Urteil des LG Mannheim vom 23.02.2016

hauptsache, vertragsstrafe, unterlassungspflicht, gesetzgebungsverfahren

LG Mannheim Beschluß vom 23.2.2016, 2 O 61/15
Präklusion der Zuständigkeitsrüge vor der mündlichen Verhandlung
Leitsätze
Eine vor der mündlichen Verhandlung aber nach Ablauf der gemäß § 276 ZPO
gesetzten Klageerwiderungsfrist erhobene Zuständigkeitsrüge im Sinn von § 39 ZPO
ist nicht nach § 282 Abs. 3 Satz 2, § 296 Abs. 3 ZPO präkludiert.
Tenor
1. Im Umfang der Klageanträge zu II und zu IV (Vertragsstrafenforderung) wird der
Rechtsstreit zur gesonderten Verhandlung abgetrennt.
2. Das Landgericht Mannheim erklärt sich im vorstehenden Umfang für örtlich
unzuständig.
3. Der Rechtsstreit wird insoweit auf Antrag der Klägerin an das Landgericht Bielefeld
verwiesen.
4. Der Streitwert für das gesamte Verfahren wird auf 150.000 EUR festgesetzt, wovon
auf den abgetrennten und verwiesenen Teil (Klageanträge zu II und zu IV) 46.000
EUR und auf den bei der Kammer verbliebenen Teil 104.000 EUR entfallen.
Gründe
A.
1 Wegen des Vorbringens der Parteien und der Prozessgeschichte wird auf den
Tatbestand des Urteils der Kammer vom heutigen Tag verwiesen, das - nur für das
Landgericht Bielefeld - diesem Beschluss in der Anlage beigefügt ist.
B.
2 Unter Abtrennung gemäß § 145 ZPO waren die Klageanträge zu II und zu IV
(Vertragsstrafe), für die das Landgericht Mannheim örtlich nicht zuständig ist,
gemäß § 281 ZPO auf den Antrag der Klägerin an das am allgemeinen
Gerichtsstrand der Beklagten nach § 17 ZPO örtlich (und sachlich) zuständige
Landgericht Bielefeld zu verweisen.
3 I. Eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Mannheim für die
Vertragsstrafenklage ist nicht begründet. Ein allgemeiner Gerichtsstand im Bezirk
des Landgerichts Mannheim ist ohnehin nicht begründet. Eine (besondere) örtliche
Zuständigkeit ergibt sich nicht daraus, dass die Klägerin sich zur Begründung ihrer
Vertragsstrafenverlangen darauf stützt, dass die Beklagte der
Unterlassungsverpflichtung durch bestimmungsgemäß im gesamten Bundesgebiet
über das Internet abrufbare Werbung zuwidergehandelt habe.
4 1. Nach der Rechtsprechung der Kammer (LG Mannheim, InstGE 12, 240 [juris Rn.
7]) lässt sich eine örtliche Zuständigkeit für die auf Zahlung einer Vertragsstrafe
gerichtete Klage nicht aus § 32 ZPO herleiten. Dass Anlass für die Abgabe des
Vertragsstrafenversprechens der Vorwurf unerlaubter Handlungen (namentlich
Schutzrechtsverletzungen) gewesen ist, ändert nichts daran, dass in der
Forderung der Vertragsstrafe die Geltendmachung eines vertraglichen Anspruchs
und nicht die Erhebung von Ansprüchen wegen unerlaubter Handlung liegt.
5 2. Auch eine Zuständigkeit nach § 29 ZPO besteht nicht. Die Kammer hat auch
bereits entschieden und im Einzelnen begründet, dass im Fall einer strafbewehrten
Unterlassungspflicht, die sich auf ein größeres Gebiet erstreckt, § 29 ZPO nicht an
jedem Ort, für den die Unterlassungspflicht besteht, die örtliche Zuständigkeit für
eine Vertragsstrafenklage begründet. Der Erfüllungsort der
Unterlassungsverpflichtung und der Vertragsstrafe liegt jedenfalls grundsätzlich -
und auch hier - am Wohnsitz bzw. am Ort der Niederlassung des Schuldners (LG
Mannheim, InstGE 12, 240 [juris Rn. 8]; ebenso OLG München, NJOZ 2012, 82, 85
LG München I, InstGE 9, 22; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., § 29 Rn. 25
„Unterlassungspflicht“). Ob für den Erfüllungsort der vertraglichen
Unterlassungspflicht etwas anderes gelten kann und dies sich zudem auf den
Erfüllungsort der Vertragsstrafe auswirkt, wenn - anders als im Streitfall - von
vorneherein eine Zuwiderhandlung nur an einem bestimmten anderen Ort in
Betracht kommt, bedarf hier keiner Erörterung.
6 II. Die Beklagte hat bezüglich der Anträge zu II und zu IV keine Zuständigkeit nach
§ 39 ZPO begründet. Vielmehr hat sie insoweit vor der mündlichen Verhandlung
zur Hauptsache die örtliche Zuständigkeit gerügt.
