Urteil des LG Mainz vom 20.12.2001
LG Mainz: feuerwehr, höchstgeschwindigkeit, amtspflicht, feststellungsklage, betrug, stadt, zustand, ausführung, sorgfalt, datum
Bürgerliches Recht
LG
Mainz
20.12.2001
1 O 186/00
1. Für Ansprüche aus Amtspflichtverletzung wegen des Zustandes von Gemeindestraßen haftet nicht die
Ortsgemeinde, sondern die Verbandsgemeinde.
2. Die Verbandsgemeinde ist nicht verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, um tiefer gelegte Pkw mit einer
Bodenfreiheit von weniger als 10 cm vor Schäden durch Aufsetzen auf Unebenheiten der Straßen zu
schützen.
T e n o r
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von DM 3.000,00 abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin ist Halterin und Eigentümerin eines tiefergelegten BMW 735 i, mit dem ihr Ehemann, der
Zeuge B., am 03.01.99 gegen 0:30 Uhr die Straße „Am Kläuerchen“ in Oppenheim, in der eine
Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h gilt, befuhr.
Durch ein zwischen den Parteien streitiges Ereignis wurde die Ölwanne des PKW beschädigt, Motoröl lief
auf die Straße aus und wurde durch einen Einsatz der freiwilligen Feuerwehr Oppenheim beseitigt.
Mit Datum 15.04.99 übersandte die Beklagte zu 2) der Klägerin einen Kostenbescheid über DM 5.593,20
für den Einsatz von 17 Feuerwehrleuten für 1,5 Stunden, Ölbindemittel und Entsorgung. Gegen den
Bescheid hat die Klägerin Widerspruch eingelegt, der bisher nicht beschieden wurde.
Die Klägerin verlangt Ersatz von Reparatur- und Abschleppkosten (4,5 Stunden von Oppenheim nach
Laudenbach) zuzüglich Auslagenpauschale und weiter die Feststellung der Kostenpflicht der Beklagten
für den Feuerwehreinsatz.
Sie trägt vor, die Bodenfreiheit des BMW betrage 10 cm. Ihr Ehemann sei langsam und vorsichtig auf der
Straßenmitte – wegen auf beiden Seiten parkender Fahrzeuge – gefahren, als es plötzlich einen Schlag
getan habe. Der Zeuge B. habe dann festgestellt, dass die Ölwanne des Fahrzeugs durch einen über das
Straßenniveau hinausragenden Kanaldeckel, vor dem sich zudem noch eine Vertiefung in der Fahrbahn
befunden habe, aufgerissen worden sei. Der in der Dunkelheit auch bei langsamer Fahrweise nicht
erkennbare schlechte Straßenzustand hätte von den Beklagten beseitigt werden müssen, zumindest hätte
man Warnschilder aufstellen müssen. Da der Schadenseintritt auf einer Amtspflichtverletzung beruhe,
hätten die Beklagten auch die Kosten der Feuerwehr selbst zu tragen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin DM 1.980,04 nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem
09.08.99 zu zahlen
2. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, die Kosten für den Einsatz der Freiwilligen
Feuerwehr Oppenheim am 03.01.99 gemäß Kostenbescheid vom 15.04.99 selbst zu tragen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie tragen vor, die Beklagte zu 1) sei nicht passivlegitimiert. Eine Verletzung von
Verkehrssicherungspflichten liege nicht vor, weil die angebliche Unfallstelle von einem zugelassenen
PKW mit ausreichender Bodenfreiheit bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gefahrlos zu
passieren sei. Die bestrittene Beschädigung der Ölwanne an der fraglichen Stelle könne außer durch zu
hohe Geschwindigkeit bei tiefliegendem Fahrzeug auch durch ein im Bereich des Kanaldeckels liegendes
verlorenes Fahrzeugteil verursacht worden sein. Jedenfalls treffe den Fahrer eines extrem tiefliegenden
Fahrzeugs bei derartigen Beschädigungen ein überwiegendes Mitverschulden. Vorsorglich werde die
Höhe des Schadens bestritten. Abschleppkosten seien allenfalls bis zur nächstgelegenen Werkstatt zu
ersetzen, die Auslagenpauschale sei zu hoch. Die Feststellungsklage sei unzulässig, weil die begehrte
Feststellung im Widerspruchsverfahren ohnehin zu treffen sei. Im Übrigen fehlte es an der Begründetheit
aus den gleichen Erwägungen wie zur Zahlungsklage.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der eingereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Zeugenvernehmung und Einholung eines
Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 16.01.01
(Bl. 63 ff d.A.) und das Gutachten des Sachverständigen L. vom 19.04.01 (Bl. 91 ff d.A.) Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist hinsichtlich des Zahlungsantrags unbegründet, hinsichtlich des Feststellungsantrags
unzulässig.
Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung gem. § 839 BGB, Art. 34 GG besteht nicht.
