Urteil des LG Mannheim vom 25.08.2008

LG Mannheim (bundesrepublik deutschland, einstweilige verfügung, treu und glauben, zpo, internationale zuständigkeit, örtliche zuständigkeit, ast, gutgläubiger erwerb, verfügung, gebiet)

LG Mannheim Beschluß vom 25.8.2008, 7 O 224/08 Kart
Öffentliches Zugänglichmachen von Musikstücken im Internet: Gesamteuropäische Lizenz zum
Internetabruf durch eine nationale Wahrnehmungsgesellschaft
Leitsätze
Zur Erteilung einer gesamteuropäischen Lizenz zum Internetabruf auch in Deutschland durch eine nationale
Wahrnehmungsgesellschaft aufgrund der Rechteeinräumung in einem Gegenseitigkeitsvertrag nach CISAC-Modell
(hier: einstweilige Verfügung).
Tenor
1. Der Antragsgegnerin Ziff. 1 wird es verboten, die nachfolgend aufgelisteten Musikwerke (Musik und Text) im
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ohne Zustimmung der Antragstellerin im Internet öffentlich zugänglich zu
machen:
...
2. Den Antragsgegnerinnen Ziff. 2 und Ziff. 3 wird es verboten, ohne Zustimmung der Antragstellerin für das Gebiet
der Bundesrepublik Deutschland durch Lizenzvergabe Dritte, wie die Antragsgegnerin Ziff. 1, zu veranlassen und
hierdurch mitzuwirken an der öffentlichen Zugänglichmachung im Internet und an den dafür erforderlichen
Vervielfältigungshandlungen der in Ziffer 1 aufgelisteten Musikwerke.
3. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verbote nach den vorstehenden Ziffern wird den
Antragsgegnerinnen jeweils ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, insgesamt jedoch höchstens zwei Jahre, angedroht, wobei die Ordnungshaft
an dem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist.
4. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerin Ziff. 1 zu 3/8, die Antragsgegnerinnen Ziff. 2 und Ziff. 3
zu je 3/16 und die Antragstellerin zu 1/4.
5. Der Streitwert wird festgesetzt auf 250.000,00 EUR, wobei auf das Streitverhältnis zur Antragsgegnerin Ziff. 1
125.000,00 EUR und auf die weiteren Streitverhältnisse je 62.500,00 EUR entfallen.
Gründe
1
Auf den Antrag der Antragstellerin vom 19.08.2008 in der Fassung vom 22.08.2008 ist die vorstehende
einstweilige Verfügung zu erlassen.
2
1. Die Kammer ist zur Entscheidung berufen.
3
Die internationale Zuständigkeit beruht hinsichtlich der Antragsgegnerin Ziff. 1 auf der doppelfunktionalen
Anwendung der Gerichtsstände aus § 21 Abs. 1 bzw. § 32 ZPO, hinsichtlich der weiteren Antragsgegnerinnen
auf Art. 5 Nr. 3 EuGVVO. Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Kammer folgt aus § 71 Abs. 1 GVG, §
32 ZPO / Art. 5 Nr. 3 EuGVVO, § 105 Abs. 1 UrhG iVm. § 13 Abs. 1 Nr. 1 ZuVOJu.
4
Der nach dem glaubhaft gemachten Vortrag der Antragstellerin durch das Internetangebot der Antragsgegnerin
Ziff. 1 - bestimmungsgemäß auch im Bezirk des Oberlandesgerichts Karlsruhe - ermöglichte rechtswidrige
Download der aus dem Tenor ersichtlichen Musikstücke begründet im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts
Mannheim als Gericht für Urheberrechtsstreitsachen einen Erfolgsort der unerlaubten Handlung. Art. 14 des
Vertrags zwischen Antragstellerin und Antragsgegnerin Ziff. 2 aus dem Jahr 1971 trifft keine abweichende
Gerichtsstandsvereinbarung iS. Art. 23 Abs. 1 EuGVVO für eine Auseinandersetzung der Parteien über
deliktische Ansprüche zwischen den Parteien, sondern ist bei verständiger Würdigung der vertraglichen
Regelung auf Auseinandersetzungen im unmittelbaren Vertragszusammenhang begrenzt.
5
2. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind glaubhaft gemacht (§§ 936, 920 Abs. 2 ZPO).
6
a) Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr im zuletzt beantragten Umfang ein
Unterlassungsanspruch gegen die Antragsgegnerin Ziff. 1 zusteht nach §§ 97 Abs. 1, 19a UrhG.
7
Die Antragstellerin hat mit Anlagen Ast 10 (Anmeldebögen), Ast 11 und den Anlagen Ast 5 und 12
(Berechtigungsverträge) sowie Ast 13 glaubhaft dargelegt, dass ihr zu treuen Händen die ausschließlichen
Rechte zur öffentlichen Zugänglichmachung der im Tenor wiedergegebenen Musikwerke (Musik und Text)
sowie entsprechende Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechte (vgl. § 1 lit. g), h), l) der Berechtigungsverträge)
von den Allein- bzw. Miturhebern der Werke eingeräumt worden sind. Sie ist hiernach als ausschließliche
Nutzungsberechtigte (§ 31 Abs. 3 S. 1 UrhG) aktivlegitimiert iS. § 97 Abs 1 UrhG (vgl. Dreier in Dreier/Schulze,
UrhG, 2. Aufl. 2006, § 97 Rz. 19 mwN.).
