Urteil des LG Mannheim vom 29.09.2006

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LG Mannheim Urteil vom 29.9.2006, 7 O 76/06
Urheberrechtsschutz: Störerhaftung des Inhabers eines Internetanschlusses für unerlaubtes Anbieten
eines Computerspiels zum Upload über eine Tauschplattform
Leitsätze
1. Der Inhaber eines Internetanschlusses haftet grundsätzlich als Störer für von diesem Anschluss aus
begangenen Urheberrechtsverletzungen auf Unterlassung, falls er ihm obliegende Prüfungs- und
Überwachungspflichten verletzt.
2. Soweit der Anschlussinhaber den Anschluss Familienangehörigen und insbesondere seinen Kindern zur
Verfügung stellt, bestehen Prüfungs- und Überwachungspflichten nur im Rahmen der Erziehung von Kindern in
Abhängigkeit von deren Alter. Eine dauerhafte Überprüfung des Handelns der eigenen Kinder oder des Ehepartners
ist ohne konkreten Anlass nicht zumutbar.
3. Bei einem volljährigen Kind, das nach allgemeiner Lebenserfahrung im Umgang mit Computer- und
Internettechnologie einen Wissensvorsprung vor seinen erwachsenen Eltern hat, bedarf es keiner einweisenden
Belehrung.
Tenor
[Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom Gericht nicht mitgeteilt.]
Gründe
1
Sachverhalt s. im Anschluss an Gründe
2
Die zulässige Klage ist unbegründet.
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1. Der Beklagte ist hinsichtlich einer von ihm selbst begangenen unerlaubten Handlung gem. § 97 Abs. 1 UrhG
nicht passivlegitimiert. Die Klägerin ist hinsichtlich eines täterschaftlichen Handelns des Beklagten beweisfällig
geblieben.
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Denn der Beklagte hat die täterschaftliche Begehung eines Urheberrechtsverstoßes durch ihn wirksam
bestritten. Grundsätzlich trifft die Darlegungs- und Beweislast für alle anspruchsbegründenden Merkmale in §
97 Abs. 1 UrhG den Anspruchssteller (von Wolff in: Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 2. Aufl., § 97 Rn. 21),
hier also die Klägerin. Allerdings trifft den Beklagten eine sekundäre Darlegungslast. Als solche wird die Last
einer Gegenpartei bezeichnet, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungspflicht zu
den Behauptungen der darlegungspflichtigen Partei zu äußern. Eine solche sekundäre Darlegungslast kann
insbesondere dann angenommen werden, wenn sich die maßgeblichen Vorgänge im Wahrnehmungsbereich
des Prozessgegners abgespielt haben. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob es diesem zumutbar ist,
nähere Angaben zu machen (allgemein: BGHZ 86, 23, 29; 100, 190, 196; BGH, Urt. v. 24.11.1998, - VI ZR
388/97, NJW 1999, 714, 715; Mes, P., GRUR 2000, 934, 939). Die Klägerin kann keine Kenntnis davon haben,
wer den Internetanschluss der Beklagten zum ermittelten Zeitpunkt tatsächlich genutzt hat; dieser Umstand
liegt allein in der Sphäre des Beklagten. Wie weit bei dieser Sachlage die sekundäre Darlegungslast der
Beklagten konkret reicht, braucht nicht entschieden zu werden. Der Beklagte ist seiner sekundären
Darlegungslast jedenfalls nachgekommen. Er hat sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränkt, sondern
vielmehr konkret seinen Sohn als Täter angegeben. Auf dieses Bestreiten der Behauptung einer Täterschaft
der Beklagten ist die Klägerin als darlegungs- und beweisbelastete Partei beweisfällig geblieben.
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2. Der Beklagte unterliegt auch nicht der Störerhaftung.
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a) Wer - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur
Verletzung eines geschützten Gutes beiträgt, kann als Störer für eine Schutzrechts-/Urheberrechtsverletzung
auf Unterlassung in Anspruch genommen werden (vgl. BGHZ 148, 13, 17 - ambiente.de; BGH Urt. v.
18.10.2001 - I ZR 22/99, GRUR 2002, 618, 619 - Meißner Dekor; BGHZ 158, 236, 251 - Internet-Versteigerung).
Nach ständiger Rechtsprechung setzt allerdings die Haftung desjenigen, der ohne Täter oder Teilnehmer als
Störer haftet, die Verletzung von Prüfungspflichten voraus. Denn anderenfalls würde die Störerhaftung über
Gebühr auf Dritte erstreckt werden, die nicht selbst die rechtswidrige Beeinträchtigung vorgenommen haben.
Der Umfang der Prüfungspflichten bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch
genommenen nach den Umständen eine Prüfung zumutbar ist (BGH, Urt. v. 10.10.1996 - I ZR 129/94, GRUR
1997, 313, 315 f - Architektenwettbewerb; Urt. v. 30.06.1994 - I ZR 40/92, GRUR 1994, 841, 842 f; Urt. v.
15.10.1998 - I ZR 120/96, GRUR 1999, 418, 419 f - Möbelklassiker; BGHZ 148, 13, 17 f - ambiente.de; BGHZ
158, 236, 251 - Internet-Versteigerung).
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b) Der Beklagte trägt willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Urheberrechts bei. Er
betreibt als Inhaber einen Internetanschluss; dieser ist mit seinem Willen und von ihm angemeldet worden.
