfalls bereits gezahlten
Kaufpreises sowie die Übernahme der Kosten der Rückgabe zugesagt wird, und
endgültig zu entfernen, indem die Beklagte diese Erzeugnisse wieder an sich
nimmt oder die Vernichtung derselben beim jeweiligen Besitzer veranlasst,
b) wie gewährt
23 Die Beklagte beantragt,
24 1. die Klage abzuweisen;
25 2. hilfsweise das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die beim
Bundespatentgericht unter dem Aktenzeichen 2 Ni 10/15 gegen den deutschen
Teil des Klagepatents anhängige Nichtigkeitsklage auszusetzen;
26 3. hilfsweise im Unterliegensfall der Beklagten zu gestatten, die Vollstreckung aus
dem Rückrufs- und Vernichtungstenor gegen Sicherheitsleistung von EUR
250.000,00 ohne Rücksicht auf eine Sicherheitsleistung der Klägerin
abzuwenden, wobei die Sicherheitsleistung der Beklagten in Form einer Bank-
oder Sparkassenbürgschaft erbracht werden kann (§ 712 Abs. 1 S. 1 ZPO)
27 4. hilfsweise im Unterliegensfall die Sicherheitsleistung für die vorläufige
Vollstreckung des Rückrufs- und Vernichtungstenors gegen die Beklagte auf EUR
5 Millionen festzusetzen.
28 Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 26.01.2016 stützt die Beklagte ihren
Aussetzungsantrag zusätzlich auf die beim Bundespatentgericht anhängige
eigene Nichtigkeitsklage vom 26.01.2016 (Az. 2 Ni 23/16 (EP)).
29 Die Beklagte trägt vor, sie stelle keine Computer her.
30 Die Beklagte ist der Auffassung, das Klagepatent werde durch die angegriffenen
Ausführungen nicht verletzt, da jedenfalls Merkmal c2 des Klagepatents im
Standard nicht verwirklicht sei. Die Bits in der „User Operation Control of VOBU“,
welche nach Auffassung der Klägerin die „zweite Operationsverbotsinformation“ im
Sinne des Klagepatents darstellen sollen, seien nicht in der gleichen Reihenfolge
angeordnet wie die Bits in der „Program Chain User Operation Control“, in welchen
die Klägerin die „ersten Verbotsinformationen“ im Sinne des Klagepatents erblicke.
31 Die Rückruf- und Vernichtungsansprüche seien unverhältnismäßig, da die
vorinstallierte Software von den PCs gelöscht werden könne.
32 Ungeachtet der fehlenden Verletzung des Klagepatents sei die Klägerin an der
Durchsetzung der mit der Klage geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung,
Rückruf und Vernichtung auch aus kartellrechtlichen Gründen gehindert. Die
Klägerin habe schon deshalb gegen Kartellrecht verstoßen, weil sie keine FRAND-
Erklärung abgegeben habe und dennoch erwirkt habe, dass das Klagepatent in
den Standard aufgenommen wird, und nun klageweise Rechte daraus herleite. Die
Verweigerung einer FRAND-Lizenz gegenüber der Beklagten stelle einen Verstoß
sowohl gegen das Kartellverbot des Artikel 101 AEUV als auch gegen das
Missbrauchsverbot des Artikels 102 AEUV dar. Entgegen der Auffassung der
Klägerin finde Artikel 102 AEUV im vorliegenden Fall Anwendung, da die Klägerin
sowohl den Produktmarkt für „DVD-Wiedergabegeräte“ als auch den vorgelagerten
Technologiemarkt für die Vergabe von Lizenzen im DVD-Sektor beherrsche. Diese
marktbeherrschende Stellung habe die Klägerin missbraucht, da sie nicht die
Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aus der Entscheidung Huawei
Technologies/ZTE (C-170/13) beachtet habe. Weder habe die Klägerin wie vom
Europäischen Gerichtshof gefordert die Beklagte vorprozessual auf die Verletzung
des Klagepatents hinreichend substantiiert hingewiesen, noch habe die Klägerin
der Beklagten zu irgendeinem Zeitpunkt ein Lizenzangebot unterbreitet, das
FRAND-Anforderungen genüge. Zudem sei die Klägerin kartellrechtswidrig gegen
die Beklagte als bloßes Vertriebsunternehmen vorgegangen, obwohl sie sich an
die Herstellerin der DVD-Software habe halten müssen.
33 Jedenfalls sei der vorliegende Verletzungsrechtstreit aber bis zur rechtskräftigen
Entscheidung über Nichtigkeitsklagen auszusetzen, da das Klagepatent mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit sowohl wegen fehlender Neuheit als auch
wegen einer unzulässigen Erweiterung vernichtet werden werde.
34 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die bei den
Akten befindlichen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der
mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
35 Der Rechtsstreit ist auf Antrag der Klägerin, dem sich die Beklagte angeschlossen
hatte, durch Beschluss vom 24.11.2014 (AS 174) bis zur Entscheidung des
Europäischen Gerichtshof in dem Vorabentscheidungsverfahren in der
Rechtssache Huawei ./. ZTE (C-170/13) ausgesetzt gewesen. Mit Schriftsatz vom
10.08.2015 hat die Klägerin das Verfahren wieder angerufen (AS 192).
Entscheidungsgründe
36 Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet. Die Beklagte verletzt
das Klagepatent (dazu I. und II.), weshalb der Klägerin die zugesprochenen
patentrechtlichen Ansprüche zustehen (dazu III.). Der Durchsetzung dieser
Ansprüche steht der kartellrechtliche Zwangslizenzeinwand nicht entgegen (dazu
IV.). Das Verfahren war auch nicht bis zum erstinstanzlichen Abschuss der
Nichtigkeitsklagen oder der sonstigen Erledigung der Nichtigkeitsverfahren
auszusetzen (dazu V.).
I.
37 1. Das Klagepatent betrifft eine Informationswiedergabevorrichtung zum
Wiedergeben von Informationen, insbesondere Audio- oder Videoinformationen,
von einem Informationsaufzeichnungsmedium, beispielsweise von einer DVD.
38 Im Stand der Technik waren im Zusammenhang mit DVDs bereits sogenannte
„besondere Wiedergabeformen“ bzw. „Benutzeroperationen“ bekannt, bei
welchen der Benutzer von der „normalen“ Wiedergabe der Informationen in der
Reihenfolge, wie sie auf der DVD abgespeichert sind, abweichen kann. In
Abschnitt [0007] der Beschreibung sind exemplarisch fünf verschiedene
Benutzeroperationen genannt, nämlich „search“, „scan“, „reverse“, „slow
reproduction“ und „pause“. Weitere Benutzeroperationen könnten darin bestehen,
verschiedene auf einer DVD befindliche Versionen eines Films hinsichtlich der
Sprache, der Untertitel oder der Eignung für Minderjährige miteinander zu
kombinieren. Dadurch kann die Herstellung einer jeweils gesonderten DVD für die
unterschiedlichen Versionen vermieden werden.
39 Nicht immer sind jedoch sämtliche verfügbare Benutzeroperationen vom
Verfasser bzw. Hersteller der DVD erwünscht. Beispielsweise kann es dem
Wesen eines Schieß- oder Kampfspiels, bei welchem die Geschwindigkeit der
entscheidende Faktor ist, zuwiderlaufen, wenn dieses im Wege der
Benutzeroperationen „slow reproduction“ oder „pause“ wiedergegeben wird, vgl.
Abschnitte [0008] und [0010] der Beschreibung. Dem Sinn von Lern- oder
Quizspielen widerspricht es, bereits vor der Beantwortung einer Frage die Antwort
durch die Operationen „scan“ oder „search“ zu ermitteln, vgl. Abschnitt [0010] der
Beschreibung.
40 Vor diesem Hintergrund stellt sich das Klagepatent die Aufgabe, dem Verfasser
der DVD eine Möglichkeit zu verschaffen, bestimmte Benutzeroperationen zu
beschränken, vgl. Abschnitt [0013] der Beschreibung.
41 Zur Lösung dieser Aufgabe sieht das Klagepatent sogenannte
Operationsverbotsinformationen vor, die an zwei verschiedenen Stellen
gespeichert werden, nämlich in den Management- und in den
Steuerinformationen.
42 2. Das Klagepatent schlägt zur Lösung dieser Aufgabe in Anspruch 9 eine
Vorrichtung vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:
43
a Informationswiedergabevorrichtung zum Wiedergeben von Informationen von
einem Informationsaufzeichnungsmedium, umfassend
b substanzielle Informationen;
c Steuerinformationen zum Steuern der Wiedergabe der substanziellen
Informationen als eine erste Datengruppe; und
d Managementinformationen zum Verwalten der Wiedergabe von mehreren
ersten Datengruppen;
44
d1 wobei die Managementinformationen mehrere erste
Operationsverbotsinformationen enthalten, die jeweils anzeigen, ob eine
vorbestimmte Operation durch die Wiedergabevorrichtung als Reaktion auf eine
Benutzeroperation verboten ist, wenn die durch die Managementinformationen
zu verwaltende erste Datengruppe wiedergegeben wird; und
45
d2 die mehreren ersten Operationsverbotsinformationen so ausgebildet sind,
dass jede der mehreren ersten Operationsverbotsinformationen eine Länge von
1 Bit aufweist und einer anderen Bitposition entsprechend der vorbestimmten
Operation zugeordnet ist,
46
c1 wobei die Steuerinformationen mehrere zweite
Operationsverbotsinformationen enthalten, die jeweils anzeigen, ob eine
vorbestimmte Operation durch die Wiedergabevorrichtung als Reaktion auf eine
Benutzeroperation verboten ist, wenn die durch die Steuerinformationen zu
steuernde erste Datengruppe wiedergegeben wird; und
47
c2 und die mehreren zweiten Operationsverbotsinformationen so ausgebildet
sind, dass jede der mehreren zweiten Operationsverbotsinformationen die
gleiche Bitlänge wie die der ersten Verbotsinformationen aufweist und in der
gleichen Reihenfolge wie die der ersten Verbotsinformationen angeordnet ist
48
dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung Folgendes umfasst:
49
e Lesemittel zum Lesen von auf dem Aufzeichnungsmedium aufgezeichneten
50
Informationen;
51
f Wiedergabemittel zum Wiedergeben der von den Lesemitteln gelesenen
52
Informationen;
53
g Anweisungsmittel zum Anweisen der vorbestimmten Operation;
54
h Detektionsmittel zum Detektieren der Steuerinformationen und
Managementinformationen in den von den Lesemitteln gelesenen Informationen;
und
55
i Steuermittel zum Verbieten der vorbestimmten Operation, wenn mindestens
eine von beiden, die erste Operationsverbotsinformation oder die zweite
Operationsverbotsinformation, anzeigt, dass die Operation verboten ist.
II.
56 Die angegriffenen Ausführungsformen verletzen das Klagepatent unmittelbar
wortsinngemäß, da die Lehre des Klagepatents vollständig in den Standard
übernommen wurde. Dies gilt nicht nur für diejenigen Merkmale, deren
Übernahme in den Standard aufgrund zutreffender patentrechtlicher Bewertung
durch die Parteien außer Streit steht, sondern auch und insbesondere für das
einzige im Streit befindliche Merkmal c2.
57 1. Merkmal c2 betrifft die Struktur der in den Steuerinformationen enthaltenen
sogenannten zweiten Operationsverbotsinformationen. Diese sind
merkmalsgemäß so ausgebildet, dass jede der mehreren zweiten
Operationsverbotsinformationen die gleiche Bitlänge wie die der mehreren ersten
Operationsverbotsinformationen aufweist und in der gleichen Reihenfolge wie die
der ersten Operationsverbotsinformationen angeordnet ist. Damit enthält das
Merkmal einen inhaltlichen Rückbezug auf Merkmal d2 welches die Struktur der
in den Managementinformationen enthaltenen mehreren ersten
Operationsverbotsinformationen regelt, und zwar in der Weise, dass jede solche
Information eine Länge von einem Bit aufweist und einer anderen Bitposition
entsprechend der vorbestimmten Operation zugeordnet ist.
58 2. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird Merkmal c2 durch den Standard
verwirklicht.
59 Die Klägerin sieht die ersten Operationsverbotsinformationen im Standard in den
sogenannten „Program Chain User Operation Control“ (PGC_UOP_CTL), die
angeben, welche Benutzeroperationen bei der Wiedergabe einer bestimmten
Programmkette (PGC) verboten sind. Dem ist die Beklagte nicht
entgegengetreten. Die Struktur der PGC_UOP_CTL ist aus der nachfolgenden
Abbildung ersichtlich, welche von Seite VI4-86 des Standards übernommen ist.
Daraus ist erkennbar, dass die PGC_UOP_CTL aus insgesamt 32 Bits besteht.
Jede der Bitpositionen b0 bis b3 und b5 bis b24 ist dabei einer bestimmten
Operationsverbotsinformation zugeordnet, während die Bitposition b4 „reserved“
ist. Ist das jeweilige einer Operationsverbotsinformation zugeordnete Bit auf 0
gesetzt, so ist die Operation erlaubt; ist das Bit dagegen auf 1 gesetzt, so ist die
Operation verboten.
60 Die zweiten Verbotsinformationen sieht die Klägerin im Standard in den sogen.
„User Operation Control of VOBU“ (VOBU_UOP_CTL), die angeben, welche
Benutzeroperationen bei der Widergabe einer bestimmten Video-Object-Unit
(VOBU) verboten sind. Auch dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten. Die
Struktur der VOBU_UOP_CTL ist aus der vorstehenden Abbildung ersichtlich,
welche von Seite VI4-108 des Standards übernommen ist. Ausweislich dieser
Abbildung besteht auch die VOBU_UOP_CTL aus insgesamt 32 Bits, wobei hier
die Bitpositionen b3 bis b16 und b18 bis b24 bestimmten
Operationsverbotsinformationen zugeordnet sind, während die Bitpositionen b0
bis b2 und b17 „reserved“ sind. Soweit Bitpositionen sowohl in den
PGC_UOP_CTL als auch in den VOBU_UOP_CTL
Operationsverbotsinformationen zugeordnet sind, handelt es sich um dieselben
Operationsverbotsinformationen. Dementsprechend steht beispielsweise die
Bitposition b8 in beiden Fällen für schnellen Vorlauf, b9 für schnellen Rücklauf
und b19 für Pause.
61 Schon durch die Anordnung der Bitpositionen b3, b5 bis b16 und b18 bis b24 in
den PGC_UOP_CTL einerseits und den VOBU_UOP_CTL andererseits
verwirklicht der Standard Merkmal c2 des Klagepatents. Entgegen der
Auffassung der Beklagten fordert Merkmal c2 nämlich nicht, dass sämtliche in
den Steuerinformationen enthaltenen Operationsverbotsinformationen hinsichtlich
der Bitlänge und -position mit den in den Managementinformationen enthaltenen
jeweils entsprechenden Operationsverbotsinformationen übereinstimmen
müssen. Vielmehr ist es für die Verwirklichung der Lehre des Klagepatents
ausreichend, wenn diese Übereinstimmung lediglich im Hinblick auf einen Teil der
in den Steuerinformationen enthaltenen Operationsverbotsinformationen besteht.
Dies ergibt sich aus dem Wortlaut der Merkmale c1 und d1, die - insoweit parallel
- lediglich voraussetzen, dass die Management- bzw. Steuerinformationen
mehrere (d.h. mindestens zwei) erste bzw. zweite
Operationsverbotsinformationen enthalten. Die folgenden Merkmale d2 und c2
knüpfen an diese Nomenklatur an, indem die dort enthaltenen Anforderungen an
die Bitlänge und -position lediglich für diese „mehreren“, nicht jedoch für sämtliche
Operationsverbotsinformationen gelten. Daher reicht es für die Verwirklichung des
Merkmals c2 aus, dass lediglich „mehrere“ erste und zweite
Operationsverbotsinformationen hinsichtlich Bitlänge und -position
übereinstimmen. Dies ist im Standard jedenfalls im Hinblick auf die Bitpositionen
b3, b5 bis b16 und b18 bis b24 der Fall. Der Hinweis der Beklagten auf
Abweichungen zwischen der PGC_UOP_CTL und der VOBU_UOP_CTL
hinsichtlich der Bitpositionen b0, b1, b2, b4 und b17, welche in den Abbildungen
jeweils eingefärbt sind, ist demgegenüber unerheblich. Ebenfalls unerheblich ist
der weitere Einwand der Beklagten, in den Figuren 5 und 7 der Klagepatentschrift
sei lediglich ein Ausführungsbeispiel gezeigt, bei welchem sämtliche ersten und
zweiten Operationsverbotsinformationen (dort gekennzeichnet mit den Ziffern
212a bis 212e) hinsichtlich Bitlänge und -position vollständig übereinstimmen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind nämlich die in
einer Patentschrift enthaltenen Ausführungsbeispiele nicht geeignet, den
Schutzbereich des Patentanspruchs unter seinen Wortlaut einzuengen (BGH
GRUR 2004, 1023 - Bodenseitige Vereinzelungsvorrichtung; 2007, 778 -
Ziehmaschinenzugeinheit).
62 3. Soweit die Beklagte im Rahmen ihrer kartell-rechtlichen Erwägungen behauptet
hat, die Herstellerfirma [Y.] sei für die an den [...]-Konzern gelieferte DVD-Software
lizenziert und gebe die Lizenzen nur nicht weiter, folgt hieraus keine Erschöpfung
der Patentrechte der Klägerin. Die Klägerin hat eine Lizenzierung der Firma [Y.]
für vorinstallierte DVD-Software bestritten und darauf verwiesen, dass [A.]
vergeblich versucht habe, mit der Firma [Y.] einen Lizenzvertrag über solche
DVD-Software abzuschließen.
III.
63 Damit rechtfertigt die Feststellung der Verletzung die von der Klägerin mit ihren
Anträgen begehrten Rechtsfolgen.
64 1. Der Unterlassungsanspruch folgt im zugesprochenen Umfang aus § 139 Abs.
1 PatG i.V.m. Art. 64 EPÜ. Soweit die Klägerin auch ein Unterlassen des
Herstellens begehrt hat, war der Klageantrag abzuweisen. Die Beklagte hat
bestritten, dass sie Herstellerin sei. Die Klägerin hat hierzu nichts weiter
vorgetragen und ist auch keinen Beweis angetreten. Sie hat auch nicht dargelegt,
weshalb bei der Beklagten trotz fehlender Herstellereigenschaft gleichwohl eine
Erstbegehungsgefahr für ein Herstellen bestehen soll.
65 2. Die Schadensersatzverpflichtung ergibt sich aus § 139 Abs. 2 PatG i.V.m. Art.