8
Das in der Bundesrepublik Deutschland bestimmungsgemäß abrufbare Downloadangebot der Antragsgegnerin
Ziff. 1 unter … erfasst die im Tenor wiedergegebenen Musikwerke. Ein Eingriff in das Recht zur öffentlichen
Zugänglichmachung (§ 19a UrhG) dieser Werke ist sonach glaubhaft gemacht.
9
Diese öffentliche Zugänglichmachung in der Bundesrepublik Deutschland ist rechtswidrig. Die Antragstellerin
hat durch eidesstattliche Versicherung des Herrn … vom 18.08.2007 (Ast 7, Ziff. II. und III.) und Vorlage der
Gegenseitigkeitsverträge mit den Antragsgegnerinnen Ziff. 2 und Ziff. 3 (Anlage Ast 8) glaubhaft gemacht,
dass die Antragsgegnerin Ziff. 1 von der Antragstellerin als ausschließlich Nutzungsberechtigte keine
Nutzungsrechte (Lizenzen) herleiten kann. Eine unmittelbare Lizenzerteilung an die Antragsgegnerin erfolgte
nach den glaubhaften Darlegungen nicht. Eine Berechtigungskette von der Antragsgegnerin Ziff. 1 zur
Antragstellerin durch Lizenznahme der Antragsgegnerin Ziff. 1 bei den anderen Antragsgegnerinnen besteht
nicht. Die Antragsgegnerinnen Ziff. 2 und Ziff. 3 haben aufgrund der nach Treu und Glauben auszulegenden
(Art. 28 Abs. 1 S. 1, 32 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB, § 157 BGB) vorgelegten Gegenseitigkeitsverträgen am
Repertoire der Antragstellerin das nichtausschließliche Recht der öffentlichen Wiedergabe zur
Weiterlizenzierung lediglich für das Gebiet der Niederlande, Indonesien, Surinam und Niederländische Antillen
als dem der Verwaltung der Antragsgegnerinnen unterliegenden Gebiet (Art. 1 Abs. 2 iVm. Art. 6 Abs. 1 bzw.
Art. I Abs. 1 iVm. Art. III Abs. 2) erhalten. Für das Gebiet der Bundesrepublik haben die Antragsgegnerinnen
Ziff. 2 und 3 am Repertoire der Antragstellerin keine (Verwaltungs-) Rechte begründet. Mangels eines solchen
Rechtserwerbs bekam die Antragsgegnerin Ziff. 1 keine Rechte nach § 19a UrhG wirksam eingeräumt. Ein
gutgläubiger Erwerb von Nutzungsrechten ist dem deutschen Recht mangels Rechtsscheinsträger unbekannt.
Dem deutschen Recht als Recht des Schutzlandes (vgl. BGH, Urt. v. 02.10.1997 - I ZR 88/95, GRUR 1999,
152 - Spielbankaffaire) obliegt aber die Entscheidung, ob über urheberechtliche Befugnisse wirksam verfügt
werden konnte.
10 Die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr (§ 97 Abs. 1 S. 1 UrhG) wird durch die
bereits erfolgten Verletzungshandlungen indiziert.
11 b) Auch gegen die Antragsgegnerinnen Ziff. 2 und Ziff. 3 hat die Antragstellerin einen Unterlassungsanspruch
nach §§ 97 Abs. 1, 19a UrhG glaubhaft dargelegt.
12 Zwar stellt die Lizenzierung als Verfügung eines Nichtberechtigten über urheberrechtliche Befugnisse keine
Werknutzung dar und greift als solche nicht in die Beziehungen des Urhebers zu seinem Werk ein. Jedoch
veranlassen die Antragsgegnerinnen Ziff. 2 und Ziff. 3 ausweislich Anlage Ast 9 durch Erteilung der „Pan-
European Licence“ die unter lit. a) dargestellte Urheberrechtsverletzung der sich auf die erteilte Lizenz
berufenden Antragsgegnerin Ziff. 1. Die Antragsgegnerinnen können verschuldensunabhängig daher als
mittelbare Handlungsstörerinnen auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.
13 Die vom Antrag abweichende Fassung des Tenors beruht auf § 938 Abs. 1 ZPO.
14 c) Der Erlass der einstweiligen Verfügung ist zur Vermeidung weiterer Schäden und Abwehr unmittelbar
drohender weiterer Urheberrechtsverletzungen - insbesondere durch Veranlassung weiterer Anbieter von
Musikstücken infolge einer „europaweiten“ Lizenzerteilung durch die Antragsgegnerinnen Ziff. 2 und Ziff. 3 -
geboten (§§ 935, 940 ZPO). Eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit der Verfügung durch überlanges Zuwarten
der Antragstellerin ist nicht ersichtlich (Ast 7, Ziff. IV.).
15 3.3. Die Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel nach entsprechendem Antrag beruht auf § 890 ZPO.
16 4.4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 269 Abs. 3 S. 2, 100 Abs. 2 ZPO.
17 5.5. Die Streitwertfestsetzung ergeht nach §§ 39 Abs. 1, 48 Abs. 1 S. 1 GKG, 3 ZPO und folgt der
Streitwertangabe der Antragstellerin nach § 61 S. 1 GKG.