Urteil des LG Limburg vom 17.02.2010

LG Limburg: fahrzeug, drohende gefahr, fahrbahn, geschwindigkeit, korrespondenz, kollision, sicherheitsleistung, aquaplaning, teilkaskoversicherung, kennzeichen

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Gericht:
LG Limburg 2.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 O 137/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 81 VVG, § 82 VVG
(Kfz-Kaskoversicherung: Anspruch auf
Rettungskostenersatz bei einem Brems- und
Ausweichmanöver vor einem herannahenden Reh)
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.120,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 13.3.2009 zu zahlen.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, an den Kläger außergerichtliche
Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 522,89 Euro zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen dem Kläger zu 24 %, der Beklagten zu 76 % zur
Last.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die Beklagte durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger war Halter und Eigentümer eines Pkw Mercedes Benz E 300 T mit dem
amtlichen Kennzeichen ... Für dieses Fahrzeug besteht bei der Beklagten eine
Teilkaskoversicherung. Dieses Fahrzeug wurde am 7.8.2008 gegen 17.00 Uhr auf
der K … in … beschädigt.
Die Tochter des Klägers … fuhr zu diesem Zeitpunkt mit dem Fahrzeug die K …
von … kommend in Richtung ... Beifahrerin war eine weitere Tochter des Klägers, ...
… befuhr die Kreisstraße mit einer Geschwindigkeit von ca. 60 km/h. Die dort
zulässige Geschwindigkeit beträgt 100 km/h. Am rechten Fahrbahnrand befand
sich ein Reh. Beide Töchter des Klägers gingen davon aus, das Reh werde vor das
Fahrzeug laufen. … bremste das klägerische Fahrzeug deshalb ab. Hierbei verlor
sie die Kontrolle über das Fahrzeug, wodurch es verunfallte und erheblich
beschädigt wurde. Das Unfallgeschehen wurde polizeilich aufgenommen. Es wurde
eine Wildunfallbescheinigung ausgestellt, auf die Bezug genommen wird
(Bescheinigung vom 7.8.2008, Bl. 25 f. d.A.).
Der Kläger ließ die Schäden an seinem Fahrzeug von dem Sachverständigen Büro
… begutachten. Insoweit wird Bezug genommen auf das Gutachten des
Sachverständigen … vom 26.8.2008 (Bl. 7 ff. d.A.).
Im Rahmen der vorgerichtlichen Korrespondenz zwischen den Parteien gab …
gegenüber der Beklagten eine Schilderung des Unfallgeschehens ab (Anlage B 2,
Bl. 46 d.A.). Mit Schreiben vom 13.3.2009 lehnte die Beklagte die Regulierung
unter Hinweis darauf ab, dass ein Wildausweichschaden nicht nachgewiesen sei.
Der Kläger hat zunächst Ersatz des von dem Sachverständigen … ermittelten
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Der Kläger hat zunächst Ersatz des von dem Sachverständigen … ermittelten
Wiederbeschaffungswertes in Höhe von 6.700,00 Euro begehrt. Mit Schriftsatz vom
15.9.2009 (Bl. 49 ff. d.A.) hat er die Klage in Höhe von 1.580,00 Euro
zurückgenommen. Klageweise begehrt er nunmehr Ersatz des
Wiederbeschaffungswertes in Höhe von 6.700,00 Euro abzüglich des von dem
Sachverständigen … ermittelten Restwertes in Höhe von 1.580,00 Euro, mithin
eines Betrages in Höhe von 5.120,00 Euro. Ferner begehrt er Ersatz
außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 603,93 Euro.
Der Kläger behauptet, zum Unfallzeitpunkt sei die K … regennass gewesen, es sei
zu Aquaplaning gekommen. Das von rechts kommende Reh habe mit der linken
Seite zum Fahrzeug und im rechten Winkel zur Fahrbahn gestanden. Der Kopf des
Tieres sei zu dem Fahrzeug gerichtet gewesen und das Tier habe sich in Bewegung
befunden. Dies hätten seine beiden Töchter etwa zeitgleich beobachtet. Beide
hätten das Tier mehrere Sekunden wahrgenommen. … habe sich bewusst für das
erfolgte Fahrmanöver entschieden.
Der Kläger beantragt nunmehr,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.120,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem13.3.2009 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in
Höhe von 603,93 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen des Parteivortrags im Übrigen wird Bezug genommen auf die
wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 9.10.2009 (Bl. 59 f.
d.A.) durch Vernehmung der Zeuginnen … und .... Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 20.1.2010
(Bl. 68 ff. d.A.).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist überwiegend begründet.
Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger den aus dem Unfallgeschehen vom
7.8.2008 entstandenen Schaden in Höhe von 5.120,00 Euro zu ersetzen, §§ 81, 82
VVG. Hierbei handelt es sich um den Rettungskostenersatz, den die Beklagte zu
leisten verpflichtet ist. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Ersatzanspruch, da
die Tochter … des Klägers zur Abwendung bzw. Geringhaltung eines unmittelbar
bevorstehenden Versicherungsfalls ein Ausweichmanöver vorgenommen hat und
hierbei einen Schaden an dem versicherten Fahrzeug entstanden ist. Die beiden
als Zeuginnen vernommenen Töchter des Klägers haben übereinstimmend
angegeben, dass sich von rechts ein Reh der Fahrbahn genähert habe. Beide
haben weiter übereinstimmend bekundet, dass sich das Tier in Richtung der
Fahrbahn bewegt habe. Aufgrund des anschließenden starken Bremsmanövers auf
regennasser Fahrbahn sei das Fahrzeug ausgebrochen und habe sich
überschlagen. Wenngleich die konkreten Angaben der Zeuginnen zur Entfernung
des Rehs vom Fahrbahnrand variierten, konnten beide jedoch sicher angeben,
dass das Tier nur noch wenige Meter vom Fahrbahnrand entfernt gewesen sei. Das
Gericht erachtet diese Aussagen der Zeuginnen als glaubhaft. Es verkennt nicht,
dass beide Zeuginnen als Töchter des Klägers, die Zeugin … zudem als Fahrerin
des Pkws, ein Interesse am Ausgang des Verfahrens haben. Sie haben jedoch den
Unfallhergang detailliert und nachvollziehbar geschildert. Es sind keine
Anhaltspunkte ersichtlich, die auf eine Falschaussage hindeuten könnten. Der
Glaubwürdigkeit der Zeuginnen steht der Umstand, dass der Kläger den
Unfallhergang, den er selbst nicht wahrgenommen hat, während der
vorgerichtlichen Korrespondenz der Parteien und während des Verfahrens in
Nuancen unscharf wiedergegeben hat, nicht entgegen. Insoweit ist zu
berücksichtigen, dass der Kläger sowohl vorgerichtlich als auch während des
Verfahrens auf die Schilderung seiner Töchter angewiesen war, um den
Sachverhalt vortragen zu können. Hierbei entstehen regelmäßig geringfügige
sprachliche Ungenauigkeiten. Diese stehen der Glaubhaftigkeit der Aussagen der
beiden Zeuginnen, die den Unfall selbst erlebt und im Rahmen ihrer Vernehmung
lebensnah geschildert haben, nicht entgegen.
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Zwar erscheint zweifelhaft, ob das Ausweichmanöver der Zeugin … und die damit
verbundene Gefährdung des versicherten Fahrzeuges objektiv erforderlich und
geboten war. Es erscheint zweifelhaft, ob es der Zeugin … überhaupt noch möglich
gewesen wäre, durch ein abruptes Bremsmanöver eine Kollision mit dem Tier zu
vermeiden. Dies kann jedoch dahinstehen. Fehleinschätzungen des Fahrers über
die drohende Gefahr und deren Abwendbarkeit sind bis zur Grenze der groben
Fahrlässigkeit unschädlich und stehen dem Anspruch aus §§ 82, 81 VVG nicht
entgegen. Das von der Zeugin … gewählte Fahrmanöver ist keinesfalls als grob
fahrlässig zu qualifizieren. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Zeugin … nur
eine sehr kurze Reaktionszeit zur Verfügung stand und die Fahrbedingungen durch
die aufgrund des vorangegangenen Regens nasse Fahrbahn erschwert waren. Der
Umstand, dass die Zeugin … das abrupte Brems- und Ausweichmanöver mit den
hiermit verbundenen Gefahren für das Fahrzeug den Umständen nach als geboten
erachtete, mag einen Fahrfehler darstellen. Dieser ist jedoch jedenfalls nicht als
grob fahrlässig einzuordnen.
Der Umstand, dass die Zeugin … möglicherweise nicht planend handelte, sondern
reflexartig auf das Auftauchen des Rehs reagierte, steht eine Einstandspflicht der
Beklagten nicht entgegen. Es ist ausreichend, dass die Rettungsmaßnahme
objektiv dem Zweck diente, den Schaden abzuwenden (so OLG Oldenburg, Urteil
vom 22.9.2004, Az.: 3 U 80/04, zitiert nach Juris). Dies ist vorliegend der Fall.
Ungeachtet dessen, ob es sich bei dem Ausweichmanöver der Zeugin … letztlich
um einen Fahrfehler handelte, diente es jedoch dem Zweck, eine Kollision mit dem
Tier zu verhindern.
Demzufolge ist die Beklagte verpflichtet, dem Kläger den Wiederbeschaffungswert
abzüglich des Restwertes zu ersetzen. Bei Zugrundelegung des von dem
Sachverständigen … ermittelten Wiederbeschaffungswertes von 6.700,00 Euro und
dem von ihm ebenfalls ermittelten Restwert in Höhe von 1.580,00 Euro errechnet
sich ein Schaden in Höhe von 5.120,00 Euro, den die Beklagte zu ersetzen hat.
Weitergehend hat die Beklagte dem Kläger außergerichtliche
Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 522,89 Euro zu ersetzen, § 280 Abs.1 BGB.
Die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe war angesichts der durchaus schwierigen
Frage, ob hier die Voraussetzungen eines Wildausweichschadens vorliegen,
erforderlich und zweckmäßig. Ausgehend von einem Streitwert von 5.120,00 Euro,
den der Kläger von der Beklagten beanspruchen kann, errechnet sich bei
Zugrundelegung einer 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG ein Betrag in
Höhe von 439,40 Euro. Zuzüglich der Pauschale für Post- und
Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV RVG in Höhe von 20,00
Euro errechnet sich ein Betrag von 459,40 Euro. Unter Berücksichtigung der
Umsatzsteuer in Höhe von 19 % gemäß Nr. 7008 VV RVG errechnet sich
schließlich eine Endsumme von 522,89 Euro.
Nachdem die Beklagte die Regulierung mit Schreiben vom 13.3.2009 unter
Hinweis darauf, dass die Voraussetzungen für einen Wildausweichschaden nicht
nachgewiesen seien, abgelehnt hat, war der Kläger berechtigt, seine Forderung in
Höhe von 5.120,00 Euro gemäß §§ 286 Abs. 1 Satz 1, Abs.2 Nr. 3, 288 Abs. 1 Satz
1 BGB mit dem gesetzlichen Zinssatz gemäß § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB verzinslich
zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt für den Kläger aus §
709 Satz 1 und 2 ZPO, für die Beklagte aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.