64 EPÜ. Der Beklagten ist ein Monat nach Veröffentlichung des Hinweises auf die
Patenterteilung jedenfalls ein Fahrlässigkeitsvorwurf hinsichtlich der Verletzung
des Klagepatents zu machen. Da die Klägerin nicht in der Lage ist, den
Schadensersatz zu berechnen, hat sie das für die Erhebung der
Feststellungsklage notwendige Feststellungsinteresse.
66 3. Der Rechnungslegungsanspruch hat seine Grundlage in §§ 140b PatG, 242,
259 BGB i.V.m. Art. 64 EPÜ.
67 4. Der zugesprochene Vernichtungs- und Rückrufanspruch hat seine Grundlage
in § 140 a Abs. 1 S. 1 PatG bzw. § 140 a Abs. 3 S. 1 PatG, jeweils i.V.m. Art. 64
EPÜ. Der Rückrufanspruch war nach der Rechtsprechung des
Oberlandesgerichts Karlsruhe auf gewerbliche Abnehmer, nicht aber auf
Endabnehmer zu begrenzen.
68 Entgegen der Ansicht der Beklagten waren die Ansprüche aus
Verhältnismäßigkeitsgründen nicht nur dahingehend beschränkt zu gewähren,
dass lediglich die vorinstallierte DVD-Software zu entfernen ist. Die Beklagte
übersieht, dass der angegriffene patentverletzende Gegenstand nicht die
Software, sondern der Computer mit der vorinstallierten Software ist. Eine
Vernichtung im patentrechtlichen Sinne muss nicht zwangsläufig dergestalt
erfolgen, dass die Computer körperlich vernichtet werden. Vielmehr genügt es,
wenn der patentverletzende Zustand beseitigt wird, was vorliegend nicht
unbedingt die körperliche Vernichtung der gesamten Computer voraussetzt.
Entsprechendes gilt für den Rückrufanspruch.
IV
.
69 Die Beklagte kann den von der Klägerin geltend gemachten Ansprüchen keine
kartellrechtlichen Einwendungen entgegenhalten, selbst wenn der Klägerin eine
marktbeherrschende Stellung zukommen sollte, was vorliegend daher
dahinstehen kann. Ein Missbrauch im Sinne des Art. 102 AEUV liegt nicht vor.
Die Klägerin hat die Beklagtenseite jedenfalls nach Klageerhebung ausreichend
über den Verletzungssachverhalt informiert und ihr zudem ein
Lizenzvertragsangebot zu Konditionen unterbreitet, die jedenfalls nicht evident
nicht-FRAND sind. Dass die Klägerin damit die vom Europäischen Gerichtshof in
der Sache Huawei Technologies/ZTE (Urteil vom 16. Juli 2015 - C-170/13, GRUR
2015, 764 = ECLI:EU:C:2015:477 idF des Berichtigungsbeschlusses vom 15.
Dezember 2015, ECLI:EU:C:2015:817) aufgestellten Bedingungen für die
gerichtliche Geltendmachung des Unterlassungs- und Rückrufanspruchs, bei
deren Einhaltung kein Missbrauch im Sinne des Art. 102 AEUV anzunehmen ist
(dazu 1), nicht bereits vor Klageerhebung erfüllt hat, ist im vorliegenden Fall
unschädlich, da das Erfordernis der Erfüllung dieser Bedingungen bereits vor
Klageerhebung in Übergangsfällen, in denen die Klage schon vor dem Urteil des
Europäischen Gerichtshof rechtshängig war, nicht strikt formal gesehen werden
kann (dazu 2.). Die Nachholung des gebotenen Hinweises und die Vorlage des
Angebots hätten es erfordert (dazu 3.), dass die Beklagte umgehend mit einem
Gegenangebot reagiert, das nach ihrer Auffassung FRAND-Kriterien genügt und
nicht offensichtlich nicht-FRAND sein darf. Dies hat die Beklagte nicht getan
(dazu 4.), da ihr Angebot sich allein auf eine Lizenznahme für Deutschland am
Klagepatent bezieht und damit offensichtlich nicht-FRAND ist. Auf die Ablehnung
dieses Gegenangebots hin hätte die Beklagte zudem umgehend eine
angemessene Sicherheit leisten müssen, was sie gleichfalls nicht getan hat.
Daher ist die Durchsetzung der von der Klägerin verfolgten Ansprüche nicht nach
Art. 102 AEUV suspendiert (dazu 5). Auch die übrigen kartellrechtlichen
Erwägungen der Beklagten lassen die Durchsetzbarkeit der verfolgten Ansprüche
nicht entfallen (dazu 6.).
70 1. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil in der Sache
„Huawei ./. ZTE“ entschieden, dass Art. 102 AEUV dahin auszulegen ist, dass der
Inhaber eines für einen von einer Standardisierungsorganisation normierten
standardessentiellen Patents (SEP), der sich gegenüber dieser Organisation
unwiderruflich verpflichtet hat, jedem Dritten eine Lizenz zu fairen, zumutbaren
und diskriminierungsfreien Bedingungen (sog. FRAND-Bedingungen) zu erteilen,
seine marktbeherrschende Stellung nicht im Sinne von Art. 102 AEUV dadurch
missbraucht, dass er eine Patentverletzungsklage auf Unterlassung der
Beeinträchtigung seines Patentrechts oder auf Rückruf der Produkte, für deren
Herstellung dieses Patent benutzt wurde, erhebt, wenn er bestimmte in der
Entscheidung entwickelte Obliegenheiten erfüllt. So muss der Inhaber des SEP
vor Erhebung der Klage zum einen den angeblichen Verletzer auf die
Patentverletzung, die ihm vorgeworfen wird, hingewiesen haben und dabei das
fragliche SEP bezeichnet und angegeben haben, auf welche Weise es verletzt
worden sein soll, und zum anderen - nachdem und soweit der angebliche
Patentverletzer seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, einen Lizenzvertrag zu
FRAND-Bedingungen zu schließen - dem Patentverletzer ein konkretes
schriftliches Lizenzangebot zu diesen Bedingungen unterbreiten und
insbesondere die Lizenzgebühr sowie die Art und Weise ihrer Berechnung
angegeben haben. Zudem muss der Patentverletzer, während er das betreffende
Patent weiter benutzt, auf dieses Angebot - sofern er es nicht annimmt - mit
Sorgfalt, gemäß den in dem betreffenden Bereich anerkannten geschäftlichen
Gepflogenheiten und nach Treu und Glauben reagiert haben, was auf der
Grundlage objektiver Gesichtspunkte zu bestimmen ist und unter anderem
impliziert, dass keine Verzögerungstaktik verfolgt wird. Der Gerichtshof führt aus
(ebenda Rn. 46), dass die Ausübung des aus einem Patent fließenden
Ausschließlichkeitsrechts - mithin auch die Erhebung einer hierauf basierenden
Verletzungsklage - zu den Vorrechten des Inhabers eines Rechts des geistigen
Eigentums gehört und daher als solche selbst dann keinen Missbrauch einer
beherrschenden Stellung impliziert, wenn sie von einem Unternehmen in
beherrschender Stellung ausgeht. Jedoch kann diese im Grundsatz zulässige
Rechtsausübung unter außergewöhnlichen Umständen ein missbräuchliches
Verhalten nach Art. 102 AEUV sein. Aus Sicht der Kammer betont der Gerichtshof
damit, dass das aus einem Patent fließende Ausschließlichkeitsrecht nur unter
ganz besonderen Umständen nicht mit der Verletzungsklage durchsetzbar ist.
Daraus folgt, dass die entsprechenden tatsächlichen Umstände, aus denen sich
die Suspendierung des Patentrechts ergeben soll, von dem in Anspruch
genommenen (angeblichen) Verletzer vorzutragen und, wenn die Umstände im
Streit stehen, auch zu beweisen sind.
71 Der Gerichtshof führt aus, dass im Falle von SEPs die besondere Situation darin
begründet liegt, dass jeder Wettbewerber, der standardgemäße Produkte
herzustellen beabsichtigt, von dem fraglichen Patent zwangsläufig Gebrauch
macht und diese Benutzung unerlässlich ist. Damit könne der Patentnutzer
gerade nicht den ihm sonst offenstehende Weg beschreiten, ein konkurrierendes
Produkt herzustellen, dessen Ausgestaltung von dem Patent abweicht, ohne
dass es deshalb nicht geeignet wäre, die nämlichen grundlegenden Funktionen
des fraglichen Produkts zu erreichen. Zudem habe das SEP seine so
beschriebene Stellung nur im Gegenzug zu einer unwiderruflichen
Verpflichtungszusage des Inhabers gegenüber der
Standardisierungsorganisation erhalten, jedem lizenzwilligen Dritten zu FRAND-
Bedingungen eine Lizenz einzuräumen. Hierdurch erwecke der Inhaber des
SEPs bei Dritten die berechtigte Erwartung, eine entsprechende Lizenz zu
erhalten. Weigere er sich gleichwohl, eine Lizenz zu erteilen, so könne dies als
Missbrauch nach Art. 102 AEUV zu bewerten sein. Der nämliche Makel hafte ggf.
auch einer auf Unterlassung und Rückruf gerichteten Verletzungsklage an.
72 Der Gerichtshof adressiert in seiner Entscheidung solche Situationen als
problematisch, die nach der Auffassung der Kammer und ihrer Beobachtung der
bei ihr in den vergangenen Jahren erhobenen Patentverletzungsklagen, die auf
ein SEP gestützt waren, den Regelfall bilden: Beide Seiten zeigen sich zwar im
Grunde Willens, einen Lizenzvertrag abzuschließen, der FRAND-Bedingungen
entspricht, indes gehen die Meinungen darüber, welche konkreten
Vertragsbedingungen und insbesondere welche Lizenzhöhe diese
Voraussetzungen erfüllen, auseinander. Müsste in dieser Situation das Gericht
entscheiden, welche Bedingungen tatsächlich den FRAND-Kriterien entsprechen
und ob das Angebot des SEP-Inhabers mithin dergestalt war, dass es ihm eine
klageweise Durchsetzung seines Patentrechts erlaubt, würde der
Verletzungsprozess aber mit erheblichen Problemen, insbesondere mit der
Ermittlung der Höhe der FRAND-Lizenz, die regelmäßig nur mit sachverständiger
Hilfe zu ermitteln sein wird, belastet, für die eine befriedigende Lösung auch nach
vielen Jahren, in denen diese Thematik den patentrechtlichen Bereich
beschäftigt, noch nicht gefunden ist.
73 Mit guten Gründen war es daher das Anliegen des Bundesgerichtshofs in seiner
Entscheidung Orange-Book-Standard, den Verletzungsprozess von dieser
Problematik zu entlasten (BGH, Urteil vom 06. Mai 2009, Az. KZR 39/06, BGHZ
180,312 bei II.2.c) - Orange-Book-Standard). Der Gerichtshof entwickelt aus Sicht
der Kammer im folgenden gleichfalls ein Konzept, dass es dem zur Entscheidung
berufenen Gericht ermöglichen soll, anhand des Verhaltens des Inhabers des
SEP auf der einen Seite sowie des angeblichen Verletzers auf der anderen Seite
daraufhin zu bewerten, ob sich die Durchsetzung der auf das SEP gestützten
Unterlassungs- und Rückrufanträge als ungerechtfertigter Marktmissbrauch und
Aufbau eines insoweit zu unterbindenden Drucks in der Verhandlungssituation zu
bewerten ist oder als gerechtfertigte Reaktion auf eine vom (angeblichen)
Verletzer verfolgte Verzögerungstaktik. Die Entscheidung des Gerichtshofs
verfolgt nach dem Verständnis der Kammer mithin ebenso wie schon der
Bundesgerichtshof das Ziel, den Verletzungsprozess von der Bestimmung zu
entlasten, welche Bedingungen - insbesondere hinsichtlich der Formulierung
einzelner Vertragsklauseln und besonders hinsichtlich der Höhe des
Lizenzsatzes - in der konkreten Situation FRAND sind. Aus diesem Grund befasst
sich die Entscheidung folgerichtig auch nicht näher damit, den Gerichten der
Mitgliedsstaaten Kriterien an die Hand zu geben, um zu bestimmen, wann
Lizenzvertragsbedingungen FRAND sind, sondern beschränkt sich darauf, den
Parteien Pflichten aufzuerlegen, die sie zu erfüllen haben, wenn sie ein SEP
durchsetzen wollen, ohne sich dem Vorwurf der Kartellrechtswidrigkeit ausgesetzt
zu sehen, bzw. die Durchsetzung der zukunftsorientierten Ansprüche aus dem
SEP abwenden wollen. Der Gerichtshof entwickelt dabei nach dem Verständnis
der Kammer mithin ein Programm an Verhandlungspflichten, die die Parteien
erfüllen müssen. Hingegen zielt die Entscheidung des Gerichtshof nach der
Überzeugung der Kammer nicht darauf ab, die Verletzungsgerichte mit der
Bestimmung der FRAND-Bedingungen zu belasten, wenn im Verfahren der
Unterlassungs- und Rückrufanspruch durchgesetzt werden soll, und es nicht
gerade um die Zahlung einer FRAND-Lizenzgebühr im Betragsverfahren geht.
Diese Konzeption erscheint der Kammer vom Gerichtshof mit Bedacht gewählt,
weil er sich - ebenso wie es den Erfahrungen der Kammer entspricht - darüber
bewusst war, dass wirtschaftlich denkende Parteien am Ende höchst selten den
Versuch unternehmen, tatsächlich Gerichte entscheiden zu lassen, welche
Lizenzgebühr und welche Lizenzvertragsbedingungen FRAND-gemäß sind,
sondern sich den vom Gerichtshof mehrfach in den Mittelpunkt seiner
Ausführungen gerückten, anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten folgend
im Verhandlungswege auf eine für beide Seiten wirtschaftlich akzeptable Lösung
verständigen, die auf der einen Seite dem SEP-Inhaber eine angemessene
Belohnung für seine Erfindungsleistung zufließen lässt und es auf der anderen
Seite dem Benutzer erlaubt, unter den gegeben Marktbedingungen preislich
konkurrenzfähige Produkte auch dann noch anbieten zu können, wenn diese
Produkte von einer Vielzahl von Patenten, die in einen Standard aufgenommen
worden sind, Gebrauch machen, und er sich daher mit einer Vielzahl von
Patentinhabern konfrontiert sieht, die von ihm Lizenzgebühren verlangen.
74 a) Zu diesem Zweck hält es der Gerichtshof für erforderlich, dass der
Patentinhaber in einem ersten Schritt vor der Erhebung einer auf Rückruf und
Unterlassung gerichteten Klage, die für den angeblichen Verletzer einen
erheblichen Verhandlungsdruck aufbaut, einen angeblichen Verletzer auf die ihm
vorgeworfene Patentverletzung hinweist und dabei das SEP bezeichnet sowie
angibt, auf welche Weise es verletzt sein soll. Der Gerichtshof konkretisiert dabei
nicht näher, auf welche Weise dieser Hinweis zu erfolgen hat. Jedenfalls wird der
Patentinhaber das mit der Klage geltend gemachte und von ihm
standardessentiell deklarierte Patent mit seiner Patentnummer bezeichnen und
angeben müssen, dass dieses Patent bei der betreffenden
Standardisierungsorganisation als standardessentiell deklariert wurde. Soweit der
Patentinhaber zudem angeben soll, auf welche Weise das Patent verletzt sein
soll, enthält das Urteil des Gerichtshofs keine näheren Vorgaben, sodass diese
aus dem oben formulierten Telos der Entscheidung zu entwickeln sind. So führt
der Gerichtshof aus, dass der Verletzer des SEP aufgrund der Vielzahl von SEPs,
die in einen Standard inkorporiert sind, nicht sicher weiß, dass er ein solches
Patent benutzt. Daher muss der Hinweis dem Verletzer jedenfalls deutlich
machen, für welchen Standard das Patent essentiell ist und aufgrund welcher
Umstände der Patentinhaber davon ausgeht, dass der angebliche
Patentverletzter von der Lehre des Patents Gebrauch macht. Jedenfalls ist dafür
erforderlich, dass der Patentinhaber benennt, welche technische Funktionalität
der angegriffenen Ausführungsform vom Standard Gebrauch macht. Der
angebliche Verletzer wird regelmäßig nämlich im Bilde darüber sein, dass sein
Produkt einem Standard gemäß ausgebildet ist. Daher dürfte ein bloßer Hinweis,
der angebliche Verletzer stelle nach dem Standard arbeitende Produkte her oder
vertreibe diese und verletze deshalb das Patent, nicht ausreichend sein. Vielmehr
muss der angebliche Verletzer durch den Hinweis in die Situation versetzt
werden, die Schutzrechtslage selbständig prüfen (lassen) zu können. Aufgrund
der Vielzahl der technischen Funktionalitäten, die regelmäßig in einem Standard
enthalten sind und die gerade die vom Gerichtshof angesprochene
Unübersichtlichkeit bei der Beurteilung der Schutzrechtslage begründet, wird es
erforderlich sein, dass der SEP-Inhaber jedenfalls die Kategorie der technischen
Funktionalität des Standards in einer solchen Weise benennt, dass der
vermeintliche Verletzer nun wieder der grundsätzlich ihm obliegenden Pflicht, die
Schutzrechtslage zur prüfen, gerecht werden kann. Wie detailliert dieser Hinweis
zu erfolgen hat, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls
entschieden werden. Hierbei wird insbesondere einzustellen sein, welche
Technologiekenntnisse beim Patentverletzer vorhanden sind bzw. inwieweit er
sich solche Kenntnisse in zumutbarer Weise durch professionellen Rat zu
verschaffen hat. Aus Sicht der Kammer sind zur Darlegung des
Verletzungssachverhalts in einer den Anforderungen des Gerichtshofs
entsprechenden Weise grundsätzlich jedenfalls die auch im Rahmen von
Lizenzvertragsverhandlungen nach den geschäftlichen Gepflogenheiten sonst
üblichen Claim-Charts ausreichend, die den geltend gemachten oder einen ihm
verwandten Anspruch des Klagepatents, der gleichfalls die entscheidenden
Merkmale aufweist, gegliedert nach Anspruchsmerkmalen den entsprechenden
Stellen im Standard gegenüberstellt, ohne dass hierbei die Anforderungen der
Schlüssigkeitsprüfung einer Verletzungsklage erfüllt werden müssen. Insoweit ist
in der Regel ausreichend, dass der angebliche Verletzer den vom SEP-Inhaber
erhobenen Vorwurf jedenfalls bei Hinzuziehung externen oder internen
technischen Sachverstandes nachvollziehen kann. Gleichfalls offen kann
bleiben, ob der vom Gerichtshof geforderte Hinweis nach nationalem
Rechtsverständnis die Anforderungen einer Abmahnung zu erfüllen hat (in
diesem Sinne möglicherweise LG Mannheim, Urteil vom 27. November 2015 - 2
O 106/14, S. 47, 2. Absatz).