Ohne den Internetanschluss und seine Überlassung an Dritte wäre es auch nicht kausal zu einer Verletzung
des geschützten Urheberrechts gekommen. Er ist als Inhaber des Anschlusses sowohl rechtlich als auch
tatsächlich in der Lage, dafür zu sorgen, dass dieser Anschluss nicht für Rechtsverletzungen genutzt wird.
Soweit der Beklagte vorträgt, dass er dazu mangels Kenntnisse nicht in der Lage sei, muss er sich dann, wenn
er selbst einen entsprechenden Internetanschluss betreibt, der Hilfe Dritter bedienen.
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Fraglich ist allein die Annahme der Verletzung von Prüfungspflichten. Dabei ist zu beachten, dass die
ursprünglich zwischen den Parteien umstrittene Frage einer Nutzung eines W-LAN Netzes durch Dritte
vorliegend nicht zu entscheiden ist. Der Beklagte hat im Laufe des Prozesses seinen diesbezüglichen Vortrag
aufgegeben. Stattdessen hat er ohne sachlichen Widerspruch der Klägerin seinen volljährigen Sohn als Täter
benannt. Folglich ist allein die Frage der Reichweite der Störerhaftung bei der Internetnutzung durch volljährige
Familienmitglieder streitgegenständlich. Hierbei hat der Beklagte keinerlei Überwachungs- oder
Belehrungsmaßnahmen vorgetragen.
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Der Umfang der Prüfungspflicht bestimmt sich danach, ob und inwieweit dem Beklagten als Störer nach den
Umständen eine Überprüfung der Internetnutzung zuzumuten ist.
10 Soweit - wie im Streitfall - ein Anschlussinhaber den Anschluss Familienangehörigen und insbesondere seinen
Kindern zur Verfügung stellt, beruht die Eröffnung des Zugangs zum Internet auf dem familiären Verbund.
Prüfungs- und Überwachungspflichten sind nur insoweit anzunehmen, als diese im Rahmen der Erziehung von
Kindern in Abhängigkeit von deren Alter auch auf anderen Betätigungsfeldern notwendig ist. Eine dauerhafte
Überprüfung des Handelns der eigenen Kinder oder des Ehepartners ist ohne konkreten Anlass nicht zumutbar.
Ohne Anlass für die Annahme, dass Familienmitglieder in rechtswidriger Weise Urheberrechte im Rahmen der
Nutzung des Internets verletzen, kommt eine ständige Überwachung oder gar eine Sperrung des Anschlusses
für diese nicht in Betracht. Ob es allerdings bei Eröffnung des Internetverkehrs für die Kinder einer
einweisenden Belehrung bedarf, ist nach dem Alter und dem Grad der Vernunft der jeweiligen Nutzer im
Einzelfall zu entscheiden.
11 Nach diesen Grundsätzen scheidet im vorliegenden Fall eine Störerhaftung des Beklagten aus. Bei einem
volljährigen Kind, das nach allgemeiner Lebenserfahrung im Umgang mit Computer- und Internettechnologie
einen Wissensvorsprung vor seinen erwachsenen Eltern hat, kann es sinnvollerweise keiner einweisenden
Belehrung über die Nutzung des Internets bedürfen. In diesem Fall bleibt es bei der Beurteilung, dass ein Vater
ein konkretes Familienmitglied nicht ohne Anlass der Begehung unerlaubter Handlungen verdächtigen muss
und dementsprechend zur Einleitung von Überwachungsmaßnahmen verpflichtet wäre.
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Sachverhalt
13 Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen unerlaubten Anbietens eines Computerspiels zum Upload im Internet
auf Unterlassung sowie auf Aufwendungs- und Schadensersatz in Anspruch.
14 Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an dem Computerspiel „...“.
Der Beklagte ist Inhaber eines. Internetanschlusses.
15 Im Internet gibt es Tauschbörsen, in denen die Benutzer sich im Rahmen eines Peer-to-Peer-Netzwerkes
gegenseitig über die jeweilige Tauschplattform Daten zur Verfügung stellen. Hierzu sind alle Computer der
Nutzer über eine bestimmte Software in einem eigenen Netzwerk miteinander verbunden. Um an dem Netzwerk
teilnehmen zu können, ist es erforderlich, eine entsprechende Software, welche im Internet kostenlos
angeboten wird, herunter zu laden und zu installieren, sowie sich selbst zu registrieren und einen
Benutzernamen anzugeben. Jeder Nutzer der Internettauschbörse bietet den anderen Nutzern sodann Einblick
in einen bestimmten Teil der Festplatte seines Computers. Die Daten werden dann gegenseitig über die
Tauschplattform zur Verfügung gestellt. Dabei bietet jeder, der auch nur ein Datenpaket einer Datei von einem
anderen Nutzer auf seine eigene Festplatte lädt, dieses Datenpaket bereits wieder anderen Nutzern für den
Download durch diese an (Filesharing).
16 Am Datum um Uhrzeit bot ein Nutzer mit der IP-Adresse nnn.nnn.nnn.nn die Datei „....rar“ als funktionsfähige
Version des hier interessierenden Computerprogramms anderen zum Download an.
17 Die Staatsanwaltschaft ermittelte den Beklagten als Anschlussinhaber. Zwischen den Parteien ist unstreitig,
dass vom Anschluss des Beklagten aus der streitgegenständliche Upload stattgefunden hat.
18 Der Beklagte trägt vor, dass er für den streitgegenständlichen Upload nicht verantwortlich sei, da sein
volljähriger Sohn an der Tauschbörse teilgenommen habe. Er selbst habe also keine urheberechtsverletzende
Handlung vorgenommen. Aber auch für das Tun seines Sohnes brauche er nicht einzustehen.