Urteil des LG Mannheim vom 20.01.2006

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LG Mannheim Urteil vom 20.1.2006, 1 S 176/05
Jagdhaftpflichtversicherung: Versicherungsschutz für einen nicht mehr jagdtauglichen Hund
Leitsätze
Der Begriff der "jagdlichen Brauchbarkeit" als Voraussetzung für die Erstreckung der Haftpflicht auf die private
Hundehaltung außerhalb der Jagd umfasst charakterliche Eigenschaften des Hundes, die weitgehend unabhängig
von seiner körperlichen Leistungsfähigkeit zu beurteilen sind.
Nach der gebotenen kundenfreundlichen Auslegung ist an diese Charaktereigenschaften anzuknüpfen, die auch
bei einem altersschwachen oder dauerhaft erkrankten Hund in der Regel nicht verschwinden. Nur dadurch können
Abgrenzungsprobleme vermieden werden, die dem Versicherungsnehmer eine Ungewissheit über das Ende des
Versicherungsschutzes zumuten.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 07.09.2005 - 11 C 175/02 - im
Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen wie folgt geändert:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen des Schadensfalles vom 23.11.2004
(Hundebiss Schadens-Nr.: 04-18577) Haftpflichtversicherungsschutz aus der zwischen den Parteien bestehenden
Jagd-Haftpflichtversicherung (Vertrags-Nr.: HPV-0009-7927817/2) zu gewähren.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1 Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
2 1. Die zulässige Berufung ist begründet.
3 Die gesetzliche Haftpflicht des Klägers wegen des streitgegenständliche Hundebisses ist im zwischen den
Parteien bestehenden Versicherungsverhältnis mitversichert.
4 Nach den unstreitig vereinbarten „Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen (BBR) zur Jagd-
Haftpflichtversicherung“ vom 1.12.2001 ist die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers aus dem
„...Halten ... von ... Hunden ... zu eigenen privaten Zwecken...“ mitversichert, sofern „...die Hunde ...
nachweislich jagdlich brauchbar [sind] oder sich in jagdlicher Ausbildung befinden....“. Der am 23.12.1989
geworfene Dackel hat den Kläger nach erfolgreicher Ausbildung zum Jagdhund über 12 Jahre ständig im Revier
begleitet und die anfallenden Arbeiten wie Stöbern und Nachsuchen gut ausgeführt. Seit seinem 13. Lebensjahr
konnte er wegen einer fortschreitenden Lähmung der Hinterhand nicht mehr jagdlich geführt werden. Am
23.11.2004 verletzte der Hund einen Nachbarn, wofür der Kläger Deckungsschutz beantragt hat.
5 Das streitgegenständliche Schadensereignis ist von der Jagdhaftpflichtversicherung umfasst, weil der Hund des
Klägers bei Eintritt des Versicherungsfalls „jagdlich brauchbar“ im Sinne der Versicherungsbedingungen war.
6 Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach gefestigter Rechtsprechung unabhängig von der Gestaltung des
Einzelfalles sowie dem Willen und den Belangen der jeweils konkreten Vertragspartner, also nach ihrem
typischen Sinn auszulegen. Es kommt darauf an, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter
Abwägung der Interessen der normalerweise an solchen Geschäften beteiligten Kreise verstanden werden.
Ansatzpunkt für die bei einem Formularvertrag gebotene objektive, nicht am Willen der konkreten
Vertragspartner zu orientierende Auslegung ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist der Wortlaut eines
Formularvertrages nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext
aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei
der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem
Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen
Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten. Bleiben nach Erwägung dieser Umstände Zweifel, geht dies gemäß § 5
AGBG (in der hier anwendbaren Fassung, jetzt § 305 c Abs. 2 BGB ) zu Lasten des Verwenders; in solchen
Fällen setzt sich also die kundenfreundlichere Lösung durch (BGH NJW 2005, 1183ff m.w.N.).
7 Der Begriff der jagdlichen Brauchbarkeit als Voraussetzung für die Erstreckung der Haftpflicht auf die private
Hundehaltung außerhalb der Jagd ist nicht eindeutig. Er umfasst charakterliche Eigenschaften des Hundes, die
weitgehend unabhängig von seiner körperlichen Leistungsfähigkeit zu beurteilen sind. Jagdverstand, Härte am
Raubwild, Unerschrockenheit, dazu seine hervorragende Feinnasigkeit, Spurlaut, Schussfestigkeit, Fährten- und
Finderwille sind Eigenschaften, die teils angeboren, teils erworben den Rauhhaardackel als Jagdhund
auszeichnen und auch bei einer Lähmung der Hinterhand weiter bestehen.
8 Zwar ist ein Hund, der wegen einer solchen Beeinträchtigung dauerhaft nicht mehr jagdlich geführt werden kann,
in seiner jagdlichen Brauchbarkeit eingeschränkt, auch wenn er seine Charaktereigenschaften nicht verloren hat.
Die Versicherungsbestimmungen knüpfen jedoch nicht an die tatsächliche Verwendung bei der Jagd sondern an
die generelle Brauchbarkeit an. Nach der gebotenen kundenfreundlichen Auslegung ist an die
Charaktereigenschaften anzuknüpfen, die auch bei einem altersschwachen oder dauerhaft erkrankten Hund in
der Regel nicht verschwinden. Nur dadurch können Abgrenzungsprobleme vermieden werden, die dem
Versicherungsnehmer eine Ungewissheit über das Ende des Versicherungsschutzes zumuten. Ein Jäger wird
seinen alten Hund immer als Jagdhund bezeichnen, auch wenn er ihn nicht mehr bei der Jagd verwendet. Die
oben dargelegten Grundsätze gebieten eine Auslegung der Versicherungsbedingungen, die dem
Versicherungsnehmer nicht durch die Erkrankung des Hundes in eine Deckungslücke mit der Gefahr von ganz
erheblichen Haftpflichten geraten lassen.
9 II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt
aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.