75 b) Entsprechendes gilt für die weitere Obliegenheit des SEP-Inhabers, der zudem
vor Klageerhebung dem angeblichen Patentverletzer - sofern dieser im
Grundsatz seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat, überhaupt Lizenz nehmen
zu wollen - ein konkretes schriftliches Lizenzangebot zu FRAND-Bedingungen zu
unterbreiten hat und insbesondere die Lizenzgebühr und die Art und Weise ihrer
Berechnung anzugeben hat. Vor dem Hintergrund des zuvor geschilderten
Verständnisses, das die Kammer zu der Entscheidung des Gerichtshofs
entwickelt hat, ist hierfür erforderlich, dass es sich um ein annahmefähiges
Vertragsangebot handelt, das die vertragswesentlichen Bedingungen enthält.
Soweit der Gerichtshof ausführt, dass der Patentinhaber ein konkretes
schriftliches Lizenz-Angebot zu FRAND-Bedingungen zu unterbreiten hat,
bedeutet dies nicht, dass das Verletzungsgericht für den Fall, dass der
(angebliche) Patentverletzer - wie regelmäßig - in Abrede stellt, dass dieses
Angebot FRAND-Kriterien entspricht, gehalten ist, nunmehr nach objektiven
Gesichtspunkten zu entscheiden, ob das Angebot des SEP-Inhabers tatsächlich
FRAND ist oder nicht. Denn hierdurch würde der Verletzungsprozess gerade
wieder mit der Bestimmung belastet, welche Lizenzhöhe exakt und sonstigen
Vertragsbedingungen ganz genau diesen Kriterien entsprechen, was aus Sicht
der Kammer nicht das Anliegen des Gerichtshofs war. Vielmehr ist nur
erforderlich, dass das Angebot des SEP-Inhabers bei summarischer Prüfung
jedenfalls nicht evident keine FRAND-Bedingungen enthält. Insoweit ist die
Kammer der Auffassung, dass die Bestimmung, ob das vom SEP-Inhaber
unterbreitete Angebot tatsächlich FRAND ist oder nicht, deshalb entbehrlich ist,
weil die Parteien naturgemäß gerade über diesen Punkt im Streit stehen werden,
wie es der Gerichtshof in Rn. 54 seiner Entscheidung auch für den ihm
vorgelegten Fall festhält. Um die Frage zu beurteilen, ob sich der SEP-Inhaber mit
der Erhebung seiner auch auf Unterlassung und Rückruf gerichteten
Verletzungsklage kartellrechtswidrig verhält, ist es auch nicht erforderlich, im
Verletzungsprozess exakt - sofern dies überhaupt möglich ist - zu bestimmen, ob
sein unterbreitetes Angebot FRAND ist. Denn naturgemäß wird das
Vertragsangebot des SEP-Inhabers mit Blick auf die geforderte Lizenzgebühr
höher liegen als dasjenige des angeblichen Verletzers. Dies indes entspricht dem
kartellrechtlich nicht zu beanstandenden Gang von Geschäftsverhandlungen.
Kartellrechtswidrig wird die sich auf dem SEP gründende Verhandlungsmacht
erst dann durch Erhebung einer auf Rückruf und Unterlassung gerichteten Klage
ausgeübt, wenn die Art und Weise der Verhandlungsführung sich als Missbrauch
der beherrschenden Stellung darstellt. Dies ist aber nicht bereits dann der Fall,
wenn das Angebot des SEP-Inhabers nicht exakt FRAND ist, sondern sich
darüber bewegt. Kartellrechtswidrig und ersichtlich nicht FRAND ist ein Angebot
erst dann, wenn es sich unter Berücksichtigung der konkreten
Verhandlungssituation und insbesondere der Marktgegebenheit als Ausdruck
von Ausbeutungsmissbrauch darstellt. Dies wäre nach Auffassung der Kammer
etwa der Fall, wenn der SEP-Inhaber, der eine FRAND-Erklärung abgeben hat,
von dem lizenzwilligen Patentverletzer Bedingungen fordert, die in erheblicher
Weise und ohne das hierfür rechtfertigende Gründe ersichtlich wären,
wirtschaftlich für den angeblichen Verletzer weit ungünstiger sind als anderen
Lizenznehmern gewährte Bedingungen. Für diese Sichtweise spricht nach der
Überzeugung der Kammer, dass der Gerichtshof bei Rn. 68 seiner Entscheidung
ausführt, dass die Parteien im Falle des Dissenses über die Einzelheiten der
FRAND-Bedingungen die Möglichkeit hätten, im gegenseitigen Einvernehmen zu
beantragen, dass die Lizenzgebühren durch einen unabhängigen Dritten
festgelegt werden. Dessen bedürfte es ersichtlich nicht, wenn schon das Angebot
des SEP-Inhabers im objektiv verstandenen Sinne FRAND sein müsste. Diese
Überlegungen sprechen aus Sicht der Kammer daher gegen die Auffassung des
Oberlandesgerichts Düsseldorf (vgl. Beschluss vom 13.01.2016, 15 U 66/15,
vorgelegt als Anlage [B] 53), die zudem auch zwei als Referenten tätige, nicht mit
der Entscheidung befasste Richter des Oberlandesgerichts Düsseldorf nach dem
Vortrag der Parteien kürzlich geäußert haben sollen, wonach der angebliche
Patentverletzter auf das Angebot des Patentinhabers nur dann mit einem
Gegenangebot und der Sicherheitsleistung soll reagieren müssen, wenn das
Angebot des SEP-Inhabers vollständig FRAND-Kriterien entspreche. Soweit dies
nach Auffassung des Oberlandesgerichts Düsseldorf daraus abzuleiten sein soll,
dass der Gerichtshof in der Randnummer 78 seiner Entscheidung das
Demonstrativpronomen „dieses“ verwendet und somit ersichtlich allein ein
tatsächlich (bei objektiver Bestimmung) FRAND-Kriterien entsprechendes
Angebot meine, kann dieses bloße Wortlautargument aus den geschilderten
systematischen Gründen die Kammer nicht überzeugen.
76 Der Patentinhaber hat dabei die Art und Weise der Berechnung der Lizenzgebühr
anzugeben, weil er als Inhaber des SEP jedenfalls dann, wenn weder ein
Standardlizenzvertrag existiere noch die mit anderen Lizenznehmern
geschlossenen Lizenzverträge veröffentlicht seien, besser in der Lage sei zu
prüfen, ob sein Angebot die Voraussetzung der Gleichbehandlung wahre, als der
Verletzer. An dieser Stelle betont der Gerichtshof aus Sicht der Kammer mithin,
dass er den Missbrauch gerade in der Ungleichbehandlung des mit der
Verletzungsklage überzogenen Verletzers gegenüber sonstigen Lizenznehmern
und Lizenzsuchern sieht. Dazu, wie detailliert die Darlegungen des SEP-Inhabers
sein müssen, verhält sich der Gerichtshof in seinem Urteil nicht. Nach Auffassung
der Kammer wird der SEP-Inhaber den angeblichen Verletzer in die Lage
versetzen müssen, anhand objektiver Kriterien nachzuvollziehen, warum der
SEP-Inhaber zu der Überzeugung gelangt, dass das von ihm unterbreitete
Angebot FRAND-Kriterien entspricht.
77 c) Der Verletzer muss auf dieses Angebot reagieren, selbst wenn es seiner
Auffassung - wie regelmäßig - nicht den FRAND-Kriterien entspricht (ebenso im
Ergebnis LG Mannheim, Urteil vom 27.11.2015 - 2 O 106/14 Seite 51 bei (bb) und
LG Düsseldorf, Urteil vom 3. November 2015 - 4a O 144/14). Eine Ausnahme
hiervon ist nach der Auffassung der Kammer allein in solchen Fällen zu machen,
in denen sich das Angebot des SEP-Inhabers bereits bei summarischer Prüfung
evident als nicht FRAND und mithin als Missbrauch einer beherrschenden
Stellung des SEP-Inhabers darstellt. Denn selbst wenn ein Angebot eines SEP-
Inhabers aus der Sicht eines lizenzwilligen Patentbenutzers nicht FRAND
entspricht, kann von ihm mit Ausnahme solcher evident gelagerten Fälle verlangt
werden, seine Redlichkeit und Lizenzwilligkeit dadurch zu demonstrieren, dass er
ein Gegenangebot unterbreitet, das seiner Auffassung nach FRAND ist. Dieses
Gegenangebot ist alsbald zu unterbreiten, da der Gerichtshof dem angeblichen
Patentverletzer keine Verzögerungstaktik zugestehen will. Mithin muss vom
angeblichen Verletzter auf das konkrete schriftliche Angebot des SEP-Inhabers
so schnell reagiert werden, wie dies nach den Umständen des Einzelfalls bei
Anwendungen der in dem Bereich anerkannten geschäftlichen Gepflogenheiten
und des Grundsatzes von Treu und Glauben von ihm erwartet werden kann.
78 d) Schlägt der SEP-Inhaber dieses Angebot aus und hat der angebliche Verletzer
das SEP bereits benutzt, bevor ein Lizenzvertrag geschlossen wurde, verlangt
der Gerichtshof, dass er ab dem Zeitpunkt der Ablehnung des Gegenangebots
eine angemessene Sicherheit etwa durch Beibringung einer Bankgarantie oder
durch Hinterlegung leistet. Die Berechnung der Sicherheit muss unter anderem
die Zahl der vergangenen Benutzungshandlungen in Bezug auf das SEP
umfassen, für die der angebliche Verletzer eine Abrechnung vorlegen können
muss. Diese Sicherheit muss zudem den in dem betreffenden Bereich
anerkannten Gepflogenheiten entsprechen.
79 e) Soweit mit der Verletzungsklage hingegen auf Rechnungslegung und
Schadensersatz bezogene Ansprüche wegen vergangenen
Benutzungshandlungen verfolgt werden, kann der SEP-Inhaber diese ohne
Weiteres verfolgen und muss nicht die zuvor geschilderten Pflichten erfüllen.
80 2. Der Klage auf Unterlassung und Rückruf steht jedenfalls in Übergangsfällen, in
denen die Klage vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes erhoben
wurde, nicht entgegen, dass die Klägerseite ihre Obliegenheiten nicht bereits vor
Klageerhebung, sondern erst danach erfüllt hat.
81 a) Für die dogmatische Einordnung des vom Europäischen Gerichtshof
aufgestellten Erfordernisses, dass der Inhaber eines standardessentiellen
Patents den (angeblichen) Verletzer bereits vor Klageerhebung auf den
Verletzungssachverhalt hinweisen und ihm - bei Lizenzwilligkeit - auch noch vor
Erhebung der Verletzungsklage ein FRAND-Angebot unterbreiten muss, kommt
zum einen eine materiell-rechtliche Durchsetzungssperre und zum anderen eine
prozessrechtliche Klageerhebungsvoraussetzung in Betracht. Für eine materiell-
rechtliche Einordnung spricht, dass der Europäische Gerichtshof sich mit der
Frage der Kartellrechtswidrigkeit einer bestimmten Vorgehensweise und damit mit
einer materiell-rechtlichen Frage befasst. Es erscheint daher folgerichtig, die vom
Gerichtshof aufgestellten Kriterien als materiell-rechtliche
Durchsetzbarkeitsvoraussetzungen aufzufassen. Es kann auch nicht
angenommen werden, dass der Gerichtshof in das durchaus unterschiedliche
Prozessrecht der Mitgliedsstaaten eingreifen wollte. Vielmehr wollte der
Gerichtshof materiell-rechtliche Verhaltenspflichten aufstellen. Die dogmatische
Einordnung kann für die Frage des Erfolgs einer Klage indes offen bleiben. Wird
nach der Verkündung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes eine
Klage erhoben, ohne dass der Patentinhaber zuvor der Hinweispflicht genügt und
ein FRAND-Lizenzangebot unterbreitet hat, wäre diese voreilige Klage bei
Einordnung als materiell-rechtliche Durchsetzungssperre als derzeit unbegründet,
bei Einordnung als prozessuale Klageerhebungsvoraussetzung hingegen als
unzulässig abzuweisen.
82 b) In beiden Fällen ist es dem Patentinhaber aber unbenommen, nach
Klageabweisung das vorgesehene Verfahren zu durchlaufen und bei nicht
FRAND-gemäßem Verhalten des Patentbenutzers erneut Klage auf
Unterlassung, Rückruf und Vernichtung zu erheben. Nach Auffassung der
Kammer ist das vom Gerichtshof aufgestellte Erfordernis „vor Klageerhebung“
nicht so zu verstehen, dass der Patentinhaber bei Nichteinhaltung seiner
patentrechtlichen Verbietungsrechte dauerhaft verlustig geht oder sein
entsprechendes Klagerecht verwirkt hat. Für eine solchen Sichtweise bietet die
Entscheidung keine Anhaltspunkte. Das Kartellrecht knüpft an bestimmte
Verhaltensweisen an, die es untersagt. Ist eine Verhaltensweise kartellrechtlich
verboten, kann sich der Betroffene nicht auf seine sonstigen Rechtspositionen
berufen. Das Kartellrecht bildet insoweit eine Ausübungsschranke. Gibt der
Betroffene indes die kartellrechtswidrige Verhaltensweise auf, stehen ihm seine
Rechte wieder zur Verfügung. Dementsprechend betont der Gerichtshof, dass die
Ausübung eines mit dem geistigen Eigentum verbundenen ausschließlichen
Rechts als solche keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
darstelle (Rn. 46). Nur unter außergewöhnlichen Umständen könne die
Ausübung ein missbräuchliches Verhalten im Sinne des Art. 102 AEUV sein (Rn.
47). Im vorgelegten Fall sah der Gerichtshof die außergewöhnlichen Umstände
darin begründet, dass das Streitpatent ein standardessentielles Patent war,
dessen Benutzung für den Wettbewerber unerlässlich ist, und dass das Patent
diesen Status nur im Austausch gegen eine FRAND-Verpflichtungserklärung
erhalten hat, so dass der marktbeherrschende Patentinhaber, der sich in
Widerspruch zu seiner FRAND-Erklärung setzt und eine FRAND-Lizenz
verweigert, grundsätzlich seine marktbeherrschende Stellung missbraucht.
Hieraus folgt, dass der Patentinhaber seiner Rechte nicht endgültig verlustig geht,
sondern bei Wegfall der außergewöhnlichen Umstände, insbesondere seiner
Weigerung, das Ausschließlichkeitsrecht wieder ausgeübt werden kann, wenn
sich der Patentbenutzer seinerseits nicht an die Regeln hält.
83 Ein endgültiger Rechtsverlust wäre auch unverhältnismäßig. Er ist nicht
erforderlich, um kartellrechtskonformes Verhalten zu erreichen.
84 c) Jedenfalls in den oben umschriebenen Übergangsfällen gebietet es das Urteil
des Europäischen Gerichtshofes nicht, die Klage abzuweisen und den
Patentinhaber auf eine erneute Erhebung der Klage zu verweisen, sobald der
Patentinhaber die ihm auferlegten Obliegenheiten nachgeholt hat.
85 aa) Eine solche Übergangsregelung ist nicht bereits allein deshalb geboten, weil
der Gerichtshof an einen in der Vergangenheit abgeschlossenen Sachverhalt,
nämlich das Verhalten vor Klageerhebung, eine neue, bisher nicht bekannte und
auch nicht vorhersehbare Rechtsfolge knüpft, und die Parteien daher
naturgemäß nicht in der Lage gewesen sind, ihr Verhalten auf die in der
Rechtsprechung erst noch herauszuarbeitenden Kriterien anzupassen. Denn
gerichtliche Leitentscheidungen bringen es typischerweise mit sich, dass sie aus
einem in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Sachverhalt für die eine
oder andere Partei nachteilige Rechtsfolgen ableiten. Insoweit wird auch nicht
neues Recht gesetzt, sondern die bereits in der Vergangenheit geltende, den
Parteien indes häufig nicht bewusste Rechtslage festgestellt.
86 bb) Allerdings sind die Besonderheiten des Regelungsgegenstands dieser Leit-
Entscheidung zu berücksichtigen. Der Gerichtshof befasst sich mit der Frage,
unter welchen Bedingungen ein Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
vorliegt. Er stellt dabei bestimmte Verhaltensobliegenheiten des Patentinhabers
auf, bei deren Verletzung er einen Missbrauch annimmt. Dies ist folgerichtig, weil
ein Missbrauch nur dann sicher gerichtlich feststellbar ist, wenn er anhand
objektiv überprüfbarer Kriterien festgestellt wird. Für die Schaffung eines
Übergangsrechts für bereits anhängige Klageverfahren, in denen die Klagepartei
die sie treffenden Obliegenheiten vor Klageerhebung mit Wirkung für das
laufende Prozessverhältnis formal nicht mehr erfüllen kann, sprechen aufgrund
der Besonderheit dieser Konstellation mehrere Gründe:
87 (1) Zum einen handelt es sich bei den vom EuGH aufgestellten Bedingungen
zwar um strikte Bedingungen. Sie sind aber nicht als rein formale Kriterien zu
verstehen, sondern nach stets die kaufmännischen Gepflogenheiten in dem
betroffenen Wirtschaftsbereich in das Zentrum der Überlegungen stellenden
Konzeption des Gerichtshofes als eine Art Verhaltenstest, um zu prüfen, ob es
den Parteien, die regelmäßig verbal von sich behaupten, sie seien zu einer
Lizenzgabe bzw. Lizenznahme zu FRAND-Bedingungen bereit, damit auch
tatsächlich ernst ist oder ob sie die Bereitschaft nur vorschützen und tatsächlich -
im Fall der Klagepartei - über den Druck der gerichtlichen Geltendmachung der
Verbietungsrechte unangemessene Lizenzgebühren durchsetzen oder - im Fall
der Beklagtenpartei - die berechtigte Rechtsdurchsetzung des Patentinhabers
durch Zeitgewinn bis zum Ablauf des Patents verhindern oder jedenfalls
maßgeblich verzögern wollen. Denn beide Parteien müssen durch Vorlage von
entsprechenden FRAND-Angeboten ihren Willen, zu angemessenen und nicht
diskriminierenden Bedingungen eine Lizenz zu gewähren bzw. zu nehmen,
demonstrieren und die Beklagtenpartei muss die Ernsthaftigkeit ihrer
Lizenzbereitschaft durch eine Abrechnung und Sicherheitsleistung
dokumentieren.
