Urteil des LG Mainz vom 18.06.2007

LG Mainz: auslegung nach dem wortlaut, akteneinsichtsrecht, vertreter, innenverhältnis, versendung, delegation, beschränkung, gerichtsverfahren, arbeitsorganisation, rechtspflege

Kostenrecht
Sonstiges
LG
Mainz
18.06.2007
3 T 52/07
Auslagenschuldner für die Aktenversendungspauschale gemäß Nr. 9003 KV ist aufgrund historischer und teleologischer
Auslegung der §§ 56 Abs. 2 GKG a.F./ 28 Abs. 2 GKG n.F. der Prozessbevollmächtigte, der die Aktenübersendung
beantragt hat und nicht der von ihm vertretene Prozessbeteiligte.
Die Entscheidung eines Rechtsanwalts, das seinem Mandanten zustehende Akteneinsichtsrecht gemäß §299 ZPO durch
Aktenübersendung in seinen Kanzleiräumen auszuüben, wird üblicherweise durch dessen ureigenes Interesse an
Zeitersparnis und Delegation geprägt.
Aktenzeichen: 3 T 52 /07
2 C 396/02 AG Bingen am Rhein
Br
In dem Beschwerdeverfahren
M. G., in G.-A.
- Kläger –
Prozessbevollmächtigte: RAe. Z. u. Koll., in B.K.
gegen
1. N. K., in E.
2. M. K., in W.
- Beklagte –
Prozessbevollmächtigter: RA W. K.- S., in L.
Beschwerdeführerin: Bezirksrevisorin des Landgerichts Mainz
hat die
3. Zivilkammer
beschlossen:
1.
Auf die Beschwerde der Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Mainz wird der Beschluss des Amtsgerichts Bingen vom
26.03.2007 aufgehoben und der Kostenansatz des Amtsgerichts Bingen vom 24.08.2006 aufrechterhalten.
2.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht
erstattet.
Gründe:
Mit Schriftsatz vom 26.07.2002 bestellte sich der Beklagtenvertreter zunächst für die Beklagte zu 1. im Verfahren vor dem
Amtsgericht Bingen, AZ: 2 C 396/02 und beantragte, ihm die Gerichtsakte durch Übersendung in seinem Büro zur
Verfügung zu stellen. Dem Beklagtenvertreter wurden die Akten daraufhin übersandt. Mit Schriftsatz vom 11.10.2002
bestellte sich der Beklagtenvertreter später auch für den Beklagten zu 2. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom
07.11.2002 schlossen die Parteien einen Vergleich, bei dem sich der Kläger zur Übernahme von 1/3 und die Beklagten
als Gesamtschuldner zur Übernahme von 2/3 der Kosten des Rechtsstreits verpflichteten. Die Beitreibung der Kosten
scheiterte bei dem Beklagten zu 1. an dessen Zahlungsunfähigkeit und erscheint auch bei dem Beklagten zu 2. nicht
Erfolg versprechend.
Mit Kostenansatz vom 24.08.2006 nahm die Landesjustizkasse dem Beklagtenvertreter für die Akten Versandkosten
nach Nr. 9003 des Kostenverzeichnisses in Höhe von 8,-- € in Anspruch. Hiergegen wendet sich der Beklagtenvertreter
mit seiner Erinnerung vom 25.10.2006. Er ist der Ansicht, er sei nicht persönlich Kostenschuldner, wenn er Mandanten
vertrete.
Nach Nichtabhilfeentscheidung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die zuständige Abteilungsrichterin des
Amtsgerichts Bingen der Erinnerung stattgegeben und den Kostenansatz des Amtsgerichts Mainz vom 24.08.2006
(Kassenzeichen: 1905043003812) aufgehoben. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die rein formale
Auslegung nach dem Wortlaut nicht überzeuge. Auch in § 22 GKG n.F. habe derjenige die Kosten zu tragen, der das
Verfahren des Rechtszuges beantragt habe. Unstreitig sei dies jedoch im Falle der Vertretung nicht der Vertreter,
sondern gem. § 164 Abs. 1 BGB der Vertretene, mithin der Mandant. Eine ungerechtfertigte Haftung des allgemeinen
Kostenschuldners sei nicht zu besorgen, da der Mandant nur für solche Kosten hafte, die er selbst verursacht habe. Dies
sei regelmäßig nicht derjenige, der den Antrag einreiche, sondern derjenige, dessen Interesse mit der Einreichung des
Antrages wahrgenommen würden. Das Akteneinsichtsrecht, das vorliegend lediglich vom Beklagtenvertreter
wahrgenommen worden sei, habe allein dem Beklagten zu 1. zugestanden. Anders als in den zu § 147 StPO
ergangenen Entscheidungen stehe dem Beklagtenvertreter ein eigenes Akteneinsichtsrecht gerade nicht zu. Die Wahl
einer Akteneinsicht in den Kanzleiräumen anstelle in den Räumen der Akten führenden Behörde sei zweckmäßig und
bei nicht ortsansässigen Kanzleien auch wirtschaftlich. Eine ungerechtfertigte Benachteiligung trotz eines
Erstattungsanspruchs nach §§ 670, 675 BGB gegenüber den Mandanten bestehe vorliegend für den Fall, dass diese
zahlungsunfähig würden.