Der Beklagten zu 1) fehlt bereits die Passivlegitimation. Zwar ist die Stadt Oppenheim gem. § 14 LStrG
Trägerin der Straßenbaulast für die in ihrem Gebiet gelegenen Gemeindestraßen. Die Stadt Oppenheim
ist aber zugleich verbandsangehörige Ortsgemeinde, weshalb die Aufgaben der Straßenbaubehörde
gem. § 68 Abs. 2 GemO der Verbandsgemeinde obliegen, hier also der Beklagten zu 2), die diese
Aufgaben auf Kosten der Beklagten zu 1) ausführt. Diese Regelung hat ihren Sinn darin, den bei
derartigen technischen Aufgaben erforderlichen Sachverstand der Verbandsgemeindebediensteten der
Ortsgemeinde zugänglich zu machen, die diesen Sachverstand in der Regel nicht besitzt. Für einen durch
Amtspflichtverletzung verursachten Schaden haftet die Körperschaft, die den handelnden Beamten das
Amt anvertraut hat, d. h. grundsätzlich die Anstellungskörperschaft. Bei der Ausführung (oder
Unterlassung der gebotenen Ausführung) von Aufgaben der Straßenbaubehörde für Gemeindestraßen
durch Bedienstete der Verbandsgemeinde haftet demnach auch deren Anstellungskörperschaft, also die
Verbandsgemeinde (OLG Koblenz VersR 1982, 1105).
Der Anspruch gegen die Beklagte zu 2) scheitert daran, dass keine Verletzung von
Verkehrssicherungspflichten als Voraussetzung der Amtshaftung im Zusammenhang mit der Sicherheit
von Verkehrswegen vorliegt.
Bei der Straßenverkehrssicherungspflicht handelt es sich gem. § 48 Abs. 2 LStrG um eine
öffentlichrechtliche Pflicht, die den Bediensteten der Beklagten zu 2) als Amtspflicht im Sinne des § 839
BGB obliegt. Inhaltlich entspricht eine öffentlichrechtlich ausgestaltete Straßenverkehrssicherungspflicht
der entsprechenden allgemeinen bürgerlichrechtlichen Pflicht zur Gewährleistung eines
ordnungsgemäßen Zustands von im eigenen Verantwortungsbereich stehenden Verkehrsflächen, um
Schäden für diese benutzende Personen mit zumutbarem Aufwand zu vermeiden. Die Beklagte zu 2) war
also gehalten, die Verkehrsteilnehmer – soweit dies mit zumutbaren Mitteln geschehen kann – vor von der
Straße ausgehenden Gefahren zu schützen und dafür Sorge zu tragen, dass die Straße sich in einem
verkehrsgerechten Zustand befindet. Die Amtspflicht endet jedoch dort, wo die Verkehrsteilnehmer in der
Lage sind, bei zweckgerechter Benutzung der Straße und Anwendung der gebotenen Sorgfalt,
insbesondere bei Fahrten im Dunkeln, etwaige Schäden selbst abzuwenden (BGH NJW 66, 1458; NJW
70, 1126; VersR 79, 1055). Besondere Sorgfaltspflichten treffen denjenigen, dessen Fahrzeug technische
Besonderheiten aufweist, die es anfälliger für Schäden durch mit zumutbarem Aufwand nie völlig
abzusichernde Straßenunebenheiten macht, insbesondere eine die übliche Bodenfreiheit verringernde
Tieferlegung.
Nach Durchführung der Beweisaufnahme kann zwar auf Grund der Aussage des Zeugen B. als bewiesen
angesehen werden, dass der BMW beim Überfahren eines bestimmten über das Straßenniveau
hinausragenden Kanaldeckels im Bereich einer Straßenreparaturstelle mit Vertiefung mit der Ölwanne
aufgesetzt hat und diese leck geschlagen wurde. Der Zeuge hat bekundet, er habe sich wegen eines
geparkten Fahrzeugs nach links orientieren müssen und sei mit dem linken Vorderrad in eine Bodenwelle
gekommen, bevor es einen Schlag getan habe, danach sei Öl ausgelaufen. Er habe das zu den Akten
gereichte Foto Nr. 1 (Hülle Bl. 41 d.A.) aufgenommen, das die Unfallstelle zeige. Wie schnell er vor dem
Unfall fuhr, konnte der Zeuge B. allerdings nicht angeben, er konnte auch nichts dazu sagen, ob er eine
Geschwindigkeitsbeschränkung wahrgenommen hat, würde aber – so seine Aussage – sagen, er sei
damals nicht schneller als 30 km/h gefahren. Diese Feststellungen reichen aber unter Berücksichtigung
weiterer durch das Gutachten des Sachverständigen L. bewiesener Umstände nicht aus, um den Vorwurf
einer Amtspflichtverletzung der Beklagten zu 2) zu begründen. Der Sachverständige hat zunächst durch
Messungen festgestellt, dass die Bodenfreiheit des BMW im Bereich der Ölwanne nicht, wie die Klägerin
behauptet, 10 cm beträgt, sondern in leerem Zustand nur knapp 8 cm und mit einer Person besetzt knapp
über, mit 2 Personen knapp unter höchstens 7,5 cm (an einer anderen Straßenstelle gemessen nur 7 cm).