88 Die den Kläger somit vor Klageerhebung treffenden Obliegenheiten sind Teil
dieses Verhaltenstest für dessen eigene Redlichkeit, insbesondere dafür, dass er
es mit seiner Lizenzbereitschaft ernst meint. Verstößt er nach dem
Bekanntwerden des Urteils des Gerichtshofs gegen diese Obliegenheiten, lässt
dies auf seine fehlende Redlichkeit schließen. Vor der Entscheidung „Huawei./.
ZTE“ hatte der Patentinhaber indes, wenn er sich redlich verhalten wollte, keine
Veranlassung, das vom Gerichtshof aufgestellte Verhaltensprogramm bereits vor
Klageerhebung zu durchlaufen. Der rechtstreue Patentinhaber hat sich im Fall der
Klageerhebung vor deutschen Gerichten vielmehr an der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshof in der Entscheidung Orange-Book-Standard (BGHZ 180, 312)
orientiert. Vor diesem Hintergrund erscheint es nicht gerechtfertigt, in Altfällen, in
denen der Patentinhaber vor Klageerhebung das Verhaltensprogramm des
Gerichtshofes, mit dem er seine Redlichkeit dokumentiert, nicht kannte und auch
nicht vorhersehen konnte, aus der Nichteinhaltung dieses unbekannten
Verhaltensprogramms vor Klageerhebung den Rückschluss auf ein mit der
Klageerhebung verfolgtes, unredliches wirtschaftliches Verfahrensziel zu ziehen.
Bereits unter diesem Gesichtspunkt muss es in solchen Altfällen genügen, wenn
der Patentinhaber seine Obliegenheiten nachholt, wobei in einer schlüssigen
Klageschrift regelmäßig eine ausreichende Information über den
Verletzungssachverhalt zu erblicken sein dürfte.
89 (2) Zum anderen ist zu beachten, dass die vom Europäischen Gerichtshof
aufgestellten Obliegenheiten nicht allein einen Verhaltenstest für die
Ernsthaftigkeit der FRAND-Lizenzbereitschaft der Beteiligten darstellen, sondern
auch dazu dienen, den Abschluss von FRAND-Lizenzverträgen durch
verfahrensmäßige Vorgaben zum Gang der Verhandlungen zu fördern.
90 Die Einhaltung des vom Gerichtshof vorgesehenen Verfahrens führt die
Beteiligten nämlich mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem Vertragsschluss. Wird
das Programm mit den wechselseitigen Obliegenheiten eingehalten, besteht eine
nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die unterschiedlichen
Positionen der Beteiligten am Ende des Tages zu einem zügigen Abschluss
eines Lizenzvertrags konvergieren. So wird der Patentinhaber nicht mehr hinter
sein als FRAND angesehenes Angebot zurückfallen können. Auch der
Patentbenutzer wird sich nicht mehr von seinem von ihm ebenfalls als FRAND
angesehenen Angebot lösen können. Soweit die Angebote auseinanderliegen,
wird sich keine Partei darauf berufen können, dass ein Vertragsschluss aufgrund
der Diskrepanzen nicht möglich sei, weil die Parteien die Möglichkeit haben, die
Lizenzgebühren durch einen unabhängigen Dritten festlegen zu lassen (Rn. 68).
Gleiches wäre auch bei Streitigkeiten über Einzelheiten der übrigen
Vertragsbedingungen - etwa hinsichtlich der Formulierung einzelner Klauseln und
des sachlichen, örtlichen und zeitlichen Vertragsumfangs - möglich.
91 Es ist daher davon auszugehen, dass der Europäische Gerichtshof mit dem von
ihm aufgestellten Programm der wechselseitigen Obliegenheiten die Parteien auf
einen Weg führen wollte, der mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit in den
Abschluss eines Lizenzvertrags mündet und eine in der derzeitigen Praxis aller in
Lizenzvertragsangelegenheiten tätigen Unternehmen vollkommen fremde
Befassung der Gerichte mit Einzelheiten der nur schwer justiziablen Frage, wie im
konkreten Einzelfall ein FRAND-Lizenzvertrag aussieht, vermeidet.
92 Es ist nun aber kein Grund ersichtlich, weshalb dieser Weg zumindest in
Übergangsfällen, in denen eine Klage in Unkenntnis der Bedingungen des EuGH
bereits erhoben wurde, so dass die Erhebung der Klage nicht schon für sich
genommen auf die fehlende Bereitschaft des Patentinhabers schließen lässt,
einen Lizenzvertrag zu FRAND-Bedingungen abzuschließen, nicht gangbar sein
soll. Im Gegenteil würde in den Altfällen das von der Beklagten befürwortete rein
formale Verständnis der Worte „vor der Klageerhebung“ den wirtschaftlichen
Konflikt der Parteien widersinnig von der heilsamen Wirkung des vom Gerichtshof
für Recht erkannten Verfahrensleitbilds ausschließen.
93 (3) Soweit mit den vom Gerichtshof dem Patentinhaber auferlegten
Obliegenheiten vor Klageerhebung bezweckt gewesen sein sollte, dass der
Patentbenutzer mit der Klage nicht überfallen wird, sondern ohne den Druck der
im Verfahren gesetzten Fristen die Verhandlungen über die Lizenznahme führen
kann, steht dieser Aspekt in Übergangsfällen einer Nachholung der
Obliegenheiten durch den Patentinhaber im laufenden Verfahren jedenfalls dann
nicht entgegen, wenn in dem Verfahren ausreichend Zeit für die Aufnahme von
ernsthaften Verhandlungen war. Ein solcher Freiraum kann insbesondere dann
gegeben sein, wenn das Verfahren ausgesetzt ist.
94 cc) Die Entscheidung des Gerichtshofes schließt es auch nicht aus, dass in den
Fällen, in denen die Klage bereits vor der Entscheidung „Huawei ./. ZTE“ erhoben
wurde, eine Übergangslösung zur Anwendung kommt, die dem Geist der in der in
dieser Entscheidung erkannten Grundsätze entspricht. Vielmehr deutet die
Entscheidung selbst darauf hin, dass in solchen Altfällen die aufgestellten
Kriterien in Bezug auf das Erfordernis „vor Klageerhebung“ nicht formal zu sehen
sind, sondern ihrem Geist nach zur Anwendung kommen sollen.
95 (1) Der EuGH betont bereits eingangs der Entwicklung seiner Grundsätze, dass
die Bedingungen, die vom Patentinhaber eines SEP erfüllt werden müssen, damit
seine Klage auf Unterlassung oder Rückruf nicht als missbräuchlich angesehen
werden kann, einen gerechten Ausgleich der betroffenen Interessen
gewährleisten sollen und dass hierbei den besonderen rechtlichen und
tatsächlichen Umständen des konkreten Falles gebührend Rechnung zu tragen
ist (Rn. 55, 56). Mit diesem Ansatz, einen gerechten Interessensausgleich
herstellen zu wollen, erscheint es unvereinbar, die Klage eines Patentinhabers,
der in Übergangsfällen seine Lizenzwilligkeit durch Nachholung der
Obliegenheiten dokumentiert hat, allein deshalb abzuweisen, weil er die
Obliegenheiten nicht bereits vor Klageerhebung und vor der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofes erfüllt hat.
96 (2) In Rn. 70 seines Urteils führt der Gerichtshof nach der Entwicklung des
Programms der wechselseitigen Obliegenheiten aus, dass es Aufgabe des
vorlegenden Gerichts sei, zu prüfen, ob die genannten Kriterien im vorgelegten
Fall erfüllt sind, „soweit sie nach den Umständen des vorliegenden Falls für die
Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits maßgeblich sind“.
97 Mit dem Nachsatz kann der EuGH nicht gemeint haben, dass die im Urteil
entwickelten kartellrechtlichen Grundsätze im Vorlagerechtsstreit deshalb nicht
zur Anwendung kommen könnten, weil es auf sie für die Entscheidung des
Rechtsstreits u.U. nicht ankommt. Denn dann wären die Kartellrechtsfragen
schon nicht vorgreiflich. Gemeint sein kann auch nicht die Frage, ob die vom
Gerichtshof angenommene Ausgangssituation überhaupt vorlag, nämlich dass es
sich um ein standardessentielles Patent, zu dem eine FRAND-Erklärung
abgegeben wurde, handelt und dass eine marktbeherrschende Stellung vorliegt.
Wie der EuGH nämlich referiert, hat die dortige Klagepartei eine FRAND-
Erklärung abgegeben (Rn. 22), hat das Vorlagegericht die Standardessentialität
des Klagepatents bereits festgestellt (Rn. 23) und die marktbeherrschende
Stellung steht nach den Feststellungen des Vorlagegerichts nicht im Streit (Rn.
43) - andernfalls dürfte auch keine Vorgreiflichkeit vorgelegen haben. Mit dem
Nachsatz kann auch nicht angesprochen sein, dass die Kriterien nur auf den
Unterlassungsanspruch und den Rückrufanspruch Anwendung finden und im
Übrigen das Vorlagegericht zu prüfen habe, inwieweit sie auf die anderen
patentrechtlichen Ansprüche übertragen werden können. Denn zum einen
bezieht sich die Passage mit dem Nachsatz ausschließlich auf den
Unterlassungs- und Rückrufanspruch. Die Frage der Übertragbarkeit auf andere
Ansprüche kann insoweit nicht gemeint sein, zumal der Schadensersatz an
anderer Stelle ausdrücklich behandelt wird. Zum anderen kann aber die Frage,
auf welche Art von Ansprüchen die Kriterien Anwendung finden, schwerlich von
den Umständen des entschiedenen Falles abhängen. Umgekehrt ist auch
zweifelhaft, dass der Soweit-Nachsatz bedeuten soll, dass die Anwendung der
aufgestellten Grundsätze generell noch von den Umständen des Einzelfalles
abhängen soll.
98 Der Nachsatz kann daher nur so zu verstehen sein, dass das Vorlagegericht im
vom Gerichtshof entschiedenen Fall und jedes Gericht der Mitgliedsstaaten in
den bei ihm geführten Verletzungsrechtsstreiten um standardessentielle Patente
in Übergangsfällen prüfen muss, inwieweit die im Urteil aufgestellten Kriterien bei
Würdigung der dortigen Umstände auf den Vorlagefall als Übergangsfall
anzuwenden sind, um den Missbrauch festzustellen. Hiermit sind die formalen
Kriterien angesprochen, nämlich die Erfüllung der Obliegenheiten durch die
Klägerseite gerade vor Klageerhebung, die die Klägerseite nicht kennen konnte
und deren Nichteinhaltung vor Klageerhebung daher nicht ohne weiteres
Ausdruck eines missbräuchlichen Verhaltens sein kann. Die dortige
Patentinhaberin hatte nämlich nach der Darstellung des Ausgangssachverhalts
im Urteil (Rn. 25) während der vorprozessualen Lizenzgespräche in der Zeit vom
November 2010 bis Ende März 2011 vor der Klageerhebung vom 28.04.2011
entgegen den nunmehr aufgestellten Bedingungen gerade kein Lizenzangebot
vorgelegt. Wäre das Kriterium „vor Klageerhebung“ auch in Übergangsfällen
streng formal zu sehen, hätte es des Soweit-Nachsatzes nicht bedurft, denn dann
gäbe es für das Vorlagegericht nichts auf der Grundlage der Umstände des
Vorlagefalles zu prüfen. Die Klage wäre ohne weiteres abzuweisen, weil die
dortige Patentinhaberin vor Klageerhebung kein Lizenzangebot und damit auch
kein FRAND-Lizenzangebot vorgelegt hat. Mit dem Soweit-Satz kann der
Gerichtshof daher auch nicht gemeint haben, dass die nachgelagerten
Obliegenheiten des Patentbenutzer nur dann zum Zug kommen, wenn die
Erfüllung der Obliegenheiten durch den Patentinhaber geprüft und positiv
festgestellt wurde.
99 Mit dem Soweit-Satz eröffnet der Gerichtshof daher dem Vorlagegericht und den
anderen Gerichten, bei denen noch Übergangsfälle anhängig sind, die
Möglichkeit, das Kriterium vor Klageerhebung in den Übergangsfällen nicht zum
alleinigen Gradmesser der Frage, ob der Patentinhaber seine
marktbeherrschende Stellung missbraucht, zu machen, wenn er die aufgestellten
Bedingungen erst später erfüllt.
100 dd) Jedenfalls lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen, dass sie bereits
anhängigen Klagen die Grundlage entziehen wollte, obwohl der Patentbenutzer
nicht ernsthaft FRAND-lizenzwillig ist und die aufgestellten Bedingungen in
solchen Übergangsfällen durch den Patentinhaber erst nach Klageerhebung
erfüllt worden sind. Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass der
Gerichtshof den an sich lizenzunwilligen Patentbenutzer in Übergangsfällen
privilegieren wollte, indem er ihm neue Möglichkeiten für eine Hinauszögerung bis
zum Ablauf des Klagepatents verschafft.
101 (1) Der EuGH betont in seinem Urteil die große Bedeutung des Rechts des
geistigen Eigentums und der damit verbundenen Verbietungsrechte, deren
Ausübung nur aufgrund außergewöhnlicher Umstände ein missbräuchliches
Verhalten im Sinne des Art. 102 AEUV darstellt (vgl. Rn. 46 f., 57 f.). Gleichzeitig
wendet sich der EuGH gegen eine Verzögerungstaktik auf der Seite des
Patentbenutzers, der innerhalb kurzer Frist ein Gegenangebot vorlegen und ggf.
Sicherheit leisten und abrechnen muss (Rn. 65 f.,71).
102 (2) Würde man die Klagen in den Übergangsfällen, in denen der Patentinhaber
die ihn treffenden Obliegenheiten zwar mittlerweile erfüllt hat, dies jedoch nicht
bereits vor Klageerhebung geschehen ist, aus diesem Grund abweisen, ohne
sicherzustellen, dass der Patentnutzer seinerseits lizenzwillig ist und dies durch
die Erfüllung der ihm vom Gerichtshof auferlegten Obliegenheiten dokumentiert
hat, würde der unwillige Patentbenutzer entgegen dem Geist der Entscheidung
privilegiert:
103 (a) Ein bereits ausgeschriebenes und entscheidungsreifes Gerichtsverfahren
müsste erneut durchgeführt werden. Der unwillige Patentbenutzer würde
hierdurch belohnt, weil er zusätzlich die Zeit zwischen der erneuten
Klageerhebung und dem Urteil gewinnt, während der redliche Patentbenutzer,
der ein nach Klageerhebung nachgereichtes Lizenzangebot des Patentinhabers
zum Anlass nimmt, seinerseits die ihn treffenden Obliegenheiten aus dem EuGH-
Urteil zu erfüllen, benachteiligt wäre. Er müsste bei Abschluss eines
Lizenzvertrags bereits Lizenzen zahlen und abrechnen, während der unwillige
Patentbenutzer diese Belastungen hinauszögert.
104 (b) Aufgrund der Zivilprozessordnung stünden dem unwilligen Patentbenutzer
überdies weitere Verzögerungsmöglichkeiten zur Verfügung. In Übergangsfällen,
in denen bereits verhandelt wurde, kann der Patentinhaber die Klageanträge auf
Unterlassung und Rückruf nicht ohne Zustimmung der Beklagtenseite
zurücknehmen, um auf diese Weise den Weg für eine neue Klage, diesmal unter
Beachtung der Obliegenheiten für den Zeitraum vor Klageerhebung, zu erheben.
Sind für die Entscheidung der Patentverletzung und/oder für die
patentrechtlichen Annexansprüche Beweiserhebungen erforderlich, kann sich
die Zeit bis zur Verkündung des erstinstanzlichen Urteils hinziehen. Der unwillige
Patentbenutzer kann das Verfahren insoweit auch weiter verschleppen. Die
Kammer verkennt nicht, dass der Patentinhaber in einer solchen Konstellation
auch dann, wenn man in Übergangsfällen die Anträge auf Unterlassung und
Rückruf nicht bereits deshalb abweisen wollte, weil die vom EuGH für die Zeit vor
Klageerhebung aufgestellten Bedingungen nicht eingehalten wurden, bis zur
Urteilsverkündung aufgrund der Verschleppungstaktik des Patentbenutzer
mitunter ebenfalls längere Zeit warten müsste. Jedoch würde die ohnehin schon
lange Wartezeit weiter verschärft, wenn die Klage wegen der Erfüllung der
Obliegenheiten durch den Patentinhaber erst nach Klageerhebung abgewiesen
und das gesamte Verfahren für den Erhalt eines Unterlassungstitels in einem
zweiten Prozess nochmals wiederholt werden müsste.
105 Ein Teilurteil, in welchem der Unterlassungs- und der Rückrufklageantrag bei
fehlender Entscheidungsreife des Gesamtrechtsstreits gestützt auf die fehlende
Einhaltung der vom Gerichtshof aufgestellten Kriterien vor Klageerhebung schon
einmal vorab abgewiesen wird, um dem Patentinhaber frühzeitig die erneute
Geltendmachung dieser Ansprüche, diesmal unter Einhaltung der
Obliegenheiten vor Klageerhebung zu ermöglichen, ist in einer solchen
Konstellation dann nicht möglich, wenn aufgrund der Anfechtbarkeit des
Teilurteils die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen besteht. Eine
solche Gefahr besteht beispielsweise dann, wenn der unwillige Patentbenutzer
die Aktiv- oder Passivlegitimation bestreitet und den Patentinhaber auf diesem
Weg in die Beweisaufnahme zwingt oder für den Nachweis des
Verletzungssachverhalt aufgrund eines Bestreitens des Patentbenutzers ein
Sachverständigengutachten erforderlich ist.
106 (3) Dem redlichen Patentbenutzer entsteht durch das hier vertretene Verständnis
des Kriteriums „vor Klageerhebung“ in Übergangsfällen auch kein Nachteil, denn
er wird ein den Kriterien des Europäischen Gerichtshofes entsprechendes
Angebot des Patentinhabers in einer solchen Konstellation redlicherweise nicht
allein deshalb zurückweisen, weil es erst nach Klageerhebung erfolgte, sondern
es zum Anlass nehmen, seine ernstgemeinte Lizenzbereitschaft durch Erfüllung
der ihn nach dem EuGH-Urteil treffenden Obliegenheiten zu dokumentieren.
Ohnehin müsste ein Patentbenutzer, wenn er denn tatsächlich lizenzwillig
gewesen ist, ohne weiteres über die Benutzungshandlungen abrechnen und ein
eigenes ernstzunehmendes Angebot, an dem er sich festhalten lassen möchte,
vorlegen können. Ein lizenzwilliger Patentbenutzer wird üblicherweise nicht in
Verhandlungen gehen, ohne vorher den Umfang der Benutzungshandlungen in
der Vergangenheit ermittelt und sich Gedanken über einen möglichen
Lizenzvertrag gemacht zu haben. Ohne die genaue Kenntnis über den Umfang
der eigenen Benutzungshandlungen lassen sich die wirtschaftlichen
Auswirkungen eines Lizenzvertrages nicht feststellen und die wechselseitigen
Lizenzangebote nicht wirtschaftlich bewerten. Für einen willigen Patentbenutzer
ist daher kein Grund ersichtlich, nicht mit einem aus seiner Sicht angemessenen
Gegenangebot zu reagieren und entsprechend abzurechnen.