7 Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Zuständigkeitsrüge der Beklagten nicht
nach § 282 Abs. 3 Satz 2, § 296 Abs. 3 ZPO aufgrund des Umstands
unbeachtlich, dass die Beklagte sie erst nach Ablauf der ihr nach § 276 ZPO
gesetzten Frist zur Erwiderung auf die Klage erhoben hat. Die genannten
Präklusionsvorschriften finden auf die Zuständigkeitsrüge keine Anwendung.
8 1. In Rechtsprechung und Literatur ist allerdings umstritten, ob - was der
Bundesgerichtshof (BGHZ 134, 127, 134 f) offengelassen hat - die allgemeinen
Präklusionsvorschriften betreffend Zulässigkeitsmängel (§ 282 Abs. 3 Satz 2, §
296 Abs. 3 ZPO) auch auf für Frage der (innerstaatlichen) örtlichen und sachlichen
Zuständigkeit gelten.
9 Von Teilen des Schrifttums wird dies angenommen und dafür angeführt, § 39 ZPO
sei nicht zu entnehmen, dass der Beklagte jedenfalls bis zur mündlichen
Verhandlung mit der Geltendmachung der Unzuständigkeit warten dürfe.
Versäume es der Beklagte, innerhalb der Klageerwiderungsfrist die
Unzuständigkeit geltend zu machen, und lägen auch im Übrigen die
Voraussetzungen nach § 296 Abs. 3, § 282 Abs. 3 ZPO vor, sei die
Zuständigkeitsrüge als verspätet zurückzuweisen (MünchKommZPO/Prütting, 4.
Aufl., § 296 Rn. 156, mwN in Fn. 375 f; Foerste in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., §
282 Rn. 11 BeckOK ZPO/Toussaint, Stand Dez. 2015, § 39 Rn. 13.1 mwN). Nach
anderer Ansicht steht dem die spezielle Regelung des § 39 ZPO entgegen, so
dass eine vor der mündlichen Verhandlung zur Hauptsache vorgebrachte
Zuständigkeitsrüge nicht deshalb unbeachtlich sein könne, weil sie außerhalb der
Klageerwiderungsfrist vorgebracht wird (OLG Frankfurt a.M., OLGZ 1983, 99, 101
ff; OLG Oldenburg, NJW-RR 1999, 865, 866; Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl., §
39 Rn. 5 mwN Zöller/Greger, aaO § 296 Rn. 8a; BeckOK ZPO/Bacher, Stand Dez.
2015, § 282 Rn. 14, § 296 Rn. 68 Huber in Musielak/Voit, ZPO, 12. Aufl., § 296 Rn.
34; Heinrich, aaO § 39 Rn. 3 MünchKommZPO/Patzina, 4. Aufl., § 39 Rn. 6 mwN
Grunsky, EWiR 1997, 95).
10 2. Die Kammer teilt die letztgenannte Auffassung.
11 Sie entspricht dem vom Bundesgerichtshof nicht nur für die Frage der
internationalen Zuständigkeit (BGHZ 134, 127) sondern auch im Zusammenhang
der Schiedseinrede nach § 1032 Abs. 1 ZPO (BGHZ 147, 394, 397)
eingenommenen Standpunkt. Dabei hat der Bundesgerichtshof im letztgenannten
Fall die im Gesetzgebungsverfahren zu § 1032 ZPO angestrebte Parallelität der
Regelung in § 1032 ZPO zu § 39 ZPO (vgl. BT-Drucks. 13/5274, S. 38) betont und
ausgeführt, dass § 39 ZPO es nahelegt, dass der Beklagte bis zum Beginn der
mündlichen Verhandlung zur Hauptsache mit der Geltendmachung der
Unzuständigkeit warten darf (BGHZ 147, 394, 397). Dieser höchstrichterlichen
Bewertung widerspräche es, im Rahmen der örtlichen Zuständigkeit eine
Präklusion nach § 296 Abs. 3, § 282 Abs. 3 ZPO zuzulassen (vgl. Bacher, aaO §
296 Rn. 68). Dies folgt auch daraus, dass die Rechtsfolge nach § 296 Abs. 3 ZPO
nur für verzichtbare Zulässigkeitsmängel eintritt. Seine Zuständigkeit hat das
Gericht aber grundsätzlich von Amts wegen zu prüfen. Daran ändert auch § 39
ZPO nichts. Eine mangelnde Zuständigkeit ist (abgesehen von der Möglichkeit
einer Gerichtsstandsvereinbarung nach § 38 ZPO) erst und lediglich insoweit
gleichsam disponibel, als in der mündlichen Verhandlung eine Begründung der
Zuständigkeit nach § 39 ZPO möglich ist, indem der Beklagte, ohne die
Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache verhandelt. So ist der
Beklagte nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW-RR 2013, 764
Rn. 10) auch nicht an eine im schriftlichen Vorverfahren gemachte Ankündigung,
die fehlende örtliche Zuständigkeit in der mündlichen Verhandlung nicht rügen zu
wollen, gebunden; vielmehr steht ihm frei, die fehlende örtliche Zuständigkeit
ungeachtet einer gegenteiligen Ankündigung noch vor der mündlichen
Verhandlung zur Hauptsache zu rügen.