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtsfrage hat das Amtsgericht Bingen die Beschwerde zugelassen.
Mit Schriftsatz vom 11.04.2007, eingegangen am 16.04.2007 hat die Bezirksrevisorin bei dem Landgericht Mainz sodann
Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bingen vom 26.03.2007, zugestellt am 02.04.2007, eingelegt. Die
Beschwerde wird im Wesentlichen mit dem gleich bleibenden Wortlaut in § 56 Abs. 2 GKG a.F., 28 Abs. 2 GKG n.F.
begründet, wonach für die Kostenschuld allein auf die Antragstellung und nicht auf die Interessenvertretung abgestellt
werde. Auch, wenn der Prozessbevollmächtigte als Vertreter seines Mandanten handele, obläge es jedoch allein seiner
Entscheidung, die Akteneinsicht in der Geschäftsstelle vorzunehmen, oder sich die Akten in seine Kanzleiräume
übersenden zu lassen. Eine ungerechtfertigte Belastung scheide im Innenverhältnis aufgrund eines
Erstattungsanspruches aus.
Die gem. § 66 Abs. 2 GKG zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.
Mit Kostenrechnung vom 24.08.2006 wurde der Beklagtenvertreter zu Recht in Höhe der Aktenversendungspauschale
gem. Nr. 9003 des Kostenverzeichnisses in bis 31.03.2005 geltender Höhe von 8,-- € (nunmehr 12,-- €) in Anspruch
genommen. Auch, wenn die Regelung in 22 GKG n.F. zur Kostentragungspflicht der Parteien nach dem Wortlaut der hier
maßgeblichen Vorschrift § 56 Abs. 2 GKG a.F. (§ 28 Abs. 2 GKG n.F.) eine gleiche Auslegung nahe legt, ist diese letztlich
aufgrund historischer und teleologischer Zusammenhänge zu verneinen. Da der Prozessbevollmächtigte stets namens
und in Vollmacht der Partei die Durchführung des Verfahrens als solches beantragt, haftet für die hierdurch veranlassten
Kosten des Verfahrens auch die Partei selbst. Dies ist aus den nachfolgenden Gründen jedoch nicht auf die
Sonderregelung zur Kostenhaftung in § 56 Abs. 2 GKG a.F. (§ 28 Abs. 2 GKG n.F.) zu übertragen. Durch Art. 1 Nr. 6,
Buchstabe c des Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 wurde dem früheren, bis 01.04.2005 einschlägigen § 56 GKG in
Abs. 2 eine Regelung angefügt, die bestimmte, dass Schuldner der Auslagen für die Versendung von Akten nur
derjenige sei, der die Versendung beantragt habe. Aus der Begründung zum Entwurf des
Kostenrechtsänderungsgesetzes 1994 ergibt sich, dass diese Ergänzung für den seinerzeit eingeführten
Auslagentatbestand in Nr. 9003 des Kostenverzeichnisses eine spezielle Kostenhaftungsregelung schaffe, die eine
ungerechtfertigte Haftung der allgemeinen Kostenschuldner vermeide (so Bundestagsdrucksache 12/6962, S. 66).
Entsprechend wurde auch die Überschrift des § 56 GKG in seiner bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung um die
Worte „und bestimmte sonstige Auslagen“ erweitert. Mit dem Kostenrechtsmodernisierungsgesetz vom 05. Mai 2004
wurde diese Bestimmung als § 28 Abs. 2 GKG in der ab dem 01. Juli 2004 geltenden Fassung durch den Gesetzgeber
nahezu wortgleich übernommen und eine inhaltliche Änderung lediglich zur Erweiterung des Tatbestandes auf die
elektronische Übermittlung der Akten vorzunehmen. Damit sollte mit diesem Sondertatbestand ein eigener Schuldner
geschaffen werden, der zu den Verfahrensbeteiligten als Kostenschuldner hinzutritt. Der Auslagentatbestand Nr. 9003
KV GKG ermöglicht, von dem Prozessbevollmächtigten die pauschale Abgeltung von Aufwendungen zu verlangen, die
entstehen, weil Akteneinsicht an einem anderen Ort als der Akten führenden Stelle gewünscht wird und deshalb die
zusätzlich Kosten verursachende Aktenversendung notwendig geworden ist. Dieser zusätzliche Aufwand besteht darin,
zur Erledigung des Aktenversendungsgesuchs u.a. die Akten mit einem Begleitschreiben zu versehen, eine Retentakte
anzulegen und die Aktenrückführung zu überwachen, kann jedoch durch Akteneinsicht in den Räumen der
Geschäftsstelle des zuständigen Gerichtes vermieden werden.