107 3. Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Klägerin nicht aus
kartellrechtlichen Gründen gehindert, die mit der Klage verfolgten Ansprüche
durchzusetzen.
108 a) Auf der Grundlage des oben entwickelten Verständnisses der Kammer
bestehen zwar durchgreifende Bedenken, dass die Vorstellung des
Lizenzprogramms durch den Patent-Pool [A.] gegenüber der Mutter der
Beklagten den Anforderungen an den vom Gerichtshof geforderten Hinweis auf
die Patentverletzung genügt.
109 b) Dies kann jedoch dahinstehen, da die Klägerin die sie treffenden
Obliegenheiten nach Klageerhebung nachträglich erfüllt hat und im Verfahren
ausreichend Gelegenheit für die Beklagte bestand, ernsthafte
Lizenzverhandlungen zu führen, ohne einem unangemessenen
Verhandlungsdruck durch die geltend gemachten Verbietungsrechte ausgesetzt
gewesen zu sein. Das Verfahren war nämlich mehrere Monate ausgesetzt.
Ferner lagen zwischen der Veröffentlichung der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofs und der mündlichen Verhandlung im hiesigen Verfahren ebenfalls
mehrere Monate. Zwischen dem ersten inhaltlichen Schriftsatz der Klägerseite
nach dem Wiederanrufen des Verfahrens und der mündlichen Verhandlung
verging mehr als ein Monat. In diesem Zeitraum bestand für die Beklagtenseite
ausreichend Gelegenheit, die eigenen Obliegenheiten zu erfüllen und auf diese
Weise eine Verurteilung aus den geltend gemachten Verbietungsrechten
abzuwenden. Wie bereits dargelegt, müsste ein redlicher Patentbenutzer ohnehin
binnen kürzester Zeit in der Lage sein, die ihn treffenden Obliegenheiten zu
erfüllen (vgl. dazu oben 2 c dd (3)). Dass in einem ausgesetzten Verfahren mit
einem Fortgang zu rechnen ist, begründet keine Drucksituation, die
unbefangenen Verhandlungen entgegenstünde. Wie der Europäische
Gerichtshof betont, hat der Patentbenutzer die ihn treffenden Obliegenheiten in
kurzer Zeit zu erfüllen. Endlosverhandlungen ohne ernsthafte Ergebnisse sind
nicht gewünscht und müssen vom Patentinhaber auch nicht geduldet werden.
Dementsprechend droht dem Patentbenutzer, wenn er die ihm obliegenden
Handlungen nicht zügig umsetzt, ohnehin eine Klage mit entsprechender
Verurteilung. Setzt er sie um, entzieht er auch in Übergangsfällen der
Durchsetzbarkeit der bereits geltend gemachten Verbietungsrechte die
Grundlage. Er hat es damit selbst in der Hand, eine durch die geltend gemachten
Verbietungsrechte u.U. entstehende Drucksituation zu beseitigen.
110 c) Die Klägerin hat jedenfalls in der Klagebegründung die Beklagte in
ausreichendem Maße auf die Verletzung des Klagepatents und dessen
Standardessentialität hingewiesen. In der Klagebegründung sind alle
Informationen enthalten, die ein Patentbenutzer benötigt, um nachvollziehen zu
können, worin die vorgeworfene Patentverletzung durch nach dem DVD-
Standard ausgebildete Vorrichtungen liegt.
111 Die Beachtlichkeit dieses Hinweises wird entgegen der Auffassung der Beklagten
nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Klägerin nicht in der Lage war, die
ursprüngliche FRAND-Verpflichtungserklärung gegenüber der
Standardisierungsorganisation des DVD-Standards vorzulegen. Es erschließt
sich nicht, wieso die Vorlage der FRAND-Erklärung zu der vom Gerichtshof
geforderten Bezeichnung des SEP gehören soll, zumal sich eine solche Pflicht
dem Urteil des Gerichtshof nicht entnehmen lässt und der Gerichtshof nach
Auffassung der Kammer ohnehin materielle Verhaltensregeln und keinen
Formalismus aufgestellt hat. Die Vorlage einer FRAND-Erklärung ist auch nicht
erforderlich, um den Verletzungshinweis anhand des Standards führen zu
können, denn auf die Verletzung kann unabhängig von der Vorlage einer
FRAND-Erklärung hingewiesen werden, indem erläutert wird, inwieweit der
Standard vom Patent gebraucht macht.
112 Eine fehlende oder nicht mehr auffindbare schriftliche FRAND-Erklärung kann
auch nicht die Anwendung der Grundsätze der Entscheidung „Huawei ./. ZTE“ in
Frage stellen, so dass letztlich offen bleiben kann, ob die Klägerin bereits im
Standardisierungsverfahren eine förmliche FRAND-Verpflichtungserklärung
abgegeben hatte. Entscheidend ist nämlich, dass der SEP-Inhaber keine Zweifel
daran lässt, dass er sich an eine FRAND-Verpflichtung gebunden hält. Diese
Bereitschaft zur Vergabe von Lizenzen nach FRAND-Bedingungen hat die
Klägerin durch die (ggfs. nochmalige) Abgabe der FRAND-Erklärung am
07.11.2014, die sich ausdrücklich auch auf die Vergangenheit bezieht (Anlage K
11), hinreichend dokumentiert. Es liegt damit die gleiche Ausgangssituation wie
bei einer bereits im Standardisierungsverfahren abgegebenen förmlichen
FRAND-Erklärung vor, nämlich dass sich der Patentinhaber durch ein nicht
FRAND-gemäßes Verhalten in Widerspruch zu seinen eigenen Bekundungen
und seinen Pflichten als Mitglied der Standardisierungsorganisation setzt und -
wie der Gerichtshof zutreffend betont - berechtigte Erwartungen Dritter erweckt,
aber nicht bedient.
113 Anhaltspunkte dafür, dass die Ende 2014 abgegebene FRAND-Erklärung, wie
die Beklagte in den Raum stellt, nicht richtig abgegeben, der DVD-
Standardisierungsorganisation nicht zugegangen oder dort nicht ordnungsgemäß
angenommen und aktenkundig gemacht wurde, liegen nicht vor. Die Beklagte
trägt nicht vor, dass sie bei der Standardisierungsorganisation angefragt hat,
sondern bestreitet offensichtlich ins Blaue hinein, so dass ihr Bestreiten als
unerheblich anzusehen ist. Letztlich kommt es nach Auffassung der Kammer
auch weniger auf diese formalen Aspekte, sondern vielmehr darauf an, dass sich
die Klägerin zur Vergabe von FRAND-Lizenzen auch für die Vergangenheit
verpflichtet hat.
114 d) Soweit man fordern wollte, dass in den Fällen, in denen eine weltweite
Portfolio-Lizenz den üblichen Gepflogenheiten entspricht, die vom Europäischen
Gerichtshof statuierte Hinweispflicht auch auf zumindest eine beispielhafte
Auswahl der Portfolio-Patente zu erstrecken ist, hat die Klägerin diese Bedingung
ebenfalls erfüllt.
115 Die Klägerin hat mit Schreiben vom 13.03.2015 (Anlage K 1 f) zusätzlich zu den
schriftsätzlichen Erläuterungen des Klagepatents beispielhaft für zwei weitere
Portfolio-Patente - stellvertretend für die jeweilige Patentfamilie - Claim-Charts
vorgelegt. Technische Informationen für fünf weitere Portfolio-Patente reichte sie
mit Schreiben vom 07.08.2015 (Anlage K 1 g) nach, so dass der Beklagten ab
diesem Zeitpunkt nach dem unwidersprochenen Vortrag der Klägerin technische
Erläuterungen für den Großteil der Portfolio-Patente der Klägerin vorlagen. In den
Claim-Charts (Anlage K 1 f) wurde für die Merkmale der Patentansprüche auf
diejenigen Abschnitte aus dem Standard hingewiesen, auf die die Klägerin die
Verwirklichung der von ihr als relevant angesehenen Ansprüche stützt, und kurze
Erläuterungen für ihre Verwirklichung gegeben. In den technischen Informationen
(Anlage K 1 g) hat die Klägerin die von dem Patent zu lösende Aufgabe und den
betroffenen technischen Aspekt skizziert und stichwortartig auf die relevanten
Stellen im DVD-Standard hingewiesen.
116 Die Claim-Charts und die technischen Informationen genügen jedenfalls den
Anforderungen, die an die Erfüllung der Hinweisobliegenheit nach Auffassung der
Kammer zu stellen sind. Sie versetzten die Beklagtenseite, bei der es sich zwar
nicht um die Herstellerin der Software, jedoch um einen weltweiten tätigen
Elektronikkonzern handelt, in die Lage, ggf. unter zumutbarer Hinzuziehung
externen Sachverstands und eigener Beschaffung von Informationen die
Verletzungsfrage zu prüfen. Die Hinweisobliegenheit erfordert es nach ihrem Sinn
und Zweck, den Patentbenutzer auf die Art und Weise der Verletzung
aufmerksam zu machen, nicht, den Verletzungssachverhalt in ähnlicher Weise
wie in einer Klage schlüssig darzulegen und zu belegen. Insgesamt hat die
Klägerin die Beklagte damit über die ihrer Auffassung nach gegebene
Standardessentialität von acht Patenten aus ihrem Portfolio in ausreichender
Weise informiert, ohne dass die Beklagte auf diese Darlegung näher
eingegangen wäre und dargelegt hätte, warum sie der Auffassung ist, dass die
Einschätzung der Klägerin patentrechtlich und/oder technisch verfehlt ist. Daher
durfte es die Klägerin hierbei bewenden lassen und hat zurecht in ihrem
Anwaltsschreiben nach Anlage K1g zum Ausdruck gebracht, dass sie von der
Übersendung technischer Informationen zu weiteren Portfoliopatenten absehen
würde, solange sich die Beklagte nicht zu den bisher vorgelegten Informationen
substantiiert einlassen würde.
117 Unschädlich ist dabei auch, dass die Klägerin der Beklagten nicht auch
unentgeltlich den DVD-Standard in Textform zur Verfügung gestellt hat. Selbst
wenn man den von der Beklagten behaupteten Preis für die
Standarddokumentation von USD 10.000,00 zugrunde legen würde, war es
einem Technologieunternehmen wie der Beklagten zuzumuten und von ihr zu
fordern, dass sie diese Summe für die Beschaffung der Standarddokumentation
aufwendet, um sich über die Schutzrechtslage zu informieren.
118 e) Überdies hat die Klägerin der Beklagten jedenfalls mit Schreiben vom
13.04.2015 (Anlage K 1 f) einen Lizenzvertragsentwurf übersandt, der nicht
evident nicht-FRAND ist. Weiter hat sie die Berechnung der Lizenz hinreichend
erläutert. Hierdurch hat sie die diesbezüglichen Anforderungen erfüllt.
119 Dass das Angebot eine weltweite Portfolio-Lizenz vorsieht und an die
Muttergesellschaft als Vertragspartner und nicht die Beklagte selbst gerichtet war,
ist unschädlich. Der Europäische Gerichtshof stellt maßgeblich auf die im
betreffenden Geschäftsbereich geltenden üblichen Gepflogenheiten ab. Nach
Auffassung der Kammer ist es Ziel des vom Gerichtshof aufgestellten
Verhaltensprogramms, die Beteiligten zu solchen Lizenzvereinbarungen zu
führen, die auch sonst im jeweiligen geschäftlichen Bereich üblich sind. Es ging
dem Gerichtshof erkennbar nicht darum, künstlich auf einzelne Länder
festgelegte Lizenzverträge oder gar getrennte Lizenzverträge für jedes benutzte
einzelne SEP herbeizuführen, wenn dies nicht den geschäftlichen
Gepflogenheiten des jeweiligen Geschäftsbereichs entspricht. Einen solchen an
den Marktgegebenheiten vorbeigehenden Markteingriff hatte der Gerichtshof
nicht im Sinn. Nach Erfahrung der Kammer entspricht es den üblichen
Gepflogenheiten, dass im Bereich weltweit geltender Standards Lizenzverträge
für SEPs im Falle eines in einer Vielzahl von betroffenen Ländern mit
Patentschutz tätigen Patentbenutzers nicht für jedes Land einzeln mit der
dortigen Konzerngesellschaft des Patentbenutzers für jedes einzelne Patent
abgeschlossen werden, sondern dass weltweite Portfolio-Lizenzen mit der
Konzernmutter vereinbart werden, in deren Genuss dann auch die einzelnen
nationalen Konzerngesellschaften kommen.
120 Unschädlich ist es auch, dass in dem Lizenzvertragsangebot die
Vertragsparteien noch nicht eingetragen sind und es noch nicht von der Klägerin
unterschrieben wurde. Der europäische Gerichtshof fordert lediglich die Vorlage
eines schriftlichen Lizenzvertragsangebots. Dieses Kriterium erfüllt das
Lizenzvertragsangebot.
121 Das Lizenzvertragsangebot enthält in Ziffer 5. Regelungen zur Lizenzhöhe.
Demnach entfallen auf Lizenzprodukte mit einem DVD-Laufwerk, das DVDs
beschreiben kann, USD [L] in dem Fall, dass der Lizenznehmer seine Pflichten
aus dem Vertrag vollständig erfüllt („Compliant Rates“), und andernfalls USD [L x
1.66] („Standard Rates“), auf Lizenzprodukte mit einem reinen Wiedergabe-DVD-
Laufwerk, das jedoch auch die Spezifikationen des CD-Standards erfüllt,
Compliant Rates in Höhe von USD [L‘] und Standard Rates in Höhe von USD [L‘ x
1,6] und auf alle weiteren Lizenzprodukte mit DVD-Software, also solche ohne
DVD-Laufwerk oder mit einem reinen DVD-Wiedergabelaufwerk, USD [L‘‘] im
Compliant-Fall und USD [L‘‘ x 1,55] im Standard-Fall. Lizenziert ist dabei allein die
vorinstallierte Software, nicht auch das Laufwerk. Für die Benutzungshandlungen
in der Vergangenheit ist eine Pauschalzahlung zur Abgeltung der Ansprüche in
Ziffern 4 und 5.01 vorgesehen, deren Höhe im dem Vertragsentwurf offen
gelassen wurde. In dem Begleitschreiben vom 13.04.2015 erläuterte die Klägerin
hierzu, dass der Betrag offen gelassen sei, da die Klägerin den Umfang der
Benutzungshandlungen in der Vergangenheit nicht kenne, die Pauschale könne
individuell ausgehandelt werden. Dass die für die Benutzungshandlungen in der
Vergangenheit anzusetzende Betrag nicht genannt wird, steht der Beachtlichkeit
des Angebots nicht entgegen. Zum einen konnte die Klägerin ohne die Kenntnis
des Umfangs der Benutzungshandlungen naturgemäß die Höhe der
Abgeltungszahlung nicht festlegen. Zum anderen ist nichts dafür ersichtlich, dass
die Klägerin insoweit höhere Stücklizenzen als im angebotenen Lizenzvertrag
angesetzt fordern wollte.
122 Die Klägerin hat die Berechnung der Lizenzhöhe auch in einer für objektive Dritte
nachvollziehbaren Form erläutert (vgl. Schreiben vom 13.03.2015, Anlage K 1 f.).
Sie hat zunächst die von ihr angesetzten Lizenzsätze aus den Lizenzsätzen von
[A.] für Software auf PCs mit Rekorder-Laufwerk und für die übrigen Fälle
abgeleitet. Hierzu hat sie für die Standard-Rates und die Compliant-Rates jeweils
das Verhältnis zwischen den entsprechenden Sätzen des [A.]-Programms und
des eigenen Software-Lizenzierungsprogramms gebildet und die [A.]-Sätze mit
diesem Faktor ([…] bzw. […]) multipliziert. Einen Aufschlag für den
Verwaltungsmehraufwand, der der Klägerin durch die Vergabe einer solchen
Einzellizenz anstelle einer Vergabe über das Poollizenzprogramm [A.], an dem
sie sich beteiligt hat, entsteht, hat die Klägerin nicht in Ansatz gebracht. Im
Schriftsatz vom 20.11.2015 erläuterte die Klägerin, dass ihr Anteil an den [A.]-
Porfolio-Patenten zwar nur […] % beträgt, der durch die Faktoren […] bzw. […]
bewirkte Aufschlag jedoch deutlich unter den üblichen Aufschlägen läge, die beim
Übergang von einer Portfolio- zu einer teilweisen Portfolio-Lizenz als Ausgleich für
den teilweisen Wegfall der Synergie-Effekte aus der Gesamt-Portfolio-Lizenz
angesetzt würden.
123 Weiter hatte die Klägerin im Schreiben vom 13.03.2015 (Anlage K 1 f) darauf
hingewiesen, dass die Lizenzsätze aus dem [A.]-Software-Lizenzprogramm […]
% der dortigen Sätze für DVD-Player seien und auf die dortige Webseite
verwiesen. Im Schriftsatz vom 20.11.2015 erläuterte die Klägerin weiter, wie das
[A.]-Softwarelizenzprogramm aus dem [A.]-Lizenzprogramm für DVD-Player/-
Rekorder abgeleitet wurde. Demnach wurde aus den [A.]-Lizenzsatz für DVD-
Player in Höhe von USD […] zunächst ein Abschlag von 80% vorgenommen, um
den reinen Software-Anteil abzuschätzen. Anschließend wurde ein weiterer
Abschlag in Höhe von 30% für auf Computern vorinstallierte Software
vorgenommen, der die - mengenmäßig bedingte - höhere Marktmacht der
Computerhersteller reflektieren soll, so dass sich letztlich der [A.]-Software-
Lizenzsatz von USD […] für PC ohne oder nur mit reinem Wiedergabe-Laufwerk
ergibt. Mit entsprechenden Rechenschritten lassen sich die Sätze für die übrigen
Fälle abschätzen. Weiter hat die Klägerin die [A.]-Lizenzsätze für DVD-Software
denen des weiteren DVD-Patentpools DVD-6c gegenüber gestellt, der für DVD-
Software USD […] (statt USD […]) nehme. Nach dem Vortrag der Beklagten
beträgt der Lizenzsatz des Pools DVD-6c für DVD-Rekorder sogar USD […].
Zudem hat die Klägerin den Lizenzsatz aus dem [A.]-Software-Lizenzprogramm
in Höhe von USD [L‘‘‘] in Beziehung zum Ladenverkaufspreis der „PowerDVD“-
Software von EUR [ca. L‘‘‘ x 90] gesetzt.