Die statische Bodenfreiheit am Kanaldeckel betrug nach den Messungen 4,5 cm, die durch Fahrversuche
ermittelte dynamische Bodenfreiheit betrug bei einer Geschwindigkeit von 25 km/h nur noch 1,5 cm,
Versuche mit höherer Geschwindigkeit wurden wegen des Risikos einer Beschädigung nicht mehr
durchgeführt. Die Messergebnisse des Sachverständigen werden von der Klägerin nicht in Frage gestellt.
Der Sachverständige hat weiter die Vermutung geäußert, dass 30 km/h vielleicht noch ohne Kontakt
realisierbar wären, spätestens bei 35 km/h wäre aber ein Kontakt zu erwarten. Nach diesen Ausführungen
ist zwar nicht sicher bewiesen, dass der Zeuge B. die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten
haben muss. Auszugehen ist jedoch davon, dass dann, wenn das Fahrzeug – wie ursprünglich behauptet
– tatsächlich eine Bodenfreiheit von 10 cm hätte, ein Überfahren des Kanaldeckels mit der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h problemlos möglich gewesen wäre. Die der Beklagten zu 2) als
Amtspflicht obliegende Verkehrssicherungspflicht erstreckt sich aber nicht so weit, dass Vorkehrungen
getroffen werden müssen, um auch extrem tiefergelegte Fahrzeuge mit einer Bodenfreiheit von weniger
als 10 cm vor Schäden durch Aufsetzen auf Unebenheiten zu schützen (OLG Hamm NJW 90, 2474).
Vielmehr ist in einem solchen allein der Fahrzeugführer verantwortlich für Schäden, die bei Beachtung
erhöhter Sorgfalt wegen technischer Besonderheiten des Fahrzeugs hätten vermieden werden können.
Über das Fahrbahnniveau hinausragende Kanaldeckel und Straßenausbesserungen mit dem allseits
bekannten Risiko einer Absenkung sind auch im Dunkeln allein mit der Fahrzeugbeleuchtung erkennbar.
Dann muss der Führer eines extrem tiefergelegten Fahrzeugs – unabhängig von der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit - seine Geschwindigkeit so vermindern, dass Schäden ausgeschlossen sind. Dass
dies im vorliegenden Fall ohne weiteres möglich war, zeigen die Messungen des Sachverständigen mit
dem Ergebnis, dass bei einer Geschwindigkeit von 25 km/h ein ausreichender Abstand zwischen
Ölwanne und Kanaldeckel besteht.
Die Feststellungsklage ist unzulässig. Was die Klägerin mit ihrem Feststellungsantrag begehrt, ist der
Sache nach die Feststellung, dass sie die durch Kostenbescheid angeforderten Gebühren für den Einsatz
der Freiwilligen Feuerwehr Oppenheim nicht tragen muss, dass also der Kostenbescheid zu Unrecht
ergangen, somit rechtswidrig ist. Die Klägerin wurde als Störerin nach § 37 Abs. 1 LBKG in Anspruch
genommen, also auf Grund von Normen, die der Gefahrenabwehr dienen und den Staat gegenüber dem
Bürger einseitig berechtigen oder verpflichten und somit dem öffentlichen Recht angehören. Für derartige
Streitigkeiten ist gem. § 40 Abs. 1 VwGO der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, nicht der
ordentliche Rechtsweg gem. § 13 GVG. Die an sich in derartigen Fällen gem. § 17 a Abs. 2 GVG
auszusprechende Verweisung an das Verwaltungsgericht kommt aber vorliegend nicht in Betracht. Denn
die Klägerin hat gegen den Kostenbescheid Widerspruch eingelegt, der Widerspruch ist bis zum Schluss
der mündlichen Verhandlung nicht beschieden worden. An ein Verwaltungsgericht darf aber dann nicht
verwiesen werden, wenn das Verwaltungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist (BGH NJW 93, 332).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Das Gericht hat beschlossen, den Streitwert für den Feststellungsantrag festzusetzen auf DM 5.593,20
entsprechend der Forderung im Kostenbescheid. Der sonst bei Feststellungsklagen vorzunehmende
Abschlag entfällt, weil das Verlangen der Klägerin dem bei einer so genannten negativen
Feststellungsklage entspricht, bei der die Feststellung des Nichtbestehens einer Forderung mit der Folge
rechtskraftfähiger Gesamtanspruchsentscheidung begehrt wird und die deshalb streitwertmäßig der
Leistungsklage gleich steht. Der Gesamtstreitwert beträgt somit DM 7.573,24.