Richtig ist, dass anders als in der Strafprozessordnung im Zivilverfahren kein eigenes Akteneinsichtsgesuch des
Prozessbevollmächtigten normiert ist, sondern dieses gem. § 299 Abs. 1 Ziff. 1 ZPO grundsätzlich den Parteien zusteht
und regelmäßig in deren Interesse wahrgenommen wird. Davon zu unterscheiden ist aber die Frage, auf welche Weise
und an welchem Ort der Rechtsanwalt die Gerichtsakten einsieht. Hierbei spielen weniger die Interessen der Mandanten
und die der Rechtspflege eine Rolle, sondern der Anwalt wird regelmäßig die Frage des Ortes der Akteneinsicht auch
unter Berücksichtigung seiner eigenen Interessen und Arbeitsorganisation, mithin aus Gründen der Zeitersparnis und der
möglichen Delegation bei Anfertigung von Kopien treffen. Da unter diesen Gesichtspunkten gerade anders als bei der
Prozessvertretung in einem Gerichtsverfahren nicht von Vorneherein feststeht, in wessen Interesse die
Einzelentscheidung der besonderen Art und Weise der Akteneinsicht getroffen wurde, wird aus Gründen der
Vereinfachung an den formalen Gesichtspunkt der Antragstellung angeknüpft, so dass der Prozessbevollmächtigte für
die Vorteile der allgemeinen Arbeitserleichterung, der Zeit- und Kostenersparnis als Äquivalent eine geringe
Aktenversendungspauschale zu übernehmen hat. Ein Verstoß gegen höherrangiges Recht ist nicht erkennbar, auch
wenn die hierzu zitierten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 19.07.1995, NJW 1995, S.
3177) und Beschluss vom 06. März 1996 (NJW 1996, S. 2222) zum Akteneinsichtsgesuch gem. § 147 StPO ergangen
sind, setzt sich das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auch mit der vergleichbaren Vorschrift in § 56 Abs. 2 GKG
a.F. auseinander. Es handele sich weder um eine von der verfassungsmäßigen Ordnung nicht mehr gedeckte
Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit, noch verletze sie das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GKG) oder
den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG).
Ebenso erscheint es nicht unangemessen, den Prozessbevollmächtigten auf seinen im Innenverhältnis gegebenen
Erstattungsanspruch gem. §§ 670, 675 BGB zu verweisen. Der Prozessbevollmächtigte geht aufgrund seines
privatrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages mit dem Mandanten wegen seiner Vorleistungspflicht stets das
Insolvenzrisiko desselben ein. Da jedoch kein Kontrahierungszwang besteht, steht es dem Prozessbevollmächtigten zum
einen frei, Mandate infolge unsicherer Beitreibbarkeit der Vergütung abzulehnen bzw. über hinreichende
Vorschusszahlungen in Absprache mit dem Mandanten die notwendig werdenden Gebührenauslagen vorab einzuholen.
Vorschusszahlungen in Absprache mit dem Mandanten die notwendig werdenden Gebührenauslagen vorab einzuholen.
Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).
Eine Übertragung der Rechtsfrage auf die Kammer gem. § 66 Abs. 6 Satz 2 GKG war entbehrlich, da es sich nicht um
eine klärungsbedürftige Rechtsfrage handelt, die einer obergerichtlichen Rechtsprechung zugeführt werden müsste.
Ebenso entbehrt die Sache besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art.
Auch, wenn das Oberlandesgericht Koblenz zu der hier aufgeworfenen Frage noch kein Urteil gesprochen hat, steht der
herrschenden Meinung, wie sie im zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichts Meiningen (5. Kammer, Beschluss vom
28.07.2005, 5 K 463/04.ME, Juristisches Büro 2006, S. 36 ff.), in dem Beschluss des Landgerichts Koblenz (9.
Strafkammer, Beschluss vom 02.08.1995, AZ: 9 Qs 178/95 in NJW 1996, 1223) sowie insbesondere in der neuesten
Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (Beschluss vom 18.01.2007, AZ: 19 C 05.3348 in NJW
2007, S. 1483) zum Ausdruck kommt, keine aktuelle obergerichtliche Rechtsprechung anderer Bundesländer entgegen.
Aus denselben Gründen bedurfte es der Zulassung einer weiteren Beschwerde nicht, da die Rechtsfrage keine
grundsätzliche Bedeutung im vorgenannten Sinne aufweist (§ 66 Abs. 4 GKG).
(W.)
Ri´in als Einzelrichterin