124 Zur Substantiierung ihrer Ansicht hat die Klägerin das aus Anlage K 6 ersichtliche
Sachverständigengutachten vorgelegt. Dieses Gutachten setzt insbesondere die
Lizenzsätze des [A.]-Pools, in denen die Berechnungen der von der Klägerin
geforderten Lizenzrate ihren Ausgang nehmen, ins Verhältnis zu den
Lizenzsätzen des [B.]-Pools (der die Blu-Ray-Technologie erfasst) und zu dem
DVD-Pool DVD6C und legt dar, dass die [A.]-Poollizenzen im Verhältnis hierzu
jeweils günstiger sind. Das Gutachten führt aus, dass ausweislich der Homepage
von [A.] bisher zwei Unternehmen Lizenz genommen haben, [B.] über elf
Lizenznehmer verfüge und das DVD6c-Programm 22 Unternehmen als
Lizenznehmer ausweise. Damit orientiert sich die Klägerin bei der Berechnung
und Darlegung der von ihr geforderten Lizenz aus Sicht der Kammer
nachvollziehbar an in der Praxis für die entsprechende Technologie bestehenden
und auch gelebten Lizenzprogrammen.
125 Vor diesem Hintergrund war es entgegen der Ansicht der Beklagten nicht
erforderlich, für die Erläuterung der Berechnung der Lizenzgebühr die
Berechnung der [A.]-Lizenzsätze weiter aufzuschlüsseln oder die Lizenzgebühr
von Grund auf ohne Rückgriff auf die [A.]-Sätze neu zu berechnen. Der
europäische Gerichtshof fordert lediglich eine Angabe der Art und Weise der
Berechnung. Sinn und Zweck dieses Erfordernisses ist es, den Patentbenutzer,
der u.U. keine Kenntnisse über die Bildung der Lizenzsätze in dem einschlägigen
Bereich hat, dazu in die Lage zu versetzen, die Herleitung der Lizenzsätze
nachzuvollziehen und ggf. ein eigenes Angebot vorzulegen. Diesem Zweck
genügen die Angaben der Klägerin in ihrem Schreiben vom 13.03.2015 (Anlage
K 1 f.) und erst recht die weiteren Erläuterungen im Schriftsatz vom 20.11.2015.
Dass die Beklagte einzelne Schritte der Ableitung für nicht sachgerecht oder
wirtschaftlich nicht nachvollziehbar hält, wie den angesetzten Anteil der Klägerin
am [A.]-Pool, die Bildung der Faktoren zur Ableitung der Lizenzsätze aus dem
[A.]-Software-Lizenzprogramm und die Differenzierung zwischen Software auf
PCs mit Wiedergabelaufwerk auf der einen und Software auf PCs ohne DVD-
Laufwerk oder mit reinem Wiedergabelaufwerk auf der anderen Seite oder
neuerdings die [A.]-Lizenzen als Ausgangspunkt der Berechnung, lässt die
Tatsache unberührt, dass die Klägerin die Art und Weise der Berechnung der
Lizenzgebühr nachvollziehbar angegeben hat. Im Übrigen ist auch der
Privatgutachter der Beklagten in seinem Parteigutachten (Anlage [B] 14) von den
Lizenzsätzen des [A.]-Pools als Ausgangspunkt ausgegangen.
126 Entgegen der Auffassung der Beklagten war die Klägerin auch nicht verpflichtet,
Referenzlizenzverträge vorzulegen. Die [A.]-Musterverträge sind unstreitig im
Internet einsehbar. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin oder [A.] in anderen
Fällen ohne sachlichen Grund, wie etwa ungewöhnlich hohe Umsätze, die einen
Abschlag rechtfertigen können, günstigere Lizenzsätze gewährt, sind nicht
ersichtlich.
127 Die von der Klägerin in Ansatz gebrachten Lizenzgebühren sind auch nicht
offensichtlich nicht-FRAND. Es lassen sich jedenfalls Gründe dafür finden, warum
die Gebühren FRAND sein könnten, wie das Parteigutachten der Klägerin
(Anlage K 6), der Vergleich mit den mitgeteilten Lizenzsätzen der anderen Pools
und der Vergleich der Lizenzgebühren mit dem Einzelladenverkaufspreis der
Software und erst Recht dem der Computer zeigen. Soweit die Beklagte die
Berechtigung einzelner Schritte in der Ableitung der Klägerin in Frage stellt,
spiegelt dies lediglich die andere Auffassung der Beklagten wider und vermag
jedenfalls eine offensichtliche FRAND-Widrigkeit der hergeleiteten Lizenzgebühr
nicht zu begründen. Dass nach Auffassung der Beklagten die Lizenzgebühren für
DVD-Patente insgesamt ausbeuterisch sein sollen, begründet ebenfalls keine
offensichtliche FRAND-Widrigkeit, zumal auch der Privatgutachter der Beklagten
von dem [A.]-Lizenzsatz von USD [L‘‘‘] als Ausgangspunkt seiner Überlegungen
ausgegangen ist.
128 Soweit die Beklagte kritisiert, dass sich die Lizenzgebühren mit dem fortlaufenden
Auslaufen der Patente nicht reduziere, kann dieser Klausel bei der
anzustellenden Gesamtbetrachtung keine offensichtliche FRAND-Widrigkeit
bescheinigt werden, die die Beklagte davon entbinden würde, sich inhaltlich
konstruktiv mit dem Angebot auseinanderzusetzen und konkrete
Gegenvorschläge zu dieser Regelung zu unterbreiten.
129 Auch soweit die Beklagte moniert, die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass
sie überhaupt noch zum Abschluss von Lizenzverträgen berechtigt sei, nachdem
zuvor [A.] mit einem Lizenzangebot auf die Mutter der Beklagten zugekommen
sei, verfängt dies nicht. Die Beklagte hat diesen Einwand nicht hinreichend
substantiiert, zumal die Klägerin Patentinhaberin ist und bereits in den [A.]-
Angeboten auf die Möglichkeit, bei den Pool-Mitgliedern direkt Lizenz zu nehmen,
hingewiesen wurde. Auch handelt es sich um keinen Punkt, der nicht im Laufe
der Vertragshandlungen ausgeräumt werden könnte.
130 4. Nachdem die Klägerin mithin ihre Obliegenheiten erfüllt hat, war die Beklagte
gehalten, alsbald mit einem Gegenangebot zu reagieren und - im Fall der
Ablehnung des klägerischen Angebots - eine angemessene Sicherheit zu stellen
und abzurechnen. Diese Obliegenheiten hat die Beklagte nicht erfüllt.
131 a) Ein explizites Gegenangebot zu dem Angebot vom 13.04.2015 hat sie nicht
vorgelegt. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Beklagte nach wie vor ihr
Angebot vom 06.10.2014 (Anlage [B] 13) aufrechterhält und sich hieran
gebunden fühlt, so dass im Ergebnis ein Gegenangebot der Beklagten vorliegt.
132 b) Allerdings entspricht dieses Angebot offensichtlich nicht den üblichen
Gepflogenheiten und kann daher nicht als FRAND angesehen werden. Wie
bereits dargelegt, entspricht es in Konstellationen wie der vorliegenden nicht den
üblichen Usancen, lediglich eine auf Deutschland beschränkte Einzellizenz am
Klagepatent zu vereinbaren. Dementsprechend wird ein redlicher und
lizenzwilliger Verhandlungspartner auf ein Lizenzangebot des Patentinhabers,
das eine weltweite Portfoliolizenz zum Gegenstand hat, nicht mit einem auf
Deutschland und das Klagepatent beschränkten Gegenangebot reagieren, wenn
er bzw. der hinter ihm stehende Konzern den angegriffenen Ausführungsformen
entsprechende Produkte auch in anderen Schutzstaaten des Klagepatents und
der weiteren Portfolio-Patente vertreibt.
133 Soweit die Beklagte parallel zu ihrem Angebot vom 06.10.2014 schriftsätzlich
bindend ihre Bereitschaft erklärt hat, nach Wahl der Klägerin auch an allen
deutschen Patenten Lizenz zu nehmen und die FRAND-Lizenzgebühr durch ein
Gericht oder Schiedsgericht festsetzen zu lassen, ist bereits fraglich, ob diese
bloße Erklärung dem vom Gerichtshof geforderten konkreten Gegenangebot
gleichwertig ist. Jedenfalls bleibt auch dieses Angebot bei der Beschränkung auf
Deutschland stehen und entspricht daher nicht den üblichen Gepflogenheiten.
134 c) Überdies hat die Beklagte zudem weder über die Benutzungshandlungen in
der Vergangenheit abgerechnet noch Sicherheit geleistet.
135 Die Pflichten zur Sicherheitsleistung und Abrechnung entfallen nicht dadurch,
dass die Beklagte angeblich ihre Benutzungshandlungen in Deutschland
eingestellt hat. Zwar hebt der Gerichtshof in Rn. 71 der Entscheidung „Huawei
./.ZTE“ darauf ab, dass der Patentbenutzer auf das Angebot des Patentinhabers
zur Abwendung der Verbietungsrechte mit der erforderlichen Sorgfalt zu
reagieren hat, „während er das betreffende Patent weiter benutzt.“ Wie sich
jedoch aus Rn. 67 und dem Sinn und Zweck der Sicherheitsleistung und der
Abrechnung, nämlich zum einem dem Patentinhaber als Ausgleich für die
Suspendierung seiner Verbietungsrechte, die auch bei der bloßen Einstellung der
Benutzungshandlung durch den Patentbenutzer fortbestehen, jedoch suspendiert
sind, einen Ausgleich zu gewähren und zum anderen die Lizenzwilligkeit des
Patentbenutzers nach Ablehnung des Angebots des Patentinhabers zu
dokumentieren, ergibt, ist dies nicht so zu verstehen, dass die Einstellung der
Benutzungshandlungen ohne weiteres zu einer Suspendierung der
Verbietungsrechte des Patentinhabers führt. Vergangene
Benutzungshandlungen, über die abzurechnen und Sicherheit zu leisten ist,
werden durch die Einstellung der künftigen Benutzungshandlungen nicht
ungeschehen gemacht.
136 d) Das Verhalten der Beklagtenseite entspricht ungeachtet dessen, dass sie
bereits die vom Gerichtshof aufgestellten Bedingungen nicht eingehalten hat,
auch aufgrund der weiteren Umstände nicht dem Telos des Urteils des
Gerichtshofs, der Verzögerungstaktiken gerade nicht privilegieren möchte. Auch
bei einer Gesamtbetrachtung des Verhaltens der Beklagten bzw. ihrer
Konzernmutter entsteht nämlich der Eindruck, dass sich die Beklagtenseite einer
Lizenznahme, die den üblichen Gepflogenheiten entspricht, entziehen und den
Abschluss eines Lizenzvertrags hinauszögern möchte. Demgegenüber vermag
die Kammer nicht zu erkennen, dass die Klägerin die Klage als Druckmittel
benutzen wollte, um unangemessene Lizenzgebühren durchzusetzen zu wollen.
137 So hatte bereits [A.] der Mutter der Beklagten das Lizenzierungsprogramm für
DVD-Software vorgestellt. Auch wenn diese Vorstellung nicht den Anforderungen
an das vom Europäischen Gerichtshof aufgestellte Hinweiserfordernis genügen
mag, wird man davon auszugehen haben, dass der Mutter der Beklagten
bewusst gewesen ist, dass es nicht unwahrscheinlich ist, dass die eingesetzte
DVD-Software die Lehre zumindest eines der Poolpatente benutzen könnte. Ein
unbefangener Patentbenutzer hätte in dieser Situation entweder darauf
hingewiesen, dass er - aus seiner Sicht - nur lizenzierte Software von [Y.] einsetzt
und daher eine Lizenznahme nicht erforderlich ist oder um Erläuterung, inwieweit
die DVD-Software Portfolio-Patente verletzt, gebeten. Jedenfalls ist es
ungewöhnlich, dass die Vorstellung des Lizenzprogramms nicht zur Aufnahme
von Gesprächen geführt hat. Dass die Klägerin aus diesem Verhalten den
Schluss gezogen hat, dass der Konzern der Beklagten nicht lizenzwillig sei, und
daher ohne weiteres Klage gegen die Beklagte als für Deutschland zuständige
Konzerngesellschaft erhoben hat, lässt jedenfalls in Übergangsfällen nicht den
Schluss zu, dass die Klägerin mit der Klage das Ziel verfolgen würde, über den
Druck der Verbietungsrechte unangemessene Lizenzgebühren durchsetzen.
138 Gestützt wird dies durch den weiteren Prozessverlauf.
139 Das Lizenzangebot der Beklagten vom 06.10.2014 (Anlage [B] 13) war
augenscheinlich nicht annahmefähig, so dass die Nichtannahme dieses Angebot
durch die Klägerin keine Anhaltspunkte für ein kartellrechtswidriges Verhalten der
Klägerin begründet. Das Angebot erstreckte sich nämlich nur auf das
Klagepatent, die Beklagte und als Schutzland Deutschland, obwohl es sich bei
dem DVD-Standard um einen weltweiten Standard handelt und der Konzern der
Beklagten weltweit tätig ist und es daher - allein schon aufgrund des Umstands,
dass es sich um ein europäisches Patent mit weiteren Schutzstaaten handelt -
auf der Hand lag, dass im Fall der Patentverletzung nicht allein Deutschland
betroffen ist. Im Fall der Annahme des Angebots der Beklagten wäre die Klägerin
gezwungen gewesen, in jedem anderen Land entsprechende Patente gerichtlich
durchzusetzen. Ein solches Verhalten des Konzerns der Beklagten, das darauf
abzielt, nur für diejenigen Länder, in denen man verklagt wird, ein Lizenzangebot
beschränkt auf das jeweilige Klagepatent vorzulegen, entspricht nicht den
üblichen Gepflogenheiten eines lizenzwilligen Patentbenutzers. Auch in der
weiteren Erklärung in der Klageerwiderung, bereit zu sein, eine Portfolio-Lizenz
an den deutschen Patenten der Klägerin zu nehmen und die FRAND-
Bedingungen dieser Lizenz durch ein Gericht oder ein Schiedsgericht festlegen
zu lassen, ist die sachfremde Beschränkung auf Deutschland enthalten.
140 Mit Schreiben vom 28.11.2014 (Anlage K 1 d), mit dem sie auf das
Beklagtenangebot vom 06.10.2014 antwortete, schlug die Klägerin sodann vor,
das Beklagtenangebot dahingehend abzuändern, dass Lizenznehmer die
Muttergesellschaft der Beklagten ist, dass Lizenzgegenstand eine Portfolio-
Lizenz an allen [A.]-Pool-Patenten der Klägerin ist und dass die Lizenz alle
Länder umfasst, in denen eins der Lizenzpatente gewährt wurde, und es im
Übrigen bei dem von der Beklagten vorgeschlagenen Lizenzvertrag zu belassen,
so dass mit diesen Änderungen dann auf der Grundlage des Beklagtenangebots
ein Lizenzvertrag unterschrieben werden könne. Damit forderte die Klägerin
nichts, was nicht üblich oder unbillig gewesen wäre. Insbesondere akzeptierte die
Klägerin damit auch die Regelung zur Lizenzhöhe, die ein
Leistungsbestimmungsrecht nach § 315 BGB zugunsten der Klägerin vorsah.
Hierauf reagierte die Beklagte nicht, sondern hielt unausgesprochen an einer
Einzellizenz bzw. einer auf Deutschland beschränkten Poollizenz, wie sie nicht
den wirtschaftlichen Gepflogenheiten entspricht, fest.
141 Mit dem neuen Angebot der Klägerin von 13.04.2015 (Anlage K 1 f) haben sich
weder die Beklagten noch ihre Konzernmutter inhaltlich auseinandergesetzt,
sondern lediglich fehlende Informationen zum Verletzungssachverhalt und zur
Berechnung der Lizenzgebühr moniert. In dem Schreiben wies die Beklagtenseite
unter Bezugnahme auf die Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet im
Verfahren „Huawei ./. ZTE“ auf das angebliche Erfordernis detaillierter Claim-
Charts für alle Portfolio-Patente hin. Die Claim-Charts müssten geeignet sein, den
Verletzungstatbestand in einem Gerichtsverfahren zu belegen, was u.a.
detaillierte Verweise auf die Stellen im DVD-Standard erfordere, die die Klägerin
für relevant für die Verletzung halte. Warum die übersandten Claim-Charts keine
ausreichende Grundlage für die Beurteilung des Verletzungssachverhalts der
behandelten Patente darstellen sollen, insbesondere in welchen konkreten
Punkten Verständnisprobleme bestehen, ließ das Schreiben vom 05.05.2015
jedoch offen. Stattdessen wurde allein mit den angeblich aus der Stellungnahme
des Generalanwalts abzuleitenden Verpflichtungen der Klägerin abstrakt
argumentiert, so dass der Eindruck entsteht, dass es der Beklagtenseite nicht so
sehr um den Inhalt der Informationen, sondern vielmehr darum ging, den Einstieg
in die Verhandlungen durch die Diskussion von vermeintlichen rechtlich
geforderten Formalien hinauszuzögern. Dieser Eindruck wird dadurch weiter
bestärkt, dass die Forderung nach Claim-Charts für alle Portfolio-Patente über die
Anforderungen hinausgeht, die die Beklagte in der Klageerwiderung (Rn. 105) auf
der Grundlage der Rechtsansicht der EU-Kommission im Fall Samsung
(Entscheidung vom 29.04.2013, Case AT.39939 - Samsung) noch als für den Fall
einer Portfolio-Lizenz angemessen angesehen hat. Dort hatte sie noch die
Vorlage einer sog. „proud list“, d.h. ausgewählter Portfolio-Patente mit
dazugehörigen Claim-Charts, als ausreichend für den Einstieg in Verhandlungen
angesehen. Dass die Beklagtenseite nach den Schlussanträgen des
Generalanwalts hiervon abwich, ist offenbar allein darin begründet, dass sie ihre
formale Position nunmehr als gestärkt angesehen hat. Eine konstruktive Kritik am
Angebot der Klägerin oder etwaige konkrete Gegenvorschläge sind jedenfalls
nicht ersichtlich. Parteien, die ernsthaft an einer zügigen, wirtschaftlich
vernünftigen Einigung interessiert sind, werden sich indes nicht bei reinen
Formalien aufhalten, sondern sich zügig dem Kern der Sache zuwenden.
142 5. Nach alledem kann die Durchsetzung des Unterlassungs- und
Rückrufanspruchs nicht als kartellrechtswidrig nach Art. 102 AEUV angesehen
werden. Erst Recht ist die Durchsetzung der übrigen von der Klägerin verfolgten
patentrechtlichen Ansprüche nicht kartellrechtswidrig. Für den
Schadensersatzanspruch und den ihn vorbereitenden
Rechnungslegungsanspruch gilt nach der Entscheidung des Gerichtshofs in der
Sache „Huawei ./. ZTE“ ohnehin, dass sie keine unmittelbaren Auswirkungen
darauf haben, ob die angegriffenen Ausführungsformen auf den Markt gelangen
oder auf ihm verbleiben, und dass ihre Durchsetzung daher aufgrund der
fehlenden kartellrechtlichen Relevanz nicht als missbräuchlich im Sinne des Art.
102 AEUV anzusehen ist (Rn. 74). Ob der Inhalt dieser Ansprüche indirekt
dadurch modifiziert wird, dass bei SEPs mit FRAND-Verpflichtungserklärung eine
Berechnung des Schadens nur nach der Methode der Lizenz-Analogie in
Betracht kommt und sich daher der Rechnungslegungs-/Auskunftsanspruch nur
auf diejenigen Informationen erstreckt, die für diese Berechnung erforderlich sind,
kann vorliegend dahinstehen. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass
die Beklagtenseite zum Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrags bereit ist, steht
vorliegend nicht fest, dass es zum Abschluss eines FRAND-Lizenzvertrages
kommen wird, so dass die Auskunftsansprüche bereits aus diesem Grund nicht
beschränkt sind. Die begehrte Schadensersatzfeststellung ist ohnehin
unabhängig von der Berechnungsmethode, die erst im Betragsverfahren
festgelegt werden muss.
143 6. Auch die weiteren auf kartellrechtliche Erwägungen bzw. die Grundsätze von
Treu und Glauben gestützten Einwände der Beklagten gegen die
Durchsetzbarkeit der verfolgten Ansprüche verfangen nicht.
144 a) Der Durchsetzung der verfolgten Ansprüche steht insbesondere nicht Art. 101
AEUV entgegen. Selbst wenn die Klägerin keine beachtliche FRAND-Erklärung
abgegeben haben sollte und dadurch die Standardisierung und/oder die
Einbringung der Lehre des Klagepatents in den Standard gegen Art. 101 AEUV
verstoßen würde, würde dies nicht zu einer Durchsetzungssperre der verfolgten
Ansprüche, insbesondere des Unterlassungs- und Rückrufsanspruchs führen.
Ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV hätte zunächst die Nichtigkeit der
Standardisierungsvereinbarung zur Folge. Darüber hinaus stünden Dritten nach
nationalem Recht zivilrechtliche Ansprüche zu, die in Deutschland nach § 33
GWB auf Unterlassung, Beseitigung und Schadensersatz gerichtet sind.
Bezugspunkt des Unterlassungs- und Beseitigungsanspruchs ist dabei der
Kartellverstoß, nämlich die Festlegung des Standards. Dementsprechend ist
weder der Unterlassungsanspruch noch der Beseitigungsanspruch gegen die
Durchsetzung des betreffenden Patents gerichtet. Die Verpflichtung zur Erteilung
einer Zwangslizenz besteht nur bei einem Verstoß gegen Art. 102 AEUV und
kann nur unter diesem Gesichtspunkt einen kartellrechtlichen
Zwangslizenzeinwand begründen. Soweit die Kammer im
Aussetzungsbeschlüssen paralleler Verfahren eine andere Rechtauffassung in
Erwägung gezogen hat, hält sie hieran nach nochmaliger Prüfung nicht fest.
145 Nichts anderes gilt für den Schadensersatzanspruch. Auch dieser Anspruch ist
nicht auf die Erteilung einer Lizenz gerichtet. Selbst wenn man dies anders sehen
wollte, würde eine aus Art. 101 AEUV folgende Verpflichtung nicht über die Pflicht
zur Lizenzerteilung nach Art. 102 AEUV hinausgehen. Auch in diesem Fall
könnte Gegenstand des Anspruchs allenfalls eine FRAND-Lizenz und keine Null-
Lizenz sein, so dass die Ausführungen zu Art. 102 AEUV entsprechend geltend.
Denn Ausfluss von Beseitigungs- und Schadensersatzansprüchen wäre
allenfalls, die betroffenen Dritten so zu stellen, wie sie stünden, wenn der
Patentinhaber sich kartellrechtskonform verhalten hätte. Das maßgebliche
Alternativszenario ist dabei nicht, dass das SEP nicht in den Standard
aufgenommen worden wäre und der Benutzer dementsprechend nicht auf seine
Nutzung angewiesen wäre, so dass ihm nunmehr die Nutzung kostenlos und
ohne Einschränkung gewährt werden müsste, sondern dass sich der
Patentinhaber rechtskonform verhalten und eine FRAND-Verpflichtungserklärung
abgegeben hat. Denn einen Kartellverstoß würde nicht die Standardisierung an
sich oder die Aufnahme der patentgemäßen Lehre in den Standard begründen,
sondern die fehlende Bereitschaft, Interessenten das betreffende Patent zu
FRAND-Bedingungen zu lizenzieren. Daher wäre ein etwaiger
Schadensersatzanspruch nicht darauf gerichtet, dem Patentbenutzer eine
kostenlose Nutzung des Patents zu gestatten, sondern darauf, ihn so zu stellen,
wie wenn eine FRAND-Erklärung abgegeben worden wäre. Für die Frage einer
Lizenzierungspflicht folgt daraus, dass die Dritten im Wege des
Schadensersatzes allenfalls verlangen könnten, eine Lizenz zu FRAND-
Bedingungen zu erhalten. Für die Frage der Durchsetzbarkeit von
patentrechtlichen Ansprüchen gelten insoweit wiederum die Kriterien, die der
Gerichtshof in seiner Entscheidung „Huawei ./.ZTE“ aufgestellt hat.
146 b) Die Klägerin ist auch nicht aus kartellrechtlichen Gründen oder nach Treu und
Glauben gehalten, vor der Beklagten die Herstellerin der DVD-Software [Y.] in
Anspruch zu nehmen bzw. mit dieser vorrangig nach den Grundsätzen des
Gerichtshof über eine FRAND-Lizenz zu verhandeln. Es gibt keinen Grundsatz,
dass der Patentinhaber im Falle von patentverletzenden Komponenten einer
Vorrichtung ausschließlich gegen den Hersteller dieser Komponenten
vorzugehen habe. Entgegen der Auffassung der Beklagten enthält auch die
Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Beschluss vom 23.04.2015, 6
U 44/15) keinen solchen Grundsatz. Die dortige Konstellation ist auch nicht mit
der hiesigen Konstellation vergleichbar. Insbesondere ist die Beklagte keine
Vertriebsgesellschaft im dortigen Sinne, die patentverletzende Fremdprodukte
unverändert als solche, insbesondere mit der Fremdmarke, vertreibt. Vielmehr hat
der Mutterkonzern der Beklagten eine Software auf seinen Computern
vorinstalliert, die hierdurch patentverletzend wurden, und die Computer über die
Beklagte in Deutschland unter der Konzernmarke vertreiben lassen. Die Beklagte
hat überdies auch nicht dargetan, dass [Y.] hinsichtlich der hier in Rede
stehenden vorinstallierten DVD-Software lizenzwillig wäre. Auch aus der
Entscheidung „Huawei ./.ZTE“ lässt sich nicht ableiten, dass ein Patentinhaber
zuerst FRAND-Lizenzverhandlungen nach dem dort vorgesehenen Regime mit
dem Hersteller der patentverletzenden Komponenten führen muss, bevor er an
einen Patentbenutzer, der ein Produkt, das u.a. die patentverletzende
Komponente enthält, in Verkehr bringt, mit einem Lizenzangebot herantritt. Allein
der Umstand, dass die Verhandlungsposition des Patentinhabers gegenüber
dem Hersteller der Komponenten angeblich schwächer sein soll, begründet noch
kein gegen Treu und Glauben oder kartellrechtliche Grundsätze verstoßendes
Verhalten des Patentinhabers.
147 Ob etwas anderes gilt, wenn die Klägerin in kollusiven Zusammenwirken mit [Y.]
den Verkauf von nicht lizenzierter Software dulden würde, um die Abnehmer
wegen Patentverletzungen in Anspruch nehmen zu können, kann dahinstehen.
Für eine solche Konstellation fehlt es an konkretem Tatsachenvortrag der
insoweit darlegungsbelasteten Beklagten.
V.
148 Die Kammer hat den Rechtsstreit nicht bis zur Entscheidung über die gegen das
Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage ausgesetzt.
149 Die Entscheidung über die Nichtigkeitsklage ist zwar vorgreiflich im Sinne des §
148 ZPO. Die Kammer hat aber das ihr durch diese Vorschrift eingeräumte
Ermessen dahingehend ausgeübt, dass von einer Aussetzung des
Verletzungsprozesses abgesehen wird. Dabei hat sich die Kammer von
folgenden grundsätzlichen Überlegungen leiten lassen:
150 Um Missbräuche zu verhindern, ist ein Verletzungsprozess nach diesen
allgemeinen Grundsätzen nur dann auszusetzen, wenn es überwiegend
wahrscheinlich ist, dass das Klagepatent aufgrund eines Einspruchs oder einer
Nichtigkeitsklage widerrufen oder vernichtet wird (BGH GRUR 2014, 1237, 1238 -
Kurznachrichten). Die bloße Möglichkeit der Vernichtung des Klageschutzrechts
genügt für eine Aussetzung dagegen nicht. Allgemein ist große Zurückhaltung mit
der Anordnung der Aussetzung geboten, damit nicht im Wege der Aussetzung
letztlich eine Suspendierung des dem Patentinhaber durch die Patenterteilung
vom Staat auch für die Gerichte bindend verliehenen Verbotsrechts für eine
erhebliche Zeitspanne erreicht wird.
151 Diesem Grundsatz liegt letztlich eine Interessensabwägung zugrunde, die das
Interesse des Patentinhabers am Fortgang des Verfahrens dem Interesse des
vermeintlichen Patentbenutzers daran, nicht aus einem Patent verurteilt zu
werden, das sich später letztlich als nicht rechtsbeständig erweist, und dem
allgemeinen Interesse an der Vermeidung sich widersprechender
Entscheidungen gegenüberstellt. Bei der vorzunehmenden
Interessensabwägung kann auch der Zeitpunkt der Erhebung der
Nichtigkeitsklage eine Rolle spielen, insbesondere dann, wenn der späte
Zeitpunkt ihrer Erhebung Ausdruck einer nicht stringenten Verfolgung der
eigenen objektiven Interesse des Beklagten ist und dem Kläger prozessuale
Reaktionsmöglichkeiten abschneidet. So verlieren die abwägungsrelevanten
Interessen des Beklagten regelmäßig an Gewicht und es kommt eine Aussetzung
regelmäßig dann nicht in Betracht, wenn der Beklagte eine Nichtigkeitsklage erst
so kurzfristig vor dem Haupttermin im Verletzungsverfahren erhebt oder sich auf
eine solche Nichtigkeitsklage eines Dritten beruft, so dass dem Kläger eine
angemessene Erwiderung auf das Nichtigkeitsvorbringen vor dem Haupttermin
im Verletzungsverfahren nicht mehr möglich ist (LG Düsseldorf, InstGE 3, 54 -
Sportschuhsohle). Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass eine spät erhobene
Nichtigkeitsklage auch die Zeitspanne der Aussetzung gegenüber dem Fall, dass
die Nichtigkeitsklage früher erhoben wurde, verlängern würde. Etwas anderes gilt
indes dann, wenn bereits eine summarische Prüfung sicher ergibt, dass der späte
Rechtsbestandsangriff zur Vernichtung des Klagepatents führen wird (vgl.
Kühnen, Handbuch der Patentverletzung, 7. Aufl., Rn. 1862). Es spricht viel dafür,
dass eine solche Konstellation eines späten Rechtsbestandsangriffs vorliegend
gegeben ist. Vorliegend hat die Beklagte eine eigene Nichtigkeitsklage erst nach
dem Schluss der mündlichen Verhandlung erhoben. Davor hatte sie sich auf die
Nichtigkeitsklage der [X.] berufen und diese erst rund eine Woche vor dem
Termin vorgelegt. Nach dem Vorbringen der Beklagten ist Hintergrund der
eigenen Nichtigkeitsklage, dass es sich verdichtende Gerüchte gibt, dass sich die
[X.] mit der Klägerin vergleichen wird. Dies ist auch gerichtsbekannt. Es ist daher
mehr als zweifelhaft, ob die Nichtigkeitsklage der [X.] überhaupt zur Entscheidung
geführt wird und demnach Grundlage für eine Aussetzung sein kann. Dies ist
offensichtlich der Beweggrund, weshalb sich die Beklagte zu einer eigenen
Nichtigkeitsklage entschlossen und die Verbindung mit der bereits anhängigen
Nichtigkeitsklage der [X.] beantragt hat. Es ist indes auch nicht gesichert, dass die
neue Klage der Beklagten dem bisherigen Nichtigkeitsverfahren der [X.]
(rechtzeitig) hinzuverbunden wird. Selbst wenn die neue Nichtigkeitsklage der
Beklagten hinzuverbunden würde und - wie die Beklagte behauptet - vollständig
deckungsgleich mit der Nichtigkeitsklage der [X.] wäre, wäre der Klägerin als
Patentinhaberin Gelegenheit zu geben, auf den neuen Angriff im
Nichtigkeitsverfahren zu erwidern. Im hiesigen Verfahren könnte sich die Klägerin
auch im Falle einer Verbindung der beiden Nichtigkeitsklagen erst nach dem
hiesigen Haupttermin zur neuen Nichtigkeitsklage der Beklagten im
Nichtigkeitsverfahren einlassen. Letztlich liegt damit eine Konstellation vor, die mit
der Situation der zu spät erhobenen Nichtigkeitsklage zumindest vergleichbar ist.
Verlässt sich die Beklagte auf die Nichtigkeitsklage eines Dritten, trägt sie damit
das Risiko, dass diese wegzufallen droht und ihre eigene nachgeschobene
Nichtigkeitsklage als zu spät angesehen wird, um die Aussetzungsfrage im
Verletzungsprozess zu ihren Gunsten zu entscheiden.
152 Letztlich kann dies jedoch dahinstehen. Die das Interesse der Klägerin
beschreibenden Gesichtspunkte überwiegen im vorliegenden Fall nämlich auch
bei Außerachtlassen einer späten Erhebung der Nichtigkeitsklage das Interesse
der Beklagten an einer Aussetzung des Rechtsstreits. Dass der Erfolg der
Nichtigkeitsklage überwiegend wahrscheinlich ist, kann die Kammer nicht
feststellen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die Kammer insoweit keine
abschließende Sachentscheidung zum Rechtsbestand des Klagepatents zu
treffen, sondern lediglich eine summarische Prognose anzustellen hat.
153 1. Keine überwiegend wahrscheinliche Erfolgsaussicht hat nach Auffassung der
Kammer der mit den Nichtigkeitsklagen geltend gemachte Einwand der
unzulässigen Erweiterung. Weder für Merkmal d2 (Merkmal 2c2 in der Gliederung
der Nichtigkeitsklagen) noch für Merkmal c2 (Merkmal 2b2 in der Gliederung der
Nichtigkeitsklagen) lässt sich eine unzulässige Erweiterung mit der notwendigen
Sicherheit feststellen. Gleiches gilt für Merkmal c1 (Merkmal 2b1 in der Gliederung
der Nichtigkeitsklagen).
154 a) Unbegründet ist zunächst der Einwand der Beklagten, das in Merkmal d2
enthaltene Teilmerkmal „jede der mehreren ersten
Operationsverbotsinformationen weist eine Länge von einem Bit auf“ beruhe auf
einer unzulässigen Erweiterung. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist
diese Lehre betreffend das Format der ersten Operationsverbotsinformationen
bereits in der dem Klagepatent zugrundeliegenden Stammanmeldung EP
97302312.0 (NK3 der Nichtigkeitsklagen) in ausreichender Weise offenbart. Dies
ergibt sich aus den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 4 und 5 der
Stammanmeldung, die mit den entsprechenden Figuren in der Klagepatentschrift
identisch sind.
155 In Figur 4 sind beispielhaft fünf verschiedene erste
Operationsverbotsinformationen gezeigt, nämlich „search“ (202a), „scan“(202b),
„slow“ (202c), „reverse“(202d) und „pause“ (202e). Diese werden in Figur 5 jeweils
einer bestimmten, jeweils ein Länge von einem Bit entsprechenden Bitposition
b17 bis b21 zugeordnet. Damit könnte nach Auffassung der Kammer durchaus
hinreichend offenbart sein, dass jede erste Operationsverbotsinformation die
Länge von einem Bit aufweist.
156 b) Unbegründet ist der Einwand der unzulässigen Erweiterung auch im Hinblick
auf Merkmal c2. Auch die in diesem Merkmal enthaltenen Vorgaben hinsichtlich
des Formats und der Reihenfolge der zweiten Operationsverbotsinformationen ist
bereits in der Stammanmeldung in ausreichender Weise offenbart, was sich
unmittelbar aus der nachfolgend wiedergegeben Figur 7 ergibt.
157 In Figur 7 sind die zweiten Operationsverbotsinformationen mit den Ziffern 212a
bis 212e bezeichnet und wiederum fünf Bitpositionen, nämlich b3 bis b7,
zugeordnet. Im Textteil der Beschreibung der Stammanmeldung (Seite 37 Zeilen
10 ff) erfolgt dabei folgende Zuordnung: „search“ = (212a), „scan“ = (212b), „slow“
= (212c), „reverse“= (212d) und „pause“ = (212e). Damit ist offenbart, dass die
zweiten Operationsverbotsinformationen jeweils die Länge von einem Bit
aufweisen und dass sie in der gleichen Reihenfolge wie die ersten
Operationsverbotsinformationen angeordnet sind.
158 Entgegen der Auffassung der Beklagten kann auch die von der Kammer
vorgenommene Auslegung des Merkmals c2, die sie der Verletzungsprüfung
zugrundegelegt hat, den Einwand der unzulässigen Erweiterung nicht begründen.
Nach der von der Kammer im Zusammenhang mit der Verletzungsprüfung
vorgenommenen Auslegung des Patents, die der Prüfung der unzulässigen
Erweiterung stets vorauszugehen hat (BGH GRUR 2015, 868 - Polymerschaum II
2015, 875 - Rotorelemente), ist Merkmal c2 so zu verstehen, dass nicht sämtliche
in den Steuerinformationen enthaltenen Operationsverbotsinformationen
hinsichtlich der Bitlänge und -position mit den in den Managementinformationen
enthaltenen jeweils entsprechenden Operationsverbotsinformationen
übereinstimmen müssen, sondern dass es bereits ausreicht, wenn diese
Übereinstimmung lediglich im Hinblick auf einen Teil der in den
Steuerinformationen enthaltenen Operationsverbotsinformationen besteht (vgl.
oben unter II.). Ausgehend von dieser Auslegung weist die Beklagte zwar im
Ansatz zutreffend darauf hin, dass die Stammanmeldung weder in den
Ansprüchen noch in der Beschreibung oder in den Figuren explizit eine
Ausführungsform offenbart, bei welcher lediglich ein Teil der in den
Steuerinformationen enthaltenen Operationsverbotsinformationen in der gleichen
Reihenfolge angeordnet ist wie die entsprechenden
Operationsverbotsinformationen in den Managementinformationen. Allerdings ist
in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Vermeidung einer unbilligen
Beschränkung des Anmelders bei der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts
auch Verallgemeinerungen der ursprungsoffenbarten Ausführungsbeispiele
möglich sind. Ein „breit“ formulierter Anspruch kann unter dem Gesichtspunkt der
unzulässigen Erweiterung jedenfalls dann als unbedenklich zu erachten sein,
wenn sich ein in der ursprünglichen Anmeldung beschriebenes
Ausführungsbeispiel der Erfindung für den Fachmann als Ausgestaltung der im
Anspruch umschriebenen allgemeineren technischen Lehre darstellt und diese
Lehre in der beanspruchten Allgemeinheit für ihn bereits der Anmeldung als zu
der angemeldeten Erfindung gehörend entnehmbar ist (vgl. zuletzt BGH GRUR
2014, 970, 971 - Stent (Rz. 19) mit weiteren Nachweisen). Bei Anwendung dieser
Grundsätze erscheint es aus Sicht der Kammer auch im vorliegenden Fall nicht
ausgeschlossen, dass der Fachmann das in den Figuren 5 und 7 dargestellte
Ausführungsbeispiel lediglich als Ausprägung einer allgemeineren Lehre versteht.
Der Fachmann kann nämlich der Figur 5 entnehmen, dass keineswegs alle in
den Managementinformationen enthaltenen Operationsverbotsinformationen für
die patentgemäße Lehre relevant sind. Gegenstand der Figur 5 ist eine 32-Bit-
Struktur. Lediglich fünf Bits sind jedoch konkret dargestellt (b 21 bis b17),
während die weiteren Bitstellen nur mit Auslassungszeichen „----“ angedeutet
sind. Der Grund für diese Darstellung liegt darin, dass nur die fünf konkret
dargestellten Bits relevant sind für den Vergleich mit den in Figur 7 gezeigten in
den Steuerinformationen enthaltenen zweiten Operationsverbotsinformationen.
Nachdem der Fachmann daher bei Betrachtung der Figur 5 erkennt, dass
lediglich eine Teilmenge der dort insgesamt gezeigten 32 Bits für die
patentgemäße Lehre relevant sind, erscheint es denkbar, dass er diese
Erkenntnis auch auf Figur 7 überträgt und dementsprechend zu dem Ergebnis
kommt, dass es ausreicht, wenn lediglich Teilmengen der in beiden Figuren
gezeigten Bitstrukturen übereinstimmen. Jedenfalls kann die Kammer ohne
sachverständige Hilfe nicht mit der für eine Aussetzung des vorliegenden
Rechtsstreits notwendigen Sicherheit ausschließen, dass der Fachmann dem in
der Ursprungsanmeldung enthaltenen Ausführungsbeispiel gemäß den Figuren 5
und 7 eine solche allgemeine Lehre entnimmt.
159 c) Auch der Einwand der unzulässigen Erweiterung im Hinblick auf Merkmal c1
„erste Datengruppe“ verfängt nicht. Auch dieses Merkmal ist bereits in der
Stammanmeldung in ausreichender Weise offenbart. Wie sich aus der
Stammanmeldung, dort S. 38, Zeilen 12-1, ergibt, beziehen sich die zweiten
Operationsverbotsinformationen in dem dort dargestellten Ausführungsbeispiel
nicht auf die Program Chain (PGC), sondern auf eine Einheit der Programm
Chain. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei dieser Einheit der
Programm Chain um die VOBU. Nach der allgemeineren Lehre der
Patentansprüche des Klagepatents und der Stammanmeldung wird diese Einheit
als erste Datengruppe bezeichnet. Ein Unterschied zu der ersten Datengruppe
aus dem Klagepatent vermag die Kammer nicht festzustellen. Lediglich
ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der Umstand, dass die
Verallgemeinerung der Program Chain in Anspruch 9 des Klagepatents als
„mehrere ersten Datengruppen“ (Merkmal d) und in den Ansprüchen der
Stammanmeldung als „zweite Datengruppe (PGC)“ bezeichnet wird, nach
Auffassung der Kammer im Übrigen ebenfalls keinen inhaltlichen Unterschied
begründet.
160 2. Auch hinsichtlich der mit den Nichtigkeitsklagen geführten Angriffe gegen die
Neuheit des Klagepatents, die zum einen auf das EP 0 795 869 (Anlage NK 9 der
Nichtigkeitsklagen, nachfolgend: EP 869) und zum anderen auf das EP 0 788
106 (Anlage NK 11 der Nichtigkeitsklagen, nachfolgend: EP 106) gestützt
werden, kann die Kammer keine überwiegend wahrscheinliche Erfolgsaussicht
feststellen.
161 a) Für die Prüfung der Neuheitsschädlichkeit ist davon auszugehen, dass das
Klagepatent die Priorität ihrer Prioritätsschrift (NK 4 in den Nichtigkeitsverfahren)
zu Recht in Anspruch nimmt. Die Beklagte hat nichts Erhebliches für die
Unwirksamkeit des Prioritätsanspruchs vorgetragen. Sie hat lediglich darauf
verwiesen, dass die bereits oben bei der Frage der unzulässigen Erweiterung
behaupteten Offenbarungsmängel auch mit Blick auf das Prioritätsdokument
vorlägen. Dass die behaupteten Offenbarungsmängel bei der Stammanmeldung
vorliegen, hat die Kammer nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen
vermocht. Die Beklagte zeigt nicht auf, weshalb diese Punkte mit Blick auf die
Prioritätsschrift anders zu beurteilen sein sollten.
162 b) Die nachveröffentlichte EP 869 nimmt die Priorität der japanischen
Patentanmeldung JP 59838/96 vom 15. März 1996 in Anspruch und bildet daher
nach Art. 54 Abs. 3 EPÜ relevanten Stand der Technik (nur) für die
Neuheitsprüfung.
163 Im Zusammenhang mit der EP 869 ist zunächst zu berücksichtigen, dass diese
Entgegenhaltung im Erteilungsverfahren bereits bekannt war und als nicht
neuheitsschädlich qualifiziert wurde. Derlei bekannter Stand der Technik kann
nach ständiger Praxis der Kammer in der Regel eine Aussetzung des
Verletzungsverfahrens grundsätzlich nicht rechtfertigen.
164 Unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen kann sich die Kammer auch
aufgrund einer eigenen inhaltlichen Prüfung der EP 869 nicht die für eine
Aussetzung notwendige Gewissheit verschaffen, dass es sich bei diese
Entgegenhaltung um einen für das Klagepatent neuheitsschädlichen Stand der
Technik handelt. Unstreitig offenbart die EP 869 lediglich eine einzige
Operationsverbotsinformation (vgl. die dortigen Figuren 5 und 7). Nach
Auffassung der Kammer fehlt es daher wohl an einer Vorwegnahme der
Merkmale c1, c2, d1 und d2. Zutreffend weist die Klägerin insoweit darauf hin,
dass sich die mehreren ersten und zweiten Operationsverbotsinformationen des
Klagepatents auf inhaltlich unterschiedliche Operationen beziehen müssen. Dies
ergibt sich bereits unmittelbar aus dem Wortlaut der Merkmale („in Abhängigkeit
von der vorbestimmten Operation“). Dieser Wortlaut kann nur in der Weise
verstanden werden, dass sich die Abhängigkeit auf die Art bzw. den Inhalt der
jeweiligen Operation bezieht. Entgegen der Auffassung der Beklagten erfasst der
Wortlaut des Klagepatents dagegen nicht Ausgestaltungen, bei welchen mehrere
(inhaltlich gleiche) Operationsverbotsinformationen für verschiedene Zellen
vorhanden sind. In einem solchen Fall bezieht sich die Abhängigkeit nämlich
nicht auf die Operation, sondern vielmehr auf die Zellennummer. Im übrigen wird
die hier vertretene Auslegung, dass sich die mehreren ersten und zweiten
Operationsverbotsinformationen des Klagepatents auf inhaltlich unterschiedliche
Operationen beziehen müssen, auch durch die Beschreibung und die Figuren
des Klagepatents durchgängig bestätigt.
165 c) Auch die - ebenfalls nachveröffentlichte und daher aufgrund der japanischen
Prioritätsanmeldung JP 211947/95 vom 21. August 1995 nur für die
Neuheitsprüfung relevante - EP 106 rechtfertigt nicht die Aussetzung des
vorliegenden Verletzungsrechtsstreits.
166 Die EP 106 ist im Erteilungsverfahren einer sorgfältigen Würdigung unterzogen
worden. So hat der Prüfer im Hinblick auf diese Entgegenhaltung während des
Erteilungsverfahrens negative Prüfungsbescheide erlassen. Nach einer
wiederholten Änderung des Anspruchssatzes wurde das Klagepatent schließlich
erteilt. Angesichts dieser Erteilungsgeschichte kommt in der Regel nach der
bereits geschilderten Praxis der Kammer eine Aussetzung des
Verletzungsverfahrens nicht in Betracht.
167 Unabhängig von diesen allgemeinen Erwägungen kann sich die Kammer auch
aufgrund einer eigenen inhaltlichen Prüfung der EP 106 (bzw. der - soweit hier
von Interesse - inhaltsgleichen JP 947) nicht die für eine Aussetzung notwendige
Gewissheit verschaffen, dass es sich bei dieser Entgegenhaltung um einen für
das Klagepatent neuheitsschädlichen Stand der Technik handelt. Namentlich
verbleiben bei der Kammer Zweifel, ob die Merkmale c2 und d2 durch die JP 947
vorweggenommen sind, insbesondere ob dort die in diesen Merkmalen gelehrte
Bitlänge von einem Bit offenbart ist. Unstreitig sieht die JP 947 sogenannte
„function limitation infomation“ vor, in welchen die Beklagte die
klagepatentgemäßen Operationsverbotsinformationen sehen will. Mittels dieser
„function limitation infomation“ können beispielsweise die Operationen
„Backward_Scan“, „Forward_Scan“, „fast forward“ oder „rewinding“ entweder
erlaubt oder verboten werden. Ebenso ist jedoch unstreitig, dass die Bitlänge
dieser „function limitation infomation“ an keiner Stelle in der Entgegenhaltung
ausdrücklich offenbart ist. Insbesondere ist nicht ausdrücklich offenbart, dass
diese eine Länge von genau einem Bit aufweisen. Daher könnte die
Entgegenhaltung nur dann als neuheitsschädlich qualifiziert werden, wenn die
klagepatentgemäße Bitlänge dort jedenfalls implizit offenbart wäre. Eine solche
implizite Offenbarung will die Beklagte im ersten Prüfungsschritt der nachfolgend
wiedergegebenen Figur 17 erkennen, da bei der dort genannten Operation nur
zwei Zustände möglich seien, nämlich „permitted“ (Y) oder „prohibited“ (N), und
der Informationsgehalt einer solchen Entscheidung lediglich ein Bit (0 oder 1)
betrage.
168 Ob der Fachmann jedoch indessen tatsächlich der Figur 17 eine solche implizite
Offenbarung entnimmt, kann die Kammer innerhalb der vorliegend zu treffenden
Prognoseentscheidung nicht abschließend klären. Gegen eine solche implizite
Offenbarung könnte sprechen, dass unstreitig die Verbotsinformation betreffend
die Operation „copy allowance“ eine Länge von mindestens zwei Bits erfordert
und möglicherweise ein sachliches Interesse besteht, sämtliche
Verbotsinformationen einheitlich zu konfigurieren. Ferner hat die Klägerin zu
bedenken gegeben, dass jedenfalls in den weiteren in Figur 17 gezeigten
Prüfungsschritten jeweils mehr als ein Bit abgeprüft werde. Auch hieraus könnte
der Fachmann möglicherweise Rückschlüsse für die Konfiguration des ersten
Prüfungsschritts zu ziehen. All diese Gesichtspunkte kann die Kammer nicht aus
eigener Sachkunde abschließend bewerten. Damit könnte lediglich mit Hilfe eines
Sachverständigen festgestellt werden, ob die Darstellung in Figur 17 durch den
Fachmann im Sinne einer impliziten Offenbarung der Bitlänge von einem Bit
verstanden wird. Da jedoch im Rahmen der hier zu treffenden bloßen
Prognoseentscheidung die Hinzuziehung eines Sachverständigen nicht in
Betracht kommt, kann sich die Kammer nicht die notwendige Sicherheit darüber
verschaffen, dass die JP 947 im Hinblick auf das Klagepatent neuheitsschädlich
ist.
169 Ebenso wenig vermag die Kammer ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen
auszuschließen, dass die Auflistung der einzelnen Verbotsinformationen in Fig. 6
und Fig. 10 der JP 947, wie die Klägerin behauptet, eine schlichte Angabe des
möglichen Inhalts der übergeordneten „function limitation information“ ist und die
dabei verwendete Reihenfolge nicht als Festlegung einer Reihenfolge bei der
programmtechnischen Umsetzung zu verstehen ist
170 Daher hat die Kammer von einer Aussetzung abgesehen.
VI.
171 Das von der Beklagten beantragte Nachschubrecht mit Blick auf den lediglich in
englischer Sprache vorliegenden Lizenzvertragsentwurf vom 13.04.2015 (Anlage
K 1 e) war nicht zu gewähren. Die Beklagte hatte ausreichend Zeit, sich mit dem
Angebot zu befassen. Das Angebot wurde den Beklagtenvertretern mit
außergerichtlichem Schreiben vom 13.04.2015 übersandt. Selbst wenn man
darauf abstellen wollte, dass das Angebot erst mit Schriftsatz vom 20.11.2015,
dem ersten inhaltlichen Klägerschriftsatz nach Wiederanrufen des Verfahrens, in
den Rechtsstreit eingeführt wurde, bestand genügend Zeit, sich mit dem Angebot
auch im Rahmen des Rechtsstreit auseinanderzusetzen, zumal die Beklagte und
ihre Mutter sich mit Sicherheit bereits zuvor, nämlich nach der Übersendung am
13.04.2015, mit dem Lizenzangebot befasst haben dürften, so dass es keiner
weiteren Analyse bedurfte, um sich hierzu auch schriftsätzlich erklären zu
können. Auch der Hinweis, dass die Gerichtssprache deutsch sei und das
Lizenzangebot nicht zusammen mit einer deutschen Übersetzung in den
Rechtsstreit eingeführt worden sei, verfängt nicht. Die Gerichtssprache bezieht
sich zunächst auf die Sprache, in der das Verfahren geführt wird. Anlagen sind
nur insoweit zu übersetzen, als es auf ihren Inhalt ankommt und das Gericht und
die Gegenpartei auf eine Übersetzung angewiesen sind. Vorliegend sind sowohl
das Gericht als auch die Beklagte in der Lage, einen englischsprachigen
Lizenzvertragsentwurf zu lesen und in dem Umfang zu verstehen, wie er für die
Entscheidung relevant sind. Dass auch die Beklagte der englischen Sprache
hinreichend mächtig ist, belegt die vorgelegte außergerichtliche Korrespondenz,
die von den Parteivertretern jedenfalls überwiegend in Englisch geführt wurde. Es
wäre auch lebensfremd anzunehmen, dass unter den inländischen Mitarbeitern
der Beklagten niemand ist, der des Englischen hinreichend mächtig wäre.
Überdies hat sich die Beklagte für den Offenbarungsgehalt der Prioritätsschriften
JP 59838/96 und JP 211947/95 (NK 10 und 12 der Nichtigkeitsklagen) selbst nur
auf englische Übersetzungen aus dem Japanischen berufen. Der Hinweis auf
eine nicht vorliegende deutsche Übersetzung des Lizenzvertragsangebots zur
Begründung eines Schriftsatznachlasses erscheint daher als reines
Formalargument.
172 Die mündliche Verhandlung war, soweit in den nicht nachgelassenen
Schriftsätzen der Beklagten aus dem Zeitraum nach dem Schluss der mündlichen
Verhandlung neuer Sachvortrag enthalten ist, nicht wiederzueröffnen, § 296a
ZPO. Der Vortrag ist verspätet, da ausreichend Gelegenheit zu schriftsätzlichem
Vortrag bestand. Abgesehen davon führt das weitere Vorbringen nicht zu
anderen Bewertungen. Die Kritik der Beklagten an den einzelnen Klauseln des
Lizenzvertragentwurfs führt nicht dazu, dass der Lizenzvertrag als offensichtlich
nicht FRAND anzusehen wäre. Auch der Vortrag der Beklagten zum behaupteten
Sinn und Zweck der übereinstimmenden Reihenfolge der
Operationsverbotsinformationen ändert an der oben aufgezeigten Auslegung
nichts.
VII.
173 Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. S. 1, 92 Abs. 1, 709 ZPO.
174 Vollstreckungsschutz nach § 712 ZPO hinsichtlich des Rückruf- und
Vernichtungsanspruchs war nicht zu gewähren. Die Beklagte hat nicht mit der
erforderlichen Substanz dargelegt, weshalb ihr die Vollstreckung des Rückrufs-
und Vernichtungsanspruch einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen soll. Ein
pauschaler Hinweis darauf, dass der Rückruf aufgrund des Umfangs der in der
Vergangenheit mit den angegriffenen Ausführungsformen getätigten Umsätze zu
einer ernsthaften Gefährdung des Geschäftsbetrieb der Beklagten führe und ein
nicht zu ersetzender Imageverlust drohe, genügt hierfür nicht. Wie bereits
dargelegt ist der Vernichtungsanspruch zudem nicht zwangsläufig auf die
körperliche Vernichtung der Computer gerichtet. Inwieweit der Imageverlust höher
als in anderen Fällen der Verurteilung wegen einer Patentverletzung sein soll,
bleibt offen.
175 Aus den gleichen Gründen war die Sicherheit für die Vollstreckung des Rückrufs-
und Vernichtungsanspruchs nicht in der von der Beklagten genannten Höhe
anzusetzen. Die festgesetzte Höhe deckt nach Auffassung der Kammer das
Schadensrisiko auch unter Berücksichtigung eines Image-Verlustes ausreichend
ab.